Vierte Scene.

[160] Nacht. Schloßgarten. Das Schloß mit dem Altan im Hintergrunde.


DRAGONES. Hier her hat mich der Waldbruder bestellt. »Dragones, sitz' auf, reit' diese Nacht noch von Pfälzel, dein Untergang ist sonst gewiß,« so schreibt er mir, ermahnt mich, eiligst von hier zu entfliehn, schickt mir ein Pferd sammt einem schweren versiegelten Beutel. Und bald drauf wieder mündlich hieher bestellt, mit Bedeutung, er habe mir vor noch was Nothwendiges[160] zu sagen; gewiß all' das Mathildens wegen. Ich dacht's vorher, es geht so. Meinetwegen. Fortgehn, da mach' ich mir nichts draus, ein ehrlich Blut findet's überall daheim, die Welt ist groß, lieber draussen herum, als noch länger hier so fort. Wenn er doch nur bald käme! – Ich ginge noch heute Nacht weiter. Ich will dort unter den Bäumen auf und ab schleichen und passen, bis er kommt. Der Mond verkriecht sich hinter der Wolke. Ab.


Golo mit einer Leiter, Mathilde.


MATHILDE. Hier hinauf, das Altanfenster ist auf. So ist die Losung, um Eins nach Mitternacht, hörst du? Habe Alles eingerichtet, daß du allein bist, mach's jetzt still und klug. Hörst du, um Eins nach Mitternacht.

GOLO. O wäre nur die Stunde schon da!

MATHILDE. Gedult nur.

GOLO. O wer die auch haben kann![161]

MATHILDE. Eins nach Mitternacht, eher ja nicht! Adjes.– Ab.

GOLO. Wie auf der Feuerprobe. Haltet mich doch, Nerven, bis dahin, daß ich nicht vor der Zeit versinke, eh die Stunde ... eh ich mich an ihren himmlischen Busen gelegt. Wie wird mir? Mir schwindelt. Wer hätt's geglaubt, gehofft? O Leben! Leben! Verbirg mich noch ein Weilchen hier, Grotte, bis sie ruft, die süße Stunde, die süße Stunde des Himmels. Geht in die Grotte.


Adolf, Adam, kommen leise.


ADOLF. Will meinen Säbel probiren, wenn's jetzt dazu Gelegenheit gibt. – Meister, wir steyn hier eben nicht sehr gut, können's nicht genug übersehn.

ADAM. Der Mond steht jetzt noch tief.

ADOLF. Laß uns derweil auf und ab schlendern, bis es heller wird.[162]

ADAM. Ist's wahr? Es soll ja kürzlich zwischen den Christen und Mohren zu einer heftigen blutigen Schlacht kommen seyn.

ADOLF. Man spricht davon, Zuverlässiges weiß man aber nichts; hoffe in wenigen Tagen, wenn anders Gott die Unsrigen glücklich erhalten, genauere Nachricht zu hören. Beyde ab.

GOLO hervor. Wie unruhig die Nacht! Hat mich der schönste Stern hervor gezischt? Oder war sie es selbst, die jetzt eben so liebeunruhig im Grünen irret, wie ein angeschossen Reh, meiner heißen Sehnsucht zu begegnen? Wie entglommen mein Herz! O Mathilde, du sagtest mir nicht Alles, ich bin wohl glücklicher, als ich es selbst gewußt.

Ach, süßes Glück der Liebe,

Wer dich nicht kostet,

Des Lebens Freude kennt er nicht,

Des Lebens besten Schatz.

Still! Was hör' ich droben am Fenster? Sie selbst, o Himmel! Zieht sich in die Grotte.[163]

GENOVEFA oben auf dem Altan. Die du Alles bedeckst, Nacht, bedecke auch meinen Gram, süße, liebe, heitre Nacht. – Ich bin schon wieder froh. Was traure ich denn auch? Was hat mein Herz verbrochen? Singt.

Viel lieber wollt' nicht leben

Als mich dem Gram ergeben,

Der Gram das Leben frißt. –

Was nur der Waldbruder meynte? – Sollte es möglich seyn, großer Gott, möglich? Golo ein Verräther, an mir, an Siegfried, der ihn so brüderlich liebt? Und warum sollt' er's seyn, warum? Singt.

Auf's sichre Nest kein Vogel geht,

Auch Sturm es manchmahl rüttelt,

Kein Baum im freyen Walde weht,

Den Winters Gewalt nicht schüttelt.

Was auf der Erde lebt und steht,

Wechselt immer Schmerz und Wonne,

Der Winter wohl nach Sommer geht,

Nach Regen lacht die Sonne.

Also packt euch, ihr Grillen, wohin ihr wollt, ich mag nicht länger mit euch zu schaffen haben. – Wie angenehm der falbe Mondglanz zwischen den Bäumen dort unten! Ich will auch hinunter, mich noch ein Weilchen erlaben, jetzt, da ich allein bin. Ab.[164]

GOLO. Kommt sie herunter? – Sie fliegt herunter, meinen Armen zu. – O Stunde, bist du da? Ich hör', ich hör' sie schon, da ist sie, da bin ich, wie über Wolken zu dir auf, himmlisches Wesen.

GENOVEFA. Wer hält mich? Wer ist das? Himmel! Bin ich nicht allein?

GOLO. Ach, kannst du noch fragen? Ich bin's, Genovefa, ich, der dich schon so lange anbethet, nach dir lechzt, wie der Hirsch nach frischem Trank, nach dir! Genovefa, Genovefa, du, selig machst du mich, selig! Er kniet vor ihr und hält sie.

GENOVEFA. Edler Ritter, laßt ab, ich bitt' euch, haltet ein, ihr irrt.

GOLO. O Leben! Nimm mir das Leben! Theure, ich liebe euch, liebe euch.[165]

GENOVEFA. Ihr liebt mich, Ritter? Wie? Ihr? Was sagt ihr?

GOLO.

Ach hier, wo sich mein Herz verlor

In süßen Jugendtagen,

Ihr Stauden, hänget noch betrübt

Von meinen schweren Klagen!

O schau' hinauf in's Sternenchor,

Sie werden's all' dir sagen,

Wie treu und rein der Ritter liebt,

Der dir so ist ergeben.

So rein ihr Schein,

Steht hoffnungsfroh nach dir allein

Mein Streben und mein Leben.

Erlös mich, schönstes Herz, eine arme Seele aus Flammen zu dir! Erbarme dich!

GENOVEFA zitternd. Was wollt ihr? Golo, Golo, was sprecht ihr? Gedenkt doch ... O nein, nein, es darf ja nicht ... schweigt doch, der Himmel hört uns Beyde. – Schaut um euch, junger Ritter, in der Welt werdet ihr noch eine schöne Gemahlin finden, die euch trösten darf; sprecht nicht so zu mir, ich vermag's ja nicht.[166]

GOLO. O bey den Lichtern, die dort oben brennen, keine unter dem Himmel und auf Erden als du allein! Eh soll sich dieß Herz so in Gluth verzehren! Du allein, süßes seliges Wesen, dein Abdruck, rein bis in den Tod.

GENOVEFA. O laßt mich, laßt mich, laßt mich doch, Ritter! Kann euch nicht länger anhören, O Himmel!

GOLO. Flieh' nicht, Genovefchen, reißest mir die Seele mit weg. Ermorde mich, Grausame, gib mir den Tod, sage, du wollest mich nicht trösten, dein Zorn macht mich zur Leiche.

GENOVEFA. Golo! Ritter, bedenkt doch um's Himmels willen!

GOLO. Es ist vorbey, ich kann nicht. Küßt ihre Hand.[167]

GENOVEFA. Halt!

GOLO. Engel, süßer Engel!

GENOVEFA. Falscher, was treibt ihr? Unsinniger!

GOLO. Umsonst! Umsonst! Umfaßt sie und trägt sie der Höhle zu.

GENOVEFA. Ungeheuer! Nicht edler Ritter! – Ihr droben, erbarmt euch mein! Hilfe! Hilfe!


Dragones der Grotte zu.


DRAGONES. Was gibts hier? Steht! Wer ist's? – Eure Stimme, Gräfin? Ehrenräuber! Wer du auch bist, halt! Halt![168]

GOLO läßt Genovefen los, schlägt den Mantel vor. Hölle! O Alles! Da, nimm's, ungebethner Hund!

DRAGONES. Weh mir! Bin verwundet! Hilfe! Oh Hilfe!

GOLO. Was soll ich nun? Genovefa! – Was fang' ich nun an? Verflucht! Dort kommen mehr Leute. Ich muß flüchten, bin verrathen, verloren! Ab.


Adolf, Adam.


ADAM. Von dortherwärts.

ADOLF. Vermutlich der Mauerklettrer.

ADAM. Es war, däucht mich, eine Weibsstimme drunter.

ADOLF. Meynst du? Wer ist hier? He Fackeln! Lichter! Wache![169]

ADAM. Fackeln! Leute! Wache!

DRAGONES angelehnt. Weh mir, ich verblute.

ADOLF. Wer bist? Gib Antwort oder ich hau' dich in Fetzen!

GENOVEFA auf der Erde. O Himmel! Ohnmächtig.

ADOLF. Wo nur die Wache bleibt? Ruf' laut, Adam! Schrey'! Schrey'!

ADAM. He! Leute! He! Wache! Herbey! Hieher! Herbey! Mit Licht, mit Gewehr! Da kommen sie. Wächter mit Fackeln. Wie? Ihr, Dragones, da?

DRAGONES. Ja, liebe Leute. Was hab' ich gethan, daß ihr mich so blutig geschlagen?[170]

ADOLF. Wie kommt ihr hieher? Wer liegt da? – O ho! sie! Was hast mit ihr gemacht?

DRAGONES. Ich? – Herr, Herr, ihr müßt Alles besser wissen, als ich.


Mathilde, mit Knechten und Steffen.


MATHILDE. Was für ein Lärmen, stärker als bey Feuer und Wassersnoth, stört die Ruhe auf? Was gibts hier? Beysammen, Genovefa, Dragones? Was soll der Auftritt, Bruder?

ADAM. Die Gräfin liegt ohnmächtig an der Erde, man muß sie ein wenig anspritzen, daß sie wieder zu sich kömmt.

ADOLF. Spitzbub'! Was habt ihr mit ihr gemacht?[171]

DRAGONES. Was fragt ihr, Hauptmann. Kam ja selbst erst auf der Gräfin Geschrey herbey, da habt ihr mich Unschuldigen geschlagen.

MATHILDE. Was soll das? Was läßt sich hievon schließen, denken? Genovefa allein hier mit diesem Kerl, zu der Zeit und Stunde? Hm! Leise. Bruder, laß uns hier nicht so genau untersuchen, Siegfried's Ehre wegen, es wäre ein gräulicher Spektakel. Daß doch eben jetzt Golo krank seyn muß! An ihm läg's, so was zu untersuchen; er kommt den ganzen Tag nicht aus, ihn peinigt ein heftig Fieber.

ADOLF. Wie meynt ihr?

MATHILDE. Mein Rath wäre, den dort so lange am sichern Ort fest zu halten, bis der Verlauf klar genug.

ADOLF. Es ist hier mein Recht; beleidigter Burgfrieden.[172]

MATHILDE. Wird sich hernach Alles finden. – He! Ihr, führt den da weg, haltet ihn sicher verwahrt, bis morgen sollt ihr das Weitere vernehmen.

DRAGONES. Was hab' ich verschuldet, daß man mich so bindet?

ADOLF. Herr Spitzbub', Gaudieb, wer liegt hier? Wollt ihr noch fragen?

MATHILDE. Fort mit ihm! Aus meinen Augen!

DRAGONES. Da hab' ich's, was ich bisher gefürchtet! Mein Unglück schwebt über mir.


Sie führen ihn ab.


MATHILDE. Ihr tragt die Gräfin hinauf in ihr Zimmer. Steffen, sey dabey. Winkt ihm. Verstehst? Daß Niemand zu ihr kann, bis ich nachkomme.[173]

ADOLF. Achtung, Sorge zur Gräfin, will selbst dabey seyn.

MATHILDE. Bleib' nur, ich geh ja mit, will schon sorgen. Vor sich. Jetzt in einander geknüpft oder es reißt Alles! Ab.

ADOLF. Was denkt ihr von dem Vorfall, Adam?

ADAM. Hm, muß erst morgen hören, die Gräfin wird's am Besten wissen, wie's ist, was die sagt, ist gewiß.

ADOLF. Natürlich, ist eine liebe reine Seele. Wollen uns denn bis dahin gedulten. – Sieh doch 'mahl, ist Blut an meinem Säbel, muß ihm doch in der Hitze eins gegeben haben.

ADAM. Gewiß habt ihr ihn verwund't, der Mann wird sich wohl nicht selbst eine Wunde geben.[174]

ADOLF. So bin ich. Der arme Schlingel! Doch vielleicht hat er's verdient. – Komm schlafen.

ADAM. Das wird wohl jetzt das Beste seyn. Ab.


Quelle:
Friedrich Müller (Maler Müller): Werke. Heidelberg 1811, S. 160-175.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Serapionsbrüder

Die Serapionsbrüder

Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

746 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon