Das Mühlenleben

[8] Seh' ich sie am Bache sitzen,

Wenn sie Fliegennetze strickt,

Oder Sonntags für die Fenster

Frische Wiesenblumen pflückt;


Seh' ich sie zum Garten wandeln,

Mit dem Körbchen in der Hand,

Nach den ersten Beeren spähen

An der grünen Dornenwand:


Dann wird's eng' in meiner Mühle,

Alle Mauern ziehn sich ein,[8]

Und ich möchte flugs ein Fischer,

Jäger oder Gärtner sein.


Und der Steine lustig Pfeifen,

Und des Wasserrads Gebraus,

Und der Werke emsig Klappern,

'S jagt mich fast zum Thor hinaus.


Aber wenn in guter Stunde

Plaudernd sie zum Burschen tritt,

Und als kluges Kind des Hauses

Seitwärts nach dem Rechten sieht;


Und verständig lobt den Einen,

Daß der Andre merken mag,

Wie er's besser treiben solle,

Geht er ihrem Danke nach –


Keiner fühlt sich recht getroffen,

Und doch schießt sie nimmer fehl,

Jeder muß von Schonung sagen,

Und doch hat sie keinen Hehl.


Keiner wünscht, sie möchte gehen,

Steht sie auch als Herrin da,

Und fast wie das Auge Gottes

Ist ihr Bild uns immer nah. –


Ei, da mag das Mühlenleben

Wohl des Liedes würdig sein,

Und die Räder, Stein' und Stampfen

Stimmen als Begleitung ein.


Alles geht in schönem Tanze

Auf und ab, und ein und aus:

Gott gesegne mir das Handwerk

Und des guten Meisters Haus!

Quelle:
Wilhelm Müller: Gedichte. Berlin 1906, S. 8-9.
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