Dasselbe noch einmal

[52] Die Abendnebel sinken

Hernieder kalt und schwer,

Und Todesengel schweben

In ihrem Dampf umher.


Gehüllt in meinen Mantel,

Den Spieß an's Herz gedrückt,

Schau' ich empor zum Berge

Und träume mich beglückt.


Er steigt so grün und helle

Hervor aus grauem Duft,

Wie eine Zauberinsel

In wogenblauer Luft.
[52]

Der letzte Strahl der Sonne

Ruht sich auf ihm so gern,

Mit seinem ersten Schimmer

Grüßt ihn der Abendstern.


Er trägt ein kleines Hüttchen,

Ich seh's von unten kaum,

Und vor der Hüttenthüre

Blüht ein Zitronenbaum.


Darunter sitzt mein Mädchen,

Die Spindel in der Hand,

Und spinnt und sinnt und schauet

Herab in's ebne Land.


Es lodert helles Feuer

Hier unten in der Nacht,

Das ihr die Stätte weise,

Wo ihr Geliebter wacht.


Mein gellend Hifthorn richt' ich

Hoch in die Luft empor,

Die Wiederhalle tragen

Den Klang zu ihrem Ohr.


Und ist das Horn verklungen

Und glimmt das Feuer aus,

Geliebte, geh' und pflücke

Mir einen Blumenstrauß.


Und wirf ihn von der Höhe

Mit einem Gruß herab,

Dann tragen schnelle Winde

Ihn auf mein frisches Grab.

Quelle:
Wilhelm Müller: Gedichte. Berlin 1906, S. 52-53.
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