Weiterleben

[287] Nicht, daß du ihm ein prächtig Denkmal baust,

mit tausend Tränen seine Gruft betaust,

und heimlich hoffst, daß euch der Tod vereint,

nicht dadurch ehrst du den gestorbnen Freund.


Wenn du das Werk, das ihm nicht mehr gelang,

bis an sein Ende führst mit Treu und Dank,

wenn deine Hand die Blütenkrone hegt

des Baumes, den er knospend einst gepflegt,


wenn dem, was er geliebt, dein Herz erglüht,

so daß in dir sein Wesen nochmals blüht,

so daß du lebst und schaffst in seinem Geist:

das ist's, wodurch du ihn dem Tod entreißt.

Quelle:
Clara Müller-Jahnke: Gedichte, Berlin [1910].
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Der Freiheit zu eigen: Gedichte 1884-1905