Zweyte Scene.

[94] Golo's Zimmer.

Dragones, Golo's Knappe, der im Hintergrunde einpackt.


DRAGONES. Hört ihr's, Knappe, vergeßt den Mantel nicht. Warum denn auf einmahl so fort?

KNAPPE. Was weiß ich's! Mein Ritter befahl einzupacken nichts weiter.[94]

DRAGONES. Es ist ihm was zugestoßen, er stürmte in den Stall hinein, befahl zu satteln, das ganze Schloß ist rege, Genovefa selbst weiß nicht, wie sie's nehmen soll. Da kommt der Ritter selbst, hat rothe, verweinte Augen.

GOLO vor sich. Wohlan! Soll und muß ich denn hier fort, mag's auch noch so laut hier schreyn! Ich will! Muß! O Himmel! Ach! – Warum lass' ich mich denn wegtreiben von ihr? Wer hat sein Gewalt? – Nein, ich muß! Muß! Verdammte Welt, darin ein ehrlicher Kerl sich so herumschinden soll, verläugnen, was man nicht kann, nicht Gewalt hat! Dank und Rücksicht und Treue und Alles am Ende gegen unser Herz! Kein Winkelchen in dem einer sich allein selig verkriechen und verbergen könnte! Bin ich Siegfrieds Feind drum, daß ich sie werth schätze? Und ach! wie viel tausendmahl werther als mein Leben! Siegfried! O wie mir's durch alle Glieder fährt! Er hat sie, der Glückliche, der soll sie besitzen, darf sie lieben ... er allein ... ich nicht ... er ganz allein. Was für ein Abgrund vor meiner Seele! Genovefa, ach Alles, Alles um dich und mehr und zu viel! Warum starren meine Nerven so? Jugendfreund nicht mehr mein Freund. Siegfried, dein Andenken wird mir so bitter. Nein, nein, ich will fort! Zu Grunde gehn! Ich muß von[95] hier. Wohin? Das gilt mir gleich, nur weit, weit! Das Beste, ja, ein Einsiedler! Eine Wallfahrt hin in's gelobte Land zum heiligen Grabe; auch dort will ich dein gedenken, unter Stein und Ruinen dein Bild getreu in meinem Busen durch fremde Länder tragen, herrliches, edles Geschöpf! Du bist es und bleibst es allein, bis endlich 'mahl hinstiebt dieser morsche Bau, erkaltet mein Herz, mein warmes Herz zu dir. O Qual! O bittre Qual! Daß doch die Welt gleich unter mir in Stücke zerspränge! – Ihr dort, ist Alles fertig und bereit für heut Nacht?

DRAGONES. Auf den Wink, wie ihr's befohlen, die Pferde fressen gesattelt.

GOLO. So muß ich denn! – Geht nur. – Diese trägen Seelen fühlen und fassen an nichts Antheil. Diese Nacht, diese Nacht noch. – Adjes denn, ihr holden lieblichen Auen um Pfälzel, ihr Thürme und Gräben! Nicht lange mehr ... Fällt auf das Bett hin. Wehe! Weh! Zu viel!

MATHILDE tritt auf.

GOLO. Weg! O weg! Henkerin! Verdammte![96]

MATHILDE winkt die Diener fort, sitzt zu Golo auf das Bett, küßt ihn an die Stirn, streichelt ihn. Begegnest du mir so, Golo? Lieber, du weißt nicht, wie lieb du mir bist. Herzensjunge, jetzt 'mahl völlig der störrische Golo wieder und du gefällst mir drum nicht schlechter. Dieser schwermüthige Zug deiner dunkeln Augbrauen bringt mir wieder ganz deines Vaters Bild in Sinn, der vollkommen so aussah, und gewiß war er einer der stattlichsten Ritter seiner Zeit. Behalt' mich lieb, Golo, schenk' mir dein Vertrauen wieder. Verzeih, ich setzte dich vorhin zu stark auf die Probe; wärst du stark genug, dieser Neigung zu entsagen, dieser Neigung, die so sehr dein Glück zu Boden drückt, sieh, ich hätte meine Arme um dich geflochten, hätte dich an's Herz gezogen, hätte vor Freuden über dir gejauchzt! Aber du bist einnmahl nun übermannt; in der verzweifelten Lage, worin du dich jetzt befindest, bleibt nichts übrig, als das Uebel zu lindern, das sich einmahl nicht ganz heilen läßt.

GOLO. Was suchst du beständig bey mir? Laß mich allein leiden, was ich muß und kann. Will ja gehn von hier.[97]

MATHILDE. Komme dich zu trösten jetzt her. Deine Hand, Trauter, Lieber! Sollst mich erst ganz kennen.

GOLO. Schon zu viel. Weg!

MATHILDE. Hast es doch nicht fest in dir beschlossen, von hier zu gehn?

GOLO. Fest.

MATHILDE. Wo gedenkst du hin?

GOLO. Euch all' eins. Wo mich Niemand mehr sieht.

MATHILDE. Betrübe mich nicht so sehr! Du weißt ja nicht, was ich um dich leide. Gewiß, du kannst nicht reisen, darfst nicht weg.[98]

GOLO. Wer will mich hindern?

MATHILDE. Ich. Ich habe deine Pferde schon wieder absatteln lassen, Alles gegen deine Abreise befohlen.

GOLO. Warum das wieder?

MATHILDE. Darum, weil mein Plan mit dir geändert ist. Sollst jetzt hier in Pfälzel bleiben. Streichelt ihn. Nur ruhig. Was seyn kann, soll seyn, was ich kann, soll dir werden. Du weißt, ich thu' Alles für dich.

GOLO. Ach!

MATHILDE. Was meynst du? Solltest du so verliebt seyn und nicht bald merken wollen, was.

GOLO. Mathilde! Gott![99]

MATHILDE.

Was hielt' noch den Himmel, die Erd' und das Meer,

Wenn Hoffnung durch's Leben und Liebe nicht wär'?

Ihr Leute stellt Alles so in's Weite, Unmögliche, Ewige, von euch weg; staunt über ein Alltagsgesichtchen, als wenn's ein Superlativus wäre. Hoffnung ist die Krücke, daran Verliebte hinken.

GOLO. Was soll ich, kann ich?

MATHILDE. Das Maul zu, Kind, sollst Zuckerbrödchen haben. Aber verschwiegen, stille!

GOLO wirft sein Haupt in ihren Schoos. Weib! Was machst du mit mir?


Dragones.


DRAGONES. Frau Gräfin, wenn's beliebt, zur Tafel. Herr Ritter ....[100]

MATHILDE. Erscheinen gleich. Nun aufgeräumt, lieber Ritter. Kann dich nicht so niedergeschlagen sehn.

GOLO. Alles, was ich von Freundlichkeit in der Tasche habe, soll baar heraus.

MATHILDE. Wirst gefallen bey der Gelegenheit. Golo, ich empfehle dir diesen Ehrenmann, befördre mir ihn im Dienste, sobald es seyn kann, er ist es werth.

GOLO. Soll von dieser Minute an Haushofmeister seyn.

MATHILDE. Dank, Lieber. Hängt an Golo's Arm. Komm zur Tafel. Adjes, Herr Haushofmeister. Ab.

DRAGONES verbeugt sich. Haushofmeister! Hm! Spaß oder Ernst, mich freut's nicht. Sehr schlecht, was ich gethan, sehr, sehr. Ab.


Quelle:
Friedrich Müller (Maler Müller): Werke. Heidelberg 1811, S. 94-101.
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