Zweyte Scene.

[228] Bernhards Zelt inwendig.

Bernhard sitzt, Heinrich zieht das Scheermesser ab.


HEINRICH. Ich für mein Theil bin nicht ganz für, nicht ganz wider das Aderlassen; Beydes hat sein Gutes und Schlimmes, ob man gleich Alles nicht so authentisch von Galen's und Hippokrates Bärten herunter demonstriren kann.

BERNHARD. Scheert mich nicht weiter als einen Daumen breit aus dem Gesichte, damit der Nebenbackenbart mit dem Schnauzbart bleibt.

HEINRICH winkt. Gut. – Daß es zu gewissen Zeiten nützlich, ja höchst nothwendig, etwas von der Blutmasse zu verringern und abzulassen, läßt sich ganz leicht aus der natürlichen Geschichte erweisen. Wir müssen die Thiere zum Exempel nehmen, die gleichsam mit eignem theologisch-politisch-moralisch-medicinisch-, ja, wollt' ich fast sagen, poetischen Instinct gebohren sind. Fängt an einzuseifen. Manche Thiere loben Gott sichtbar früh[229] und spät, wie der Kranich; andre sind gesellschaftlich und gastfrey, andre moralisch, wie der Storch, der Vater und Mutter ehrt, andre Mediciner; der Hippopotamus oder Nilpferd hat die Eigenschaft, daß, wann er zu blutreich ist, so daß ihm die Adern zu stark strotzen, er im Sumpf an einem Rohrsplitter sich dieselben öffnet und sich so wieder zurecht hilft.

BERNHARD. Wann ist mein Bruder Carl fort?

HEINRICH. Etwa vor einer kleinen halben Stunde.

BERNHARD. Jagte gestern auch einen Knecht nach Dahlheim. Mein Weib lag in den Wochen, hat mich abermahl mit einem gesunden starken Jungen erfreut.

HEINRICH. Bey euch regnet's Glück; ihr habt ihr vermuthlich doch was von euern vielen erbeuteten Schätzen übersandt.

BERNHARD. Komm' ich, kommt Alles; dann hat sie's an einem Stück; schickte ihr doch so der Perlen etliche zwanzig, die ich so von todtgemachten Mohrenohren zog.


[230] Heinrich will eben anfangen zu balbiren, Ulrich hastig herein.


ULRICH. Hm, üble Bothschaft, Bruder! Siegfried liegt im Zelt in Höllenschmerzen.

BERNHARD fährt auf. Warum? Was?

HEINRICH. Ist was Uebles ihm in die Wunde geschlagen?

ULRICH. Nachricht von Pfälzel. Lies die verwünschte Nachricht! Genovefa soll eine Ehebrecherin seyn.

BERNHARD. Häng' sie über Flammen, wenn so was wahr ist. Her! Liest.

HEINRICH. Wie? Was ist das? Ey, das ist ja was ganz Enormes! Wie? Ehebruch, Genovefa, mit wem?[231] Seit wann ist diese fatale Nachricht hier eingelaufen? Ich war diesen Morgen erst beym Grafen droben, sah nach seiner Wunde, da wußte er nichts.

ULRICH. Den Augenblick. Möchte weinen wie ein Kind über Siegfried. Das ganze Land ist voll davon.

HEINRICH zuckt die Achseln. Hm!

ULRICH. Wie so was nur möglich ist.

HEINRICH. Möglichkeit ist da; was das anlangt, die Gräfin ist ja eine junge schöne Dame. Aber wie's möglich ward – das ist der Henker – ob etwa – oder –doch nein –

ULRICH. Die Zierde aller Frauen, das Muster weiblicher Zucht, die bescheidene Unschuld selbst.[232]

HEINRICH. Ganz gewiß. Da komme mir einer und sage was dawider. Es scheint mir deswegen auch noch etwas verdächtig, ob es sich so verhält. Wie? Genovefa, der Tugendspiegel sollte sich so vergessen? Die Zierde – ah, das mache man einem Andern weiß, eher müßte wohl Schnee schwarz, Feuer kühl und der hellleuchtende Tag über uns gleich zur Nacht werden, eher – Ja, der einzige Fall, wie's möglich seyn könnte, wenn anders die Sache unbezweifelt wahr ist, wäre, wenn etwa die Gräfin, so ohne davon zu wissen, wie oder wann, so von ungefähr selbst, oder auch vielleicht aus Wahrlosigkeit ihrer Bedienten, oder weil sie nun gar nicht daran dachte, ihre Kammerthür aufgelassen und einer dann von ungefähr, oder auch vielleicht vorsätzlicher Weise hinein geschlichen ... Das kann sehr wohl seyn, wir wissen ja, wie's in dergleichen Fällen geht, in dürr' Stroh fallen wenig Funken vergebens. Zuckt mit den Achseln. Gedult!

ULRICH. Schlechte Salbe auf Siegfrieds Wunde.

BERNHARD. Schön Zeug! Teufel, wir streiten hier um Blut und Leben und daheim unsre Weiber – Schmeißt den Brief hin. Wo ist der Bothe?[233]

ULRICH. Gleich wieder fort zurück. Bruder, ich dachte schon hin und her drüber, wenn Siegfried ihm nur nicht gleich ein übereilt Schreiben mit gegeben. Er ist ein guter Mann, aber auf dem Punct verflucht hitzig.

BERNHARD. Recht hat er, wenn er ihr gleich den Kopf vor die Füße legen läßt. Ich wollte eine Metze selbst mit dem Eisen durchrennen, die mir solchen Schimpf angethan. – Mit einem Küchenmeister, dem Dragones, alle Schwerenoth! Ab.

HEINRICH. He! he! st! Balbiren ...!

ULRICH. Der rennt im Eifer. Muß nach, ihn noch ein wenig zurück halten, seine Hitze könnte den ohne hin schwachen Grafen auf's Neue alteriren. Ab. Kommt nach!

HEINRICH. Sogleich. – Packt Alles zusammen. Läuft mit eingeseiftem Bart davon, soll ihn vielleicht auch im Sprung[234] balbiren, wie jener den Hafen. Blitzding mit der Gräfin! Muß doch gleich noch dem Grafen was Niederschlagendes geben, könnte einen schädlichen Effect auf seine Wunde machen. – Es wär' mir doch sehr lieb zu wissen, wie's mit der Gräfin zusammenhängt, – ob, oder ... Natürlich, sie wird vielleicht auch die Zeit ein wenig lang gefunden haben während ihres Gemahls Abwesenheit. Gleich den Kopf abhauen deswegen, hm ... Da liegt ja der Brief! Ey Blitz! Da muß ich geschwind sehn. Keine gar zu lobenswerthe Hand hat dich eben geschrieben, wer auch ist – was ... Schaut überall um. Fast mich herrlich wieder vergaloppirt! Gut, daß ich so allein bin. Meiner Patronin Mathildens Handschrift und Siegel! Der Teufel auch, wie man sich leicht vergaloppiren könnte! – Hm, hm, wie? Was? Das Zeugenverhör klar ... Aller Aufsagen ... Dragones eignes Geständnis ... Schlenkert mit der Hand. O weh! Mathildens Glauben an die Sache gar – das ist zu viel! Da muß man wohl die Finger weg lassen, sonst brennt man sich. Dauert ich; wer kann helfen? – Hm, hm, hm! Zuckt die Achseln und ab.


Quelle:
Friedrich Müller (Maler Müller): Werke. Heidelberg 1811, S. 228-235.
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