Blümlein Vergißmein

[18] Was treibt mich jeden Morgen

So tief in's Holz hinein?

Was frommt mir, mich zu bergen

Im unbelauschten Hain?


Es blüht auf allen Fluren

Blümlein Vergiß mein nicht,

Es schaut vom heitern Himmel

Herab in blauem Licht.


Und soll ich's niedertreten,

Bebt mir der Fuß zurück,

Es fleht aus jedem Kelche

Ein wohlbekannter Blick.


Weißt du, in welchem Garten

Blümlein Vergiß mein steht?

Das Blümlein muß ich suchen,

Wie auch die Straße geht.
[18]

'S ist nicht für Mädchenbusen,

So schön sieht es nicht aus:

Schwarz, schwarz ist seine Farbe,

Es paßt in keinen Strauß.


Hat keine grüne Blätter,

Hat keinen Blüthenduft,

Es windet sich am Boden

In nächtig dumpfer Luft.


Wächst auch an einem Ufer,

Doch unten fließt kein Bach,

Und willst das Blümlein pflücken,

Dich zieht der Abgrund nach.


Das ist der rechte Garten,

Ein schwarzer, schwarzer Flor:

Darauf magst du dich betten –

Schleuß zu das Gartenthor!

Quelle:
Wilhelm Müller: Gedichte. Berlin 1906, S. 18-19.
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