Eilfte Scene.

[403] Innerer Wald.

Auf einer Seite eine Felshöhle, ein hölzern Kreutz vor der Höhle, wovor Genovefa kniet.


GENOVEFA. Du allein prüfst die Herzen, siehst in's Verborgene, du allein weißt es zu lenken nach deinem Rath.


[403] Schmerzenreich bringt Holz, wirft es nieder.


SCHMERZENREICH. Bin müde, Mutter. Ißt Wurzeln. Hört 'mahl Mutter, trinkt das Täubchen denn immer aus Trübem, wenn ihm der Gatte stirbt?

GENOVEFA. Ja, Kind.

SCHMERZENREICH. Mutter, was ist denn ein Gatte?

GENOVEFA. Hab' dir es ja schon gesagt.

SCHMERZENREICH. Weiß es nicht.

GENOVEFA. Jemand, den man sehr liebt.

SCHMERZENREICH. Bin ich dein Gatte, Mutter?[404]

GENOVEFA. Närrchen! – Wie perfect er ihm gleicht.

SCHMERZENREICH. Mutter, was Geschrey drin? – Hört 'mahl! Donnert.

GENOVEFA. Im Wald drin, Jagdgeschrey!

SCHMERZENREICH. Was ist's, Mutter?

GENOVEFA. Männer, die böse Kinder schlagen, wenn sie nicht schön fromm sind.

SCHMERZENREICH. Mutter, bin fromm. Mutter, es donnert sehr.

GENOVEFA. Fürchte dich nicht.

SCHMERZENREICH. Mutter, fürchte mich. Sieh dort, schwarz! Ist's Gott?[405]

GENOVEFA. Ja, sey fromm! Im Gewitter, wie im milden Sonnenschein ist er immer dein freundlicher Vater und Versorger.

SCHMERZENREICH. Wollen hinauf zum Himmelvater bethen, daß der Weltvater bald zu uns komme.

GENOVEFA. Kniee denn zu mir, die Händchen hübsch zusammen, mir nach. – Allmächtiger, wir knieen vor dir! Groß bist du und wohlthätig, laß mich vor dir bethen, Gewaltiger, Starker, Heiliger! – Lobsingt mit mir, Wälder umher! Tannen auf Felsen, neigt euch herab! Starker Gott! Schöpfer! Nährer! Erhalter, wohlthuend, liebend, die dir vertrauen!

SCHMERZENREICH. Horcht, wie's draus regnet!

GENOVEFA. Tränkst den Erdball jetzt, daß Menschen und Thiere leben. Den Hirsch auf öden Heiden verlässest du nicht, du höhlst den Felsgipfel, füllst ihn mit Nachtthau,[406] daß dem Adler auf Klippen der Quell springt und er von dir auch Nahrung findet.

SCHMERZENREICH. Mutter, es hört auf. Es ist vorbey.

GENOVEFA. Siehst du, wenn man hübsch fromm ist! Die Sonne scheint auch schon wieder hinter den Bergen hervor, der Sturm schweigt, das Wetter zieht hin.

SCHMERZENREICH. Gott Lob! Vater im Himmel, laß ziehn die bösen Wetter, wollen fromm seyn, Mutter und ich. – O die liebe Sonne, wie wohl einem das nach Regen! Wie Lerch' und Amsel hüpfen und sich wieder freuen mit ihren Schnäbeln. – Schön Regenbogen auch noch, lieb Mutterchen, droben.

GENOVEFA. Still 'mahl! Was rauscht in den Hecken drüben? Hörst! Jagdgeschrey, Hörner nahe.

SCHMERZENREICH. Mutter, was ist's?[407]

GENOVEFA. Dein Reh dort gesprungen, zur Höhle hinein! – Hinten ...

SCHMERZENREICH. O blutig, Mutter! Mutter, wer hat's geschlagen?

GENOVEFA. Hinein, hinein! Laufen in die Höhle.


Golo stürzt hervor.


GOLO. Nur Flügel, mich wegzuheben! Ein Sprung über die ganze Welt! – Soll ich dort ... will da hinein, mich verbergen! Geht in die Höhle.


Bernhard hervor.


BERNHARD. Hier haben wir ihn! Dort in der Höhle


Ulrich hervor.


ULRICH. Ha! Umringt, umstellt, gefangen!


[408] Siegfried hervor.


SIEGFRIED. Wo ist er? – Herbey! Alle!


Jäger, Förster, Ritter, Heinrich, Golo aus der Höhle hervor.


GOLO. Bin gefangen, sie haben mich! – Ha, was wollt ihr? Wen sucht ihr? Siegfried, was begehrst du von mir?

SIEGFRIED. Antwort über Vieles. Kennst du diese Handschrift, diesen Namen?

GOLO. Was soll's?

SIEGFRIED. Les't es ihm vor, Heinrich! Genovefa's Schreiben kurz vor ihrer Hinrichtung an mich.

HEINRICH. Recht sehr gern! Sehr deutlich geschrieben, hem! –»An meinen theuern, auch im bittern Tod geliebten[409] Gemahl.« Rührend, wahrhaftig. – »Du hast mein Todesurtheil unterschrieben; was ich verbrochen, ist mir unbekannt, ich sterbe unschuldig, doch zufrieden, weil du es befiehlst. Es werden Zeiten kommen, wo du dich mein wieder erinnerst, traure nicht zu tief, in Gottes Hand empfehl' ich dich und mein verwaistes Kind, in jener Welt erwart' ich dich ohne Vorwurf. Lebe wohl.«

SIEGFRIED. Die Nachschrif.

HEINRICH. Gleich. – »Auch denen verziehen, die dich fällschlich hintergangen, die mich unbeleidigt verfolgt, Mathilde, Golo; Gott gebe ihnen Gnade.«

GOLO. Was quält ihr mich lange? Verlangt ihr mein Blut? Setzt alle eure Schwert' und Gewehre auf meine Brust her, mordet euch satt, ich weiß, daß ihr es wollt!


Genovefa am Eingange der Höhle.


GENOVEFA. Gott! Er selbst hier! Verleihe mir Kraft, steh mir bey! Kommt hervor, kniet vor Siegfried. Herr,[410] schafft Recht einer unschuldigen Mutter, einer verstoßnen Waise.

SIEGFRIED. Weib, wie kommst du hieher, in diese Wildniß, unter diese Felsen? Wer bist du? Was willst du, begehrst du von mir?

GENOVEFA. O Siegfried, Siegfried! Gott sey mein Richter hier unter dem Himmel, hier vor diesen Menschen! Steht auf. Golo, wenn du noch einst Erbarmen und Seligkeit hoffst, so zeuge jetzt die Wahrheit! Ich bin Genovefa, die unglücklich Frau! Hier steht mein Gemahl, den ihr fälschlich betrogen! Zeuge die Wahrheit, wir Drey stehn hier vor Gottes Augen.

ALLE. Oh! Was ist das? Genovefa! Genovefa!

GOLO. Todte stehen auf, mich zu richten! Weh! Sie ist es! Selbst![411]

SIEGFRIED. Wer bist du? Was sagst du? Weib! Gott! O Gott! Du –

GENOVEFA. Ach Siegfried! Siegfried! – Ach Vettern, liebe Vettern, schaut mich an, erbarmt euch mein! Niemahls hab' ich eure Flüche verdient. Falsche Zungen haben mich zu Grunde gerichtet! Ich war niemahls das, was sie mich beschuldigt!

SIEGFRIED. Du solltest ... Genovefa! Du lebendig – du –! Ach, bist du's?

GENOVEFA. Siegfried, ich bin's, wahrhaftig und lebend, dir treu und rein immer, so wahr meine Hand die deine faßt, drin in dieser Höhle ist dein Sohn.

SIEGFRIED. O hervor! Ulrich hinein. Genovefa, bist du's? O wenn's nur kein Traum ist! Soll ich dich gewißlich wieder besitzen? Bist du von den Todten erstanden? Bist du vom Himmel gestiegen hieher zu mir?[412]

GENOVEFA. Ich war nicht gestorben, der Allmächtige hat mich gnädig aus der Hand derer gerettet, die grausam mein Blut vergießen sollten. – Golo, ich klage dich nicht an, aber die Untreue gegen deinen Freund verdammt dich. Er war es selbst, Siegfried, der meine Treue zu dir zu fälschen gesucht, ich hörte ihn nicht, das war meine Schuld.

GOLO. Begrabt mich doch lebendig! O schlagt mich todt: Ja, Siegfried, ich war's, der Alles that, dich so verrieth, gib mir deine Rache jetzt gleich und laß mich in Ruhe.


Ulrich führt Schmerzenreich hervor, Schmerzenreich starrt Alle an.


GENOVEFA. Zu mir, Lieber, zu deinem Vater! Hier ist er, sieh.

SCHMERZENREICH. Ach, Mutter, haben mein Rehchen geschlagen drin, drin! Ach weh! Wieder in die Höhle.[413]

SIEGFRIED. Ach Herz! Herz! Es weint, zerspringt, daß ich nicht mehr kann. – Unglückliche! – Ha Schlange, die ich in meinem Busen ernährt! Räuberischer Uhu, der mit stinkenden Flügeln Blüthen zerschlägt, die ihm nicht duften! – Ach Gott! Gott! – Ha du sollst sterben, nieder hier! Zieht das Waidmesser.

GOLO. Hier! Oeffne diesen Busen! Mein Blut laß abwaschen die schweren Schulden an dir und an deiner Gemahlin, Siegfried! – Gern und leicht sterb' ich, weil die noch lebt.

GENOVEFA. Gib Gnade, Siegfried, verzeih ihm, wie ich ihm verzeihe.

SIEGFRIED. Nein. Zwar will ich an dem Tage, wo ich dich wieder fand, meine Hand nicht mit verrätherischem Blut besudeln: führt ihn weg von hier, fern dieser unschuldigen Ruhstätte; am Bach dort lohnt ihm nach seinen Thaten.[414]

GOLO. Siegfried, lebe lange und doppelt vergnügt, des Friedens willen, den ich dir geraubt! dürft' ich dir noch zum letztenmahl die Hand drücken! Lebe wohl! Auf deinem Todesbette, in der letzten Stunde, wo man Alles verzeih, erinnere dich meiner und verzeih' auch mir.

BERNHARD. Fort jetzt! Mein Inwendiges hüpft, daß ich dich bald abthu'. Das Gewehr her!

ULRICH. Voran! Entwaffnen und stoßen ihn ab.

SIEGFRIED beyseit. Gott! Wohin kommt's mit dem Menschen! Er war mir einst so lieb! Ach, ach! Und nun – daß ich ihn richten muß! ... Soll ich zurück rufen? – Verzeih ihm du im Himmel, wie ich ihm jetzt verzeihe. Doch er hat ihres Bruders Blut vergossen; sie fodern ihr Recht. Komm, Liebe, laß uns fort, einen Ort verlassen, wo Alles meinen Schmerz vermehrt.

GENOVEFA. Ein Gelübde thu' ich hier.[415]

SIEGFRIED. Und meines dazu. Umarmt sie. Hier wollen wir einst sterben, hier der Auferstehung entgegen ruhn unter diesem Felsen. Nur so lange, Traute, laß uns zur Welt zurück kehren, bis wir unsern Sohn zu seinen Würden eingesetzt, bis er mannhaft, stark, selbst gelernt, Hirt seiner Heerde zu seyn. Dann wieder hieher, und wir wollen, so wie wir gelobet, Hand in Hand wallfahrten hinauf. Dann sey mir deine freundliche Dunklung zweymahl willkommen, wohlthätige Höhle; gesegnet bis dahin! Wo ist denn mein Sohn? – Lieber, wo bist du? Komm, dein Vater ruft. Komm doch, komm! Hinein in die Höhle.

GENOVEFA kniet. Segen ruhe über dir, freundliche Höhle, die mich aufgenommen und bewahrt! Steh immer grün zu meinem Andenken, sey ferner noch gedrückter Unschuld Freystatt, nimm vom Unglück Verfolgte in sichern Schirm auf! Meine Verbannung hat nun ein Ende.


Quelle:
Friedrich Müller (Maler Müller): Werke. Heidelberg 1811, S. 403-416.
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