Erste Scene.

[146] Grüner Platz im Garten zu Pfälzel.

Golo ein Buch in der Hand, Mathilde.


GOLO.

Der Baum sonst fühlen Schatten gab,

Hängt nun herab,

Seine Blätter im Wind zerwehen.

Der Sonnen Gluth die Lilg' verzehrt,

Nichts bleibt und währt ....

Hm, diese Stelle, daß ich gar nicht hier los kann. Liest.

MATHILDE. Laß einmahl hören.

GOLO liest. »Das Beste in der menschlichen Natur ist es, daß wir es abschütteln können, wennn uns etwa die Last[146] zu schwer drückt, das kürzere Ziel ergreifen, wenn uns das weitere zu lang däucht. Er, der uns mitten im Wirbel von Cirkeln und dunkeln Labyrinthen dieses Lebens in Irre gelassen, wo wir oft geblendet, von höherer Hand fortgestoßen, unserm Verderben manchmahl wider Willen entgegen eilen, wo wir oft gedrückt durch enge Wölbungen auf dem Bauch fortkriechend, mit Lasten von Elend beschwert, athemlos nach Luft schnappen, durch wollen und nie Auskunft sehn: er hat uns zum Stab und Freund das herrliche Gefühl von Vermögen mitgegeben, abzuschütteln, wenn wir es müde sind, und uns aus diesem Knäul von zusammen gewickelten Drangsalen und Leiden durch eine große Thüre herrlich und frey wieder loszuwinden.« – Vortrefflich!

MATHILDE reißt ihm das Buch weg. Quacksalberey, die den Kranken noch elender macht, Hirnwulst. Willt du auch noch so ein denkender Narr werden, jetzt, da der Hundsstern ohnehin am Himmel steht? Denken und Denkeln, was kömmt dabey heraus? Dummheit! Eine Maus sucht das erste beste Loch, sich drein zu retten, wenn hinter ihr her die Katz' ist. Der simple Mensch sieht immer zehn Auswege, einem Beschwerniß zu entkommen, wo ein Denker oft stockt und stottert; warm? Er thürmt sich nicht selbst ausgeheckte Erschwernisse[147] hin, seine Phantasie bekleistert ihm nicht die Augen, er schaut auf's Wirkliche, Wahre umher, staunt nicht am eigen hingedachten Unwahren beständig hinauf, wie ihr Andern. Und wenn ihr denn endlich durch euch selbst caput werdet und wie die Hunde darüber zur Welt hinaus marschirt, wollt ihr's noch Wort haben, daß es groß Mannsstück heissen soll. Leiden und überwältigen lassen war nie meine Sache; auf Andre wirken nach unserm Willen, die Peitsche hochgeschwungen und tüchtig drüber hinein gehauen, wenn die Schindmähren Convention und Menschenumgang es einem zu warm machen; Projekte auf Projekte hingethürmt, eins über's andre hinauf, Fuß auf Fuß, fest, bis es durch ist, was wir wollen. Der Unermüdende, Unermattende ist mein Idealheld. Was wäre diese schmutzige ungewaschne Welt dir gleich wieder, wenn Genovefa auf deine Lippen hin dir einen Kuß drückte?

GOLO schlägt zusammen. Himmel!

MATHILDE. Also voran! Mit Stillhocken erjagt man nichts. Ihr seyd wie die Kinder in euern Projekten, die sich wohlwollen und doch beständig einander die Rücken zudrehen. Was ist's, warum das Kind schreyt? Mama will ihm den Apfel nicht reichen. Hätt's ihn genommen[148] und wie ein braver Junge ihn verzehrt und weiter's Maul gehalten!

GOLO. O wäre so was möglich!

MATHILDE. Möglich, möglich. Manche hätte sich längst gern ein Messer an den Hals gewünscht, nur es meynen zu dürfen, man hab' sie gezwungen. Klagt doch nicht über uns gute Weiber, ein Seufzer kostet einen Athemzug, mehr nicht ein gut Wörtchen, und das hilft zur gelegnen Stunde mehr als all euer Kreuzigen und Casteyen. Eine Nuß im Bauer aufgehenkt, darnach fliegen alle Vögel gerne: Anbethung, Verzweiflung, Schönheit, Himmel und Seligkeit, wenn wir davon hören, sind wir weg. Glückliche und Unglückliche zu machen, die Göttin über den Mann zu spielen, war von jeher des Weibes süßester Stolz; manche versagt sich's selbst, martert sich ab mit angenommener Strenge, nur die Verzweiflung ihres Anbethers, die ihr so sehr schmeichelt, immer kräftig zu erhalten, und eine Andre läßt von der bescheidensten Tugend nach, weniger oft aus Wollust, als weil es ihr süß ist, ein Geschöpf, das so ganz von ihr erliegt, durch ihre Huld so überschwenglich glücklich zu machen. Wer uns einmahl von[149] der Seite weg hat, treibt uns nachher wie er will in's Garn. Also Courage!


Steffen.


STEFFEN. Gnädige Frau, der Gräfin Kämmerin läßt sich empfehlen und schickt hier das Bewußte.

MATHILDE. Gut, Rückgruß, werde nachher selbst mit ihr sprechen. Adjes. Steffen ab.

GOLO. Was gibt's da?

MATHILDE. Meynst du, daß ich müßig sitze, wenn ich nicht mit den Händen hin und her greife, oder mit Seufzern an's Sternenchor hinauf appellire? – Siehst?

GOLO. Ein Schlüssel.

MATHILDE. Wo meynst du, daß er hinführt?[150]

GOLO. Ach! Mir ahndet's. Kommt er von ihr selbst? Oh! Wie?

MATHILDE. Was fragst du darnach?

GOLO. Es ist nicht möglich! Nein! Ist's möglich? Ist's wahr?

MATHILDE. Es ist. Fein stille. Nun, getraust du ihn zu nehmen?

GOLO. Um Alles, um Tod und Leben.

MATHILDE. Mußt mir jetzt auch einmahl ein braver Ritter seyn. Nun steht Alles auf dir selbst, so weit hab' ich's getrieben; wie du jetzt fertig wirst, ist deine ...

GOLO. Ich verstumme. Mathilde! Herrliches, treffliches Weib! Thust es für mich, hast es gethan! Himmel![151] Nun bricht wieder Sonne in mir hervor. O Wonne! Kann, weiß, will, mag Alles wieder, bin wieder ein Mensch, wieder ein Mann, auf einmahl! Neue Welt, neues Leben!

MATHILDE. Muß dir erst Anweisung geben, wie du ihn heut Nacht brauchen darfst, es schleichen neugierige Ohren hierum im Grünen auf und ab, Genovefa's Fräulein. – Nun siehst es, wenn ich es auch immer so gemacht, die Hände so über einander geschlagen, das Maul voll Ach und Weh ....

GOLO. Du bist eine Juno.

MATHILDE. Sagst du immer noch, ich liebe dich nicht, thu' nichts für dich?

GOLO küßt ihr die Hand. Mehr, mehr, als ich zu sagen, zu denken vermag. Ab.


Quelle:
Friedrich Müller (Maler Müller): Werke. Heidelberg 1811, S. 146-152.
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