Liebe und Universum

[221] Wenn die Nacht mit begeisternder Herrlichkeit emporsteigt und sie den Schleier von Sonnenstrahlen hinwegzieht am Firmamente; wenn wunderbar aus ewigen Fernen, aus den Tiefen des Weltenalls Tausende neue Sonnen, neue Erden schimmern: dann erhebt sich unser entzückter Blick nicht zur stillen Pracht der Gestirne, ohne Seiner Hoheit, Größe und Macht zu gedenken, Seiner, in dessen Lichte unermeßliche Welten wie geringe Sonnenstäubchen spielen und dessen Schöpfungen keine Schranken kennen.

Jene Gestirne predigen Seine Majestät herrlicher, als es der Geist eines Sterblichen vermag. Jene Gestirne, die aus dem ewigen All uns anstrahlen, sind heilige Offenbarungen von oben her, sind Propheten der Ewigkeit, die uns anrufen, sind Weissagungen von dem unbekannten Jenseits, das unserer wartet.

Vielleicht haben wir schon, unbewußt, den Blick in das Geheimniß der Ewigkeit geworfen. Vielleicht sehen wir schon Strahlen einer Welt – dereinst unsrer Welt – in der verklärt und veredelt die Geister unserer Geliebten mit überirdischem Entzücken wallen. Sehnen sie sich nach dieser Erde zurück? Vielleicht erkennen sie dieselbe kaum noch als kleinen Punkt unter den Sternen, wissen nicht, daß dieser Punkt einen kurzen Traum lang ihr Wohnort war, – wissen nicht, daß noch auf diesem Punkte ein liebendes Herz wohnt, welches sie vergebens ruft!

Wohl mag die Indolenz ein Lächeln haben für den Glauben, welcher sich nach oben richtet und seine Hoffnungen von der Erde reißt, um sie »über die Sterne« zu lenken, aber ein ernstes und sinniges Gemüth mag und kann sich den Ahnungen nicht entziehen, welche beim[221] Glanze des Fimramentes der Seele entsteigen und nach einer Heimath streben, welche außerhalb der Grenzen des Zeitlichen und Räumlichen liegt.

Die griechische Götterlehre erzählt uns eine tiefernste Sage: Prometheus stieg hinauf zu dem Sitze der Götter, entwendete ihnen einen Funken des himmlischen Feuers und brachte die belebende und alle Finsterniß verscheuchende Flamme den Bewohnern der Erde.

Die Götter bestraften diese verwegene That. Angeschmiedet an einen Felsen des Kaukasus, wurde er ein Raub der furchtbarsten Schmerzen, denn ein Adler mußte ihm die beständig nachwachsende Leber immer wieder von Neuem aushacken.

Diese Sage birgt einen tiefen Sinn. Es hat zu allen Zeiten solche Prometheusnaturen gegeben, welche von einem inneren Drange nach Erkenntniß getrieben wurden, die kühne Hand nach dem Lichte der Wissenschaft auszustrecken, um die Räthsel des Seins zu beleuchten und zu ergründen. Aber mit jedem Schritte, den sie vorwärts thaten, wuchs der Zweifel und der Durst nach neuem und größerem Wissen; von den Finsterlingen mit dem Anathema belegt, sahen sie sich von dem Spötter verlacht, von dem unverständigen Haufen verketzert und mußten in ewiger Kerkerhaft oder gar auf dem Scheiterhaufen ihr Heldenthum büßen.

Doch ist der göttliche Funke, einmal in Brand gesteckt, nimmer wieder auszulöschen; mag der Denker unter dem Bannfluche seufzen und zum Märtyrer seiner Ueberzeugung werden, so ist es doch unmöglich, die Errungenschaften seines Geistes mit dem Interdicte zu belegen, und die Idee, die ihn erleuchtete, lebt fort und geht auf andere Geister über, um unter Sturm und Drang immer weiter entwickelt und ausgebildet zu werden. Jetzt sind jene Zeiten vorüber, die Fesseln gefallen und die Scheiterhaufen verkohlt, und unbesorgt dürfen wir uns in die Schöpfungen der Männer versenken, welche nach dem Glanze der Wahrheit strebten und Antwort suchten auf die Frage nach Ursprung, Wesen und Zusammenhang des Bestehenden.

Diese Frage, obwohl zunächst an irdische Verhältnisse gerichtet, hebt unfehlbar doch zuletzt den Blick empor zum Himmel und lenkt das forschende Auge auf die hellen Punkte, von denen jeder eine Welt bedeutet. Im Glanze der Sterne nur entfaltet die Wunderblume der Erkenntniß ihre Blüthen, und mit Recht mahnt der Dichter die nach Licht und Klarheit Strebenden:[222]


»Schwingt euch hinauf zu jenen Fernen,

Zum großen Weltenocean,

Les't in den Sonnen, in den Sternen:

Sie zeigen euch des Ew'gen Bahn!«


Müssen wir den Mann bewundern, dessen scharfe Beobachtung hinunterdringt in die Tiefen der Erde, um den Schleier zu lüften, welcher über die Geheimnisse der Unterwelt gezogen ist, so erscheint uns erstaunlicher noch die Sicherheit, mit welcher die Berechnung des Himmelskundigen die Millionen rollender Welten erfaßt, jede Minute ihres Laufes zählt und das Dasein von Körpern beweist, welche erst die Nachwelt mit dem Rohre erreicht. Der Glanz der Sterne legt seine Strahlenaureole um das Haupt des Forschers; ein magisch Schimmern hängt sich um sein Thun, und wie sein Himmel hoch ist über der Erde, so blickt auch zu ihm selbst der Laie nur nach oben.

Mögen Andere stolz sich Herren der Erde nennen, ihm ist sie zu eng und klein, das All will er durchdringen und beherrschen, erobert eine Welt nach der an dern und – bringt sie der Menschheit zum Geschenke. Die Sphären, welche durch die Räume sausen, müssen ihm Rede stehen, von ihm ihr Bild sich rauben lassen und ihren Wandel seinem Aug' enthüllen. Was der stärksten körperlichen Kraft unmöglich ist, er vollbringt es, und in ihm zeigt die Macht des Geistes sich in ihrem höchsten irdischen Glanze.

Darum ist es kein Wunder, daß man seit grauer Zeit bis zum Ausgange des Mittelalters den Astronomen die Kunst beimaß, aus der Stellung und dem Laufe der Gestirne die Zukunft zu ergründen. Es liegt ein geheimnißvoller und unwiderstehlicher Reiz in der geistigen Erforschung dessen, was der Betrachtung durch das leibliche Auge sich entzieht, und so kam es, daß die Brillanten des Himmels mit ihrem magischen und zauberhaft flimmernden Lichte die Aufmerksamkeit schon der ältesten Völker auf sich zogen.

Die Bewegungen der Sonne und des Mondes mußte dem Menschen am Ersten auffallen, und das Resultat seiner Beobachtung war die Eintheilung der Zeit in Jahre, Monate und Tage. Da der Stand seiner Kenntnisse kein hoher war und ihm auch die nothwendigen Instrumente noch fehlten, so war seine Anschauung vom Weltenbau eine irrthümliche und konnte erst später mit der Erstarkung der Wissenschaft und der[223] Erfindung und Vervollkommnung der astronomischen Werkzeuge nach und nach berichtigt werden. Den noch aber hatte man, besonders in Asien, schon in der ältesten Sagenzeit Kenntnisse von genauen Messungen und Berechnungen, welche unsere Bewunderung erregen.

Die astronomischen Nachrichten der Indier reichen bis 3102, der Chinesen bis 2449, der Chaldäer und Babylonier bis 2167 Jahre vor Christi Geburt zurück, und die Egypter hatten schon 1600 vor Christo richtige Beobachtungen von Finsternissen. Die großartigsten Erfolge freilich hat erst die neuere Zeit aufzuweisen, welcher es gelang, die Wissenschaft von den Beimischungen des Aberglaubens zu befreien und das wahrheitstreue und überwältigende Bild zu entwerfen, welches die Gegenwart von dem unendlichen Dome des Himmels besitzt. Es ist ja das Gesetz aller irdischen Entwickelung, daß der Weg zur Wahrheit durch den Irrthum geht und nur aus der Finsterniß zum Lichte führt.

Die alte Tradition, welche den winzigen Erdball zum Hauptbeziehungspunkte alles Erschaffenen macht, sodaß Josua rufen durfte: »Sonne, stehe still zu Gibeon und Mond im Thale Ajalon!« hat der Ueberzeugung weichen müssen, daß der »Staubgeborene« nicht das Recht habe, sich die höchste Daseinsform zu nennen und daß die Erde nichts Anderes für ihn sei als nur eine der Stufen, auf welchen er zur Voll kommenheit emporschreitet. Diese Ueberzeugung demüthigt die Vermessenheit, welche sich dünkt, Gott gleich zu sein, und ermuntert den Menschen, zu trachten nach dem, »das droben ist«, nach dem »Reiche Gottes«, welches weder Confession noch Dogma, sondern nur das eine, große, allmächtige Gesetz der Liebe kennt, welches Alles erfüllt und Alles bewegt, »soweit der Himmel reicht«.

Jeder leuchtende Punkt am Firmamente ist eine Provinz dieses unendlichen Reiches, vielleicht von lebenden Wesen bevölkert, welche dasselbe Recht besitzen, wie wir, Kinder eines Vaters zu sein, und nichts Anderes will Christus, der viel Verkannte und Mißverstandene sagen, wenn er spricht: »In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen!«

Die Wohnung des Menschengeschlechtes, Erde genannt, welche sich mit einer Geschwindigkeit von 225 Meilen in der Stunde um sich selbst bewegt, mit einer Eile von 14,400 Meilen in der Stunde um die Sonne kreist und mit dieser in noch größerer Schnelligkeit um weitere Centralsonnen wirbelt, ist eine an den beiden Polen abgeplattete Kugel von 1,719 Meilen Durchmesser, 5,400 Meilen Umfang, 9,288,000 Quadratmeilen[224] Flächeninhalt und wiegt ungefähr 140,000,000,000,000,000,000,000,000,000 Centner oder nahezu 14 Quadrillionen Pfund, eine Größe, für welche die gewöhnlichen Verhältnisse keinen Maaßstab leihen.

Um diese Erde, deren Oberfläche zu 2 Drittheilen aus Wasser und 1 Drittheil aus festem Lande besteht, läuft der Mond mit einer Geschwindigkeit von 450 Meilen in der Stunde. Er ist im Mittel 51,816 Meilen von ihr entfernt, hat einen Durchmesser von 468 Meilen, einen Flächeninhalt von ungefähr 663,500 Meilen und einen Körperinhalt, nach welchem 49 Mondkugeln erst eine Erdkugel bilden würden.

Mit der Erde, welche im Mittel 20,450,000 Meilen von der Sonne entfernt ist, drehen sich die Planeten um dieselbe, deren größester, der Jupiter, einen Durchmesser von 19,294 Meilen und einen Flächeninhalt von 1,169,530,000 Quadratmeilen besitzt. Von ihnen steht der Merkur der Sonne mit einer Entfernung von 8 Millionen Meilen am nächsten und der Neptun mit einer Entfernung von 621 Millionen Meilen am entferntesten.

Die Sonne selbst hat einen Durchmesser von 192,617 Meilen und eine Oberfläche von 116,556 Millionen Quadratmeilen. Sie wiegt ungefähr 320,000 mal so schwer als unsre Erde und ist 700 mal größer als alle Planeten und Monde zusammengenommen. Sie dreht sich mit einer Geschwindigkeit von 900 Meilen in der Stunde aller 25 Tage und 10 Stunden einmal um sich selbst und bildet nicht, wie man irriger Weise angenommen hat, einen Feuerball, sondern ist eine mit einer leuchtenden Hülle umgebene dunkle Kugel.

Die Kometen oder Schweifsterne, deren man wohl an 700 kennt und über 5000 vermuthet, schwingen sich vielleicht unabhängig von unserer Sonne in ungeheuren parabolischen Bahnen um andere Sonnen, durchfliegen mehrere Weltenfamilien und kehren erst nach Jahrhunderten oder Jahrtausenden in die alten Himmelsgegenden zurück.

Es giebt keine Weltenkörper, welche so wenig Wirkung auszuüben vermögen, als eben diese Kometen, und doch haben sie die frühere, ja zum Theil noch die gegenwärtige Menschheit in Angst und Schrecken gesetzt. Trotz ihrer völligen Unschädlichkeit selbst für den Fall einer wirklichen Berührung mit unserer Erde, hat man sie für Boten des göttlichen Zornes angesehen und Pestilenz, Krieg, Theuerung und alles mögliche Unglück, ja sogar den Untergang der Welt mit ihrem Erscheinen in Verbindung gebracht.[225]

Die Astronomen haben bewiesen, daß die Erde schon mehrere Male – das letzte Mal an 24. Juni 1819 – durch einen Kometen hindurch gegangen ist und ebenso, daß solche Sterne in der nächsten Nähe an uns vorübergegangen sind und in Zukunft wieder vorübergehen werden, ohne daß davon die geringste Wirkung zu verspüren war und sein wird. Der Grund zu dieser vollständigen Unschädlichkeit liegt in der außerordentlichen Dünnheit des Stoffes, aus welchem sie bestehen, und welche so bedeutend ist, das z.B. unsere atmosphärische Luft mehrere hundert Mal dichter noch ist als der Donati'sche Komet, welcher 1858 erschien.

Die Bahnen dieser Himmelskörper sind so lang gedehnt, daß der Komet von 1680 der Sonne sich bis auf blos 30,000 Meilen näherte und sich dann wieder 3000 Millionen Meilen von ihr entfernte. Dieser Abstand äußerte auch eine auffällige Wirkung auf die Schnelligkeit seines Laufes, welche in der Sonnennähe 53 Meilen, in der Sonnenferne aber nur 6 Ellen in der Secunde betrug. Der Komet von 1858 braucht 2000, der von 1811 2840, ja es giebt einen, der sogar 102,500 Jahre braucht, um seine Bahn nur ein einziges Mal zu vollenden.

Bis auf Tycho de Brahe galten sie gar nicht für Weltenkörper, sondern nur für Lufterscheinungen (Meteore) und hatten also dasselbe Schicksal wie die Sternschnuppen, welche für atmosphärische Gebilde gehalten wurden, bis Chladni in Berlin im Jahre 1804 die später auch bewiesene Meinung aussprach, daß sie kosmischen Ursprung haben, Trümmer von Weltkörpern seien und als Meteorsteine unsere Erde zuweilen besuchen, weil dieselbe ihre Bahn durchkreuzt.

So ungeheuer der Raum ist, welchen die Sonne mit den sie umschwimmenden Welten einnimmt, er ist doch verschwindend klein im großen, unausdenkbaren Weltgebäude. Schon mit bloßen Augen vermag man bei heiterem Nachthimmel 5000 Sterne zu zählen, während das bewaffnete Auge davon über 145,000 erkennt und man vermuthet, daß der ganze Himmel über 75 Millionen Sterne trägt.

Diese Sterne, wegen der scheinbaren Unveränderlichkeit ihres Standortes »Fixsterne« genannt, sind soweit von unserer Erde entfernt, daß der Lichtstrahl, welcher doch in jeder Secunde 40,000 Meilen zurücklegt, vom Monde 11/2 Secunden, von der Sonne 8 Minuten 18 Secunden, von No. 61 des Schwanes 9 Jahre, vom Polarsterne 40 Jahre und von den Plejaden 700 Jahre braucht, um zu uns zu gelangen.[226]

Bei dieser ungeheuren Entfernung ist es sehr wahrscheinlich, daß wir heut' das Licht von Sternen sehen, welche längst schon in Trümmer gegangen sind und dagegen Welten noch nicht erblicken, die schon Jahrhunderte lang auf Bahnen wandeln, melche unser Rohr zu erreichen vermag. Und trotzdem richtet der Mensch seinen Blick nach oben, läßt sich von keinem Hindernisse schrecken und besiegt, je weiter er im Wissen vorschreitet, desto größere Schwierigkeiten, welchen die Vorwelt vollständig machtlos gegenüberstand.

Ist der Geist des Menschen wirklich ein Odem Gottes, so muß ihm auch die göttliche Allmacht innewohnen, welche sich immer mehr von den Fesseln des Endlichen befreit und emporstrebt zum Schauen und Erkennen. Was der Vergangenheit ein Wunder war, das ist der Gegenwart eine Leichtigkeit, etwas Alltägliches und Gewöhnliches, und wie der vom Drange der Wissenschaft beseelte Wanderer in die Wüsten der entlegensten Continente dringt und mit Todesgefahr und tausend Fährlichkeiten die Kämme der höchsten Gebirge übersteigt, so erfaßt das bewaffnete Auge einen Stern nach dem andern und bestimmt mit Hilfe der Spectralanalyse die Stoffe, aus welchen Himmelskörper bestehen, die selbst der Blitz erst nach Jahrhunderten erreichen könnte.

»Wo warst Du, da ich die Erde gründete? Sage mir es, bist Du so klug? Worauf stehen ihre Füßen versenket und wer hat ihr einen Eckstein gelegt, da mich die Morgensterne lobeten und jauchzeten alle Kinder Gottes?« fragt Hiob, und seine Zeit mußte zu diesen Fragen schweigen, während wir vor ihnen nicht mehr zu erschrecken brauchen.

Diese »Kinder Gottes«, diese »Jerubim und Seraphim«, wie unsre Bibel die Sterne nennt, jauchzen dem Herrn Zebaoth ihr Hallelujah von Ewigkeit zu Ewigkeit; wir vernehmen ihre Stimme und – sprechen nicht blos von der Musik der Sphären, sondern berechnen mit genauen Zahlen die Intervalle der großen Weltenharmonie.

Die Alten erklärten sich die Entstehung der Milchstraße durch die Sage von der Ziege Amalthea, welche am Himmel weidete und denselben mit ihrer Milch betröpfelte. Welcher Unterschied zwischen dieser kindlich naiven Anschauung und den Aufklärungen, welche uns die jetzige Astronomie ertheilt! Ist es uns auch nicht möglich, jene »Zervan akerene« (anfanglose Zeit), von welcher die persischen Religionsbücher berichten, zu begreifen, so dürfen wir doch mit Stolz auf die Errungenschaften der heutigen[227] Wissenschaft blicken, und wenn wir auch nicht vermessen genug sein können, den Himmek stürmen zu wollen, so wissen wir doch, daß uns die Entwickelung mit wenn auch langsamen, aber doch sicheren und unaufhaltsamen Schritten zu ihm emporführen wird. Und das ist die Seligkeit, welche unsrer wartet; das ist das Reich Gottes in welchem das kleine Senfkorn des menschlichen Wissens zu einem Baume heranwachsen wird, welcher ewige und unvergängliche Früchte trägt.

Die Heimath, die da droben unsrer wartet, zieht unser bestes und schärfstes Denken himmelwärts und nimmt unser Fühlen und Wollen gefangen in einer Sehnsucht, welche, den Meistern unbewußt, sich wie ein Faden durch unser ganzes Leben zieht.

In den unergründlichen Tiefen des blauen Aethers liegt unsre Zukunft verborgen; mag der Zweifler spotten, es kommt ihm doch die Stunde, in welcher ihn eine Ahnung des Zukünftigen, welchem er sich nicht entziehen kann, überwältigt, und es ist mit Richten ein Triumph des Menschengeistes, wenn er sich lossagt von dem Vertrauen zum Vater, der sein Kind aus der Finsterniß zum Lichte, aus dem Dunkel zur Klarheit emporziehen will an seine Rechte.

Wenn in stiller Abendstunde der ernste Blick sich zu dem funkelnden Diademe des Himmels erhebt und, wie magnetisch festgehalten, bei den Lichtern der Nacht, der »Tausendäugigen« verweilt, so schwellt sich die Brust unter jenem Gefühle, für welches die Sprache noch nicht das rechte Wort erfand, weil sie den Ort nicht kennt, nach welchem die Sehnsucht des einsamen Menschenherzens gerichtet ist.

Wie das entzückte Auge der Braut immer wieder zurückkehrt zu den strahlenden Steinen, mit welchen sie der glückliche Bräutigam zu schmücken strebte, so kann das sinnige Gemüth nicht lassen von den funkelnden »Runen« des Himmels, welche in unvergänglicher Sprache die Liebe »Alfadurs« predigen und ihr mildes, tröstendes und beruhigendes Licht herniedersenden in das Bangen und Verlangen des Erdenlebens.

Mag die Wolke zeitweilig sie verhüllen, sie erscheinen doch immer von neuem, jene »Coyllur cunna«, die himmlischen Heere, wie das untergegangene Volk der Inka's die Sterne nannte; ihr Schimmer kann nicht lassen von der kleinen Erde und nimmt Abschied von dem einen Volke nur, um dem andern aufzugehen und im Verschwinden das Nahen des[228] jungen Morgens, des hellen Tages zu verkünden. Und treu wie sie, ist ihnen auch der Mensch.

Klopft sein Puls schneller unter dem belebenden Drange der Freude oder befeuchtet die Wimper sich mit den Perlen des Leides, legt der Kummer sich wie ein Berg auf die ermüdende Seele oder verdoppelt begeisternde Hoffnung die Kraft des denkenden Geistes, des schaffenden Armes, jede Regung seines Innern richtet die Sterne seines Auges empor zu ihren himmlischen Brüdern und macht sie zu Vertrauten seines Schmerzes, seines Glückes.

Und was Tausende unbewußt thun und unbeachtet empfinden, dem giebt der Dichter deutlichen Ausdruck in den Klängen, welche seiner Leyer entströmen, um hinauf zu tönen »über die Wolken.«

Der alttestamentliche Seher sieht mit prophetischem Blicke die Hoffnung seines Volkes sich erfüllen durch das Aufgehen von dem »Sterne« Davids, und die Geburt des gottähnlichsten der Menschen ward verkündet durch den Lobgesang der »himmlischen Heerschaaren« und das Erscheinen jenes Heroldes, von welchem die drei Könige sagten: »Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenlande.«

Die packende Macht der biblischen Poesie knüpft die höchste Seligkeit an das Wort »Himmelreich« und verdeutlicht das größte Entsetzen durch das Bild der fallenden Sterne. Mit überwältigenden Worten schildert der »Gottessohn« den Hereinbruch des göttlichen Strafgerichtes: »Es werden Sonne und Mond den Schein verlieren; die Sterne werden herniederfallen, und die Kräfte der Himmel werden sich bewegen. Alsdann werden heulen alle Geschlechter auf Erden.« Wie er, so that schon Moses, der große Führer und Gesetzgeber des Volkes Israel, welcher den Fluch der Sünde nicht drohender verkündigen konnte, als in den Worten: »Der Himmel über deinem Haupte wird sein wie Erz, die Erde unter deinen Füßen wie Eisen, und Staub und Asche wird es regnen!« Lieblich und verheißungsvoll dagegen klingt sein Segen über Asser, dem Sohne Jacobs: »Der im Himmel sitzet und deß' Herrlichkeit in den Wolken ist, der sei deine Hilfe!«

Und wie die Bibel, – Sung Tscheet, das »himmlische Buch,« wird sie von den Chinesen genannt – so weist auch das fromme Kirchenlied die Sehnsucht nach Gottes Liebe und Segen immer nach oben.[229]


»Befiehl du deine Wege

Und was dein Herz nur kränkt,

Der allertreusten Pflege

Deß', der den Himmel lenkt.

Der Wolken Luft und Winden

Giebt Wege, Lauf und Bahn,

Der wird auch Wege finden,

Wo dein Fuß gehen kann!«


singt Paul Gerhardt, und nie ist wohl das Gottvertrauen besser ausgesprochen und begründet worden, als in dem einfach schönen Kinderliede


»Weißt du, wie viel Sternlein stehen

An dem blauen Himmelszelt,

Weißt du, wie viel Wolken gehen

Weithin über alle Welt etc.«


Wenn der Dichter der Urania singt:


»Nächtlich einsam wandl' ich durch die Haide,

Wo mein Geist den weiten Raum durchschifft.

Wer enthüllt mir diese Sternenschrift

An dem feierlichen Prachtgebäude?«


so antwortet der Sänger des Vaterunsers:


»Du hast die Säulen dir aufgebaut

Und deine Tempel gegründet.

Wohin mein gläubig Auge nur schaut

Dich Herr und Vater es findet!«


und wie die Pflanze nicht am Tage wächst, sondern dann, wenn die Sonne hinter dem Horizonte verschwunden ist, so ist es auch »Dunkelglanzmähne«, wie die nordische Mythologie die Nacht nennt, welche vorzugsweise das Gemüth zu jenem ernsten Sinnen stimmt, aus welchem der Glaube sein Wachsthum zieht. Der Tag schlingt um den Menschen die Fesseln der Arbeit und der Sorge; die Nacht befreit ihn aus diesen Banden, gewährt ihm Ruhe und spricht zu ihm von der Aufgabe, welche höher ist als alle seine irdischen Verpflichtungen.

Das Herz mit seinen unergründlichen Tiefen und unerforschten Räthseln ist dem Firmamente verwandt. Wie die Höhen des Himmels, hat es seine Sterne, seine Meteore, seine Wolken, und darum macht es seine schönsten Rechte am liebsten dann geltend, wenn die Abenddämmerung[230] ihren duftigen Schleier über die Erde gewoben und der letzte Strahl des sinkenden Tages die erglühenden Spitzen der Berge zum Abschied geküßt hat.

Dann lächeln die Sterne so »freudvoll und leidvoll« von oben herab, und so »leidvoll und freudvoll« hebt sich die Brust unter den Regungen des kleinen und doch so großen Menschenherzens.

Und wie der glanzumflossene Bogen des Himmels sich so gern mit der krystallenen Fluth vermählt und sein Bild in sie herniederlegt, so schickt der Himmel, welcher im Allerheiligen der Menschen Brust ruht, sein Bild empor in das Krystall des Auges und breitet seine verklärenden oder verdüsternden Farben selbst über die Züge des Angesichtes.

Wer in das reine Auge eines Kindes, in das verzeihende Auge einer Mutter gesehen oder dem vertrauensvollen, hingebenden Blick der Geliebten begegnete, der hat die Seligkeit gefühlt, welche dieser Himmel zu spenden vermag. Möge Jeder sein Herz bewahren in treuer Sorge; denn auch er trägt einen Himmel in demselben, auf dessen Sternenstrahl die Seinen ein heilig Anrecht haben! –

Werfen wir nach dieser letzten, dem Gemüthe gewidmeten Betrachtung einige Streiflichter auf den Weltprozeß.

Der Prozeß eines werdenden, im wechselvollen Dasein bestehenden und endlich in seiner Individualität untergehenden Weltkörpers und Weltkörpersystems hat sich nach vorliegenden Beobachtungen im Weltenraume sicher schon abgespielt; ob aber jede Neugestaltung in gleicher oder in veränderter Weise vor sich gegangen ist und vor sich gehen wird, läßt sich nicht durch Thatsachen bestimmen, da wir selbst in den Aeonen von Zeiten nur Eintagsfliegen sind. Die Erscheinungen auf unserm Planeten lassen auf beide Fälle schließen. So viel aber steht unwiderruflich fest, daß nämlich der ganze Weltprozeß sowohl im Kleinen wie im Großen ein gesetzmäßig logischer war und bleiben wird. Die Welt ist eine ununterbrochene Schöpfung; sie ist und bleibt in einem ewigen Werden und nicht in einem starren Sein, denn der Gleichgewichtszustand aller Stoffatome ändert sich fortwährend. Der Weltprozeß besteht in einem fortwährenden Kampfe des Logischen mit dem Unlogischen, des Gesetzmäßigen mit dem Gesetzlosen, der Vernunft gegen die Unvernunft und endet endlich mit der Niederlage der Letzteren.

Das ruhelose Ringen der philosophischen Geister nach der Erkenntniß[231] der einheitlichen Kraft für die Welt mit allen ihren Erscheinungen ließ zwar die Hoffnung durchschimmern, daß es der exacten Wissenschaft einst gelingen werde, den einen wahren Gott des Weltalls zu erkennen und dem weltzerfleischenden Irrwahne somit den Todesstoß zu versetzen, aber zur Erreichung dieses Zieles genügen Jahrtausende nicht. Die Philosophen haben den eigentlichen fruchtbaren Boden so lange nicht gefunden, als sie die Ergebnisse der Naturwissenschaften noch nicht aufnahmen oder noch nicht kannten. Man hat dem Grundsatze, daß die Natur mit allen ihren Körpern und Erscheinungen nur durch sich selbst erfaßt werden kann, eine viel zu gerinige Bedeutung beigelegt, aber es ist zu bemerken, daß jetzt der Gang der Philosophie eine Umwandlung mystisch-genialer Conceptionen in rationelle Ergebnisse mehr und mehr anzunehmen im Begriffe steht.

Spinoza, dieser von seinen Glaubensgenossen so grimmig verfolgte Jude, einer der tiefsten Denker, den die Erde je getragen hat, sagte: »Gott ist eine Ursubstanz mit unendlichem Denken, unendlicher Ausdehnung, mit unendlichem Sein; sie ist untheilbar, wirkt gesetzlich und ist die bleibende Ursache aller Dinge. Die besonderen Dinge sind nur Kraftäußerungen Gottes.« Er verwarf also einen persönlichen Gott, der irgendwo im Weltenraume seinen Sitz haben solle. Auch Lalande schrieb: »Ich habe den Himmel überall durchforscht und nirgends eine Spur von Gott gefunden.« Und ein neuerer Forscher sagt dazu:

»Die großen Massen des Volkes, welche durch die Kirchen im Glauben förmlich gezüchtet werden, sowie ihre Zuchtmeister erheben über solche Gottlosigkeit freilich ein Zetergeschrei, daß die Welt einfallen möchte. Aber je mehr die Denkkraft des Volkes durch vernünftige Erziehung angeregt und genährt werden wird, desto mehr wird der persönliche Gott für die moralische und vernünftige Entwickelung der Völker als entbehrlich, ja als schädlich erkannt werden. Wenn es einen persönlichen Gott giebt, der allmächtig ist, warum hat er da nicht sittlich fertige Menschen geschaffen, sondern warum läßt er das Laster blühen, warum die wahre Sittlichkeit erst durch schwere Kämpfe erringen und dafür die Lasterhaftigkeit mühelos gedeihen?

Auf die Gefahr hin, von Finsterlingen verketzert zu werden, wollen wir uns also der sicheren Leitung der exacten Wissenschaften anvertrauen und nach dem unpersönlichen Gotte des Weltalls forschen.«[232]

Wenn wir hören: »Gott ist ein Geist,« so können wir diesen Ausspruch nur dann als unverfänglich annehmen, wenn wir unter Geist etwas Unsichtbares oder vielmehr etwas Unkörperliches überhaupt verstehen. Wollten wir aber unter Geist in jenem Ausspruche etwas absolut Immaterielles verstehen, so würde ein solcher Gott auf die Stoffe im Weltraume naturgesetzlich durchaus nicht wirken können. Gott ist also kein Geist im landläufigen Sinne.

Der Weltäther allein ist das ewig Seiende des Weltalls; die Weltkörper selbst mit allen ihren Wesen sind das ewig Wechselnde, das niemals Seiende, sondern das stets Vergehende und einer Umgestaltung Unterworfene. Von dem Weltäther wissen wir, daß er durch den ganzen Weltenraum nach streng logischen Gesetzen wirkt; er beherrscht alle Stoffatome im Weltraume und tritt auch mit denen des organisirten Körpers in eine mechanischgesetzmäßige Wechselwirkung. Er ist unendlich, also untheilbar; von ihm geht die unablässig gestaltende, ordnende, bildende, belebende Kraft aus, mag es sein bei den für die Atome geltenden Gesetzen in der Chemie und der organischen Natur, mag es sein bei den das unendliche Weltall beherrschenden Gesetzen der Gravitation. Selbst wenn eine Erscheinung dieser unsrer Anschauung noch so fern zu liegen scheint, so läßt sie doch leicht und ungezwungen sich ihr unterordnen. Da es der Weltäther ist, welcher die Atome und Molekel zwingt, je nach ihrer Gestalt eine bestimmte Lagerung anzunehmen und diese mehr oder weniger energisch festzuhalten, so wird z.B. einer Stahlfeder, welche man nöthigt, eine andere Gestalt anzunehmen, allein durch den Weltäther die frühere Form wiedergegeben mit der alten Lagerung der Atome und Molekel, welche selbst aber kraftlos sind. Der Weltäther erhält also auch u.A. eine aufgezogene Federuhr im Gange. Wären die Stoffatome der irdischen Elementarkörper kugelförmig, so würden sie, wie der Weltäther, nach allen Richtungen mit gleicher Kraft wirken. Da dieses aber nicht der Fall ist, so haben sie mancherlei andere Gestalten, welche auch die verschiedenen Cohäsionsverhältnisse bedingen.

Wie der ganze Erdkörper und alle seine leblosen und Lebewesen auf ihm von den unscheinbarsten Anfängen an organisch und logisch gesetzlich sich entwickelt haben, so auch nicht blos der menschliche Leib, sondern auch alles menschliche Können, Thun und Wissen: die Sprache, die Religion, die Kunst und Wissenschaft, der menschliche Geist und überhaupt die ganze Geschichte des Menschengeschlechtes. Die Entwickelung des geistigen Lebens[233] im ganzen Menschengeschlechte ist im Großen und Ganzen eine mit der von er übrigen Welt gleichlaufende.

Der Mensch ist nur durch eine mehr und mehr lebhaft gewordene Wechselwirkung mit der vielgestaltigen Natur und mit Seinesgleichen oft unter den härtesten Kämpfen das geworden, was er ist; jede außernatürliche Einwirkung ist eine leere Erfindung und Phantasterei. Grade seine im Naturzustande noch vorhandene Schwäche gegenüber der kräftigen Thierwelt mußte ihn anspornen, auf Mittel eines erfolgreichen Kampfes zu sinnen. Je mehr er sich befreite von der Bewältigung durch rohe Naturkräfte und je mehr er diese nicht nur ungefährlich sondern sogar für sich nutzbar zu machen verstand, desto mehr schritt er in seiner geistigen und menschenwürdigen Entwickelung vor. Die Menschheit zieht mit ihren weiteren Fortschritten sogar die übrige organische Welt nach und nach immer mehr in ihre Dienste, so daß schließlich fast nur Kulturpflanzen und Kulturthiere leben werden.

Die Erscheinungen auch im gesammten Völkerleben sind ganz entsprechend denen im übrigen Naturleben. Völker entwickeln sich, bleiben auf einer gewissen Stufe bisweilen lange stehen, gehen im Kampfe um's Dasein zu Grunde, neue treten auf die Weltbühne, überragen die alten, und so wächst unter dem Einflusse der freien geschlechtlichen Wahl und unter dem Gesetze der Vererbung die Krone des Baumes der tieferen Erkenntniß immer höher und höher. Wie in allen Gebieten der Natur, so kommen zwar auch hier Rückfälle vor, aber niemals zeigen sich plötzlich sehr bedeutende Sprünge nach vorwärts, wenn auch einzelne Meteore im Gebiete der geistigen Welt die Zukunft prophetisch anzeigen. »Die Weltgeschichte ist nicht ohne eine Weltregierung verständlich,« sagte Wilhelm von Humboldt.

Die Seele ist die lebendige Wechselwirkung zwischen den Atomen des organisirten Körpers mit dem Weltäther. Dieser Weltäther ist die Weltseele, der die Bedingungen zu einem bewußten Dasein fehlen.

Der ganze Weltprozeß, der materielle wie der geistige, ist ein logisch gesetzlicher und zugleich ein ununterbrochener, ein unendlicher. Ihm ist auch die ganze Menschheit ohne Gnade und Barmherzigkeit unterworfen. Auch Hegel erkennt eine organisch- naturgesetzliche Entwickelung an, wenn er sagt: »Die menschliche Geschichte ist eine Reihe zwingender Nothwendigkeiten.«[234]

Viel Gutes und Beherzigenswerthes enthalten solche Vorstellungen, aber wehe dem Menschen, der darauf ausgehen muß, den wahren Gott erst zu entdecken. Und wenn Gelehrte von der Bedeutung eines Lalande den Himmel überall durchforschten, ohne eine Spur von Gott gefunden zu haben, so möchte man das unmündige Kind beneiden, welches vertrauensvoll singt:


»Gott der Herr hat sie gezählet,

Daß ihm auch nicht eines fehlet,

An der ganzen, großen Zahl.«


Treffen die Vorwürfe, welche dem persönlichen Gott gemacht werden, nicht ebenso den unpersönlichen Gott, der nicht sittlich fertige Menschen schuf? Ist nicht ein bedeutender Unterschied zu machen zwischen Seele und Geist, und wenn der Weltäther die Weltseele ist, woher stammt diese, woraus hat sie sich entwickelt, wer gab ihr die Gesetze, da sie doch unbewußt handelt?

Sehen wir einmal, was unter diesem Weltäther, unter dieser Weltseele zu verstehen ist!

»Schon durch das indische Alterthum geht bei den Rechtgläubigen der Gedanke an einen Stoff im Weltraume, welcher zarter ist als selbst der feinste der vier übrigen genannten Elemente: Luft, Feuer, Wasser, Erde. Es ist der Aether, durch welchen die Gestirne und der Himmel entstanden seien. Auch die Griechen nehmen einen eigenschaftslosen Stoff an, und Ovid singt in seinen Metamorphosen I. 67: ›Darüber verbreitete er den klaren, der Schwere entbehrenden Aether, welcher gar nichts besitzt von der irdischen Hefe.‹ Spinoza spricht von einer unendlichen, untheilbaren Substanz, und verschiedene andere Philosophen haben ähnliche Vorstellungen.

Wir können den Stoff, welchen der unendliche Weltraum überall und ohne jede Unterbrechung enthält, nicht sinnlich wahrnehmen, denn er ist kein bestimmt begrenztes Einzelwesen, kein Körper mit sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften, sondern ein unbegrenzter Stoff. Auch Göthe nennt ihn unkörperlich. Jeder Körper ist Stoff mit einer bestimmten Begrenzung, Weltäther aber ist ein Stoff, welcher den unendlichen Weltraum einnimmt, also nichts Individuelles besitzt, so daß er für sich und an sich unmittelbar durch unsere Sinne nicht wahrgenommen werden kann. Wir müssen in der That die Begriffe Körper und Stoff von einander trennen,[235] denn es giebt einen Stoff, welcher ein Körper nicht ist. Wie das Wasser für den Fisch, die Luft für den Vogel, so ist der Weltäther für die Weltkörper das Lebenselement.

Erst die in unserm Jahrhunderte mächtig aufblühenden Naturwissenschaften haben sein Vorhandensein durch eine Reihe von Erscheinungen nachgewiesen, und es wird die Zeit nicht mehr fern sein, in welcher ihm eine unendlich wichtige, ja die wichtigste Rolle im Haushalte der Natur allgemein zuerkannt werden wird. Nicht blos zwischen den Weltkörpern, sondern auch sogar in jedem Körper, auch in den irdischen, befindet sich jener Stoff, und er umgiebt sogar ein jedes seiner untheilbaren Atome. Wie die Atome in den Molekeln, die Molekeln in den einzelnen Körpern, diese in einem Weltenkörper, so werden auch die letzteren in den kleineren und größeren Weltenkörpersystemen allein durch den Druck des Weltäthers zusammengehalten. Adhäsion und Cohäsion sind einfache Folgen des Weltätherdruckes. Auch das Wesen der Gravitation liegt keineswegs in den Weltkörpern selbst, sondern in dem Urquelle der Kraft für das ganze Universum, im Weltäther. Ebenso sind die magnetischen oder electrischen Körperstoffe weder bei der Anziehung noch bei der Abstoßung selbstthätig, sind passiv und folgen der im Weltäther liegenden Urkraft für das ganze Weltall.

Die ganze unendliche Welt als Inbegriff der im Raume vorhandenen Körper ist aus denselben nicht geschaffenen und auch nicht vertilgbaren Stoffen zusammengesetzt und wird von denselben unvertilgbaren Kräften gefangen, welche von den einzelnen Atomen bis zu der unendlichen Menge oft außerordentlich großer Weltkörper nach denselben Gesetzen wirksam sind, in der Größe ihrer Gesammtwirkung unveränderlich erhalten werden und ihren unversiechenden Urquell im Weltäther haben, so daß dieser auch der Urquell für alles Sein und Werden ist.«

Das ist der Weltäther, die Weltseele, der unpersönliche Gott. Aber ist er nicht ein recht trauriger Gott, da die durch ihn entstandene Kreatur höher steht als er selbst? Schon der Stein ist individuell, das Thier hat sein Bewußtsein, und nun erst der Mensch mit seinen herrlichen Gaben und Fähigkeiten! Welche bedauerliche Genügsamkeit zeigt eines dieser herrlichen Wesen, indem es sich den Weltäther zum Gesetze setzt. Und dabei kommen wir doch immer wieder auf die Frage zurück: Wie entstand dieser Aether? Schuf er sich selbst? Wahr ist es,[236] zwar, daß wir diese Frage bei der Annahme eines persönlichen Gottes ebenso aussprechen müssen, aber es befriedigt den suchenden Menschengeist jedenfalls mehr, als letzte erkennbare Potenz einen allmächtigen und allliebenden Vater zu wissen, als einen unwägbaren leb- und willenlosen Stoff.

Aber ein großer, ein gar nicht zu unterschätzender Fortschritt ist gethan durch das in Beziehungstellen des Weltäthers zum Gottesbegriffe, nur scheint es, als sei dabei das Kleid mit dem Manne, der Körper mit dem Geiste verwechselt worden. Es muß wohl zugegeben werden, daß ein bloßer Geist nach den Gesetzen der Natur keine Wirkung auf die seienden Dinge haben kann, und wenn Gott also ein Geist ist, so sind wir zu der Annahme gezwungen, daß er nicht blos Geist sei, sondern auch einen Körper, einen Leib besitze, durch welchen er sich mit den erschaffenen Wesen in Verbindung setzt. Freilich sind bei diesem Gottesleibe nicht diejenigen Voraussetzungen festzuhalten, welche man bei einem irdischen Körper macht. Gott ist allgegenwärtig; sein Körper, der Weltäther, durchdringt ohne räumliche Abgrenzung das ganze All, bewegt das Atom und rollt die Welten; durch ihn, durch seine Thätigkeit wurde Gott Schöpfer, durch ihn erhält er alles Seiende in immer fortschreitender Entwickelung, und durch ihn leitet und regiert er das große, unendliche Reich des Bestehenden.

»Wo soll ich hingehen vor deinem Geiste, und wo soll ich hinfliehen vor deinem Angesichte?« fragt die Bibel. »Führe ich gen Himmel, siehe, so bist du da; bettete ich mich in die Hölle, siehe, so bist du auch da; nähme ich Flügel der Morgenröthe und bliebe am äußersten Meere, so würde doch deine Rechte mich führen und deine Hand mich halten!« Ein neuerer Gelehrter sagt: »das Volk wird immerfort noch durch die Bibel, das Buch der Bücher, in welchem man für alle, auch die bornirtesten Geistesströmungen ein Wort findet, in unvernünftiger Weise belehrt«; und Dr. H. Lang, Pfarrer in Zürich, sagt in seiner Schrift über das Leben Jesu und die Kirche der Zukunft: »die freie Forschung der Neuzeit hat der Bibel schon längst den Nimbus geraubt, den Unwissenheit in sie gelegt.« Wir glauben sehr, daß diese Leute so zu sagen das Kind mit dem Bade ausschütten. Zugegeben muß allerdings werden, daß die Bibel weder ein Leitfaden für naturwissenschaftliche Forschungen ist, noch den Ausbau eines in sich abgeschlossenen philosophischen Systems bewerkstelligen soll. Sie enthält[237] vielmehr eine Sammlung der verschiedensten Arten von Schriften, in denen die geschichtlichen Erlebnisse gewisser Personen und Völker verzeichnet stehen und die Anschauungen von Geistern aufbewahrt werden, welche weit über ihre Zeit hinausragten. Und hierin liegt ihr großer, unleugbarer Werth. Der Geist ist göttlichen Ursprunges und vermag es, auf Augenblicke die Schranken der Zeit und des Raumes zu überfliegen. In solchen Augenblicken wird der Mensch zum Seher, zum Propheten, und seine Idee ist »vom heiligen Geiste eingegeben,« wie sich die Bibel in menschlicher Sprache ausdrückt. Das Wort, welches diese Idee verkündigt, ist ein Kriterium und enthält eine Wahrheit, zu deren Erkenntniß erst spätere Jahrhunderte oder gar Jahrtausende gelangen werden. Die Bibel ahnt und glaubt, die Wissenschaft zweifelt und sucht, und beide werden an einem und demselben Ziele zusammentreffen. Und wenn der Forscher sich unmöglich entschließen kann, das »Buch der Bücher« seinem Gesammtinhalte nach zu unterschreiben, so muß er ebenso und der Wahrheit gemäß zugestehen, daß auch die Wissenschaft keineswegs den Anspruch erheben dürfe, in ihren Einzelnheiten unfehlbar zu sein.

Wenn wir das oben angeführte Bibelwort betrachten, so werden wir sofort an unsere Vorstellung des Weltäthers als »Leib Gottes« erinnert, und neben all' der hinreißenden Poesie scheint diese Stelle eine tiefe Wahrheit zu enthalten, welche der Sänger allerdings nur ahnend ausgesprochen hat. Für ihn sind Himmel und Hölle die entferntesten Pole des Seins, und doch ist Gott in beiden gegenwärtig. Er spricht von Gottes Geist und Gottes Angesichte, von seiner Rechten, von seiner Hand; für ihn ist Gott also nicht blos Geist, sondern er kleidet ihn auch in eine, wenn auch nicht unmittelbar wahrzunehmende Erscheinungsform, und es will uns dünken, daß all' die biblischen Erzählungen von dem Besuche Gottes auf Erden und in menschlicher Gestalt keinen andern Zweck haben, als anzudeuten, daß er eine körperliche Darstellungsweise besitze.

Es ist doch vielleicht ein Wagniß, die Gravitation, Electricität, den Magnetismus etc. als Wirkungen des Weltäthers darzustellen und letzterem die Gesetze zuzuschreiben, nach denen das All entstanden ist und fortbesteht, vielmehr darf man wohl, ohne auch ein Schwärmer zu sein, die Annahme hegen daß dieser allen Selbstbewußtseins und aller Selbstbestimmung ermangelnde Aether die äußere Gewandung eines ewigen und unendlichen[238] Geistes sei, welcher uns als geistig-körperliche Wesen »zu seinem Ebenbilde« geschaffen hat.

Bleiben wir bei diesem Gedanken stehen, so ist es uns gestattet, den uns so lieb und theuer gewordenen Gott unseres vertrauensvollen Kinderglaubens beizubehalten und bei der Versenkung in sein Wesen jene glückliche Beruhigung zu finden, welche uns die Gegenwart erleichtert und die Zukunft erhellt. Denn betrachten wir alle jene Gesetze und Kräfte, welche sowohl im Weltenraume als auch in unserem eigenen Innern thätig sind, so kommen wir schließlich immer wieder mit aller Bestimmtheit zu der vollständigen und unerschütterlichen Ueberzeugung, daß es nur eine Kraft und nur ein Gesetz gäbe, nämlich die Liebe und das aus ihr folgende Gesetz der Anziehung, der erstrebten Vereinigung.

Ob es vor Jahrmillionen im All einst eine absolute Ruhe und Bewegungslosigkeit, ob es sodann eine sogenannte »erste Bewegung« gab und welche Bewegung dies gewesen ist, das sind Fragen, welche unserem Zwecke fern liegen; wir wissen und behaupten daher nur, daß diese erste Bewegung mit allen ihr folgenden durch den Willen einer unendlichen und allmächtigen Liebe, durch den Zweck und das alle Weltkörper regierende Bestreben einer allgemeinen Vereinigung hervorgebracht wurde.

Scheinbar ist dieser Behauptung sehr leicht zuwiderlegen, denn neben der Anziehung macht sich allüberall ein Etwas geltend, welches wir mit dem Namen Abstoßung bezeichnen, und die Gelehrten lassen ja die Bewegung der Himmelskörper entstehen und fortbestehen durch die Centripetal- und Centrifugal- oder Tangentialkraft. Aber was ist die »Mittelpunktsfliehkraft« anders als die Wirkung eines außerhalb des betreffend Systems liegenden Centralkörpers, um welchen dieses System, wenn auch dem Auge noch unentdeckt oder der Berechnung noch unerforscht, seine Bahnen schlägt? Was ist das Licht, der Schall, die Wärme, die Electricität etc. anders, als ein Gegeneinanderstreben der Körper, Stoffe und Kräfte? Wenn Göthe spricht:


»Vertheilet euch nach allen Regionen

Von diesem heil'gen Schmauß!

Begeistert reißt euch durch die nächsten Zonen

In's All und füllt es aus.

Schon schwebet ihr in ungemess'nen Fernen

Den sel'gen Göttertraum,[239]

Und leuchtet neu, gesellig unter Sternen

Im lichtbesäten Raum.

Dann treibt ihr euch, gewaltige Kometen,

In's Weit und Weit hinan;

Das Labyrinth der Sonnen und Planeten

Durchschneidet eure Bahn.

Ihr greifet rasch nach ungeformten Erden

Und wirket schöpf'risch jung,

Daß sie belebt und stets belebter werden

Im abgemess'nen Schwung.

Und kreisend führt ihr in bewegten Lüften

Den wandelbaren Flor,

Und schreibt dem Stein in allen seinen Grüften

Die festen Formen vor.

Nun alles sich mit göttlichem Erkühnen

Zu übertreffen strebt;

Das Wasser will, das unfruchtbare, grünen,

Und jedes Stäubchen lebt.

Und so verdrängt mit liebevollem Streiten

Der feuchten Qualme Nacht;

Nun glühen schon des Paradieses Weiten

In überbunter Pracht.

Wie regt sich bald, ein holdes Bild zu schauen,

Gestaltenreiche Schaar,

Und ihr erstaunt, auf den beglückten Auen,

Nun als das erste Paar,

Und bald verlöscht ein unbegrenztes Streben

Im sel'gen Wechselblick.

Und so empfangt mit Dank das schönste Leben

Vom All in's All zurück!«


so bezeichnet er das Entstehen und Vergehen, das Losreißen von und das Zurückkehren zu der großen Weltenseele und alle Bewegung des Seienden durch ein »liebevolles Streiten«, und das Bibelwort: »Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm,« behauptet mit absoluter Bestimmtheit das Vorhandensein einer göttlichen Liebe, die ebenso in uns ist, wie wir uns in ihr bewegen.[240]

Man sage nicht, daß diese Liebe ihre Gegensätze habe, den Haß, die Feindschaft, die Rache etc., denn ebenso wenig wie die Kälte ein Gegensatz der Wärme, sondern vielmehr ein geringerer Grad der Wärme ist, ebenso wenig ist auch der Haß etc. ein von der Liebe Verschiedenes, sondern nur ein gewisser Grad oder eine gewisse Richtung, eine gewisse negative Aeußerung von ihr.

Es giebt nur ein Unkörperliches, Unstoffliches, absolut Geistiges – die Liebe, und dieser Geist, diese Liebe ist Gott, der sich uns nur durch seine Allmacht offenbart, indem er sich in einen Stoff kleidet, welcher, unendlich und allgegenwärtig, die Grundbedingung allen Daseins bildet – den Weltäther.

Das ist unser Glaubensbekenntniß. Wie sich diese Liebe im Weltenraume im Einzelnen offenbart, das ist unsern schwachen Augen verborgen; wir können nur ihr irdisches Wirken erforschen und betrachten und werden ihr im Folgenden auf den verschiedensten Gebieten des menschlichen Lebens und Strebens begegnen, um zu bemerken, daß auch hier sie allein das Princip alles Seienden und Geschehenden bildet.[241]

Quelle:
Das Buch der Liebe. [Erste Abtheilung.] Dritte Abtheilung. In: Das Buch der Liebe. [Erste Abtheilung] S. 11–144; Dritte Abtheilung S. 1–208. – Dresden (1876), S. 221-242.
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