Es graut der Tag

[335] Es war einst ein Zeitalter, von welchem keine Geschichte der Sterblichen redet. Da goß die Sonne heißere Strahlen auf unseren Continent und wölbte über ihn einen milderen Aether. Liebliche Blumen blühten um die Pole, wo jetzt das Eismeer starrt und Alles im ewigen Schnee erstarrt. Im Norden erfüllten balsamische Wälder die Lüfte mit ihrem Aroma, und dort am Rhein erhoben sich auf schlanken Stämmen die üppigen Palmen des Indus über die leichten Gebüsche der Pistazien. Unter dem Schatten der Bananen weidete in Deutschland das Elennthier und der Tapir, den jetzt nur noch Südamerika's Wälder beherbergen. In Deutschlands Flüssen badete sich das Nilpferd, und im Schlamme der Niederlande streckten vorweltliche Riesenkrokodile ihre gigantischen Leiber. Von den Bergen der Alpen bis zum weitentlegenen Jenisei der Sibirischen Länder zogen gewaltige Elephantenheerden, untermischt mit pferdeartigen Thieren, die wir jetzt nicht mehr kennen. In Deutschlands Gauen lagerte das Rhinoceros, und der starke Ur wälzte sich in Farrenkräutern und im Schilfe des Bambus. Unter den Tritten des gigantischen Mammuths bebte der Boden, und die Erde zitterte unter den Füßen von Ungeheuern, die kein menschliches Auge je gesehen hat, denn diese Schöpfung war der Herrschaft des Menschen noch nicht unterthan gemacht. Höchst seltsam geformte Fische, vielgewundene Ammonshörner und abenteuerliche Wasserthiere erfüllten das Meer. Aber Gott winkte, und die Welt erschrak; die Erde wankte, und die Natur zerstörte ihr titanisches Werk. Meere tauschten ihr Gebiet gegen Länder, und Länder das ihrige gegen Meere aus, und schonungslos ergriffen die Fluthen alles Lebende. Jetzt irrt der einsame Bergmann mit seinem Grubenlichte in unterirdischen Wäldern umhersieht[335] erstaunt die einst so stolze Ceder und Palme versteinert und geschwärzt im Schooße der Erde und fördert Ueberreste unbekannter Ungeheuer an das heitere Licht des Tages.

Aber neue Gewächse entstiegen der Erde, und neue Thiere bewohnten Land und Meer. Eins folgte auf das Andere, Eins entwickelte sich aus dem Andern, und die letzte und herrlichste Blüthe auf dem Baume der Schöpfung war der Mensch.

Aufrecht war sein Gang, zum Himmel erhoben sein Gesicht, klar und scharf sein Auge, geschickt seine Hand, kühn sein Muth und nach edlen Thaten strebend sein Sinn und sein Gedanke. Schwach am Körper, war er am Geiste stark, und vor ihm begann die Schöpfung mit ihren Kräften und Erscheinungen sich zu beugen. Er wuchs zum großen Volke und füllte die Erde. Von den Höhen der Berge stieg er herab in die Ebenen und breitete sich aus von Fluß zu Fluß, von Land zu Land. Aber die Liebe, die ihn erschuf, sie war von ihm gewichen und weinte über den Streit, der in seinem Innern wüthete. Priester standen auf unter dem Volke, aber sie lehrten nicht Liebe, sondern Haß, sie kannten nicht die Vergebung, sondern die Rache, und die herrlichsten Gefühle, welche Gott in die Herzen der Menschen gelegt, um sie zu beglücken und zu beseligen, sie wurden in den Schmutz des Lasters gezogen und den niedrigsten Zwecken dienstbar gemacht.

Das ist der einzige Punkt, welchen eine Geschichte der Liebe aus jenen Zeiten hervorzuheben vermag, und es mögen hier einige Schilderungen Platz finden, die der bewiesenen Wahrheit entnommen sind. Ueber die Venustempel der Babylonier, Phönizier, Lydier etc. haben wir schon früher berichtet; es mag ein Blick auf das Geschlechtsleben der Hebräer folgen.

Es steht außer Zweifel, daß bei diesem Volke, welches ein herumziehendes Leben führte, in den älteste Zeiten die gastliche Prostitution geherrscht hat. Erst später bildete sich dieselbe zur legalen aus, als griechisch-asiatische Laster Eingang bei ihnen fanden.

So viel Spielraum die jüdischen Gesetzgeber den Männern in Bezug auf die Ausübung der Geschlechtsliebe auch ließen, so streng waren sie gegen die schöne Hälfte des Geschlechtes, welcher sie einen äußerst schweren Stand auferlegten. Es mag dies ein Beweis sein, daß die weisen Männer die Absicht hatten, das Feuer der jüdischen Schönen zu zügeln.[336]

Die Töchter der Juden waren fast immer in ihre Wohnungen verbannt, sie schliefen bei ihren Müttern, oder man vertraute ihre Schlafgemächer der Aufsicht besonders dazu angestellter Hüterinnen an, und nie durften sie anders ausgehen, als mit einem Schleier um das Haupt, welcher das Gesicht gänzlich verhüllte.

Den Männern dagegen waren Beischläferinnen erlaubt, welche nach hebräischen Auffassungen weder den Character der öffentlichen Dirnen trugen, noch zu den Maitressen gezählt wurden. Gefiel einem Hebräer eine seiner Mägde, so nahm er sie, mit oder ohne Einwilligung seiner Frau, zu sich in's Bett und nannte sie Kebsweib. Die mit ihr erzeugten Kinder hatten gleiche Rechte mit denen, welche die rechtmäßige Frau zur Welt gebracht.

Moses erließ Gesetze, welche sich auf diese Kebsweiber bezogen. Waren dieselben israelitischen Ursprunges, so durfte sie ihr Herr nicht nach siebenjährigem Dienste entlassen, wie es bei den Knechten der Fall war. Wollte ein Mann sein Kebsweib nicht länger als Beischläferin behalten, so mußte er dafür sorgen, daß sie sich anderweitig verheirathen konnte.

Anders war es mit den Weibern, welche kriegsgefangen in die Hände der Hebräer geriethen. Diese mußten sich Haare und Nägel abschneiden, einen Monat lang ihr Vaterland beweinen, und erst dann durften sie als Beischläferin das Bett ihres Herrn besteigen. Die jüdische Religion anzunehmen wurden sie nicht gezwungen, allein sie durften auch ihren Göttern nicht mehr opfern.

Wir ersehen hieraus, daß die Männer sich ungestraft der Wollust hingeben durften, und aus dieser Erlaubniß entwickelte sich mit der Zeit eine öffentliche Prostitution, welche mit vielem Raffinement geführt wurde. Den Weibern der Juden aber war nur nach der mosaischen Gesetzgebung Ehebruch und Hurerei verboten.

Interessant sind die Gebräuche, welche bei den Juden in Bezug auf die eheliche Verbindung herrschten.

Gewöhnlich zur Zeit der Weinlese zeigten sich die jüdischen Schönen den nach den Freuden der Ehe lüsternen Jünglingen, bei welcher Gelegenheit sie ihnen zuriefen: »Jüngling, hebe Deine Augen auf und siehe, welche Du erwählen willst. Siehe nicht nach der Schönheit, denn sie ist vergänglich; aber die, welche Gott fürchtet, soll man loben!«

Wenn eine Braut sich fälschlich für eine unberührte Jungfrau ausgab,[337] so hatte der junge Ehemann das Recht, sie ihren Eltern zurückzuschicken; von den Aeltesten des Volkes wurde sie alsdann zur Steinigung verurtheilt.

Eine Stelle des mosaischen Gesetzes lautet folgendermaßen: Wenn Jemand ein Weib nimmt und wird ihr gram, nachdem er sie beschlafen hat, und legt ihr etwas Schändliches auf und spricht: das Weib habe ich mir genommen, und da ich mich zu ihr that, fand ich sie nicht Jungfrau, dann sollen die Eltern die Dirne zu sich nehmen und zu den Aeltesten sagen: Ich habe diesem Manne meine Tochter zum Weibe gegeben und nachdem er ihr gram geworden, legt er ein schändliches Ding auf sie und spricht: ich habe Deine Tochter nicht Jungfrau gefunden; hier ist die Jungfrauenschaft meiner Tochter. Alsdann sollen sie die Kleider derselben vor den Thoren der Stadt ausbreiten. Die Aeltesten aber sollen den Mann nehmen und züchtigen und um hundert Seckel büßen; dieselben soll er der Dirne Vater geben, darum, daß er eine Jungfrau Israels berüchtigt hat, und er soll sie zum Weibe behalten, daß er sie sein Lebelang nicht lassen möge. Ist es aber Wahrheit, daß die Dirne nicht Jungfrau gefunden ist, so soll man sie hinausführen vor ihres Vaters Haus und die Leute der Stadt sollen sie zu Tode steinigen, darum, daß sie eine Thorheit in Israel begangen und in ihres Vaters Hause gehuret hat (5. Buch Mose, Kap. 22. V. 13 bis 21).

Nach der Ansicht Moses mußte also jede Braut ein Hymnen (Jungfernhäutchen) haben und dessen Vernichtung in der Brautnacht mußte die angeschuldigte Frau durch das blutgefleckte Betttuch beweisen können, wenn sie nicht Gefahr laufen wollte, durch die Anklage ihres Mannes gesteinigt zu werden. War es eines Priesters Tochter, welche diese Beschuldigung traf, ohne daß sie im Stande war, diese Schuld von sich abzuwälzen, so wurde sie dem Verbrennen unterworfen.

Anderntheils war aber auch dafür gesorgt, daß man den verführten Dirnen, wenn sie sich wirklich rechtzeitig entdeckten, ihr Recht gab. Ein solches Mädchen war nach den Gesetzen nicht nur von allen Strafen befreit, sondern auch berechtigt, die Ehe von ihrem Verführer zu sondern. Im zweiten Buche Mose, Kap. 22 V. 16 und 17 finden wir eine hierauf bezügliche Stelle, welche also lautet: Wenn Jemand eine Jungfrau berührt, die noch nicht vertraut ist, der soll ihr geben ihre Morgengabe und sie[338] zum Weibe haben. Weigert sich aber ihr Vater, sie ihm zu geben, so soll er Geld darlegen, wie viel einer Jungfrau zur Morgengabe gebühret.

Wurde bei der Verführung Gewalt gebraucht, so galt dasselbe Gesetz mit dem Zusatze, daß der Verführer dem Vater fünfzig Seckel Silber erlegen mußte. Es war dies die höchste Summe, um die man damals die Bräute verkaufte.

Wie wir schon Eingangs dieses Kapitels erwähnten, herrschte in den ältesten Zeiten unter den Juden die gastliche Prostitution. Die Vermuthung wird bestärkt durch eine Stelle im 1. Buch Mose, welche uns erzählt, daß zur Zeit Noa's die Söhne Gottes oder die Engel zur Erde herabgestiegen seien.

Diese Engel kamen des Abends und suchten Schutz unter dem Dache eines Patriarchen: als sie wieder weggingen, ließen sie, je nachdem sie mit dem, was sie gefunden, zufrieden waren, lebendige Andenken zurück.

Wie sehr die Laster und Leidenschaften die Menschen beherrschten, das sehen wir ferner aus dem Schicksale der Städte Sodom und Gomorrha. Dort wurde sogar die Gastfreundschaft nicht mehr geachtet, das Heiligste, was es bei den alten Völkern gab; denn die Einwohner wollten den Engeln Gewalt anthun, welche in Lot's Hause abgestiegen waren, um dort die Nacht zu verbringen. Man forderte ihre Auslieferung und obwohl Lot sie beschwor, der Fremden zu schonen, obwohl er ihnen seine beiden Töchter anbot, nur um die Ehre der Gastfreundschaft zu retten, versuchten die Leidenschaftlichen doch das Haus zu stürmen und sich der Fremden mit Gewalt zu bemächtigen. Das Schicksal der beiden Städte ist zu bekannt, als daß es sich verlohnte, hier weiter darauf einzugehen.

Wie tief jedoch die Bewohner derselben in den Schlamm des Lasters versunken waren, ist dadurch bewiesen, daß man jene geschlechtliche Ausschweifung, welche sich bis zur Vermischung des Menschen mit dem Thiere erniedrigt, Sodomiterei geheißen hat. Dieses letztere Verbrechen herrschte so sehr unter den Juden, daß Moses Todesstrafe darauf setzte.

Obwohl die jüdischen Gesetze es den Töchtern Israels verboten, ihre Körper den Lüsten der Männer feilzubieten, so vermochten doch alle Verordnungen, welche dagegen erlassen wurden, dem Fortschritte der Ausschweifungen keinen Einhalt zu thun. Selbst Väter boten ihre Töchter feil und die Habsucht der Priester empfing die Versöhnungsopfer bekehrter[339] Buhlerinnen. Die feilen Weiber saßen an den Tempeln und an den öffentlichen Wegen und luden die Vorübergehenden zum Mitgehen ein.

Ein Beispiel hierfür, wie für die Autorisation, welche die Prostitution durch die Gewohnheit erhalten, finden wir im 1. Buche Mose, Kap. 38 verzeichnet. Ein Mann, Namens Juda, hatte zwei seiner Söhne der Reihe nach mit einem Mädchen, Thamar genannt, verheirathet. Diese beiden Söhne waren kinderlos gestorben, und die Wittwe hoffte, daß Juda sie mit Sela, seinem jüngsten und letzten Sohne verehelichen würde, was dieser jedoch aus der Besorgniß nicht that, Thamar könne unfruchtbar sein; er suchte im Gegentheil seinem Sohne anderweitig ein Weib.

Thamar erfuhr dies, und war auf ihren Schwiegervater deshalb erzürnt; sie ersann ein eigenthümliches Mittel, um diesem zu beweisen, daß sie Mutter werden könne. Da sie wußte, daß er gen Timmath hinaufgezogen war, seine Schafe zu scheeren, zog sie ihre Wittwenkleider aus, bedeckte sich mit einem Mantel, verschleierte ihr Angesicht und setzte, sich auf den Weg an der Straße, den Juda passiren mußte. Als dieser sie mit verhülltem Antlitz bemerkte, hielt er sie für eine Prostituirte und bat sie um die Erlaubniß, mit ihr gehen zu dürfen. Als sie ihn fragte, was er für ihre Gunstbezeugung geben wolle, versprach er ihr einen Ziegenbock aus seiner Heerde; Thamar verlangte als Unterpfand, bis er sein Versprechen erfüllt haben würde, seinen Ring, seine Armspangen und seinen Stock.

Nachdem Juda die Umarmungen Thamar's genossen, entfernte sie sich und zog ihre Wittwenkleider wieder an. Als Juda einen seiner Hirten mit dem Ziegenbock hinschickte, um sein Unterpfand einzulösen, fand dieser Niemand und erfuhr auf seine Erkundigungen, daß in der dortigen Gegend sich niemals eine Prostituirte aufgehalten habe. Unverrichteter Sache kehrte der Hirt zu Juda zurück und erzählte ihm, was er erfahren.

Als man nach Verlauf einiger Monate Juda meldete, daß seine Schwiegertochter schwanger sei, befahl er, sie als Ehebrecherin zu verbrennen; allein Thamar schickte zu ihm, ließ ihn kommen und enthüllte ihm unter Ueberreichung der Gegenstände, die sie einst von ihm empfangen, den von ihr gespielten Betrug, und daß er der Vater des Kindes sei, das sie unter ihrem Herzen trage.

Während des Aufenthaltes der Israeliten in Egypten waren die Sitten der Juden bis zu einem schimpflichen Grade verderbt, wodurch[340] Moses sich veranlaßt fühlte, durch fürchterliche Strafbestimmungen ihrer moralischen Versunkenheit Einhalt zu thun.

Natürlich sah Moses ein, daß seine Strafgesetze dem heißen Blute und den heftigen Leidenschaften seines Volkes gegenüber ohne jegliche Wirkung sein würden, wenn er nicht durch Beibehaltung der geduldeten Prostitution dem natürlichen Triebe eine Befriedigung einräumte. Wie schon oben erwähnt, bezog sich diese Duldung jedoch nur auf die Männer, denen man die Freiheit ließ, mit fremden Mädchen geschlechtlichen Umgang zu pflegen, nicht aber mit den Töchtern Israels.

Nach dieser Bestimmung war die Prostitution bei den Juden in Palästina geregelt und die öffentlichen Häuser, in denen man der Unzucht fröhnte, wurden von Fremden geleitet und mit ausländischen Frauen bevölkert.

Trotz aller Bemühungen des weisen Gesetzgebers indeß, die Sitten seines Volkes zu reformiren und den gefährlichen Krankheiten Einhalt zu thun, welche trotz der öffentlichen Gesundheitsgesetze um sich griffen, gelang es ihm doch nicht, auf die Dauer seinen Zweck zu erreichen.

Die Israeliten, welche auf ihren Wanderschaften vielfach mit den heidnischen Völkern in Berührung gekommen, vermischten sich mit diesen und nahmen ihre Gewohnheiten und Laster an. Bald blühte die zügelloseste Prostitution im ganzen Lande, überall den Cultus der Götter ausbreitend, welchen sie bei den fremden Völkern kennen gelernt, und besonders war es der Moloch- und Baaldienst, den die Juden sich hingegeben hatten.

Im Wesentlichen war dieser Dienst nichts anderes, als der Cultus der Mylitta, der Astarde und des Adonis, wovon wir schon gebrochen haben, und er wurde auch von den Juden mit den schimpflichsten Ausschweifungen betrieben, nur daß dieses nicht öffentlich geschah, sondern heimlich im Gehölz und auf den Bergen.

Die Priester dieses Baal waren schöne, bartlose Jünglinge, deren Körper mit wohlriechenden Oelen eingerieben wurden, und die im Heiligthume des Gottes ein schimpfliches Gewerbe trieben. In der lateinischen Bibelübersetzung werden sie »effemenati« genannt, d.h. die Weibischen, während der hebräische Text sie mit dem Ausdruck »kedeschin« d.i. die Geheiligten oder die Geweihten bezeichnet. Diese effemenati waren zum Tempeldienst gemiethet und ihre Verrichtung bestand in der thätigen[341] Ausübung ihrer nichtswürdigen Mysterien; sie verkauften sich den Anbetern des Gottes und legten den Preis für die Schändung ihrer Körper auf seine Altäre.

Ihren Ursprung soll diese Secte aus einer Zeit her datiren, in der eine bösartige Seuche ausgebrochen war, die namentlich das weibliche Geschlecht scharf ergriffen und den Umgang mit den Frauen gefährlich machte.

Als die öffentliche Gesundheit wieder hergestellt war, begnügten sich indeß die Baaldiener nicht mehr mit den effemenati, und diese sahen sich genöthigt, Frauen in ihre Verbindung zu ziehen, welche zu Ehren des Gottes ihre Körper der Unzucht preisgaben.

Diese Frauen nannte man »kedeshoth« und dieselben wohnten nicht mit den Jünglingen im Innern des Tempels, sondern hielten sich außerhalb desselben unter den geschmückten Zelten auf, wo sie sich zur Prostitution vorbereiteten.

Unter den berüchtigten Weiberfreunden David und Salomo neigte sich der jüdische Staat seinem Untergange entgegen. David war Ehebrecher und Mörder und wir wissen von ihm, daß er in seinem Alter sich junge Mädchen hielt, die beim Schlafen ihn erwärmen mußten. Absalon trieb öffentliche Unzucht mit den Weibern seines eigenen Vaters. Salomo hatte einen Harem mit siebenhundert Weibern und dreihundert Kebsweibern und wurde in seinem Alter so schwach gegen dieselben, daß er den ausländischen Weibern unter ihnen die freie Ausübung ihres Götzendienstes gestattete, und sogar selbst Theil daran nahm. Doch wußte er auch in diesen Verhältnissen sich mit seiner gewöhnlichen Klugheit zu benehmen.

So berichtet uns die heilige Schrift, daß zwei öffentliche Buhlerinnen, welche in einem Hause wohnten, gleichzeitig Knaben zur Welt brachten, von welchen der eine starb. Die Mutter des todten Kindes legt dasselbe in den Arm der schlafenden Genossin und nimmt das lebende an sich. Bei dem hieraus entstehenden Streit über das Mutterrecht, wenden sich beide mit dem freien Geständnisse ihres Gewerbes zu dem Throne des Königs. Salomo befahl, das lebende Kind mit dem Schwerte zu zertheilen, worauf sich das eine der Weiber flehend zu seinen Füßen wirft, während das andere auf Vollziehung des Richterspruches besteht. Die wahre Mutter ist entdeckt und Salomo's weises Urtheil durchschallt ganz Israel.[342]

Merkwürdig ist es, daß man in der ganzen mosaischen Gesetzgebung weder die That, noch die Strafe des Kindermordes findet, was zu der Annahme berechtigt, daß selbst unter den Buhlerinnen damaliger Zeit die Mutterliebe sehr stark gewesen sein muß.

Daß durch die geschlechtlichen Ausschweifungen schon damals die Syphilis sehr stark gewüthet haben muß, beweisen die Klagen des königlichen Psalmendichters, welcher sich über die Krankheiten beschwert, mit denen man in den Armen einer Buhlerin beschenkt würde.

Vergeblich thaten die wenigen Weisen des Volkes alles Mögliche, der zügellosen Lasterhaftigkeit Einhalt zu thun, welche in den Palästen mit frecher Stirn triumphirte, und von hier aus die Hütten des Volkes vergiftete; ihre warnenden Stimmen verhallten ungehört und mit Riesenschritten nahte die Nation sich ihrem Untergange und sank unter das Joch assyrischer und babylonischer Knechtschaft.

Nacht, tiefe und finstere Nacht war es da über dem Volke Israel; sie verirrten sich in dieselbe Dunkelheit, in welcher die heidnischen Völker wandelten, aber ihr Irrthum führte zum Lichte. Es traten Seher und Propheten auf, welche ihre Stimmen erhoben, um auf den grauenden Tag hinzuweisen, welcher am Horizonte der Völker empordämmerte und die Schatten der Finsterniß verdrängte, die über der Erde lagen. Und nicht der Stern Jacobs war es, der diesen Tag brachte, denn nimmer vermag ein Stern sich vom lichten Tageshimmel sichtbar zu machen, sondern es trat jenes weltgeschichtliche Gesetz nach und nach in Geltung, welches aus dem harten Boden der Barbarei langsam aber sicher, nach und nach, die Blume der Bildung, der Civilisation erscheinen und empor blühen läßt, um endlich – wenn auch erst nach Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden die herrliche Frucht einer, ja alle irdischen Verhältnisse durchdringenden, belebenden und verschönernden Humanität reifen zu lassen.

Schon in unserem nächsten Abschnitte werden wir sehen, wie diese Bildung Wurzel faßt und sich sogar der sexuellen Beziehung der Völker bemächtigt, sodaß die Priesterinnen der genießenden Liebe neben den Gebildetsten ihrer Nation als Jüngerinnen der Kunst und Wissenschaft glänzen.[343]

Quelle:
Das Buch der Liebe. [Erste Abtheilung.] Dritte Abtheilung. In: Das Buch der Liebe. [Erste Abtheilung] S. 11–144; Dritte Abtheilung S. 1–208. – Dresden (1876), S. 335-344.
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