Die Lauberhütte

[28] Sei mir gegrüßt, du Holde,

In deinem grünen Zelt!

Hier seh' ich erst dich blühen,

Hier blühet deine Welt.


Mir ist's, als ob ich träte

In ein gelobtes Land,

Als hätten sich die Schritte

Der Zeiten umgewandt.


Entlaubt sind unsre Bäume,

Verblüht ist unser Feld:

Hier seh' ich Lenz und Sommer

Als Brüder froh gesellt.


Der Herbst auch ist gezogen

In dieses schöne Haus,

Und sucht für seine Früchte

Sich Blumenstengel aus.


So prüfen Duft und Schimmer

Wetteifernd ihre Macht:

Es flammen hohe Kerzen

Wie Sterne durch die Nacht.
[28]

Und aus den blanken Becken

Steigt Weihrauch stolz empor:

Da trauert manche Rose,

Die ihren Duft verlor.


Du siehst mich an, Geliebte,

Und mir versagt das Wort:

Du wirst mich nicht verstehen

An diesem Zauberort.


Wie solltest du mir folgen

In trübe, kalte Luft,

Aus deinem Vaterlande

Voll Gluth und Glanz und Duft?

Quelle:
Wilhelm Müller: Gedichte. Berlin 1906, S. 28-29.
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