Der Mondsüchtige

[137] Du bleicher Mann da droben,

Siehst wieder so mürrisch aus:

Bist wohl recht unzufrieden

Mit deinem luftigen Haus?


Hör', Freund, wir wollen tauschen:

Ich geh' und räume dir

Für diesen kühlen Abend

Mein warmes Lager hier.


Dafür sollst du mich heben

In deinen Mond hinauf,

Mich mit ihm wandeln lassen

Den hellen Himmelslauf.
[137]

Will auch auf deiner Warte

Ganz mäuschenstille stehn,

Und nach der bösen Erde

Nicht viel herunter sehn.


Will keinen Dieb verrathen,

Will stören kein liebendes Paar:

Nur Eines möcht' ich sehen,

Und das recht hell und klar.


Dir, Mond, will ich's vertrauen:

Es ist die Liebste mein,

Die ich beschauen möchte

In deinem goldnen Schein.


Sie wohnet in der Ferne,

Blickt oft empor zu dir:

Du guckst im Weltgetümmel

Wohl kaum einmal nach ihr.


Ich wollt' sie besser finden,

Ich kenn' ihr Fensterlein;

Durch Laden, Glas und Gitter

Schlüpft' ich zu ihr hinein.


Hinein in ihre Kammer

Mit aller Strahlen Fluth! –

Wo ist der Mond geblieben?

Der Himmel auf Erden ruht.


Quelle:
Wilhelm Müller: Gedichte. Berlin 1906, S. 137-138.
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