Sechste Scene.

[55] Schloß Rautenburg, Mathildens Cabinet.


MATHILDE am Schreibtische, Briefe lesend. Der vom Veldenz, dieser vom Schwarzenburg, ha ha ha! Das Chor der Liebhaber, die unter Mathildens Fahne geschworen. Legt weg, bricht einen andern auf. Der von Rauteneck! Ey, will schlimm seyn, der, mir den Wind abfangen; meine Schlösser möchte er gerne erheyrathen, drum macht er mir den Hof. Aber schlecht müßt' es kommen, wenn ich ihn nebst allen Uebrigen nicht noch eine Weile an der Nase herumziehe, bis ich meine Projecte ausgeführt; der Herzog von Schwaben ist mein stolzeres Ziel. Der vom Hidulf von Trier, da stinkt die Hypochondrie heraus. – Was gibt's Neues?


[55] Christine kommt.


CHRISTINE. Ein Reiter aus Pfälzel, dieß Paquet an eure Gnaden.

MATHILDE. Her damit; Rauchwerk nach dieser Pest. Laß mich allein. Christine ab. Werde nun näher dahinter kommen, was es mit Golo ist. Der Streich! Gar zu schändlich, so zurück zu bleiben, daheim auf fauler Haut zu liegen, indeß brave Ritter sich draußen herum tummeln. Und die schöne Obersten-Stelle, die ich ihm erst im Schwäbischen Dienst ausgemacht! Golo, ich kenne dich nicht mehr. Reißt das Paquet auf. Die Liebe allein, anders nichts konnte solch eine Umänderung hervorbringen. Liest. Krank? Ausflüchte, Staub in die Augen. Ha ha ha! Getroffen den Nagel auf den Kopf! Verliebt bis über die Ohren! Dacht' ich's doch gleich. Der arme Schelm will nichts merken lassen, und gesteht doch immer drauf los, mehr, als man mit der Folter kaum hätte suchen können. – Närrischer Junge, alleweil taugt's nichts; ich muß dich wieder zurecht bringen, muß gleich selbst hinüber auf Pfälzel. – Klingelt, Christine kommt. Der Bothe, der das Paquet brachte.[56]

CHRISTINE. Soll er herauf kommen?

MATHILDE. Ist's Dragones?

CHRISTINE. Der nämliche, der jüngst in Ritter Golo's Angelegenheiten hier war.

MATHILDE. Laßt ihn herauf kommen, will ihm mündlich Antwort geben, bin jetzt nicht zum Schreiben gestimmt.

CHRISTINE. Gleich.

MATHILDE. Wer drunten nachfragt: bin nicht zu Hause, für Niemand. Christine ab. Lächerlich in der That vom schwachherzigen Ritter. Der Magnet, der ihn dort hält, ist gewiß Niemand anders, als Genovefa selbst. Gefährlich! Sein schwärmerischer Sinn ... Genovefa artig, vernünftig: aber dem Ritter soll sie mir[57] jetzt nicht den Kopf umdrehn. Wenn das feste Wurzel schlägt, hernach ist es aus. Ich muß gleich hinüber und alles in's Reine bringen. Du bist mir Ehrerbiethung und Dank schuldig, Ritter, mehr mag ich dir nicht zumuthen und das sey auch für diesmahl genug, meinen Rath bey dir geltend zu machen. Du möchtest zur andern Zeit meinetwegen herumdahlen, die güldnen Jugendstunden an die Liebe verwürfeln: nur jetzt auf diesem Punct die kostbare Gelegenheit zu deiner Erhöhung aus den Händen zu lassen, das brillanteste Glück zu den Füßen eines Weibes verträumen ... ich muß dich stählen, Weichling. Stahl muß das Werkzeug seyn, mit dem ich gründen und bauen kann in die Zukunft.

DRAGONES kommt.

MATHILDE. Willkommen, Vogelsteller. Ihr entwischtet mir jüngst schnell, Dragones, ich wollte euch was Kleines noch auftragen, da wart ihr schon davon über alle Berge. Wie geht's Leben, Dragones?

DRAGONES. So sachte, gnäd'ge Frau.[58]

MATHILDE. Freylich, es kriecht wie eine Schnecke durch all kleinen Minuten fort. Eure Gebietherin läßt mich durch Golo's Schreiben auf Pfälzel hinüber invitiren; ich komme, vielleicht reise ich heunt oder morgen Nacht ab: wenn sie drüben nicht früh Tag machen, werd' ich sie sauber aus dem Schlaf rumoren. Sagt's euern Damen, bringt meinen Empfehl. Apropos, wie steht's um meinen Bruder Adolf und Nichte Julie?

DRAGONES. So viel ich weiß, befinden sich Beyde ganz wohl.

MATHILDE. Wäre der alte Armbrust etwas galanter, so hätt' er wohl selbst herüber rücken und mich etwa abhohlen können, aber dafür stellt er lieber Dächse. Dem armen kranken Golo könnt' ich freylich so etwas nicht zumuthen.

DRAGONES. Ist der Ritter krank?

MATHILDE. Wißt ihr das nicht? Seht, wie ich eure Neuigkeiten hier besser weiß; sehr gefährlich krank, laut[59] seines Schreibens. Doch, es soll sich schon mit ihm bessern, wenn ich einmahl drüben in Pfälzel bey ihm bin. Sagt ihm, ich habe seinen Krankheits-Zustand schon durchschaut, er soll sich zum Schneiden und Brennen gefaßt halten.

DRAGONES. Hm, das wäre übel.

MATHILDE. Nachdem man's nimmt.

DRAGONES. Natürlich, aber hinten und vorn genommen däucht mich das nicht sehr angenehm, ha ha!

MATHILDE. So ist's vielleicht desto heilsamer.

DRAGONES. Verzeiht, ich werd's ihm so gradweg notifiziren, daß er das Glück haben wird, Gnaden in wenig Tagen drüben in Pfälzel zu sehn.[60]

MATHILDE. Sicher.

DRAGONES. Gnaden, habt weiter nichts zu Befehl?

MATHILDE. Wohin? Wartet noch ein wenig, Dragones, ihr eilt immer schnell von mir weg. Was wollt' ich doch fragen? – Hat eure Gräfin keine Nachricht von ihrem Herrn seit seiner Abreise?

DRAGONES. O ja, sie find schon Metz passirt und hoffen in weniger Zeit frisch und gesund bey der Französischen Armee einzutreffen, wo sie vermuthlich jetzt auch angelangt.

MATHILDE vor sich. Warmes, frisches Blut, unverdorben und fest. – Dragones, ihr scheint mir nicht mit Golo zu incliniren, ihr scheint mir von lustigem, aufgewecktem Humor.

DRAGONES. So, so.[61]

MATHILDE. Solltest, däucht mich, leicht den Unterschied zwischen ein paar blauen oder Katzenaugen zu treffen wissen. Was liebst du am meisten, Tanz, Lied oder ein gut Glas Wein?

DRAGONES. Gut Ding eins um's andre, wem's fruchtet.

MATHILDE. Sollen dir werden, lustiger Bruder. Allegro immer.

DRAGONES. Immer? Das kann man nicht.

MATHILDE. Man muß wollen.

DRAGONES. Es zwingt sich nicht.

MATHILDE. Warum nicht?[62]

DRAGONES. Ja, weil sich's nicht zwingt, es bleibt einem manchmahl zu viel auf der Leber sitzen.

MATHILDE. Herr Vogelsteller, ihr pfeift euern Verdruß weg. Golo hat mir von euern Stückchen erzählt.

DRAGONES. Es ist wahr, wäre das nicht, das Vogelfangen, ich wär' schon längst hin. Ich bin oft etwas schwermüthig von Natur, dann greift mich Alles an, der Himmel ist nicht immer hell, morgen trübt sich's, so geht's mit uns Menschen auch; mich verdrießen manchmahl Dinge, worüber Andre lachen, es geht so.

MATHILDE. Was verdrießt euch denn?

DRAGONES. Allerhand, so und so, manchmal eben, daß das Schwarze nicht grün ist und das Grüne nicht blau.

MATHILDE. Und der Wind über's Thal herunter bläst; da seyd ihr ja selbst Schuld an Allem.[63]

DRAGONES. Ich weiß wohl, es ist aber 'mahl mein Temperament so. Es stößt mir oft dick auf, wenn ich so hin in die Welt schaue und betrachte, wie da Alles unter einander hergeht, ober sich und unter sich, wie oft manch hautehrlicher Kerl auf schmahlem ungemächlichem Tritt steht und wider Willen manchmahl zum Hund werden muß, und mancher Lauskerl, (mit Verlaub zu reden) einen breiten Stuhl hat, worin er sich lümmelt. O dann steigt mir's Faustdick vor Augen, daß ich nicht mehr mag. Aber ich lasse mir drum doch nicht das Blut zu schwarz werden: was du nicht heben kannst, magst du auch nicht tragen, und so in den grünen Wald hinaus.

MATHILDE. Remedium am Vogelheerd.

DRAGONES. Ha ha ha! Wahrhaftig, da fang' ich mir einen Vogel nach dem andern und vergess' es darüber.

MATHILDE. Tödtet ihr die Vögel, die ihr fangt?[64]

DRAGONES. Wie's kommt; die meisten ätz' ich auf meiner Kammer, und wenn ich eine Zeitlang meine Freude dran gehabt, lass' ich die Narren wieder frey. Sie sind meine Wintergesellschaft, da lass' ich sie unter einander herum flattern und stelle manchmahl so meine eignen Betrachtungen drüber an. So mancherley die Vögel und bunt an Farb' und Federn, so mancherley, so bunt ist Menschensinn und Gedanke. Ich lehr' sie auch gar Lieder, wenn sie's lernen wollen.

MATHILDE. Ihr bringt eure Zeit vergnügt zu, seyd auf die Weise ein wahrer Vogelkönig.

DRAGONES. Wenn ich's Futter bringe, sie fressen und heucheln und lügen mir nicht drum, wie Fürsten-Höflinge; das freut mich, jeder macht's grad hin, wie ihm der Schnabel steht. Im Frühjahr lass' ich allemahl die Gefangnen wieder frey.

MATHILDE. Der ganze Wald dort herum muß euch kennen.[65]

DRAGONES. Gewiß, was nicht dießjährige Brut ist. Mir geschah manchmahl der Spaß, daß ich recht vor mich lachen mußte, wenn ich so auf einmahl mitten in der Wildniß drinn von einer Buche herunter eine Amsel das Salve regina singen hörte; ich kannt' ihn nun gleich daran, daß er mein Vogel war und mich wieder gekannt und mir dankbar pfiff. – Das steckt in den Thieren drinn, daß sie ihre Wohlthäter kennen, das hat so die Natur mit ihnen.

MATHILDE. Ganz gewiß. Halber Wundermann, versteht über die Weil' gar der Vögel Sprache.

DRAGONES. Das eben nicht, aber jeden Pfiff.

MATHILDE vor sich. Derber Kerl, recht gebacken, einer Nonne den Psalter zu verleiden.

DRAGONES. Bitte höchlich um Vergebung, daß die Dame so lange mit meinem schlechten Geplauder beschwert.[66]

MATHILDE. Es hat mir gefallen. Ihr müßt was zu euch nehmen, eh' ihr zurück geht. Sitzt her.

DRAGONES. Wird nicht geschehn, gnäd'ge Frau, bitte sehr. Habt ihr was Weiters zu Befehl?

MATHILDE. Für dießmahl nichts. Ihr eilt ja sehr, Dragones. Ist's was Bestelltes zu Hause, das so euch treibt?

DRAGONES. Um Vergebung.

MATHILDE. So roth, Schelm? Hab's getroffen!

DRAGONES. Gnaden ...

MATHILDE. Will schon hinter deine Schliche kommen. Ihr nehmt ja den Rückritt durch Trier?[67]

DRAGONES. Wenn die Dame was zu befehlen hat, das ich dort auszurichten im Stande bin, reite sonst näher durch den Wald.

MATHILDE. Reit' dießmahl über Trier. Dies Paquet da überbring' in meinem Namen an Bischof Hidulf, gib's ihm in eigne Hände. Wenn du schnell reitest, bist du vor Sonnen-Untergang dort, mußt aber gleich aufsitzen.

DRAGONES. Sogleich.

MATHILDE. Denn heunt Nacht reiset der Bischof noch ab, er begleitet auf einige Tage den Herzog von Schwaben im Zuge.

DRAGONES. Darf ich bey der Gelegenheit auch Gnaden gratuliren? Die Rede geht im ganzen Lande, der Herzog hab' sich eure Gnaden zur Gemahlin erkieset und nach dem Feldzuge solle das Beylager in Trier gehalten werden.[68]

MATHILDE. Das Volk spricht mancherley, das Wenigste ist oft wahr.

DRAGONES. Wünschte, daß es hier wahr gesprochen, wenn's anders Gnaden nicht zuwider wäre.

MATHILDE. Höflich! Gibt ihm einen Beutel. Trinkt eins auf meine Gesundheit.

DRAGONES. Das thu' ich nicht, gnädige Frau.

MATHILDE. Auf meine Gesundheit, verstehst du? Ohne Umstände. Nun, mußt mir Vögel dafür fangen.

DRAGONES. Gnaden, verkauf' meine Gefangnen nie.

MATHILDE. Gut, so schenken wir einander, du mir ... den Finger auf den Mund. Kannst doch schweigen?[69]

DRAGONES. Wo's Noth thut.

MATHILDE. Wollen bekannter mit einander werden. Wenn du das Paquet im Bischofshofe abgegeben, erwarte mich in meinem Quartier in Trier, werde bald dorthin nachkommen. Nun adjes. Hält ihm die Hand hin.

DRAGONES. Wie wird mir's? Küßt ihre Hand. Gnaden verzeihn! Ab.

MATHILDE. Soll mir werden bald! Ein hell, männlich Auge, krause Locken, glaube gar, er ist noch Noviz in der Liebe. Gebehrden, Verwirrung gaben's zu verstehn. Gut, soll ihm die Prob' abnehmen; doch Nebenspielwerke, zum Lückenausfüllen. Geschäfte und Hauptsachen gehn vor.


Christine kommt.


CHRISTINE. Gnäd'ge Frau, der Eremit.[70]

MATHILDE. Soll jetzt zum Teufel, will ihn nicht!

CHRISTINE. War heut schon dreymahl da. Als ich ihn vorhin abwieß, stand er ganz betrübt und sprachlos, schaute nieder und ging tiefsinnig davon, aber jetzt tobt und flucht er laut, will mit aller Gewalt vor euch, kaum konnt' ich ihn noch zurück halten.

MATHILDE. Er soll nicht. Bin ich nicht Herr in meinem eignen Hause? Geh hinunter, sag's ihm, ich wolle ihn jetzt nicht sehn; er soll sich gedulten für ein ander Mahl. Nein, sag's ihm grad', wolle ihn nicht, er soll sich trollen über meine Schwelle fort, sofern ihm noch irgend was an meiner Freundschaft gelegen.

CHRISTINE. Wie ihr befehlt.

MATHILDE. Will meine Schritte nicht belauert wissen! Was ich thu', thu' ich nach eignem Gefallen. Hörst du? Pack' hernach Alles in Koffer, alle meine Reisenothwendigkeiten;[71] muß heunt noch fort, Pfälzel zu. Laß mir gleich den Falk satteln und an die Hinter- Gartenthüre führen, will bis Trier eins voran stechen. Christine ab. Der verwünschte Wallrod! So geht's; wenn man 'mahl einem Narren was nachgibt, soll man sich nachher auch immer sacrifiziren. Schwacher Tropf! Warum hat er's nicht mehr Gewalt, einen länger fest zu halten? Die Zeit ist hin, wo der Name Wallrod meinen Ohren gefiel, ich bin ihn nun so satt und ekel, daß ich ausspeye, sobald ich ihn nur nennen höre. Ab.


Quelle:
Friedrich Müller (Maler Müller): Werke. Heidelberg 1811, S. 55-72.
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