In Staub und Schmutz

[386] Wenn wir bei unseren bisherigen Betrachtungen unser Augenmerk vorzugsweise auch auf diejenige Liebe richten mußten, welche den körperlichen Genuß zum Gegenstande eines Preises machte, und dabei die Prostitution von ihren Anfängen bis herein in die neuere Zeit verfolgten, so stehen wir jetzt vor der Frage, wie die Verhältnisse derselben in der Gegenwart gestellt seien.

Werfen wir zunächst einen Blick nach Paris, der Metropole der »grande nation«.

Daß in einer Stadt wie Paris, wo die Mitglieder aller Nationen zusammenströmen, das Laster der Prostitution in ausgedehntestem Maaße gehegt und gepflegt wird, steht nach dem oben Gesagten wohl außer Zweifel.

Hier, wo sich Alles zum Zwecke des Genusses vereinigt, wo Klima und Verhältnisse mehr als anderswo zum Genusse der Liebe einladen, finden die Priesterinnen der Venus ein so ergiebiges Feld für ihre Thätigkeit, daß sie stets ihre Rechnung dabei finden, noch dazu, als ihnen von der Natur alle diejenigen Gaben im reichsten Maaße verliehen sind, welche sie für den gewählten Lebensberuf fähig machen.

Die Zahl der prostituirten Dirnen in Paris ist eine ungeheure und der Verwaltungszweig der Polizei, der sich mit ihrer Beaufsichtigung beschäftigt, ein sehr ausgedehnter.

Wie in allen anderen Städten, so theilen sich die prostituirten Frauenzimmer auch hier in verschiedene Klassen, die sich in den Augen des Kenners durch charakteristische Merkmale von einander unterscheiden.

Die erste Klasse sind die verheiratheten Damen von hohem,[386] mittlerem und niederem Stande, die sich aus Eigennuß oder Ehrgeiz mit hochgestellten Personen einlassen, oder einen Freund vom Hause bei der Hand haben, der die Kosten der Bestreitung ihres Luxus, ihres Aufwandes und ihrer Launen hergiebt, und den sie durch Gefälligkeiten bezahlen. Ihre Ausschweifungen werden von den Ehemännern geduldet, weil sie entnervt sind oder ihnen ein Recht zu gleichen Freiheiten geben, oder weil sie niederträchtig genug sind, die Beute mit ihren Weibern zu theilen. Einige dieser Damen wissen sich einen gewissen Credit zu verschaffen, den sie gewöhnlich an Leute verkaufen, die niedrig genug sind, sich an sie zu wenden, um irgend eine Gnade zu erhalten.

Zur zweiten Klasse zählen diejenigen, welche die Wollust noch nicht zu einem Gewerbe machen, sondern nur Besuche von sehr vornehmen und reichen Herren annehmen. Diese Gattung füllt gewöhnlich das Theater und besonders die Oper aus ihrer Mitte. Ihre Gunstbezeugungen haben verschiedene Taxen.

Diejenigen, welche blos von dem Erwerbe ihrer Buhlereien und zwar auf einem glänzenden Fuße leben, machen die dritte Klasse aus. Ein solches Mädchen bewohnt gewöhnlich ein Logis von drei, vier bis fünf Zimmern. Sie nimmt eine häßliche Freundin oder eine Matrone zu sich, die von ihrer Gnade leben, sie auf die Promenade begleiten und ihre Haushaltung besorgen. Sie hält sich eine Magd, einen oder zwei Bediente und einen Jockey, der meist ein junger Neger ist. In den geringeren Theatern läßt sie sich selten sehen, sondern meistens in der Oper, im Theater français u.s.w., wohin sie in einer Miethsequipage fährt, die sie auch wieder abholt. Ihre Zimmer find prächtig und neu. Das Ganze kostet ihr jährlich etwa 12,000 Thaler, die sie sich durch den Wucher mit ihren Reizen verdienen muß.

Die Art und Weise, auf welche sie es thut, ist verschieden. Gewöhnlich aber einigt sie sich mit ihrem Liebhaber über den Preis, den er für den Genuß ihrer Liebe zu zahlen hat. Dieser variirt zwischen einem und sechs Louisd'or, je nachdem man gewöhnliche oder ungewöhnliche Gefälligkeiten von ihr fordert.

Will man eine angenehme Landpartie oder Promenade, eine heitere Spielpartie haben, so bittet man sie um einen Tag, oder Mittag, oder Abend, und wiederum, je nachdem sie Zeit und Mühe, oder beides zugleich aufgewandt hat, beschenkt man sie.[387]

Oft überläßt sie sich auch Wochen, Monate oder Vierteljahre an einen Liebhaber und kommt mit ihm über das, was er für sie thun soll, überein. Eine Zeit lang war es Mode in Paris, daß die Vornehmen sich Maitressen mehr aus Staat und Prahlerei, als aus Geschmack und Neigung hielten; dies war nach obigen Berechnung ein sehr kostbarer Luxus. Eine solche Maitresse kostet ihrem abgelebten Liebhaber, dem seine Kräfte ihren Genuß versagen, mehr als in der Türkei einem Pascha sein ganzes zahlreiches Serail, das es sehr gut zu benutzen weiß. Ein solcher Thor, der sich zu Grunde richtet, um die Eitelkeit, die Grillen und Launen einer Courtisane zu befriedigen, muß es ruhig mit ansehen, daß sie an ihren wirklichen Liebhaber mit der einen Hand die Geschenke wegwirft, die sie mit der anderen von ihm, der ihr verhaßt ist, empfängt.

Oft ist sie auch großmüthig, und bleibt ihrem Geliebten, der sie gleichsam gemiethet hat, treu, so lange er selbst die festgestellten Bedingungen erfüllt, und unterhält ihn sogar, wenn er durch sie alles verschwendet hat, schenkt ihm ihre Freundschaft und ihren Umgang, gehört aber außerdem wieder dem Publikum an.

Zuweilen machen solche Mädchen mit dem, der sie unterhält, eine Wirthschaft aus, werden in guten Gesellschaften gelitten und man macht gar kein Geheimniß aus ihrer wilden Ehe.

Die vierte Klasse besteht aus Bürgermädchen, Arbeiterinnen, Putzmacherinnen oder Ladenmädchen, die, wenn ihre Tagearbeit vollendet ist, den Abend bei übelberüchtigten Matronen zubringen. Die Allgemeinheit des Luxus ist die einzige Ursache, daß diese Frauenzimmer von ihren Körpern Gewinn ziehen. Ihr Erwerb bringt ihnen nur so viel ein; als sie zur Leibesnahrung und Nothdurft brauchen; sie suchen daher Abends noch Nebenverdienst, um den Aufwand im Putz zu bestreiten, den der Luxus aller Stände zum wirklichen Bedürfnisse macht. Der weite Umfang von Paris liefert diesen Mädchen tausend Gelegenheiten, vor den Augen ihrer Verwandten und Bekannten ihre Aufführung zu verbergen; ihre Ausschweifungen verlieren sich im Treiben der ungeheuren Stadt, sie behalten den äußeren Anschein von Zucht und Ehrbarkeit bei und machen oft so gute Heirathen, als ob sie immer als Vestalinnen gelebt hätten.

Die fünfte Klasse begreift die öffentlichen Mädchen, die in meublirten Zimmern allein wohnen, oder eine ältere Freundin bei sich haben, welche für ihren Unterhalt sorgt. Sie machen berüchtigten Matronen[388] ihre Adressen bekannt, die sie in Modehändlerinnen, Nätherinnen, oder frisch angekommene Landmädchen verkleiden, je nachdem es der Geschmack oder die Grille des Liebhabers verlangt. Auf den Promenaden sind sie nicht zudringlich, reden Niemand an und geben nur Denen den Arm hin, deren Aeußeres einen gewissen Stand oder Wohlhabenheit ankündigt. Sie werden auch häufig unterhalten und machen Land- und Tischpartieen. Am Ende ihre Laufbahn, wenn der Frühling ihrer Reize verblüht ist und sie dem Spital glücklich entronnen sind, suchen sie der Dürftigkeit dadurch auszuweichen, daß sie den ehrenvollen Posten einer Vorsteherin irgend eines Bordells annehmen, oder sich als Kellnerin gebrauchen lassen.

Die Mädchen in den Bordells, oder in den Muhmenhäusern, wie sie ehemals in Deutschland hießen, bilden die sechste Klasse. Diese werden von einer Matronen gehalten, die sie Bonne nennen, der sie bald leibeigen werden und für die sie mehr als für sich arbeiten müssen.

In der siebenten Klasse endlich befinden sich die Gassenmädchen oder Aufleserinnen, Grisettes, Impures. Sie streichen des Abends auf der Straße herum und bieten mit vieler Beredsamkeit die geheimen Freuden an, die sie gewähren wollen, oder sie stehen an den Thüren oder an den Fenstern ihrer Wohnungen und locken die Vorübergehenden herbei. Es giebt ihrer von verschiedener Art, nämlich, die sich entweder auflesen, oder dies von einer Matrone bewerkstelligen lassen. Sie sind gezwungen, den Gewinn mit ihr zu theilen und ihr überdies täglich drei bis vier Franken für Wohnung und Kost zu zahlen und außerdem noch von ihrem Antheil zwei Sou von jedem Livre der Magd. Andere suchen durch ihre Gesellschafterinnen, oder auch durch sich selbst, Kunden auf der Gasse zusammen zu treiben, die sie für eigene Rechnung auf ihr Zimmer führen.

In eben diese Klasse gehören auch die verschämten Aufleserinnen, die dieses Gewerbe theils aus dringender Noth, theils um etwas nebenher zu haben, treiben. Diese halten sich nicht in den Gassen, in den Alleen und in Promenaden auf; sie besuchen die abgelegenen Alleen und Bosquette und wenden sich nie an junge Leute, sondern meistentheils an Personen von einem gewissen Alter. Sie haben das Kostüm und den Ton der Anständigkeit, sind nicht geschmückt und in schwarze Mäntel und große Kappen verhüllt, sie geben sich schwer preis und werden fast immer durch die Furcht von einer Krankheit abgeschreckt, wo es ihnen an Mitteln fehlen würde, sich heilen zu lassen.[389]

Die unterste Klasse dieser barmherzigen Schwestern ist sich überall gleich. Ihr Gewerbe ist so schamlos und so ekelhaft, daß wir ihre Schilderung unterlassen. In den drei letzten Klassen findet man von der physischen Seite die niedlichsten und hübschesten Geschöpfe und von der moralischen das, was am wenigsten Verachtung verdient. Hier trifft man oft Witz, Grazie, Naivetät, Treuherzigkeit, Güte des Herzens und Großmuth an; man findet unglückliche Mädchen, die durch Widerwärtigkeiten und eine Kette von widrigen Zufällen in einen Abgrund gestürzt wurden, aus dem sie sich zu winden den aufrichtigsten Wunsch äußern. – Vielen von diesen Buhlerinnen gelingt es, sich oft aus der niedrigsten Stufe zur höchsten empor zu schwingen, und mit gleicher Schnelligkeit sieht man wieder andere von dieser zur tiefsten herabsinken.

Jedes öffentliche Mädchen in Paris erhält bei einer polizeilichen Einschreibung ein Prostitutions-Reglement eingehändigt, welches folgende Vorschriften enthält:

»Die einregistrirten Mädchen haben sich alle 14 Tage wenigstens einmal vor dem sanitätspolizeilichen Bureau zur Visitation zu stellen. – Sie werden ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sie ihre Karten den Polizeibeamten und Agenten auf deren Verlangen hingeben. – Es ist ihnen verboten, am Tage zur Ausschweifung anzulocken; sie dürfen erst eine halbe Stunde nach Anzündung der Straßenlaternen, keinesfalls aber, gleichviel zu welcher Jahreszeit, vor 7 Uhr Abends auf öffentlicher Straße erscheinen und nicht mehr nach 11 Uhr daselbst verweilen. – Sie haben eine einfache und anständige Kleidung zu tragen und so das Aufsichziehen der Blicke durch kostbare oder auffallende Stoffe oder überspannte Moden zu vermeiden. – Haarputz zu tragen ist untersagt. – Es ist ihnen ausdrücklich verboten, mit Männern, in deren Begleitung Frauen oder Kinder sind, zu sprechen oder irgend Jemand laut anzurufen und durch Zudringlichkeit zu belästigen. – Sie dürfen sich zu keiner Stunde des Tages oder der Nacht und unter keinerlei Vorwand an ihren Fenstern zeigen, sondern müssen dieselben stets geschlossen oder mit Vorhängen versehen halten. – Es ist ihnen verboten, auf öffentlicher Straße umherzustehen, daselbst Gruppen zu bilden, gemeinsam umherzustreichen, an einer engen Passage auf- und abzugehen, und Männer zum Nachfolgen oder Begleiten anzulocken. – Der Umgebung der Gotteshäuser dürfen sie sich auf eine Entfernung von 20 Metres nicht nahen; die gedeckten Passagen, die[390] Boulevards der rue Montmarte à la Madeleine, die Gärten und Eingänge des Palais Royal, sowie der Tuilerien, des Luxembourg und der Jardin des plantes sind ihnen gleichfalls untersagt, ebenso sind die Champs-Elysées, die Esplanade des Invalides, die äußeren Boulevards, die Quais, die Brücken, sowie überhaupt die abgelegenen und obscuren Straßen und Plätze zu betreten verboten. – Es ist ihnen ausdrücklich der Besuch von öffentlichen Etablissements oder Privathäusern, wo die Prostitution heimlich begünstigt wird, und die Theilnahme an tables d'hôtes untersagt, desgleichen ihre Wohnung in Häusern zu nehmen, wo sich Pensionate oder Externate befinden und außerhalb des Quartiers, in welchem sie wohnen, ihr Geschäft zu treiben. – Gleicherweise ist ihnen verboten, ihre Wohnung mit einem Concubinen oder einem andern Mädchen zu theilen, oder ohne Bewilligung en garni zu wohnen. – Die öffentlichen Mädchen haben, wenn sie sich in ihrer Wohnung aufhalten, Alles zu vermeiden, was zu Klagen der Nachbarsleute oder Passanten Veranlassung geben könnte. – Alle Jene, welche gegen die vorstehenden Bestimmungen handeln, sich den Agenten der Obrigkeit widersetzen, falsche Wohnungs- oder Namenangaben machen, haben die der Schwere des Falles entsprechenden Strafen zu gewärtigen. –«

Diese Bestimmungen werden von der Pariser Polizei auf das Strengste und in musterhafter Weise durchgeführt und jeder Uebertretungsfall wird auf's Unnachsichtigste bestraft. – – –

Bei der schnellen Vergrößerung Berlins während der letzten Jahrzehnte hat die Prostitution daselbst eine ungemeine Ausdehnung erreicht.

Die Sittenpolizei in Berlin, in richtiger Würdigung der Verhältnisse, fügt sich der Nothwendigkeit und duldet ein unvertilgbares Uebel, das seine Existenz der menschlichen Natur verdankt. Jedoch sorgt diese Behörde dafür, daß die gestattete Freiheit nicht gemißbraucht und der Befriedigung der fleischlichen Lüste Vorschub geleistet wird, indem sie mit der Duldung eine strenge Beaufsichtigung verknüpft, wodurch die öffentliche Gesundheit möglichst geschützt, die gesellige Ordnung und die Sicherheit aufrecht erhalten, Anstand und Sitte wenig verletzt und Verführung, Kuppelei und heimliche Unzucht auf das Strengste und Unerbittlichste verfolgt werden.

Die zahlreichste, verworfenste und gefährlichste Klasse der Prostituirten ist die der Straßendirnen, welche den allermeisten Anlaß zu öffentlichem Aergerniß und Scandal giebt. Ihre Hauptthätigkeit besteht darin, sich des Abends und des Nachts in meist auffallender Kleidung auf den Straßen[391] umherzutreiben, die hier vorübergehenden Herren durch unzüchtige Worte oder Geberden an sich zu locken und sich mit diesen entweder in ihre eigene Wohnung oder nach einem Absteigequartier oder nach dem Logis des betreffenden Herrn zu verfügen, um dort ihr schimpfliches Gewerbe auszuüben und die Wünsche ihres Begleiters zu erfüllen.

Diese Art Prostitution zu treiben, ist freilich für die Dirne die beschwerlichste, da solche ihre Opfer allen möglichen Einflüssen der Witterung und allen erdenkbaren Angriffen und Unbilden, rohen Scherzen, Verspottungen u.s.w. auf der Straße aussetzt; aber dennoch ist sie die gesuchteste und häufigste, weil sie die wenigsten Auslagen erfordert und in die freieste und ungebundenste Lage versetzt.

Die Straßendirnen finden sich in einer Anzahl von mehreren Tausenden zwar über alle Reviere der Stadt verbreitet vor, aber doch giebt es mehrere Straßen, in denen sie wegen der Belebtheit und eigenthümlichen Lage derselben vorzugsweise gern ihr Wesen treiben.

Der Preis, der solchen Dirnen gezahlt wird, beträgt meist nur zwischen 10 und 20 Silbergroschen und nur selten einen Thaler oder mehr. Hat sie solchen glücklich errungen, so eilt sie nach der nächsten, ihr günstigen Gegend zurück und beginnt ihr Werk von Neuem. Eine derartige Dirne macht an einem Abende selten mehr als drei oder vier Eroberungen, und ihr täglicher Verdienst übersteigt sehr selten den Betrag von einem Thaler, obwohl auch Fälle vorkommen, daß sie, vom Glück begünstigt, oft das Doppelte und Dreifache dieses Betrages einnehmen, während sie auch oft in mehreren Tagen kaum einen Thaler verdienen, namentlich wenn sie keine körperlichen Reize besitzen.

Eine merkwürdige, fast bei allen Freudenmädchen wiederkehrende Eigenthümlichkeit müssen wir hier besonders erwähnen. Jede derselben hat nämlich in der Regel ihren Geliebten und an diesem hängt sie mit einer Gluth der Leidenschaft und mit einer Aufopferung, die man einem so tief stehenden Geschöpfe gerade am wenigsten zutrauen sollte. Es ist, als ob die Liebe sich in dieser Weise für die Schmach, welche ihr durch die Prostitution zugefügt wird, hätte rächen wollen.

Oft stellt sich das Verhältniß bei den Straßendirnen schon dadurch anders, daß diese eines Beschützers nothwendig bedürfen, um gegen die Verfolgungen und Angriffe Schutz zu haben, denen sie in ihrem Gewerbe, namentlich insofern sie solches auf der Straße betreiben, vielfach ausgesetzt sind.[392]

Diese Personen werden gewöhnlich »Louis« genannt, und ein solcher Mensch ist jedenfalls das verworfenste aller Geschöpfe, er steht noch weit unter der Straßendirne und unter der Kupplerin, denn er ist ja der gemiethete Knecht derselben, der ihre Schande und ihre Verbrechen decken soll.

Eine weitere Eigenthümlichkeit der Prostituirten besteht auch darin, daß sie bei Ergreifung ihres Gewerbes sofort einen romantisch klingenden Vornamen annehmen, und daß sie sich, gewöhnlich mit völliger Verleugnung ihres Vaternamens, ausschließlich bei diesem Vornamen rufen lassen. So verwandelt sich denn die Caroline, Lise, Bertha, Emilie, Jette etc. sehr bald in eine Sidonie, Camilla, Agnes, Thusnelda, Hulda, Amanda, Aurora, Flora, Veronika u.s.w.

Ueberhaupt wird fast jedes prostituirte Frauenzimmer von ihren Genossinnen und dem ganzen Kreise, in dem sie sich bewegt, mit einem Spitznamen belegt, in dessen Wahl sich nicht selten eine gewisse Erfindungsgabe und der Berliner Mutterwitz ausspricht. Meistens klammern sich diese Spitznamen an kleine Fehler oder Gebrechen oder andere dergleichen Eigenthümlichkeiten der zu bezeichnenden Personen an, und die Kenntniß derselben ist namentlich für den Polizeibeamten von großer Wichtigkeit.

Aber nicht nur in ihren Namen, sondern auch in vielen anderen ihrer Ausdrücke besitzen die Berliner Dirnen ein eigenthümliches Sprechidiom. Dieses ist zwar sehr nahe verwandt mit dem allgemeinen Sprechidiom der Berliner Diebe, aber dennoch kommen darin manche eigenthümliche Ausdrücke vor, wie zum Beispiel:

Kober, ein von einer Dirne angelockter Mann, der auf ihr Gewerbe eingeht; Fetter Kober ist ein solcher, der reichliche Bezahlung spendet; Nasser Kober, auch Nassauer, ein solcher, der die Dirne um ihren Sündenlohn ganz prellt oder nur wenig giebt; das Gegentheil hiervon ist der Potsdamer, der reichlich bezahlt und oft von den Dirnen zum Besten gehalten wird; Lappen, Hammel, ein paar Schimpfwörter für zudringliche Männer; das graue Elend oder der Apfel, das Arbeitshaus; Greiferei, die Polizei; Nischen, ärztlich visitiren; Tyroler, der Stuhl auf dem diese Visitation abgehalten wird; Leineziehen und auf den Strich gehen, sich behufs der Anlockung von Männern auf der Straße umhertreiben; Lehnepump, geliehene Kleidungsstücke; Lehnefrau, Leihefrau, diejenigen Weiber, die ein Gewerbe daraus machen, Kleidungsstücke an lüderliche Dirnen zu verborgen; Dallis, soviel als Geldverlegenheit; der[393] Gyps ist herunter, die Mauersteine gucken vor, sagt man von einer Dirne, die schon abgelebt ist; Maschka, ein Pfandstück, auch als Zeitwort vermaschken, verpfänden; Kukelweib oder Seelenverkäuferin, Bezeichnung für die Weiber, die ein Gewerbe daraus machen, unschuldige Mädchen zu verführen; Madame, Mutter, Tante heißt die Kupplerin; rother Fritze, bedeutet Schminke; ihr ist der rothe Fritze über die Backen gelaufen, das heißt, sie hat sich geschminkt; Kluft, für Kleidung; alle werden, für verhaftet werden; Putzmeister, Bezeichnung derjenigen Leute, welche ein Gewerbe daraus machen, bei der Behörde ein falsches Zeugniß dahin abzulegen, daß eine Dirne bei ihnen in Arbeit stehe; Putz, wird gebraucht als Lüge; goldener Strauß, die Stadtvogtei; arbeiten, Geschäfte machen, Prostitution treiben; sich verbrennen, syphilitisch angesteckt werden.

Den meisten prostituirten Frauenzimmern muß es nachgerühmt werden, daß sie eine besondere Reinlichkeitsliebe an den Tag legen, indem sie recht wohl wissen, wie sehr Reinlichkeitsliebe zur Erhöhung ihrer oft schon gesunkenen Reize beiträgt und wie solche beinahe das einzige Mittel bildet, sich gegen venerische Ansteckung wenigstens einigermaßen zu schützen. Daher tragen sie meist saubere weiße Unterkleider und Strümpfe, und auf diese Gegenstände halten sie fast noch mehr als auf ihre Oberkleider. Ihren Körper reinigen sie ebenfalls so oft als möglich.

Die meisten Dirnen fühlen ihre unglückliche Lage recht wohl und suchen ihre Verzweiflung oft durch wilden Jubel zu übertönen. Die Mehrzahl haben daher auch den innigsten Wunsch, recht bald aus ihrer Lage erlöst zu werden; aber theils fehlen ihnen hierzu die pecuniären Mittel, theils sind sie schon zu tief in die Schande hineingerathen, theils auch zu schlaff und zu faul, um einen energischen Entschluß fassen zu können.

Ueber ein Drittel dieser Dirnen und ihrer Zuhalter ist fortwährend mehr oder weniger syphilitisch, und die Gefahr, welche aus diesen Personen in sanitätspolizeilicher Beziehung erwächst, ist daher größer, als man vermuthen sollte.

Mit Recht sind daher auch namentlich die Crimi nal-Polizeibeamten geschworene Feinde dieser Straßendirnen, da sie sehr wohl wissen, wie solche nicht nur der Sitten, sondern auch der Sicherheitspolizei den größten Nachtheil stiften, denn ein Dieb, der keine Zuhalterin hat, ist nicht halb so gefährlich, als ein solcher mit seiner Zuhalterin. Deshalb werden diese[394] Dirnen verfolgt, wo sich nur irgend die Gelegenheit hierzu bietet, und mitunter ordentliche Treibjagden auf sie veranstaltet. Bei diesen werden nicht selten mehr als zwanzig Dirnen eingefangen, unter denen gewiß jedesmal 8 syphilitisch krank sind und 10 mit Dieben in Verbindung stehen.

Die Mädchen sind daher sehr erfinderisch, um sich vor den Nachstellungen der Polizei zu sichern. Auf den Straßen gehen sie nicht selten mit einem Korb am Arm oder einem Topf in der Hand auf ihr Gewerbe aus, um stets die Ausrede zur Hand zu haben, sie wären beim Einkauf begriffen. Wenn sie bei einer berüchtigten Kupplerin ihre Wohnung haben, von der sie wissen, daß die Polizei derselben niemals die Aufnahme junger Mädchen gestatten wird, so werden sie auf dem Papier bei irgend einer anderen, äußerlich noch unbescholtenen Frau wohnend angemeldet. Recherchirt die Polizei dort und wird natürlich das Mädchen nicht angetroffen, so heißt es, sie sei für den Augenblick ausgegangen. Ebenso werden die Dirnen bei der Polizeibehörde alsbald bei dieser, bald bei jener mit der Kupplerin vertrauten Familie im Dienst stehend angemeldet. Es werden für dieses scheinbare Dienstverhältniß alle möglichen Formalitäten beobachtet, namentlich wird ein ordentlicher Comptoirschein gelöst, und es stellt die Pseudo-Herrschaft auch dem Pseudo-Dienstmädchen ordentliche Aufführungs- und Entlassungsscheine aus.

Zur zweiten Klasse der gewerbsmäßig Prostitution treibenden Frauenzimmer gehören die sogenannten Tanzdirnen, d.h. solche Frauenspersonen, die ihr obscönes Gewerbe meistens in den größten Tanzlocalen treiben.

Mag ein öffentliches Local in Berlin noch so elegant ausgestattet sein, mag es noch so sehr allen Wünschen und Anforderungen entsprechen, mag der Besitzer desselben alle möglichen Anstrengungen machen, sich ein exquisites und gutes Publikum zu sichern, es ist alles vergebens, denn der anständige Berliner besucht im Kreise seiner Familie ein derartiges Local höchstens im Anfange seines Bestehens einmal aus Neugierde, und ist diese befriedigt, so kümmert er sich nicht weiter um solches, die Frequentirung desselben den jugendlichen Schwärmern, Abenteurern und den prostituirten Frauenzimmern überlassend. Alle großen Locale in Berlin sind zuletzt immer eine Beute der Prostitution geworden und haben diesem gemeinsamen, in dem Nationalcharakter der Berliner beruhenden Schicksale unterliegen müssen.

Der Besuch dieser Locale ist gewiß für den Lebemann und für Denjenigen, der die Menschen in den verschiedenartigsten Situationen kennen zu[395] lernen sucht, ein höchst genußreicher, und für den Fremden, der eine genaue Einsicht in die Berliner socialen Verhältnisse gewinnen will, sogar ein unentbehrlicher, aber er ist auch namentlich für junge vergnügungssüchtige Leute ein höchst gefährlicher.

Wenn ein junger Mann von lebhafter Phantasie in diese eleganten, feenhaft geschmückten Räume tritt, wo Tausende von Flammen ein Lichtmeer verbreiten und das Rauschen der Fontainen und Wasserkünste sich mischt mit den lustigen Fanfaren, die von den Zinnen der Säle herabschmettern und zum wirbelnden Tanze fortreißen, wenn er die Schaar blühender junger Mädchen erblickt, welche bunt unter die Gäste gemischt sind, deren von Tanz oder der Aufregung des Augenblickes gerötheten Wangen Unverdorbenheit und Frische zu documentiren scheinen, und die unter der Wirkung und dem Einflusse berauschender Getränke ihren Verehrern heiter und fröhlich entgegenlachen, wenn er die große Auswahl der trefflichsten Speisen und Getränke sieht, die zu lucullischem Genusse einladen, dann gehört wahrlich einestheils schon eine ziemliche Lebenskenntniß und Erfahrung dazu, um die giftige Schlange unter den Rosen der Lust zu erkennen, als auch anderntheils ein fester moralischer Halt erforderlich ist, um diesen Verführungen zu widerstehen. Schon mancher junge Mann hat daher in diesen Localen den Grundstein zu seinem und seiner Familie Verderben gelegt, und Manchem sind dieselben ein Fluch und eine Quelle nie versiegender Gewissensbisse für sein ganzes Leben geworden.

Mit ganz anderen Augen sieht jedoch der mit den Berliner Verhältnissen genauer Vertraute in das ihn umgebende fröhliche Gedränge und Gejubel hinein. Er sieht meistens nicht das scheinbare Roth der Gesundheit und die alabasterne Weiße des Busens, denn er hat diese Frauenspersonen oft schon bei Tage gesehen und in den abgehärmten und traurigen Gesichtern mit Staunen die blühenden Gestalten des Abends nur schwer wiedererkannt, er weiß jetzt, daß er in diesen Etablissements meist nur ein Gemälde sieht, hervorgebracht durch rothe und weiße Schminke, Puder und andere Toilettenkünste. Er weiß, ein wie großes Contingent diese Tanzlokale zu der syphilitischen Abtheilung der Charité liefern, und die schrecklichen, lebensvergiftenden Folgen einer solchen Krankheit sind ihn an manchem traurigen Beispiele nur allzu bekannt geworden.

Das Auge des Kenners sieht in den glänzenden, reichen Toiletten nur zu theueren Preisen geliehene Kleidungsstücke, und unter der Fröhlichkeit[396] und Heiterkeit vieler Mädchen sich nur das heiße Verlangen verbergen, daß sich ein Herr für sie finden möge, der sie in den Stand setzt, ihre für diesen Abend geliehene Kleider bezahlen zu können.

Man darf sich also nicht wundern, wenn die Besucherinnen der genannten Locale sich gern einer wilden Exaltation, der tollsten Ausgelassenheit, dem wildesten Tanze und dem feurigsten Trunke hingeben. Die Armen klammern sich an den Genuß des Augenblickes, um ihre gesellschaftliche Stellung und ihr ganzes großes Elend wenigstens für diesen einzigen Augenblick zu vergessen und die Stimme ihres Gewissens zu übertäuben.

Alle diese feineren Dirnen frequentiren meist sogenannte Absteigequartiere. Die »Prostitution in Berlin und ihre Opfer« giebt uns eine sehr ausführliche Schilderung dieser Orte und sagt darüber Folgendes:

Es giebt in Berlin eine Menge von Weibern, bei denen sich zu gewissen Stunden des Tages junge Frauenzimmer einfinden, um hier mit Männern, welche ihnen zugeführt werden, heimliche Zusammenkünfte zu halten. Da diese Männer stets den höheren Ständen angehören und sie in der Wohnung der Kupplerin außer dem eigentlichen physischen Genusse der Liebe auch meistens eine freie und ungezwungene Unterhaltung und gesellschaftliche Vergnügungen suchen, so müssen die hier in Rede stehenden Weiber stets eine gewisse gesellschaftliche Tournüre und wenigstens einen äußeren Anstrich von Bildung besitzen. Sie laufen bei ihrem Geschäft zwar sehr große Gefahr, weil auf den Betrieb desselben eine hohe Zuchthausstrafe steht, und weil sie der Entdeckung sehr leicht ausgesetzt sind, dennoch finden sich wegen der Einträglichkeit desselben immer nur zu viele Personen, selbst Frauen von gutem Herkommen, zu solchem bereit.

Namentlich die Zahl der kleineren Absteigequartiere ist in Berlin sehr bedeutend; von größeren und überhaupt solchen, die sich einen gewissen Ruhm erworben haben, giebt es aber gewöhnlich nur 6 bis 7. Den Polizeibeamten sind diese feinen Absteigequartiere ebenso wie den Männern der besseren Stände hinreichend bekannt, aber einerseits fehlt es ihnen gewöhnlich an dem zu einem erfolgreichen Einschreiten erforderlichen juristischen Beweise gegen die Kupplerin, andererseits übt man auch wohl zuweilen schonende Rücksichten aus.

Gewöhnlich suchen die Inhaberinnen dieser Absteigequartiere ihre Ansprüche an die bei ihnen verkehrenden Mädchen so hoch als möglich zu schrauben. Nicht selten suchen sie sich auch zu Mitwisserinnen von Familiengeheimnissen zu machen und in solcher Weise Nutzen zu ziehen.[397] Einige haben auch ein förmliches Geschäft daraus gemacht, verheirathete Männer höheren Standes an sich zu locken und denselben dann durch die Drohung, sie würden den Ehefrauen alles entdecken, bedeutende Summen abzupressen. Anderen dieser Weiber kann man aber auch eine gewisse Discretion und Zartheit nicht absprechen.

In den Mitteln, ihr Treiben zu verbergen, sind diese Weiber gewöhnlich sehr erfinderisch; bald nehmen sie den Schein von Putzmacherinnen an, und die Mädchen verkehren dann bei ihnen als Gehülfinnen und Freundinnen; bald spielen sie die Rolle von Wäscherinnen, bei denen viele Leute behufs der Versorgung von Waschangelegenheiten verkehren, bald vermiethen sie meublirte Stuben und dergleichen.

Die Frauenzimmer, welche in den Absteigequartieren verkehren, gehören gewöhnlich den besseren Kreisen der prostituirten Dirnen an. Viele von ihnen suchen in ihrer Umgebung den Schein anständiger Frauen zu bewahren, was ihnen nicht selten auch in dem Grade gelingt, daß Niemand in ihnen ihren Stand vermuthet. Ja es kommt nicht selten vor, daß junge Mädchen der anständigsten und besten Familien, ohne daß ihre Angehörigen nur die entfernteste Ahnung davon haben, Absteigequartiere besuchen, sei es lediglich um ihrer Sinnlichkeit zu fröhnen, oder um sich außerordentliche Geldmittel zur Befriedigung ihrer Wünsche und Bedürfnisse zu verschaffen. Namentlich verkehren viele junge Frauen in derartigen Absteigequartieren, welche entweder zerrüttete Vermögensverhältnisse, Neigung zur Verschwendung und Putzsucht, Sinnlichkeit oder unglückliche Verhältnisse oder auch Verführungskünste dorthin trieben.

Vorzugsweise findet man hier junge Offiziere und ältere Beamte, die nicht selten im Kreise ihrer Freunde Gastmale und Orgien feiern, deren Veranstaltung sie in ihrer Behausung nicht wagen dürfen. Derartige Gastmahle sind natürlich für die Kupplerin, da solcher die ganze Besorgung überlassen werden muß, höchst einträglich.

Zur Verbreitung der syphilitischen Krankheiten tragen diese Absteigequartiere gewöhnlich nicht bei, da es das eigene Interesse der Kupplerin auf das Strengste erheischt, die Gesundheit der bei ihnen verkehrenden Frauenzimmer zu überwachen. Das Princip der Polizeibehörde, derartige Institute nur dann aufzuheben, wenn durch sie ein öffentliches Aergerniß bereitet wird, ist daher auch ein durchaus richtiges und praktisches.

Wir gehen nun zur gelegentlichen Prostitution über, und finden[398] in Berlin eine große Anzahl von Frauenzimmern der verschiedensten Stände, die, ohne gerade bis zur erwerbsmäßigen Preisgebung ihrer Körper herabgesunken zu sein, es dennoch nicht verschmähen, sich, sobald sich die Gelegenheit dazu bietet, für Geld oder angemessene Geschenke einem Manne zu überlassen.

Die sogenannten galanten Frauen sind meistens gebildet, oft den höchsten Ständen angehörige Damen, welche sich nicht selten in ganz behaglichen Umständen befinden, es aber dennoch nicht verschmähen, zur Hebung ihrer Verhältnisse gelegentlich einem oder mehreren Liebhabern ihre Gunst zu gewähren und die in ihre Netze Gefallenen nach besten Kräften auszubeuten.

Am gefährlichsten und raffinirtesten sind unter ihnen die Wittwen. Hauptsächlich treiben die galanten Frauen ihr Wesen in Badeörtern und man findet dieselben daher auch in allen hervorragenden Bädern anwesend. In ihrer Umgebung befinden sich nicht selten erborgte Tanten, Mütter oder Kinder, da sie überall den äußeren Anstand mit Aengstlichkeit zu wahren suchen und sich in die höchsten Kreise einzuschleichen wissen, wozu sie solcher Begleitungen bedürfen.

Die Syphilis bildet auch in diesen Kreisen das Gefolge der Prostitution, und ist hier um so gefährlicher, als derartige Damen, wenn sie einmal angesteckt sind, sich keinem Arzte anzuvertrauen wagen, sondern das Uebel einwurzeln und veralten lassen. In solcher Weise sind schon Männer von Damen angesteckt worden, von denen sie es wahrlich nicht erwarten durften.

Zu den Frauenzimmern, welche gelegentliche Prostitution treiben, sind auch die Bier- und Schänkmamsells zu rechnen, deren es in Berlin eine große Menge giebt; ferner ein großer Theil der in Fabriken arbeitenden Mädchen und vor Allem die Mehrzahl der Dienstmädchen.

Auch die hausirenden Mädchen, welche einen Handel mit Blumen, Obst, Pöklingen, Schwefelhölzern, Parfümerieen und dergleichen Gegenständen betreiben, sind zu den gelegentlichen Prostituirten zu rechnen, denn sie bieten, indem sie in den Häusern umherlaufen, häufig nicht nur ihre Waaren, sondern auch sich selbst feil.

Am gewöhnlichsten tritt diese Erscheinung bei den Mädchen hervor, welche mit Schwefelhölzern handeln, und giebt es unter diesen selbst Kinder von 12 bis 14 Jahren, welche bereits der Prostitution verfallen sind und[399] die sehr oft, da ihre körperliche Unreife den eigentlichen Dienst nicht zuläßt, sich zu anderweitigen Ausschweifungen hergeben. Diese unerwachsenen Mädchen werden nicht selten von ihren Eltern mit Gewalt zur Prostitution angehalten, und mit den ärgsten Mißhandlungen belegt, wenn sie nicht an jedem Abende eine bestimmte Summe Geldes nach Hause bringen. Dies mag auch die Ursache sein, daß in den Krankenanstalten zuweilen zehn- bis zwölfjährige Mädchen sich befinden, welche unzweifelhaft in Folge directer Infection syphilitisch erkrankt sind.

In Wien wurden schon Anfangs des 13. Jahrhunderts »Frauenhäuser« errichtet, und wird in dem Stadtrechte Rudolphs von Habsburg vom 9. März 1296 der »Hübschlerinnen« Erwähnung gethan, die Niemand ungestraft beleidigen durfte. Im 15. Jahrhunderte mußten die »freien Töchter« an der Achsel ein gelbes Tüchlein tragen und wurden bei feierlichen Einzügen officiell zur Austheilung von Blumensträußen benutzt. Ehemänner, die in einem Frauenhause betroffen wurden, mußten bis zur Regierung Ferdinands I., unter welchem die öffentlichen Häuser geschlossen wurden, eine bedeutende Geldstrafe entrichten. Am 24. Februar 1583 stiftete Herzog Albrecht in der Singerstraße ein Kloster der Büßerinnen zur Rehabilitirung gefallener Mädchen, doch wurde dieses bereits 1501 wegen des unzüchtigen Wandels seiner Bewohnerinnen wieder aufgehoben. Unter Maria Theresia wurde eine eigene Keuschheitscommission in Wien errichtet, die ihre Spione überall hatte und oft sogar des Nachts in die Häuser eindrang, um die Schuldigen in flagranti zu ertappen. Nachdem dieselbe das größte Aergerniß erregt, artete sie schließlich in eine reine Beutelschneiderei aus, indem sich Jeder gegen eine hohe Summe von der Bestrafung loskaufen konnte. Die Zahl der Freudenmädchen betrug in dieser Zeit 15,000. Kaiser Joseph beseitigte diese Comission wieder, ließ aber die strengen Strafbestimmungen gegen die Prostituirten in Kraft bestehen. Unter den folgenden Regenten nahm die Prostitution immer mehr zu, und gegenwärtig hat dieselbe hier einen überaus hohen Grad erreicht.

Der Mangel einer Regelung der Prostitution in Wien wird von Allen tief empfunden und herrscht über die Nothwendigkeit derselben sowohl in der Presse, als unter den Aerzten nur eine Stimme.

Die geheimen Bordelle, die Kuppelei, die Syphilis und in Folge dessen die öffentliche Sittenlosigkeit haben in dieser Stadt in den letzten Jahren bedeutend zugenommen, und mehr und mehr tritt die Nothwendigkeit[400] einer durchgreifenden Regelung der Prostitution an den Tag, welche auf das Eifrigste von dem intelligenten Theil der Bevölkerung angestrebt wird.

In Prag liegt, gerade wie in allen übrigen österreichischen Städten, die Regelung der Prostitution noch sehr im Argen, und bestehen hier ganz dieselben Verhältnisse wie in Wien.

Die Münchener Prostitutions-Verhältnisse sind ebenfalls den Wienern analog und unterscheiden sich von diesen nur dadurch, daß sie in Einklang stehen mit der Größe und Einwohnerzahl Münchens.

Eine besondere Ausdehnung hat die Prostitution in Magdeburg erreicht. Privilegirte Bordelle existiren in dieser Stadt nicht, indessen sind doch viele Häuser daselbst bekannt, die der Prostitution notorisch dienen. Die Zahl der prostituirten Frauenzimmer, welche der Polzeibehörde als solche bekannt sind, beträgt circa 2000. Den allernachtheiligsten Einfluß, insbesondere auf die männliche Jugend, üben die in zahlreichen Schanklokalen sich aufhaltende prostituirten Kellnerinnen aus, die trotz vieler von der Polizei gemachten Anstrengung zu ihrer Verminderung, immer noch zunehmen. Bekannt ist es, daß von Magdeburg aus ein lebhafter Handel, besonders nach den Hamburger Bordellen, von Seiten der Kuppler betrieben wird, die sich ihre Opfer aus den vielen in der Stadt Dienst suchenden Mägden auswählen. Venerische Erkrankungen kommen im Jahre nach Schätzung Sachverständiger über 7000 vor, von denen über 500 im städtischen Krankenhause behandelt werden.

Stett in zeigt eine besonders große Zunahme der Prostituirten, von denen gegenwärtig einige Hundert unter ärztlicher Controle stehen. Außer diesen werden noch gegen 1000, als der Prostitution dringend verdächtig, von der Polizei beaufsichtigt.

In Breslau existiren eben 1000 der Polizei bekannte öffentliche Dirnen. Zahlreiche Hôtels garni, Schänkwirthschaften mit Chambres separées, sowie prostituirte Kellnerinnen, Harfenmädchen, Couplet- Sängerinnen u.s.w. leisten auch hier der Prostitution einen bedeutenden Vorschub und fördern die allgemeine Unsittlichkeit in bedauernswerther Weise.

In den Hafenstädten Danzig und Königsberg nehmen in gleichem Verhältniß mit der Prostitution die geschlechtliche Krankheiten zu, zu deren Ausbreitung hauptsächlich der lebhafte Seemannsverkehr und die Garnison beitragen. In Danzig unterstehen über 800 Prostituirte der sanitätspolizeilichen Controle, und in Königsberg ist die gleiche Zahl polizeilich[401] inscribirt. Von den Geburten waren in den letzten Jahren 25 Procent uneheliche.

In Köln hat die Sittenlosigkeit, trotz der polizeilichen Maßregeln zugenommen. Unter polizeilicher Controle stehen hierselbst 200 Frauenzimmer und gegen 600 sind der Behörde als gewerbsmäßige Prostituirte bekannt. Ein Hauptgrund der Unsittlichkeit liegt in den für die Rheinprovinz gültigen Bestimmungen des Code Napoleon, der den Geschwängerten keinen gesetzlichen Schuß, noch Ansprüche auf Entschädigung bietet.

In Frankfurt am Main sind die Bordelle aufgehoben worden, wodurch die Kuppelei sich bedeutend vermehrt hat. Der Behörde sind hier nur 130 Prostituirte bekannt. Während des Sommers halten sich in den in der Nähe Frankfurts gelegenen Bädern Wiesbaden, Hamburg und Nauheim besonders viel prostituirte Frauenzimmer, meist Französinnen und Wienerinnen auf, die nach Schluß der Saison den Winter über meist in Frankfurt ihren Aufenthalt nehmen.

In Dresden und Leipzig haben die Prostitutionsverhältnisse mit dem wachsenden Verkehr und Fremdenbesuch ebenfalls eine Steigerung erfahren, namentlich zeigt sich dieses in letzterer Stadt während der Meßzeit.

In Leipzig bestehen 52 Bordelle, die sich hauptsächlich in der Pleißengasse, dem Kupfergäßchen, der Ulrichsgasse, der kleinen Fleischergasse, dem Spreegäßchen, am Neukirchhof, am Fleischerplatz etc. befinden. Die Zahl der Bordelldirnen beträgt gegen 300 und sind diese selten aus Leipzig, sondern stammen meist aus Berlin, Altenburg, Braunschweig, Böhmen, Oesterreich und Hannover. Allein wohnende Prostituirte sind gegen 400 inscribirt und die Anzahl der sich heimlich preisgebenden Frauenspersonen beträgt ca. 3000.

In London ist die Prostitution nicht privilegirt, und demgemäß sind Bordelle dort nicht gestattet, aber nirgends äußert sich der Charakter der Prostitution bestialischer und scheußlicher und in keiner anderen Stadt findet man dieselbe massenhafter und verworfener, als in jener Weltstadt. Dieser schauderhafte Zustand der Londoner Sitten beruht nicht allein auf der unersättlichen Begierde der Engländer nach Befriedigung sinnlicher Lüste, auch nicht auf der Größe und dem Weltverkehr Londons, sondern hauptsächlich auf der durch die Gesetzte vorgeschriebenen Unverletzlichkeit des Hausrechtes, wodurch der Prostitution unantastbare Asyle geschaffen werden. Die[402] englische Regierung verhält sich den stets an Zahl wachsenden und immer kühner werdenden Prostituirten gegenüber beinahe gänzlich passiv, obgleich die öffentliche Moral unter diesem Zustand immer mehr in Verfall geräth, der Gesundheitszustand Londons auf's Aeußerste bedroht wird und die Syphilis bereits auf das Stärkste in der Landarmee sowohl, wie in der Marine wüthet. Kommen doch nach den Erfahrungen Dr. Acton's unter der Garnison Londons auf 1000 Mann 181 Syphilitische, bei der königlichen Marine auf 7 Gesunde 1 und bei der Handelsflotte 3 syphilitisch Erkrankte. Ebenso ist der vierte Theil aller sich zur Recrutirung Stellender mit venerischen Krankheiten behaftet.

Unglaublich ist die Ausbreitung der Syphis in den Londoner Fabrikbezirken. In den Jahren von 1857 bis 1865 wurden daselbst allein 2700 syphilitische Mädchen im Alter von 10 bis 14 Jahren behandelt. Nach Dr. Ryan findet man in den Londoner Spitälern eine große Anzahl durch und durch syphilitischer Knaben und nach Dr. Acton sterben in London 8000 jährlich an der Syphilis.

Die Anzahl derjenigen Frauenspersonen, die in der Prostitution ihren Haupterwerb suchen, schätzen kundige Schriftsteller auf 80 bis 90,000, und nach M. Chadwick, Mr. Mayne und Dr. Talbot enthält die englische Metropole über 3300 meist geheime und von der Behörde nicht beaufsichtigte Prostitutionslocale nebst etwa 5000 Branntweinläden, Kneipen Rauchlocalen u.s.w., in denen 2 bis 8 Lustmädchen gehalten werden. Namentlich befinden sich an der Themse große Salons, in denen über 500 Dirnen in Reihen neben einander sitzen, um von Seeleuten und anderen Gästen zur Befriedigung ihrer Begierden in die Nebencabinete geführt zu werden. Außer diesen Localen giebt es noch eine Menge Etablissements, in denen sich Abends die Geldaristokratie und oft an 200 reichgeputzte Freudenmädchen versammeln, um hier zügellose Orgien zu feiern.

Der Londoner Polizei sind nur 1352 Bordelle, 516 Wirthschaften mit Prostitutionscharakter und etwa 10,000 Prostituirte bekann. Man kann in London nach den Angaben gut unterrichtete Autoren bei der Mittelklasse auf 7 Frauenspersonen 1, und bei der untersten Volksklasse auf drei eine Prostituirte rechnen.

Die Besitzer dieser Locale bieten Namensverzeichnisse ihrer Mädchen nebst ihrer Photographie und Aufzählung ihrer körperlichen Reize öffentlich feil, und eine solche »list of ladis« wird so begierig gekauft; daß[403] eine Auflage von 12 bis 14,000 Exemplaren in wenigen Tagen vergriffen ist.

Mehr als ein Drittheil der Londoner Prostituirten befindet sich in dem Alter von 10 bis 26 Jahren und es existiren nach Dr. Hügel sogar Bordelle, sowohl weibliche als männliche, in denen Knaben und Mädchen nur unter 14 Jahren gehalten werden.

In Lyon wurde die sanitätspolizeiliche Ueberwachung 1867 reorganisirt und dieselbe zerfällt jetzt in drei Abtheilungen, nämlich: den activen oder Ueberwachungsdienst (geleitet von einem Sicherheitscommissar unter Mitwirkung eines Inspectors des Sittenbureaux, einem Secretair und 6 Agenten), den ärztlichen Dienst (dem ein Chefarzt und 6 Aerzte vorstehen) und den administrativen oder Controldienst (von dem Generalsecretair der Polizei selbst geleitet). Gegenwärtig zählt man in Lyon über 50 Bordelle mit gegen 400 Dirnen, sowie beinahe 700 für sich wohnende polizeiliche Inscribirte. An Syphilis werden jährlich gegen 500 Personen behandelt. Die ersten Spuren dieser Krankheit zeigten sich hier nach dem Durchmarsch Karls VIII. im Jahre 1496.

In Bordeaux befanden sich ebenfalls eine Anzahl Bordelle mit über 70 öffentlichen Mädchen und gegen 600 einzeln wohnenden Prostituirten. –

In Nantes existiren über 30 Bordelle mit etwa 250 Mädchen und ebenso viele öffentlichen, alleinwohnenden prostituirten Frauenspersonen.

In Straßburg bestanden 1455 bereits 100 königlich privilegirte Bordelle, und 1485 ließen sich die Prostituirten in dem Thurm der Kathedrale und in den Abtheilungen mehrerer Kirchen nieder, woher man sie »Münster-Schwalben« nannte; 1521 sowie 1540 wurden dieselben von der Munizipalbehörde aus der Stadt vertrieben, und am 29. Januar 1564 erschien sogar eine Verordnung, nach welcher rückfällige Prostituirte durch den Henker ausgepeitscht und ihnen die Nase abgeschnitten werden sollte.

Brüssel besitzt ein ausgezeichnetes Prostitutions-Reglement vom 24. März 1844. Hiernach existiren neben den Bordellen noch eine bedeutende Anzahl von Bestellhäusern. Die Ersteren zerfallen in drei Klassen, deren Besitzer je nach dieser Classification und nach der Anzahl der von ihm unterhaltenen Mädchen eine Steuer zu entrichten hat. Die Inhaber der Bestellhäuser sind ebenfalls in 3 Klassen eingetheilt, deren erste 25 Frcs., die zweite 15 Frcs. und die dritte 5 Francs zu zahlen hat. Der Ertrag[404] dieser Steuern ist dazu bestimmt, die Kosten der sanitären Maßregeln für die Prostitution zu decken. Man zählt in Brüssel über 40 Bordelle und gegen 30 Bestellhäuser, über 200 Bordellmädchen, sowie gegen 700 für sich wohnende Prostituirte. Syphilitische Erkrankungen kom men jährlich durchschnittlich über 300 vor.

In Petersburg, wo, wie überhaupt in Rußland, der außereheliche Genuß einer wilden Liebe gesetzlich gestattet ist, gab es 1858 über 170 Bordelle mit 770 Dirnen, sowie über 1100 für sich wohnende Prostituirte. Außer diesen, der Polizei bekannten Bordellen giebt es in Petersburg eine Menge controlirter geheimer Prostitutionslocale, die unter dem Aushängeschild von Modemagazinen im Innern wirkliche Bordelle darstellen.

Ebenso giebt es noch einige sehr geheim gehaltene Freudenhäuser, die sich nur Personen aus den höchsten Ständen öffnen. Hier werden eigene Privatärzte zur Untersuchung der Mädchen gehalten. In den Spitälern wurden im Durchschnitt 1000 Syphilitische jährlich behandelt.

Die Anzahl der Winkeldirnen ist auch hier groß, und werden dieselben, so lange sie keinen Anstoß erregen, von der Polizei unbehelligt gelassen. Die meisten von ihnen sind Finnländerinnen oder Französinnen, auch befinden sich viele aus Memel unter ihnen.

Die höheren Klassen unterhalten hier gewöhnlich Maitressen, doch gelangen diese niemals zu dem Einfluß, durch welchen sich diese Halbweltsdamen in anderen Hauptstädten so interessant zu machen wissen. Sie sind meist aus den niedrigsten Klassen, und bei sehr beschränkten Fähigkeiten sind ihre Ansprüche dennoch sehr groß. Ohne Grazie, ohne die Kunst zu gefallen und von allen höheren Reizen entblößt, machen sie ungeheure Ansprüche, die ihnen auch wegen des Mangels an Mitbewerberinnen gern zugestanden werden. Ein Mädchen, welches ihrem Liebhaber hier tausend und mehr Rubel kostet, würde in Paris sicherlich nicht einmal dem Geschmack eines Proletariers entsprechen.[405]

Quelle:
Das Buch der Liebe. [Erste Abtheilung.] Dritte Abtheilung. In: Das Buch der Liebe. [Erste Abtheilung] S. 11–144; Dritte Abtheilung S. 1–208. – Dresden (1876), S. 386-406.
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