Sechste Scene.

[133] Mathildens Zimmer.


MATHILDE beym Licht. Ich bin neugierig, wie sich's endlich erklärt. Genovefa will nichts riechen nach so mancherley Versuchen, bleibt immer kalt und in gleicher Fassung. Verstellung ist's wohl nicht; sie hat zu wenig Weltwitz, so fein hinter'm Berge zu halten. Was denn? Unschuld? Glaub's fast eher. Gewiß, ihre Auferziehung war ganz darnach. Unschuld! Es ist so, wie eine Wölfin ein Lamm fängt, fein lebendig zur Höhle heim trägt, daran ihr Junges im Würgen zu üben: so möcht' ich sie meinem Golo gern ... Dumme Rolle! – Und doch, was ist's? Manche Menschen, scheint's, als wären sie wirklich von der Natur für die Zähne des Andern bestimmt. Der arme Junge verzehrt sich so ganz, seine frische Farbe, Leben, Munterkeit, Alles weg, versengt wie ein Baum über der Flamme; ich kann's nicht länger mehr ansehn, ich muß Rath schaffen. Da liegt ja wohl ein Billet von ihrer Kammerfrau, wir werden vielleicht gut's Neues hören. Liest. Was Wetter! Verflucht! Von wem das kommen mag! Briefe werden in Genovefa's Fenster geworfen, die sie vor meiner und Golo's Verrätherey warnen. Wer Teufel hat hier wieder Hand im Spiel? – Christine kömmt. Mensch, warum bist du noch nicht schlafen?[134]

CHRISTINE. Wollt's Gnaden nur sagen, daß in der Nacht noch spät ein Billet kam, das Gnaden vor Schlafengehn lesen müßten, vergaß es vorhin.

MATHILDE. Hab's schon gelesen.

CHRISTINE. Sonst nichts mehr zu Befehl?

MATHILDE. Zu Bett, es ist schon spät. – Christine ab. Was es nur bedeuten soll? Faßt sie Argwohn? Sie will Golo nach Brabant an ihres Vaters Hof senden, so schreibt mir ihre Kammerfrau. Muß denn endlich doch gerochen haben! Wäre mir im Grunde lieb, sie weiß dann, woran sie ist. Abgekürzt! Sonst läuft es dem Romanenschlender zu, die lange langsam Liebescaravane. Schwärmerey, Narrheit! Sie sind beyde gemacht, hundert Jahr' einander zu quälen, wenn nicht irgend ein gescheites Paar Hände sie zusammen faßt und an einander hinstößt; der Deus ex machina will ich seyn, meinen Jungen mir wieder curiren, kost' es auch, was es wolle: eine, zwey, drey Nächte, auch[135] meinetwegen zehn, was ist's weiter? Nach dem Haben verliert sich das Wollen, unsre angesteckte Phantasie zaubert sich oft im Verlangen Paradiese, um die uns Genuß wieder bestiehlt. Dahin muß ich's nun wenden, aus dem verkehrten Menschen wieder was Gescheites zu bringen. Was Genovefa anlangt, mit der will ich nachher schon fertig werden; Spötteley über ein Paar erröthende Wangen und dergleichen. Sey's so. – Wie, Mitternacht vorbey? Wo steckt denn der Schneckenliebhaber noch? Dragones, lahmer, langsamer Bengel, wo er wieder bleibt! Es regt sich die Treppe herauf; nein ... Teufel! Wo nur das Vieh wieder so lange ... ich will ihm nächster Tag einen Laufzettel anhängen, er ennuyirt mich immer mit seinen geziemlichen Frau-Basenbedenklichkeiten. Es knarrt an der Thür, die Fenster zittern, herein! Wieder nicht! Ist mir ganz eng, heiß, verdammt verzehrend Warten! Christine mit Licht.

CHRISTINE. O, gnäd'ge Frau! O!

MATHILDE. Was Teufels hast du, daß du heut nicht zu Bette willst?[136]

CHRISTINE. Verzeiht, liebe gnäd'ge Frau, bin nicht schuld ... es ist was passirt in meinem Zimmer ... seht, wie ich zittre! Auf der Treppe drunten – bethete eben das Nachtgebeth, wollte mich niederlegen, hatte die Thür noch nicht verriegelt, da fuhr euch auf einmahl, wie erschrak ich! 's graust mir noch! der Waldbruder mit bloßem Dolch zur Thür 'rein, rennt ausgehohlt auf mich los, ich that einen heftigen Schrey, da starrt er mich an vom Kopf bis zu Fuß, schüttelt knirschend und sprang wieder zurück zur Thür hinaus; unten an der Stieg' hört' ich drauf zu zweyt pispern, mich däucht, so leise es war, Dragones Stimme.

MATHILDE. Ich weiß jetzt ... o Teufel! Teufel Verrätherpack, was habt ihr mit einander? – Hast nichts vernommen, was sie sprachen?

CHRISTINE. Konnte nichts deutlich verstehn.

MATHILDE. Klar, klar. Wallrod! Dragones! Verfluchter Wallrod! Unverschämter Dragones![137]

CHRISTINE. Gnäd'ge Frau, es schleicht wieder was die Treppe 'rauf. Soll ich verriegeln?

MATHILDE. Laß auf! – Soll herein kommen, wer's ist, will ihn empfangen. O Wuth! – Die Brust auf, schneide los, den Spiegel her, hier vor mich hin, will mir die Haare auskämmen, abgesteckt, losgeflochten, soll nur kommen, der Tropf! Als müßt' er nicht seyn, was ich will? Zum lachen, ha ha ha!

WALLROD mit bloßem Dolch unter dem Arm zur Thür herein.

MATHILDE. Guten Abend, Wallrod! Grüß' euch so spät. Seit wann habt ihr's vor, Leute zu erschrecken? Ha ha ha!

WALLROD. Hab' ein paar Worte mit euch allein zu sprechen.

MATHILDE. Zwanzig Paar. Sitzt her. Zieht einen Stuhl herbey.[138]

WALLROD vor sich. Stoß' ich gleich zu? Nein, will ihr zuvor noch Alles in's Gesicht sagen, Alles, was ich auf dem Herzen halte, mich erst recht sättigen und dann ...

MATHILDE. Nun, sitzt her zu mir.

WALLROD. Kann hier stehend warten.

MATHILDE. Da neben mich. Thut ihr doch so fremde!

WALLROD sitzt, das Gesicht abwärts gedreht. Hätt's nicht thun sollen. Muß Herz halten!

MATHILDE. Wollt' eben einen Aufsatz probiren, sah einen Frauenkopf auf einem geschnittenen Steine, der Haaraufsatz gefiel mir, ihr sollt mein Meister seyn, ihr habt Geschmack im Putzen. Seht, wie geht's so?[139]

WALLROD vor sich. Nein, sie soll mich nicht fangen mit all' ihrer List und Gewalt, es ist vorbey!

MATHILDE. Seht doch.

WALLROD. Auf's Bitterste mich rächen für alle Schmach! – Was begehrt ihr?

MATHILDE. Ihr liebt Perlen in den Haaren, das weiß ich noch von Altem. Perlen her! Geschwind! – Wallrod, ihr machtet mich oft lächeln, wenn ihr stundenlang auf Aehnlichkeiten sannet, mit denen ihr dann meine Haare vergleichen wolltet, unter einer Million euch am Ende keine gut genug war. Bald waren sie euch Ketten von Indischem Golde, bald Ordensbänder der Helden der Liebe, bald Strahlen des Ocean's, wenn der leuchtende Titan sich eintaucht, bald Sennen am Bogen Cupido's, jedes Perlchen, einer eurer süßesten Wünsche dran geknüpft. – Wie sind die Zeiten verrostet. Wer doch verliebten Schwüren trauen wollte! Hahaha!

WALLROD. Das sagt sie mir.[140]

MATHILDE. So durchflochten, oben auf dem Wirbel im stolzen Knopf zusammen gedreht, wie Königin Semiramis trug.

WALLROD steht auf. So nannt' ich die Zauberin oft im Taumel.

MATHILDE. Oder so über dem Rücken schlagend, wie Cleopatra am Cydnus?

WALLROD. Auch so. Dann war ich ihr Antonius.

MATHILDE. Wiegt einmahl, Wallrod, mein Haar ist seit kurzem gewachsen und schwerer.

WALLROD. Bindest den Simson, Delila! Nein! nein!

MATHILDE. Ha ha ha, thust ja, als wär's giftig.[141]

WALLROD faßt es. Vorbey! Durch alle Gebeine! O! Höllisch Feuer!

MATHILDE zieht ihn an, schlägt ihn mit der Perlenschnur. Bleibst doch heunt hier?

WALLROD. Wer mag's? Gewalt! Sie hält mich!

MATHILDE winkt, Christine ab.

WALLROD. Wie Alles sich hin nach ihr streckt und dehnt! Umsonst! er wirft das Schwert hin.

MATHILDE spannt die Arme auseinander. Herein!

WALLROD fliegt hinein. Giftige unwiderstehliche Schlange! Die mich tausend und tausendfach knüpft![142]

MATHILDE küßt ihn. So warm!

WALLROD. Mathilde!

MATHILDE küßt. Da hast du eins, Wilder, Unersättlicher, da!

WALLROD. Hör' auf, oh! Dich zu ermorden kam ich her ... ermorden! – Will's noch.

MATHILDE. Hattest du so was im Sinn?

WALLROD. Soll ich nicht? Ha! Nein, ich leid's nie, leid's nie, daß je ein Andrer dich besitze, lieber dich todt vor mir, lieber dich tief in die Erde! Du und ich, wir Beyde müssen eh zu Grund!

MATHILDE. Still jetzt.[143]

WALLROD. O hab ich nicht recht? Hab' ich nicht Alles für dich gethan? Du! Du hast mein Leben weggeschwelgt, meine Jugendblüthe, Stand, Hoffnung, Ehre, was ich vermochte, brachte dir meine Liebe dar. Du nahmst es, schlucktest mich ganz ein, wie eine hungrige Weihe. Alles, Religion, Gewissen! Ich bin das Wachs, worin du deine Schandthaten gedrückt. In dieser erbärmlichen Gestalt, ein Ritter gebohren, ein Graf! Ich möchte mich fast selbst beweinen. Dieß Haupt, seiner Jugendlocken um deinetwillen beraubt, gewöhnt des ehrenvollen Helmes! Es ist kein Theil an mir, das nicht über Aufopferung deinetwegen schreyt! Und nun bin ich dir ein räudiges, ausgedientes Windspiel, das der Herr aus seiner Gesellschaft jagt, ich soll nur so von ferne nachsehn, o Unglück!

MATHILDE. So eins auf dein Schelmenmaul! Kein Wörtchen weiter!

WALLROD. Mit einem Bengel, wie dieser, der dich nicht achtet, mit einem gemeinen Kerl, der's nicht einmahl fühlt.[144]

MATHILDE. Soll ich dir's versiegeln? Küßt ihn. Hinein! Zu Bette! Will mein Mädchen schlafen schicken, dann komm' ich nach.

WALLROD hängt an ihr. Erquicken! Wieder einmahl nach langem Schmerz.

MATHILDE. Gehst?

WALLROD. Zauberin! Gingest du voran, ich folgte dir nach in die Hölle. Ab.

MATHILDE. Sperling. – Dragones, hast mich verrathen, die Stunde wird bald schlagen, daß Mathilde dich zur Rechenschaft fodert. –

Quelle:
Friedrich Müller (Maler Müller): Werke. Heidelberg 1811, S. 133-145.
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