Zweyte Scene.

[335] Grüner dunkler Wald.

Genovefa auf einem Stein sitzend, im Hintergrunde Schmerzenreich, ein vierjähriger Junge, im Grase sitzend, neben ihm liegt sein Reh.


GENOVEFA. Ich lebe denn hier so, fern, verlassen, bethe für Alle, die mir im vorigen Leben Gutes gethan, und auch für Alle, die mich unschuldig verfolgt. Du Garten Gottes, der mich hier nährt, schöner, freundlicher Wald, du liebe Felshütte, die mir die milde Natur gebaut! – Schmerzenreich, meine Taube, bist du da, liebes Kind?[335]

SCHMERZENREICH. Hi! hi! Mutter, da bin ich. Gar viel schöne Herbstblumen!

GENOVEFA. Geh' nicht zu weit ab, Kind, bleib' hübsch dort beym Reh. Singe eins, Lieber, damit ich dich immer höre. – Die Thiere selbst tragen Mitleid und Erbarmen zu unserm hilflosen Zustand; jene Rehkuh, die Amme, die meinen Kleinen bisher ernährte und auferzog ... Gott sey gedankt für Alles bisher! Der den jungen Raben Futter bringt, ernähr' auch uns. Meine Seele hat sich nun so willig ergeben, diese Einsamkeit wird mir so lieblich, daß auch kein Gedanke mehr mich zur Welt zurück zieht. Du allein, unglücklicher Gemahl, der du mich untreu glaubst! Könnt' ich dich vor meinem Ende noch einmahl sprechen, dir deinen Sohn zustellen: nur dieß. – Schmerzenreich, mein Liebchen, bist noch da?

SCHMERZENREICH. Mutterchen, hab' euch 'nen Strauß gemacht.

GENOVEFA. Schön Dank, Kind, bring' mir ihn her.[336]

SCHMERZENREICH. Noch nicht, sind gar schöne Blumen da, muß sie all' haben.

GENOVEFA. Der liebe Junge! – Ach Siegfried, wo du eine andre Gemahlin, andre Kinder hast, was soll dann mein Armes hoffen?

SCHMERZENREICH. Mutter, jetzt mach' ich der heil'gen Mutter Gottes 'nen Strauß, dann noch einen für meinen lieben Vater.

GENOVEFA. Thu's, Lieber, bleib' hübsch! Will hierum Reiser sammeln, die wir heimziehn, muß schon anfangen Wintervorrath besorgen, es geht in's Jahr. Ab.

SCHMERZENREICH hervor an einen Baum. Da hast du's, Vater, nimm's. – Nun, wann kannst dann einmahl? Wann werd' ich dich sehn?


Quelle:
Friedrich Müller (Maler Müller): Werke. Heidelberg 1811, S. 335-337.
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