Aus dem Jahre 1826

[232] Missolunghi ist gefallen! schreit es aus in alle Welt,

Daß das Wehgeschrei erschalle von dem Bosporus zum Belt!

Missolunghi ist gefallen, in der tapfern Christen Blut

Löscht den Christenhaß der Türken, der Ägypter schnöde Brut!

Endlich siegt die Zahl; die Waffen taugen nicht mehr zum Gefecht,

Und der Helden kleines Häuflein hat's und Schmerz geschwächt!

Schmerz, daß Alles sie verlassen, daß kein Arm sich hülfreich hebt,

Daß selbst in den nächsten Brüdern nicht der alte Geist mehr lebt!

Missolunghi ist gefallen! herzzerreißend Donnerwort,

Töne laut durch alle Länder und durch alle Zeiten fort!

Ach, zweihundert Millionen Christen wohnen rings umher,

Ihre Heere, ihre Flotten herrschen über Land und Meer!

Und sie brennen, doch vergebens, ihren Brüdern beizustehn,

Weil die Herrscher im Zerstörer Scio's nur den – Herrscher sehn!

Es bedarf nur Eines Wortes und das Morden ist vorbei

Und ein edles, hartgedrücktes Christenvolk wird kettenfrei!

Ach, dies Eine Wort, – sie sprechen's nicht, und Stambul triumphirt

Und mit Christenheldenköpfen wird sein stolzes Schloß geziert!

In der alten Christenhauptstadt sitzt der fege Großsultan,

Grinsend sieht er diese Köpfe, die er fast noch fürchtet, an;[233]

»Seht,« ruft er, »die Christenhunde fielen durch der Brüder Kunst,

Und der andern Christen Herrscher buhlen doch um meine Gunst!«

Missolunghi ist gefallen! o der schweren, blut'gen Schmach,

Die der Tag nur, der das Kreuz in Stambul auspflanzt, tilgen mag!

Tag der Rache, Tag der Ehre, Aller Christen Tag, brich an,

Daß des Greises müdes Auge sich in Frieden schließen kann![234]

Quelle:
Wilhelm Müller: Gedichte. Berlin 1906, S. 232-235.
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