Im Morgenroth

[344] Die Urzeit der Welt, der Nationen, der einzelnen Menschen ist sich gleich. Wüste, Leerheit umfängt Alles, der Geist jedoch brütet schon über Beweglichem und Gebildetem. Indeß die Autochthonenmenge staunend ängstlich umherblickt, kümmerlich das unentbehrliche Bedürfniß zu befriedigen, schaut ein begünstigter Geist in die großen Welterscheinungen hinein, bemerkt, was sich ereignet und spricht das Vorhandene ahnungsvoll aus, als wenn es entstünde. So haben wir in der ältesten Zeit Betrachtung, Philosophie, Benamsung und Poesie der Natur, Alles in Einem.

Die Welt wird heiterer. Jene düsteren Elemente klären sich auf und entwirren sich: der Mensch greift nach ihnen, sie auf andere Weise zu bewältigen. Eine frische, gesunde Sinnlichkeit blickt umher, freundlich sieht sie im Vergangenen und Gegenwärtigen nur ihres Gleichen. Dem alten Namen verleiht sie eine neue Gewalt, anthropomorphosirt und personificirt das Leblose wie das Abgestorbene und vertheilt ihren eigenen Character über alle Geschöpfe. So lebt und webt der Volksglaube, der sich von allem Abstrusen, was aus jener Urepoche übrig geblieben sein mag, oft leichtsinnig befreit. Das Reich der Poesie blüht auf, und nur Der ist Poet, der den Volksglauben besitzt oder sich ihn anzueignen weiß. Der Character dieser Epoche ist freie, tüchtige, ernste, edle Sinnlichkeit, durch Einbildungskraft erhöht.

Da jedoch der Mensch in Absicht der Veredelung seiner selbst keine Grenzen kennt und auch die klare Region des Daseins ihm in allen Umständen zusagt, so strebt er in das Geheimniß zurück und sucht höhere Erscheinungen, die ihm entgegentreten. Und wie die Poesie Dryaden und Hamadryaden schafft, über denen höhere Geister ihr Wesen treiben, so erzeugt[344] die Theologie Dämonen, welche sie so lange einander unterordnet, bis sie zuletzt sämmtlich von einem Geiste abhängig gedacht werden.

Diese Epoche dürfen wir die heilige nennen; sie gehört im höchsten Sinne der Vernunft an, kann sich aber nicht lange rein erhalten und muß, weil sie denn doch zu ihrem Behuf den Volksglauben aufstutzt, ohne Poesie zu sein, weil sie das Wunderbarste ausspricht und ihm objective Giltigkeit verleiht, endlich dem Verstand verdächtig werden. Dieser, in seiner größten Energie und Reinheit, verehrt die Uranfänge, erfreut sich am poetischen Volksglauben und schätzt das edle Menschenbedürfniß, ein Oberstes anzuerkennen. Allein der Verständige strebt, alles Denkbare seiner Klarheit anzueignen und selbst die geheimnißvollsten Erscheinungen faßlich aufzulösen. Volks- und Priesterglaube wird daher keineswegs verworfen, aber hinter demselben ein Begreifliches, Löbliches, Nützliches angenommen, für Alles eine Bedeutung gesucht, das Besondere in's Allgemeine verwandelt und aus allem Nationalen, Provinzialen und Individualen etwas des Menschheit überhaupt Zuständiges hergeleitet. Dieser Epoche kann man ein edles, reines, kluges Bestreben nicht absprechen; sie genügt aber mehr dem einzelnen, wohlbegabten Menschen, als ganzen Völkern.

Denn wie sich diese Sinnesart verbreitet, folgt sogleich die letzte Epoche, welche wir die prosaische nennen dürfen, da sie nicht etwa den Gehalt der früheren humanisiren und dem reinen Menschenverstande und Hausgebrauche aneignen möchte, sondern das Aelteste in der Gestalt des gemeinen Tages zieht und auf diese Weise Urgefühle, Volks- und Priesterglauben, ja den Glauben des Verstandes, welcher selbst hinter dem Seltsamen noch einen löblichen Zusammenhang vermuthet, völlig zerstört.

Diese Epoche kann nicht lange dauern. Das Menschenbedürfniß, durch Weltschicksale aufgeregt, überspringt rückwärts die verständige Leitung, vermischt Volks-, Priester- und Urglauben, klammert sich bald da, bald dort an Ueberlieferungen, versenkt sich in Geheimnisse, setzt Mährchen an Stelle der Poesie und erhebt sie zu Glaubensartikeln. Anstatt verständig zu belehren und ruhig einzuwirken, streut man unwillkürlich Samen und Unkraut zugleich nach allen Seiten; kein Mittelpunkt, auf den hingeschaut werde, ist mehr zu sehen, jeder Einzelne tritt als Lehrer und Führer hervor und giebt seine vollkommene Thorheit für ein vollendetes Ganze.

Und so wird denn auch der Werth eines jeden Geheimnisses zerstört[345] und der Volksglaube selbst entweiht. Eigenschaften, die sich vorher naturgemäß auseinander entwickelten, arbeiten wie streitende Kräfte gegen einander, und so ist das »Tohu wa bohu«, das »Finster auf der Tiefe« wieder da, aber nicht das erste, befruchtende, gebärende, sondern ein absterbendes, in Verwesung übergehendes, aus dem der Geist Gottes kaum selbst eine ihm würdige Welt abermals erschaffen könnte, wenn er nicht Liebe wäre.

Diese Geistesepochen der Menschheit wiederholen sich; eine baut sich auf der andern auf, und eine entwickelt sich aus der andern, aber jede Wiederholung beginnt auf einer höheren Stufe und arbeitet mit fortgeschrittenen und entwickelteren Kräften, als ihre Urepoche, und daher bemerken wir trotz der Gleichheit, trotz des einen stets hervortretenden Grundgedankens der Entwickelung, eine mit jedem Zeitalter reichere und mehr hervortretende Vielfältigkeit der geschichtlichen Erscheinungen.

Ein Morgenroth leuchtet noch heut über alle Völker, denn der Abend der einen Nation ist der Morgen der andern, aber das erste Morgenroth der Menschheit hat sich längst in hellen Tag verwandelt. Es begann, als der Begriff des Schönen sich anfing zu entwickeln und die Kunst ihre Schwingen entfaltete, um die Härten der Menschheit zu mildern und dem siegreichen Geiste die Bahnen zu eröffnen, auf welchen er später seine staunenswerthen Triumphe über die rohen physischen Kräfte feiern sollte.

Daß die Entwickelung von Kunst und Wissenschaft ihren Einfluß auf die physische Liebe äußerte, wurde schon im letzten Abschnitte bemerkt, und wir müssen hier vor allen Dingen unser Augenmerk auf das Volk der Griechen und diejenigen Nationen richten, welche die Keime ihrer Ausbildung aus Griechenland bezogen.

Zu den Zeiten der ältesten hellenischen Gesetzgeber war die Sittenreinheit der Griechen über alle Verdächtigungen erhaben, denn die Gesetzgebung dieses Landes war darauf gerichtet, vorzüglich die Tapferkeit des Mannes zu pflegen und seinen Körper in ritterlichen Uebungen auszubilden.

Um die feinere Erziehung des schönen Geschlechtes bekümmerte man sich wenig und man glaubte genug zu thun, wenn man dasselbe vor den Nachstellungen der Männer schützte; die Frauenzimmer waren bis zum Tage ihrer Hochzeit in den innersten Theilen ihrer Wohnungen eingeschlossen,[346] wo sie sich mit Handarbeiten beschäftigten. Hier lebten sie abgeschlossen von der Welt, unbekannt mit den Vorgängen in derselben und erst von dem Tage ab, wo die jungen Bräute den Umarmungen ihrer Männer überlassen wurden, traten sie mit dem öffentlichen Leben in Verbindung.

Zuweilen wurden selbst verheirathete Frauen von ihren Männern mit einer Strenge bewacht, welche an Grausamkeit grenzte, und es sind nicht wenige Beispiele bekannt, daß eifersüchtige Tyrannen die Zimmer ihrer Weiber versiegelten oder große molukkische Hunde vor dieselben als Wächter legten. Erst mit der Mutterschaft begann für die griechische Frau eine Periode der freieren Lebensart.

Die schädliche Sclaverei, in welche das Weib durch eine solche Behandlungsweise gestürzt wurde, machte dasselbe natürlich nicht fähig, edlere Empfindungen der Liebe einzuflößen, und es mußten daher den Männern die höheren Freuden des ehelichen Glückes und der häuslichen Zufriedenheit unbekannt bleiben.

Galanterieen gegen das schöne Geschlecht waren in den Augen der Griechen unanständig und dasselbe wurde von ihnen nur insofern geachtet, als sie es zur Fortpflanzung des Geschlechtes für nothwendig hielten.

Keuschheiterletzungen bei unverheiratheten Frauenspersonen wurden sehr scharf geahndet und ein Vater hatte sogar das Recht, seine entehrte Tochter als Sclavin zu verkaufen. Auf der That ertappte Verführer konnte man umbringen.

Alle Strenge der hellenischen Gesetzgeber schützte indeß dieses Volk nicht vor der Verderbtheit, welche von Asien und Afrika her sich auf sie übertrug.

Die Wollust fand bei den Griechen einen ergiebigen Boden, denn so einfach und streng ihre Sitten im Anfang waren, so hatte doch kein Volk mehr Neigung und Geschick zur Erfindung naturwidriger Ausschweifungen und kein Volk hat es je im Raffinement des Genusses so weit gebracht als dieses.

Den ersten Anstoß zu der Sehnsucht eines höheren Genusses in der Liebe fand der sich immer mehr verfeinernde Grieche in dem Umstande, daß die Sclavinnen – welche durch die größere Freiheit, die ihnen gestattet war, sich eine feinere Bildung aneigneten, als die geistlos erzogenen, freigeborenen Griechinnen, – weit mehr seinem Geschmacke entsprachen und[347] sein Bedürfniß in der sinnlichen Liebe auch in weit höherem Maße befriedigten.

Das Concubinat wurde daher nach und nach allgemein und tadellos. Selbst Demosthenes sagte öffentlich, daß man eine Frau nehme, um rechtmäßige Kinder zu zeugen, Beischläferinnen, um eine gute Pflege zu haben und Buhlerinnen, um die Vergnügen der Liebe zu genießen.

Solon, welcher mit scharfem Blicke sah, wohin die Leidenschaften sein Volk führen könnten, wenn er der Sinnlichkeit derselben straffe Zügel anlegen würde, erließ Gesetze, welche das Verhältniß der Beischläferinnen und Buhlerinnen den rechtmäßigen Frauen gegenüber regelten. Damit die letzteren von ihren Männer nicht so sehr vernachlässigt würden, verordnete er, daß jeder Mann alle Monate dreimal bei seiner Frau schlafen und seinen Pflichten als Ehemann nachkommen sollte. Dagegen hatte eine vernachlässigte Frau das Recht, sich aus den nächsten Anverwandten ihres Mannes einen Nebenmann zu wählen.

Die Ueppigkeit beider Geschlechter ergriff indeß alle Stände. Um die Tugend der Eheweiber zu sichern, verordnete Solon, daß dieselben bei Tage nicht anders als geputzt und Abends nur mit Fackeln ausgehen oder ausfahren durften. Und um der Verführung der Jungfrauen vorzubeugen, führte er einen öffentlichen Venusdienst ein; er ließ einen prachtvollen Tempel erbauen, wählte schöne Frauen zu Priesterinnen der Göttin und erlaubte denselben, den Genuß ihrer Reize einem Jeden feilzubieten.

Ehe wir indeß dieses Volk von Stufe zu Stufe in den Pfuhl des Lasters versinken sehen, ehe wir an der Hand der Geschichtsquellen diese große, mächtige Nation zu Grunde gehen sehen an ihren Ausschweifungen, müssen wir einen Blick auf ein eigenthümliches Laster werfen, welches gerade die Griechen characterisirte; wir meinen die Päderastie.

Unbegreiflich scheint es dem zartfühlenden Menschen, daß der Mann sich zum Manne neigen könne, um Befriedigung seiner sinnlichen Leidenschaften zu suchen und zu finden.

Päderast bedeutet in der griechischen Sprache Knabenliebhaber, Knabenschänder; Päderastie, Knabenschändung, unnatürliche Unzucht.

Die Bedeutung dieser Worte enthüllt uns hinreichend die Mysterien des Lasters, welches durch den großen Umfang, in welchem es bei den[348] Griechen geübt wurde, unter dem Namen der griechischen Knabenliebe in weiteren Kreisen bekannt ist.

Doch nicht allein zum zarten Knaben fühlt sich der Päderast hingezogen, auch auf erwachsene Jünglinge wirft er sein lüsternes Auge, besonders wenn ihre Formen lieblich sind und ihr Aussehen ein mehr weibliches ist.

Die Entstehung dieses Lasters verpflanzt sich bis in die ältesten Zeiten und auf der Insel Kreta war es sogar durch ein Gesetz gebilligt, um einer drohenden Uebervölkerung vorzubeugen.

Den Griechen schien die Ausübung der Knabenliebe hinreichend sanctionirt durch die Beispiele, welche man von ihren Gottheiten erzählte, die sämmtlich in Verhältnissen zu einander gestanden haben sollten, welche auf diese Art Liebe hindeuteten. Darauf Bezug nehmend, scheuten sich die Größten und Vornehmsten des Volkes nicht, jenes widernatürliche Verbrechen zu cultiviren. Selbst Sokrates, der berühmte Philosoph, wird in den Annalen der Päderastie stets als einer von Denen genannt werden, welche sich durch ihre Hinneigung zu dieser widerwärtigen Ausübung des Geschlechtsactes hervorgethan haben.

Da wir gerade von der Entartung des männlichen Geschlechtes in Bezug auf die unnatürliche Befriedigung seiner sinnlichen Liebe sprechen, so wird es am Platze sein, bei dieser Gelegenheit eines anderen Lasters zu erwähnen, welches unter dem Namen der lesbischen Liebe bekannt ist und ein würdiges Seitenstück zur Päderastie bildet.

Wie der Päderast in viehisch entarteter Neigung sich dem Manne zuwendet, so neigt sich das Weib, welches des lesbischen Liebe huldigt, in roher Lust zum Weibe, um hier ihre unnatürlichen Triebe zu befriedigen. Man nennt diese ausgearteten weiblichen Personen auch Tribaden (von tribas d.h. reiben).

Ob es wahr ist, das dieses Laster auf der Insel Lesbos entstanden, darüber herrschen verschiedene Meinungen; so viel steht indeß fest, daß die Dichterin Sappho, welche um das Jahr 600 v. Christi auf Lesbos lebte, ebenso berüchtigt geworden ist durch die unnatürliche Liebe zu ihrem Geschlechte, als sie berühmt wurde durch ihr poetisches Talent. Nach dem Tode ihres Gatten entsagte sie zwar der Ehe, aber nicht der Liebe; selbst in ihren zärtlich schmachtenden Versen verräth sich die Leidenschaft einer Tribade.[349]

Die alten Gelehrten und Philosophen haben sonderbare Ideen über die Ursache der beiden genannten Laster zu Tage gefördert. So meinte Parmenides unter andern, jene weibischen Wesen enständen? schon durch die Zeugung selbst und zwar dadurch, daß eines der beiden Geschlechter thätiger sei, wodurch sich die Theile beider nicht gehörig vermischten; so entständen Nachkommen, welche in der Folge den Ungang mit ihrem eigenen Geschlechte suchten, gleichsam um sich zu ergänzen. Nach seiner Ansicht suchten die weiblichen Männer andere Männer auf, um sich männlicher zu machen; die männlichen Weiber aber näherten sich andern Weibern, um das ihnen Fehlende durch diese zu ersetzen.

Wir werden später dieses Thema noch eingehender besprechen und durch Beispiele beweisen, daß nicht allein die Laster der Päderastie und der lesbischen Liebe sich bis auf unsere Zeit erhalten haben, sondern daß dieselben auch heute noch ihre gelehrten Vertheidiger finden.

In den ersten Zeiten nach Solon waren die Buhlerinnen den Sitten nicht mehr sehr gefährlich und es wurde lange für schimpflich gehalten, die Wohnungen der öffentlichen Dirnen zu besuchen. Als jedoch nach und nach die Nation sich zu Glanz und Wohlstand emporgeschwungen, als von den besiegten Völkern die Tribute in ihre öffentlichen Kassen flossen, verschwendete man Millionen, um die Wohnungen der Götter, die öffentlichen Plätze, die Theater und Schulen mit den Werken der Kunst zu schmücken, und mit dem immer mehr und mehr um sich greifenden Hang zum Luxus, welchem eine ausgebildete Liebe zum Vaterlande zur Seite schritt, bereitete sich das üppige Zeitalter vor, welches wir schildern wollen.

Die Kunst machte reißende Fortschritte, und jene erhabenen Ideale der Schönheit, welche die Bewunderung aller Nationen und aller Zeitalter erregten, rühren aus jener Zeit her.

Nicht nur Maler und Bildhauer entstanden in jener Epoche, Philosophen, Dichter und Redner schlossen mit den ersteren durch ihre Einbildungskraft und durch ihren Verstand einen Bund, wie er schöner noch nie bestand, als in dieser Zeit.

Mit dem verfeinerten Geschmack indeß ging auch die Verweichlichung des Volkes Hand in Hand und unter einem so milden Himmelsstriche, wie Griechenland ihn sein eigen nennt, wo alle Reize der Natur sich vereinigen, war es wohl kein Wunder, daß die Sittlichkeit nach und nach[350] unter dem immer mehr und mehr um sich greifenden Luxus litt. Vorzüglich die griechischen Damen waren es, welche durch ihre Puß- und Gefallsucht die Bahnen vorzeichneten, welche das Volk seinem Untergange entgegenführten.

Die sittliche Verdorbenheit riß nach und nach in das Privatleben der Griechen ein und übte den allernachtheiligsten Einfluß auf den moralischen Zustand der Nation.

Der Gesetzgeber Lykurg bildete in Sparta einen Staat für sich, dessen Interessen er alle Gesetze der Natur rücksichtslos unterordnete.

In seinen Augen existirte die Geschlechtsliebe nur zu dem Zwecke, dem Staate kraftvolle Bürger zu geben, und er opferte deshalb das Heiligthum der Ehe, indem er jedem kraftvollen und wohlgebildeten Spartaner die Erlaubniß ertheilte, sich die Gattin eines Mitbürgers auf einige Nächte auszubitten, um die Familie mit seinem Blute zu veredeln, und es war nichts Seltenes bei diesem Volke, daß alte, kraftlose Männer ihre Weiber in die Arme wohlgebildeter, kräftiger Jünglinge führten, um diese zu bitten, Sorge zu tragen für ihre Nachkommenschaft, wozu ihnen die Fähigkeit fehlte. Es ist kein Beispiel bekannt, daß jene Jünglinge jemals einen Korb von den ihnen zugeführten Weibern erhalten hätten.

Den Muth und die Tapferkeit seiner Bürger in einem Grade zu steigern, der sie unüberwindlich machen sollte, war eine der Hauptaufgaben, welche Lykurg sich gestellt.

Jungfrauen wie Jünglinge worden durch gymnastische Uebungen, durch Tanzen und Ringen abgehärtet, und die Ersteren sollten dadurch besonders geschickt gemacht werden, starke und gesunde Kinder mit Leichtigkeit zu gebären.

Die Kleidung der Mädchen war leicht und schmucklos und auf beiden Seiten unter dem Gürtel offen, wodurch es in ihrem Belieben stand, bei der Bewegung die reizendsten Formen den Blicken der Männer bloßzustellen. Bei gewissen Spielen mußten die beiden Geschlechter sogar nackt mit einander kämpfen; Hagestolze waren jedoch bei denselben als Zuschauer ausgeschlossen.

Der Zweck, den Lykurg hierbei verfolgte, ist leicht zu erkennen. Er wollte den beiden Geschlechtern kriegerischen Muth einflößen, er wollte sie abhärten und unempfindlich machen gegen die Eindrücke, welche die erregten Sinne auf sie hervorbringen konnten und die Resultate seiner Erziehung[351] vernichten mußten, wenn sie ein Spiel wollüstiger Träume wurden.

Vor dem dreißigsten Jahre durften die Männer, vor dem zwanzigsten die Jungfrauen nicht heirathen. Um nun zu verhindern, daß solche gesunde und kräftige Mädchen, welche von der Natur nicht mit Schönheit und körperlichen Reizen beschenkt waren, von den Männern verschmäht wurden, brachte man zu einer-gewissen Zeit alle mannbaren Mädchen an einem finsteren Orte zusammen, und die Jünglinge mußten hier ihre Bräute wählen, ohne zu wissen, wen ihnen das Glück in die Hände spielte. Den jungen Ehemännern war es nur gestattet, verstohlen ihre Frauen zu besuchen, damit ihre Liebe stets den Reiz des Geheimnißvollen behielt.

Man sieht, daß in diesem Staate Alles auf eine gesunde und kräftige Nachkommenschaft berechnet war. Von den Tafeln der Spartaner war jede Schwelgerei verbannt, die Mahlzeiten wurden öffentlich und in Gemeinschaft eingenommen, wobei das Hauptgericht stets die schwarze Suppe bildete. Sclaven mußten das Feld bauen und der spartanische Bürger kannte kein anderes Interesse, als seine Unabhängigkeit.

Es liegt auf der Hand, daß eine solche Lebensweise den entschiedensten Einfluß auf die Gemüther übte, und Sparta blieb vierhundert Jahre hindurch bei dieser Verfassung glücklich.

Natürlich mußte auch die Zeit kommen, wo sich die Gesetze Lykurg's überlebten und der menschliche Geist die Fesseln zerbrach, welche seine Freiheit bändigten. Nun aber verwandelte sich die hochgerühmte Freiheit und Sittenreinheit der Spartaner und Spartanerinnen in zügellose Frechheit, und schon lange vorher, ehe sie ihre Nacken unter das römische Joch beugen mußten, beherrschten Zügellosigkeit und sinnliche Leidenschaften dieses Volk.

Zu den Ausschweifungen, welchen die Weiber sich hingaben, trug die lange und öftere Abwesenheit der Männer wohl am meisten bei.

Die fortwährenden Kriege, welche Sparta mit den sittlich verdorbenen Persern und anderen barbarischen Völkern führte, hatten es zur nothwendigen Folge, daß der Bürger von dem Wirkungskreise der bürgerlichen Gesetzgebung abgezogen wurde, und eine fernere Folge war die, daß die Reinheit und Einfalt der spartanischen Sitten nach und nach verschwand. Der kriegerische Character dieses Volkes, welcher von den Zügen schönsten[352] Edelmuthes begleitet war, verkehrte sich nach und nach in unersättliche Groberungs- und Raubsucht. An die Stelle der Armuth und Genügsamkeit trat die Habsucht, und die Nüchternheit mußte der Schwelgerei Platz machen; die einzigen Stützen ihrer Verfassung schwanden, ihre politische Größe neigte sich dem Untergange entgegen.

Vorzüglich war es der ehrbegierige Lysander, welcher die rauhe Strenge der spartanischen Sitten milderte und zugleich das Volk verweichlichte. Die glänzenden Siege, welche er über die Feinde seines Landes erfocht, brachten demselben nicht nur Ruhm und Ehre, sondern auch Reichthümer. Diese letzteren besonders waren es, welche den sittlichen Verfall herbeiführten.

Derselbe Lysander führte mildere Gesetze ein, welche vorzüglich dem schöneren Geschlechte mehr Freiheit gaben und den Leidenschaften desselben Rechnung trugen. Und die Keime der Verderbniß, welche Lysander in die Herzen der Weiber gepflanzt, wucherten üppig empor, alle Leidenschaften, welche bisher geschlummert, brachen sich mit unwiderstehlicher Gewalt Bahn und bald herrschte in Athen ein so üppiges Leben, wie die Phantasie es sich kaum auszumalen vermag.

Trotz der größten Wachsamkeit der wenigen Männer, welche mit Schmerz diese Sittenverderbniß beobachteten, wurde der Göttin der Liebe aller Orten in der schamlosesten Weise gehuldigt, und selbst die Königinnen verschmäheten es nicht, in der Stadt unzählige Altäre zu errichten, auf denen sie selbst zu Ehren der Venus ihre Opfer brachten, d.h. sich den Umarmungen eines jeden Mannes hingaben.

Den Handhabern der Gesetze war die strenge Pflicht auferlegt, die Königinnen nie aus den Augen zu lassen und ihre Keuschheit zu bewachen, damit das Geblüt ihrer Regenten sich nicht mit dem eines Sclaven, Priesters oder Eseltreibers vermische; trotzdem sagten zwei Könige eidlich aus, daß sie nicht Väter der Kinder wären, die ihre Gemahlinnen ihnen geboren.

Der Ehebruch wurde so allgemein, daß fast völlige Gemeinschaft der Weiber entstand, und so wenig entehrend war die willkürliche Vermischung der Geschlechter, daß die Spartanerinnen ein ehebrecherisches Weib beneideten, das von einem schönen, tapferen Ehebrecher geliebt wurde; solche Paare fanden allgemeinen Schuß und wurden sogar noch aufgemuntert,[353] ihre Verbindung fortzusetzen, und dem Staate Söhne und Töchter zu schenken, welche einst in gleicher Weise sich dem Geschäfte der Liebe widmeten. Alle asiatischen Laster fanden Eingang bei dem Volke und bedrohten die gesellschaftliche Entwickelung. Frauen und Mädchen flößten keine Scham und Zurückhaltung mehr ein, welche Eigenschaften ihnen selbst verloren gegangen waren, sie entehrten sich selbst unter einander und munterten sogar ihre Männer auf, sich den ekelhaftesten Ausschweifungen hinzugeben.

Berüchtigt sind die wilden Festgelage, welche von den zügellosen Priestern und Priesterinnen zu nächtlicher Weile gefeiert wurden und die man mit dem Namen Orgien bezeichnete. Die Mädchen bereiteten sich zu diesen Festen durch einen Wein vor, dessen Mischung besonders auf die Entflammung der Sinnlichkeit wirkte.

Die Sinnlichkeit wurde außerdem durch die üppigsten, schamlosesten Gruppen entflammt, welche die Maler öffentlich auszustellen sich nicht scheuten, die Keuschheit der wenigen jungen Mädchen und verheiratheten Frauen, welche die Reinheit des Herzens sich bewahrt hatten, war der Gewalt und den Ausbrüchen roher Leidenschaften preisgegeben und Solon führte im Jahre 594 v. Chr. öffentliche Bordelle ein, in der Hoffnung, die Jugend von den schimpflichen Neigungen, die sie entehrten und entkräfteten, und den viehischen Verbrechen entarteter Männer einen Damm entgegenzusetzen.

Diese öffentlichen Häuser waren Anfangs in der Nähe des Hafens, wurden aber später in die Stadt verlegt. Die Dirnen, mit denen sie bevölkert wurden, waren im Auslande aus Staatsmitteln gekauft und wurden auch vom Staate erhalten, wofür sie jedoch verpflichtet waren, von ihrem Verdienste eine Steuer zu zahlen.

So schädlich die Ausschweifungen der Geschlechter für den Staat waren, so vortheilhaft erwies sich die weibliche Schamlosigkeit der Kunst. Für eine griechische Schöne war es stets eine erwünschte Gelegenheit, den Malern und Bildhauern als Modell zu dienen und ihnen ihre unverhüllten Reize darzustellen; sie leisteten hierdurch nicht nur den Künstlern wesentliche Dienste, sondern machten sich selbst zum Gegenstand der allgemeinsten Bewunderung, und der Ruf ihrer Schönheit konnte auf keine bessere Weise über ganz Griechenland verbreitet werden. Verband eine solche Dame Geist mit ihrer Schönheit, so lächelte ihr das Glück in der[354] glänzendsten Form; die schönsten Jünglinge wetteiferten um ihre Gunst, Dichter besangen sie in ihren Oden, der Künstler verewigte sie durch Meißel oder Pinsel, und der reiche Wollüstling legte ihr sein Gold zu Füßen.

Je mehr sich die Blüthe der Kunst in Griechenland entfaltete, desto verfeinerter wurde auch der Geschmack des Volkes, mit desto größerem Raffinement gab es sich den geschlechtlichen Ausschweifungen hin.

Wir erwähnten schon vorhin der Mädchen, welche in öffentlichen Kneipen durch ihr Spiel und ihren Gesang die Gäste unterhielten und welche man Hetären oder Freundinnen nannte.

Die Classe der Venuspriesterinnen erhob sich nach und nach zu einer Höhe, daß wir sie mit den Buhlerinnen unserer Zeit gar nicht in Vergleich nehmen können. Oft war eine solche Hetäre Sclavin von Geburt, welche von einer Kupplerin gekauft, in Allem unterrichtet ward, was neben ihren körperlichen Reizen Liebhaber anzulocken im Stande war. Die Kupplerinnen wußten sehr wohl, daß ein Mädchen, welches sich einer geistigen Bildung erfreute, reichere und treuere Liebhaber anzulocken im Stande war, als ein solches, welches nur durch den augenblicklichen Genuß zu fesseln verstand, und sie machten mit dieser ihnen von der Habgier dictirten Methode ganz vorzügliche Geschäfte.

Besonders von Korinth aus verbreiteten sich die Hetären über ganz Griechenland und die Besseren unter ihnen standen überall in hohem Ansehen, ja einige haben sogar eine Berühmtheit erlangt.

Die Hetären mußten geblümte Stoffe tragen, Goldschmuck anlegen und ihr Haar mit Blumenguirlanden verzieren; auf die Uebetretung der festgesetzten Kleiderordnung war eine hohe Geldstrafe gesetzt. Wenn sie auf der Straße erschienen, promenirten sie mit fliegendem Haar und enthülltem Busen, während den übrigen Körper ein halb durchsichtiger, feiner Schleier bedeckte. Die vornehmen Hetären erschienen öffentlich gewöhnlich mit einem großen Gefolge von Sclavinnen und ließen sich von diesen in prächtig geschmückten Sänften tragen.

Die Hetären bürgerten sich in dem öffentlichen Leben der Griechen vollständig ein und erlangten eine nicht geringe Macht über alle öffentliche Angelegenheiten und vorzüglich in der Politik. Einige von ihnen widmeten sich sogar dem Studium der Philosophie, sie bildeten das Auditorium in den Sitzungen der Tribunale, bei den Verhandlungen der[355] Akademieen; sie wurden von den bedeutendsten Künstlern ihrer Zeit verherrlicht und gaben vortreffliche Motive zu theatralischen Dichtungen.

Das größte Verdienst, welches die Hetären sich während ihrer dreihundertjährigen Herrschaft erworben, liegt hauptsächlich darin, daß sie die zu dieser Zeit bei den Griechen überhandnehmende Knabenliebe außer Mode brachten. Thatsache ist es indeß, daß die meisten Hetären, obwohl sie die Neigung des Mannes zum Manne verdrängten, sich mit Leidenschaft der lesbischen Liebe hingaben. Wie wir schon früher erwähnten, nennt man solche Weiber Tribaden.

Die berühmteste Hetäre war Aspasia. Mit den seltensten Reizen von der Natur ausgestattet, verband diese Buhlerin Gaben das Geistes mit einem festen Willen, wodurch sie zur Unsterblichkeit gelangte.

Durch den Umgang mit Männern, welche in der Staatskunst und in der Wissenschaft Meister waren, brachte sie es bald dahin, daß man ihre Aussprüche für maßgebend hinstellte, daß ihre Handlungsweisen als Vorbilder galten für ihre Zeitgenossen; selbst die vornehmsten Athener scheuten sich nicht, ihre Weiber und Töchter dieser Meisterin in der weiblichen Bildungskunst zuzuführen. Selbst Sokrates besuchte diese holde Zauberin oft, welche ihn durch die Grazie ihres Umganges fesselte, und von ihr lernte er seine Moral mit jener Sitte schmücken, die ihm den Ruhm des größten Mannes seiner Zeit erworben.

Obwohl Aspasia den Frühling ihres Lebens als gemeine Buhlerin verbracht hatte, so gab sie sich doch später keiner unnützen Umarmung eines Mannes preis. Sie hatte nur Liebhaber, um sich Freunde zu machen, und sie ergab sich ihnen nur, um sie zu beherrschen. Unter ihnen befand sich auch der berühmte Staatsmann Perikles, und von dem Glanze geblendet, welcher diesen umgab, beschloß sie, sich seiner Liebe zu versichern. Einem Weibe wie Aspasia konnte dies nicht schwer fallen, und bald vereinigte Beide das zärtlichste Band. Von diesem Augenblicke an war ihr Leben mit der politischen Geschichte ihrer Zeit verwebt, und unter ihren wollüstigen Umarmungen, unter ihren glühenden Küssen wurden jene Entwürfe ersonnen und beschlossen, denen Athen einen Theil seiner Größe, aber auch seines Verderbens verdankt.

Es fehlte natürlich auch nicht an Feinden, welche Aspasia's Größe herunterzusetzen suchten, und man klagte sie an, dem Perikles freie Weiber zur Umarmung zugeführt zu haben. Diese Anklage verband man mit einer[356] andern, welche zu allen Zeiten sich als wirksam bewährt hat; man beschuldigte sie der Religionsverletzung. Perikles trat jedoch als ihr Vertheidiger auf und bewirkte ihre Freisprechung. Nach dem Tode dieses ihres berühmten Geliebten verband Aspasia sich mit einem Manne niederer Herkunft und von dieser Zeit an verschwindet ihr Name in einem undurchdringlichen Dunkel.

Seit den Zeiten Aspasia's hatte sich der Geschmack der Hetären, wie wir sie jetzt nennen müssen, immer mehr der Wissenschaft zugewendet. Sie besuchten die öffentlichen Hörsäle der Philosophen, sie widmeten sich der Mathematik, der Beredtsamkeit, der Philosophie und anderen Wissenschaften.

Sie erwarben sich als Schriftstellerinnen gefeierte Namen, sie wurden Gegenstände der Geschichte und ihre Abenteuer gehörten zur Toilettenlectüre der feinen Welt.

Eine der berühmtesten Hetären nach Aspasia war Leontina, die Schülerin und Geliebte des Epikur. Nach einer in den Armen der Wollust verlebten Nacht wußte sie am andern Morgen über die Natur der Liebe zu philosophiren und verstand es so, zu gleicher Zeit Vergnügungen zu genießen, zu gewähren und zu analysiren. Durch ihre Reize unterjochte sie die ganze Schule des Epikur und schrieb nebenbei ein philosophisches Werk, welches Cicero sehr lobte.

Die Hetäre Nikarete theilte ihre Zeit zwischen Liebe und Mathematik, und es war schwerer, ihre Gunst durch Geld zu gewinnen, als durch die Auflösung einer algebraischen Formel. Der große Philosoph Stilpo genoß ihre Gunst und weihte sie dafür in alle Geheimnisse der Dialektik ein. Es war überhaupt für alle Gelehrten das sicherste Mittel, ihrem System Glanz und Anhang zu verschaffen, wenn sie eine Hetäre zur Schülerin und Geliebten hatten.

In Korinth standen die Hetären auf der höchsten Stufe ihres Ruhmes. Sie wurden in dieser Stadt als Priesterinnen der Venus verehrt, beteten ihre eigenen Gottheiten an, feierten ihre eigenen Feste und hatten ihre eigenen Tempel. Als Xerxes in Griechenland einbrach, versammelten sich alle Hetären in dem Tempel ihrer Göttin, um dem Verlangen der Korinther nachzukommen und ihre Göttin anzurufen, ihren Landsleuten den Sieg zu verleihen. Bei dieser Gelegenheit zeigten die Hetären ihren Patriotismus im höchsten Grade; sie gelobten nämlich alle[357] siegreich zurückkehrenden Krieger zum Danke für sie Rettung des Vaterlandes mit ihren zärtlichsten Umarmungen zu beglücken. Nach beendigtem Kriege wurde dieser Vorgang durch ein meisterhaftes Gemälde verherrlicht.

Unter den Hetären Korinths war es besonders Lais, welche durch ideale Schönheit alle Nebenbuhlerinnen verdunkelte.

Ganz Griechenland lag vor ihrer Thür, Fürsten und Priester, Philosophen und Athleten huldigten ihrer Schönheit. Selbst der berühmte Redner Demosthenes reiste insgeheim nach Korinth, um sie kennen zu lernen, und ebenso hatte sie eine rasende Liebe zu Diogenes gefaßt, der außer seiner Laterne und Tonne nichts in der Welt besaß, während ein gewisser Aristippa unermeßliche Summen verschwenden mußte, um ihre Launen zu befriedigen. Am Flusse Penaus wurde ihr ein prachtvolles Grabmal errichtet.

Eine andere Hetäre, welche zu bedeutenden Ruhm und Ansehen gelangte, war Phryne. Jung und arm kam sie nach Athen, wie sie im Anfange mit Kapern handelte. Bald jedoch entwickelten sich die körperlichen Reize und geistigen Talente dieses Mädchens in einem solchen Umfange, daß sie von ganz Athen bewundert und angebetet wurde, und bei dem Geschäfte der Liebe, dem sie sich widmete, sammelte sie unermeßliche Reichthümer.

Der berühmteste Liebhaber Phryne's war Praxiteles, dem sie alle ihre übrigen Liebhaber opferte, nicht, weil er ein schöner Mann, sondern weil er der berühmteste Maler seiner Zeit war. Dieser liebte sie bis zur Schwärmerei und gestand, nie eine vollkommenere Schönheit gefunden zu haben.

Als Beweis, von welchem Geiste die Hetären damaliger Zeit beseelt waren, und wie sie es verstanden, die Männerwelt ihren Wünschen geneigt zu machen, diene folgendes Beispiel. Phryne verlangte einst von Praxiteles, daß er ihr sein vorzüglichstes Werk schenke zum Beweise seiner Liebe, und dieser gab ihrem Wunsche nach, indem er seiner Geliebten freie Wahl ließ, welches seiner Werke sie zu haben wünsche. Bei dem Anblicke so vieler Meisterstücke unschlüssig und nicht wissend, welches sie für das beste halten sollte, sinnt sie auf eine List. Ein Sclave muß in dem Augenblicke, da der Geliebte zu ihren Füßen liegt und sie anbetet, mit der Schreckensnachricht eintreten, daß plötzlich in dessen Werkstaat Feuer ausgebrochen[358] sei und bereite die größten, schönsten und theuersten Kunstwerke zerstört habe.

»Ich bin verloren!« ruft Praxiteles, »wenn man den Amor und Satyr nicht rettet!« – »Fasse Dich,« sprach Phryne lächelnd zu dem bestürzten Künstler; »ich ließ Dich durch eine falsche Nachricht täuschen und weiß nun, welches das beste Deiner Kunstwerke ist, denn Du hast es selbst verrathen.«

Daß ein Weib, welches von der ganzen Nation vergöttert und angebetet wurde, es für unmöglich hielt, daß es einen Sterblichen geben könne, welcher ihre Gunst, die sie ihm freiwillig anbot, verschmähen würde, ist ganz erklärlich. Und doch wurde von ihr ein solcher Sterblicher in Xenokrates gefunden.

Dieser berühmte Philosoph, ein Schüler Plato's, war wegen seiner strengen Tugend und der Würde, die er selbst im Aeußeren beobachtete, in ganz Athen bekannt. Phryne unternahm es, seine Tugend zu prüfen, die sie für eitele Täuschung hielt, und sie ging eine Wette ein, den Philosophen zu besiegen. Unter dem Vorwande, verfolgt zu sein, kam sie zur Nachtzeit in das Haus desselben, ihn um Schutz bittend. Dieser, welcher nicht im Geringsten an ihrem Vorgeben zweifelte, nahm sie bei sich auf; sie entfaltete alle Künste der Liebe und Verführung, aber vergebens waren ihre Bemühungen. – Xenokrates bestand die Probe.

Als sie über den Erfolg ihres Unternehmens befragt wurde, antwortete sie: »Ich unternahm es, einen Mann zu erweichen, nicht aber eine Bildsäule!«

Die starke Vermehrung der Hetären veranlaßte einen griechischen Finanzmann, den Vorschlag zu machen, dieselben und ihr Geschäft mit einer Steuer zu belegen. Vergebens eiferten dagegen die Philosophen, vergebens bewies man, daß die Abgabe nicht Denen schimpflich sei, welche sie zahlten, sondern Dem, der sie einnehme; die Steuer wurde eingeführt und war für den Staat eine eine bedeutende Einnahmequelle.[359]

Quelle:
Das Buch der Liebe. [Erste Abtheilung.] Dritte Abtheilung. In: Das Buch der Liebe. [Erste Abtheilung] S. 11–144; Dritte Abtheilung S. 1–208. – Dresden (1876), S. 344-360.
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