Die Mainottenwitwe

[218] Sieben Wunden vor der Stirne und drei Wunden auf der Brust,

In der Faust das rothe Eisen und im Auge Siegeslust –

Also lag er auf dem Felde, und im Kreis eng' um ihn her

Lagen seiner Feinde Waffen, Dolch und Büchse, Schwert und Speer.

Aber ihrer Träger Leichen lagen ihm so nahe nicht,

Abgewendet von dem Helden barg im Staub sich ihr Gesicht.

Tochter, hole mir das Kränzlein, welches hängt in meinem Schrein,

Aber saß' es sanft – es wird wohl dürre zum Zerbrechen sein.

Damit will ich heut' mich kränzen, wie an meinem Ehrentag,

Will auf diesem Felde feiern noch einmal mein Brautgelag.

Schaff' auch schöne, frische Blumen für den Bräutigam herbei,

Daß das Lager weich und duftig meinem edlen Schläfer sei,

Einen Rosensenker steck' ich ihm in jedes offne Mal,

Daß sie einst aus seinem Hügel sprießen im Eurotasthal;

Und von diesen Rosen wind' ich dir den Kranz, mein Töchterlein,

Wenn einmal ein Heldenknabe wird um Deine Liebe frein,

Einer, der zum Werbegelde so viel Türkenschädel gab,

Als blutrothe Rosenstöcke blühn auf deines Vaters Grab.

Aber morgen in der Frühe, wenn mein Bräutigam nun ruht,[218]

Zieh' ich aus die Festgewänder, nehm' den Kranz von meinem Hut,

Und im grauen Witwenhemde schleich' ich durch den grünen Wald,

Nicht, zu lauschen, wo im Dickicht Nachtigallenschlag erschallt,

Nein, um einen Baum zu suchen ohne Blüth' und ohne Blatt,

Den die Turteltaubenwitwe sich zum Sitz ersehen hat,

Und dabei die frische Quelle, die sie trübe macht zuvor,

Eh' sie trinkt und eh' sie badet, seit sie ihren Mann verlor.

Da will ich mich niederlegen, wo kein Schattendach mich kühlt,

Wo der Regenguß die Thränen kalt mir von den Wangen spült,

Und mit meiner Turteltaube geh' ich einen Wettstreit an,

Wer am jämmerlichsten klagen, wer am frohsten sterben kann.

Quelle:
Wilhelm Müller: Gedichte. Berlin 1906, S. 218-219.
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