Der Müller und der Bach

[20] Der Müller.


Wo ein treues Herze

In Liebe vergeht.

Da welken die Lilien

Auf jedem Beet.


Da muß in die Wolken

Der Vollmond gehn,

Damit seine Thränen

Die Menschen nicht sehn.


Da halten die Englein

Die Augen sich zu,

Und schluchzen und singen

Die Seele zu Ruh'.


[20] Der Bach.


Und wenn sich die Liebe

Dem Schmerz entringt,

Ein Sternlein, ein neues,

Am Himmel erblinkt.


Da springen drei Rosen,

Halb roth, halb weiß,

Die welken nicht wieder,

Aus Dornenreis.


Und die Engelein schneiden

Die Flügel sich ab,

Und gehn alle Morgen

Zur Erde hinab.


Der Müller.


Ach, Bächlein, liebes Bächlein,

Du meinst es so gut:

Ach, Bächlein, aber weißt du,

Wie Liebe thut?


Ach, unten, da unten,

Die kühle Ruh'!

Ach, Bächlein, liebes Bächlein,

So singe nur zu.

Quelle:
Wilhelm Müller: Gedichte. Berlin 1906, S. 20-21.
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