10.

In der Heimath

Ein schriller Pfiff ertönte; die Glocke gab das Zeichen, und der Courirzug kam mit abnehmender Geschwindigkeit in den Bahnhof hereingerollt. Er gab nur einen einzigen Passagier ab, eine Dame welche mit Hülfe des dienstbeflissenen Conducteurs ein Coupee erster Classe verließ und dann nach dem Ankleidezimmer des Wartesaales schritt, um eine ordnende Hand an ihre Toilette zu legen, welche einige von der Reise leicht derangirte Einzelheiten zeigte.

Sie stand nicht mehr in den ersten Mädchenjahren, aber es war über ihr feingezeichnetes Gesicht jener gewinnende Zug von Lieblichkeit ausgebreitet, welchem die Jahre nichts anhaben können und der dem Weiblichen den Ton einer unzerstörbaren Jugendlichkeit verleiht. Ein Menschenkenner hätte vielleicht bald errathen, daß dieser Zug weniger mit dem Alter – denn die Dame zählte noch nicht dreißig – als vielmehr mit inneren, seelischen Mächten zu kämpfen gehabt hatte welche feindlich an das Leben, die Ruhe und den Frieden des schönen Wesens getreten waren.

Sie gehörte keinesfalls den niederen Ständen an, ein Umstand, der sich nicht blos aus Coupee und Warteclasse errathen ließ. Ihre Gestalt, ihre Haltung, ihre Bewegungen, die ganze Art, sich zu kleiden und zu tragen gaben Zeugniß, daß sie in den besseren Kreisen zu Hause sei und die geachtetsten Ansprüche sowohl auf innerliche Bildung als auch äußerliche elegante Tournure erheben könne.

»Garçon!« gebot sie, aus dem Toilettezimmer kommend.

Der Kellner nahte sich mit tiefer Verbeugung.

»Wie weit ist es von hier bis Schloß Wildauen?«

»Zwanzig Minuten, meine Gnädigste.«

»Seine Durchlaucht, der Prinz, sind dort anwesend?«

»Gewiß.«

»Sie kennen Fräulein von Tzernowska?«

»Ich habe die Ehre, die Dame öfters zu bedienen. Der Bahnhof ist das Ziel öfterer Spaziergänge oder Fahrten von Sr. Durchlaucht und dem Fräulein.«

»Besorgen Sie mir ein Billet zu der Dame!«

Sie zog Couvert und Karte aus dem Reisenecesaire, bemerkte einige Worte auf die Letztere und übergab ihm dann den verschlossenen und mit der Aufschrift versehenen Umschlag. Dann nahm sie, eine kleine Erfrischung begehrend und nach einem daliegenden Journale langend, Platz.

Der Bote hatte den Auftrag schleunigst besorgt und, zurückgekehrt, kaum die Meldung davon über bracht, so rollte[817] ein leichter Wagen vor das Stationsgebäude und hielt an dem Portale. Wanda von Tzernowska stieg aus und begab sich in sichtbar freudiger Eile in das Wartezimmer. Die Fremde erhob sich bei dem Anblicke des jungen Mädchens.

»Ich muß sehr um Entschuldigung bitten, Fräulein von Tzernowska, daß ich, die Sie nur in Folge eines kurzen Briefwechsels kennen, Veranlassung nehme, Sie nach hier bitten zu lassen. Ich wußte nicht, ob meine Gegenwart Sr. Durchlaucht genehm sein werde, habe aber doch mit dem Prinzen zu sprechen und wage es daher, mich zunächst Ihnen persönlich vorzustellen.«

Die Angeredete fixirte mit liebevoll forschendem Blicke die Züge der Sprecherin, dann reichte sie ihr mit herzlichem Ausdrucke beide Hände entgegen.

»Fräulein von Treskow, es ist mir immer ein Bedürfniß gewesen; mich Ihnen anschließen zu dürfen. Wir sind ja Verbündete und kennen die gegenseitigen Gefühle und Bedürfnisse unserer Herzen. Ihre Gegenwart ist mir hochwillkommen, obgleich ich die Veranlassung Ihres so unerwarteten Besuches auf Wildauen nicht kenne.«

»Es ist eine freudige, meine liebe Freundin.«

»Eine freudige?«

Die Augen der Fragerin leuchteten in lebhafter Erwartung auf.

»Ja, die freudigste, welche es für Sie und – auch für mich geben kann.«

»Für Sie und mich zugleich? Das kann – das kann nur Eines sein: Sie haben Nachricht von Richard und Max, von ihrem Bruder und dem Prinzen aus Amerika!«

»So ist's! Eine Nachricht, die ich mich veranlaßt sehe, Durchlaucht persönlich mitzutheilen. Würden Sie die Freundlichkeit haben, mir eine Audienz zu erwirken?« Und zögernd setzte sie hinzu: »Sie wissen ja, Durchlaucht sind mir nicht gerade mit ausgezeichneter Gewogenheit zugethan.«

»Gern, herzlich gern, doch nur unter der Bedingung, daß Sie mir zuvor diese Mittheilung machen.«

»Zugestanden. Doch hier ist der Ort zu solcher Unterredung nicht; ich bitte daher – – –«

»Brechen wir auf, meine Liebe! Ihr Billet fand mich grad im Begriffe auszufahren; ich kam also per Wagen und ersuche Sie, denselben mit mir zu benutzen!«

Sie verließen den Bahnhof.

Während sie dem Städtchen und Schlosse zurollten, stand der Reiteroberst a.D., Prinz Otto Victor von Schönberg-Wildauen, am Fenster, gehüllt in eine undurchdringliche Tabakswolke, die das ganze Zimmer erfüllte. Durch diese Rauchmasse ertönte plötzlich der laute Ruf: »Heinz!«

Der Gerufene erschien.

»Was denn, Dorchlaucht?«

»Den Kaffee!«

»Zu Befehl, Dorchlaucht! Ich war seinetwegen schon bei der Krakehline, aber sie hatte ihn noch nicht fertig. Diese Weibsen können sich nie an Ordnung und Pünktlichkeit gewöhnen, so wie – – –«

Er wurde unterbrochen, Jungfer Adeline rauschte mit wehendem Morgenkleide und fliegenden Haubenbändern herein, das wohlgeordnete Kaffeebrett in den fetten Händen.

»Guten Morgen, gnädiger Herr! Darf ich den Kaffee serviren?«

»Gnädiger Herr? Sie ist nun über zehn Jahre in meinem Dienst, aber zu den nöthigen Meriten wird Sie es Ihr Lebelang nicht bringen. Ich muß mir doch noch eine andere Wirtschafterin engagiren. Weiß Sie, was ich bin, he?«

»Zu Befehl, Herr Oberst!«

»Na, endlich! Wenn hat Sie den Kaffee zu bringen?«

»Um acht Uhr, Herr Oberst.«

»Es sind ja schon volle fünf Minuten darüber. Sie hat ihn mir zum Punkte zu bringen, verstanden. Jetzt kann Sie gehen.«

Die Wirthschafterin ging. Heinz blieb; er war ja noch nicht verabschiedet worden. Der alte Herr befand sich augenscheinlich heute nicht in der besten Stimmung, und das hatte seinen Grund. Die Tasse klirrte stärker als gewöhnlich, der Qualm wurde dichter und dichter, und endlich brummte es:

»Heinz!«

»Was denn, Dorchlaucht?«

»Weißt Du, was wir heut für einen Tag haben?«

»Für einen Tag? Hm, nein. Ich habe mich niemals gern mit den Tagen abgegeben.«

»Aber den heutigen Tag solltest Du doch kennen!«

»Warum?«

»Heut ist's ein Jahr, daß der Peter kam.«

»Der Peter? Donnerwetter, Dorchlaucht, ist das wahr?«

»Der Peter und der Polizeilieutenant; es war grad an dem Tage, der für mich – na, Du weißt's ja, Heinz!«

»Ja, jetzt weiß ich es, Dorchlaucht. Nachher sind sie fort, haben einmal geschrieben, und seit der Zeit sind wir ohne Nachricht geblieben. Wer weiß, wo sie stecken; wer weiß, ob sie überhaupt noch stecken.«

Die tiefe Baßstimme des Dieners hatte plötzlich einen ganz melancholischen Klang erhalten.

»Ich hatte große Hoffnung auf sie gesetzt. Sollte ich auch hier getäuscht werden?«

»Hm, Dorchlaucht, der Peter ist ein tüchtiger Kerl, und der Treskow hat mir auch gleich ganz gefallen; wenn ihnen Nichts passirt ist, werden sie gewiß alles Mögliche thun.«

»Sie haben ein ganzes Jahr lang Nichts von sich hören lassen; wenn sie noch lebten, würden sie doch wohl einmal geschrieben haben.«

»Das ist nicht allemal der Fall, Dorchlaucht, denn – –«

»Guten Morgen, Onkel!« wurde er unterbrochen.

Wanda trat, wie gewöhnlich, ohne vorhergehende Anmeldung herein, umarmte den Oberst, gab ihm den herkömmlichen Morgenkuß und fuhr dann fort:

»Weißt Du, was ich bringe?«

»Nun?«

»Die Zeitung.«

»Meine Journale liegen bereits hier auf dem Tische.«

»O, keines von diesen meine ich; es ist ein anderes. Hier, lies, Onkel!«[818]

»Ich habe die Brille nicht hier. Warte bis nachher.«

»So werde ich Dir vorlesen. Höre!«

Sie nahm das Blatt wieder an sich und begann:


»Ein polizeiliches Ereigniß.


Jedermann wird sich des außerordentlichen Aufsehens erinnern, welches seiner Zeit die Ermordung und Beraubung des hiesigen Juweliers Wallerstein hervorbrachte. Ein junger, tüchtiger Offizier aus einer der reichsten und extrahirtesten Familien des Landes wurde der That für schuldig befunden und trotz der Versicherung seiner Unschuld und all seinen Connexionen auf den Indicien-Beweis hin zum Tode verurtheilt. Seine Majestät begnadigte ihn zu lebenslanger Hast, aus welcher er eines Tages verschwunden war. Einer seiner Freunde, ein ebenfalls junger Polizist, stellte sich die dankenswerthe und schwierige Aufgabe, die Unschuld des Verurtheilten an das Tageslicht zu ziehen und den wirklichen Thäter an das Gericht zu liefern. Er verfolgte die Spuren des Verbrechens ganz aus eigenem Antriebe über den Ocean hinüber, und seinen rastlosen Bemühungen und unbeschreiblichen Anstrengungen ist es gelungen, des Raubmörders habhaft zu werden und ihn, oder vielmehr sie, da es ihrer zwei sind, mit – – –«


»Halt!« unterbrach sie hier die donnernde Stimme des Prinzen. »Heinz!«

»Was denn, Dorchlaucht?«

»Meine Brille!«

Er riß ihr das Blatt aus den Händen, schob die Gläser vor die Augen, begann mit bebenden Lippen das bereits Gelesene zu wiederholen und fuhr dann fort:


»– da es ihrer zwei sind, mit List und Gewalt dingfest zu machen und der strafenden Justiz zu übergeben. Auch die nöthigen Zeugen hat er sofort gestellt, Prairiejäger und Fallensteller, ein Indianer, Seeleute u.s.w., eine ganze Gesellschaft von Männern, welche bei ihrem Erscheinen hier ein ganz außerordentliches Aufsehen hervorbrachten. Wie verlautet, soll auch jener unschuldig verurtheilte Offizier sich in seiner Begleitung befinden. Es steht zu erwarten, daß dieser Fall als neuer und eclatanter Beweis, daß selbst die wohlgeordnetste und bestgeführteste Justiz nicht infallibel sei, in den Annalen unserer Rechtspflege verzeichnet werde. Die Aufregung ist schon jetzt, auf die bloße Benachrichtigung hin, in den betreffenden Kreisen eine unbeschreibliche, und das unbetheiligte Publikum sieht den zu erwartenden Verhandlungen mit gespanntester Erwartung entgegen.« –


Die Pfeife war schon längst seiner Hand entfallen und klirrend am Boden zerbrochen. Er hatte geendet, aber noch immer starrte er das Blatt an, als müsse es ihm weitere Aufschlüsse geben; tiefe Stille herrschte im Zimmer, dann brach der alte, starke Mann in den Sessel nieder, so daß Wanda sich besorgt über ihn warf und Heinz eiligst herbeigestampft kam, um ihn zu unterstützen.

»Dorchlaucht, Donnerwetter, jetzt gilt es, festzustehn wie damals anno Vierzehn. Die Freude ist grad so gefährlich, wie eine Kartätsche, die aus der blauen Luft herniederplatzt!«

»Laßt mich!« wehrte der Oberst ab. Er hatte sich bereits wieder erholt und erhob sich. »Wer hat Dir dieses Blatt gegeben?«

»Eine Dame, Onkel.«

»Welche?«

»Darf ich ihren Namen nennen, ohne daß Du mir zürnst?«

»Schnell, sage ich. Wer eine solche Nachricht bringt, kann unmöglich Zorn empfangen.«

»Sie nennt sich Adele von Treskow und läßt Dich um eine Unterredung bitten.«

»Adele – von – Tres – kow,« zerriß er langsam den verhaßten Namen. »Sie also, sie! Doch, ich gab ihrem Bruder mein Wort, er hat seine Aufgabe gelöst; sie mag kommen!«

Wanda ging; Heinz folgte ihr. Nach einigen Augenblicken trat Adele ein.

Sie blieb am Eingange stehen, ihr halbverschleiertes Auge in ängstlicher Erwartung auf den Prinzen gerichtet. Hoch emporgereckt stand er ihr gegenüber, doch sein erst so finsteres Angesicht, sein drohendes Auge wurde beim Anblicke des schönen und so demüthigen Wesens heller und milder.

»Ich danke Ihnen innig für die Kunde, welche Sie mir überbrachten, mein Fräulein. Warum wünschten Sie eine persönliche Rücksprache?«

»Um Ew. Durchlaucht dieses Schreiben überreichen zu können!« klang es mit leiser, zitternder Stimme.

Sie zog einen Brief hervor. Der Prinz warf einen Blick auf die Adresse.

»Von Max! Haben Sie ihn gesehen, haben Sie ihn vielleicht gar gesprochen?« frug er hastig.

»Beides, gesehen und gesprochen, Durchlaucht.«

»Ah,« machte er, halb froh, halb erzürnt, »zu Ihnen ging er zuerst, an den Vater dachte er nicht!«

»Verzeihung, Durchlaucht, dem Vater galt und gilt noch heut sein erster und vornehmster Gedanke; für die scheinbare Vernachlässigung werden diese Zeilen jedenfalls eine genügende Erklärung bringen.«

Er öffnete und las:


»Mein theurer Vater.


Endlich, endlich ist mein heißester Wunsch erfüllt, ich darf offen und ohne Scheu den heimathlichen Boden wieder betreten. Voll Dank gegen Gott und Diejenigen, welche so Großes und Schweres an mir thaten, möchte ich zunächst und vor allen Dingen in Deine Arme eilen, aber nein, noch liegt die Schuld auf mir, und Du sollst den Sohn nur dann umarmen, wenn er Dir frei gerechtfertigt in das Auge zu blicken vermag. Ich lege mir freiwillig die Fesseln wieder an, welche ich einst gewaltsam sprengte, und bin überzeugt, daß ich sie nur kurze Zeit zu tragen haben werde; dann komme ich zu Dir. Ich habe gefehlt, mein Vater, aber auch viel gebüßt und schwer gelitten. Verzeihst Du mir, so sei auch gütig gegen Diejenige, welche Dir die frohste Botschaft überbringt. Ich habe gefehlt, nicht sie; sie ist gut, treu und rein; sie hat[819] geharrt und still geduldet; die Thränen haben ihr Herz überfluthet und ihre Augen verdunkelt; ihr Bruder rettete mich aus der Verbannung; sei mir, Deinem einzigen Sohne, ein gnädiger Vater, indem Du ihr einen Platz in Deinem Herzen gönnst!

Dein Max.«


Das Blatt zitterte in den Händen des ergriffenen Lesers, und in dem langen, langen Blicke, welcher auf dem Mädchen ruhte, sprach sich der kurze, aber entscheidende Kampf aus, welchen der alte Zorn mit der Vaterliebe in seinem Innern zu bestehen hatte. Diese Letztere siegte. Sein Auge wurde freundlicher und wärmer. Er reichte ihr die Hand entgegen und führte sie nach einem der Sessel.

»Sie haben stets an seine Unschuld geglaubt?«

»Stets.«

»Und sind ihm immer treu gewesen?«

»Ich habe ihn nie vergessen und stets für ihn gewacht und gebetet.«

»Wann kam er?«

»Vorgestern.«

»Wie sieht er aus?«

»O, sehr gut,« erwiderte sie erröthend; »stärker, kräftiger und männlicher als ehedem.«

»Wo befindet er sich?«

»Er begleitete mich nach dem Bahnhofe und wollte sich dann nach der Polizei begeben, um sich freiwillig zu stellen.«

»Er soll frei sein! Ich werde sofort aufbrechen, um jede Caution für ihn zu stellen. Heinz!«

Der Diener hatte sich in der Nähe gehalten und erschien.

»Was denn, Dorchlaucht?«

»Anziehen – einpacken – anspannen! Wir fahren nach der Residenz. Der Max ist da; ich werde – – –«

»Durchlaucht,« fiel ihm Adele bittend in das Wort, »vielleicht ist diese Reise nicht so nöthig, als es scheint. Die Beweise seiner Unschuld sind so klar, und der Einfluß meines Bruders ist ein so glänzender, daß der Prinz vielleicht früher auf Wildauen eintreffen kann, als wir es vermuthen.«

»Darauf kann ich mich nicht verlassen!« meinte der Oberst, den die väterliche Ungeduld im Zimmer auf- und niedertrieb. »Er soll keine Stunde – keine Minute – keine Secunde in Gewahrsam bleiben; er ist unschuldig, ich will ihn haben, ich – ich, der Reiteroberst Prinz Otto Victor von Schönberg-Wildauen!«

»Dann darf ich nicht länger zögern. Durchlaucht, ich habe Sie auf ein glückliches Ereigniß vorzubereiten.«

»Ereigniß –? Vorbereiten –? Ah, Sie wollen vorsichtig verfahren mit mir alten Manne! Er kommt, er ist unterwegs – ist's so, oder nicht?«

»Es ist so. Wir fuhren zusammen, er, ich, seine sämmtlichen Gefährten; die Bürgschaft meines Bruders hat vollständig hingereicht, ihm die Freiheit zu erhalten. Sie stiegen eine Station früher aus und kommen zu Pferde. Ich sollte vorausfahren, um den etwaigen Folgen der plötzlichen Ueberraschung vorzubeugen.«

Er hatte keine Zeit, ihr zu antworten, sondern drehte sich nach dem Diener um.

»Heinz!«

Der Gerufene war verschwunden.

»Heeeeeeeiiiiiiinz!!«

Auch auf diesen dringenden Ruf erschien er nicht; draußen aber wurde die Hofglocke gerissen, als stehe das ganze Schloß in Flammen. Der Oberst eilte hinaus, Adele ihm nach. Sämmtliches Gesinde und Dienstpersonal war auf das Allarmzeichen herbeigeeilt; Heinz hielt den Glockenstrang noch in der Hand und schrie aus Leibeskräften unter die Horchenden hinein:

»Der Prinz kommt, der junge, gnädige Lieutenant. Lauft, rennt, sputet Euch, bürstet, kehrt, putzt, wascht, steckt Flaggen auf, macht Guirlanden und Kränze, backt, kocht, bratet, springt in die Stadt, Ehrenpforten, Fahnen, Illumination, Reden halten, Hurrah rufen, Vivat schreien, Bürgergarde, Turner, Feuerwehr, der Bürgermeister mit den Stadtverordneten, der Pfarrer, die Lehrer mit den Schulkindern, Transparents anfertigen lassen beim Buchbinder, Freudensalven, Böllerschüsse, mit allen Glocken lauten, der Stadtpfeifer vom Thurme blasen – na, so macht doch, so lauft doch, was steht Ihr denn da und haltet Maulaffen feil! Wenn Ihr nicht bald Beine bekommt, so werde ich unter Euch hineinfahren wie damals anno Vierzehn unter die Franzosen, als ich bei der jungen Wittfrau im Quartier lag. Da gab es nämlich auch einmal eine frohe Botschaft, an die ich noch heut gedenken muß. Ich stand nämlich eines schönen Tages unter der Thür und putzte grad mein Lederzeug, da kam sie die Treppe herunter und stellte sich mit einer Miene vor mich hin, daß – – –«

»Was ist denn das für ein Mordspectakel?« unterbrach ihn hier der Oberst. »Was hast Du denn für einen Tagesbefehl zu verlesen, Heinz?«

»Ich gebe meine Ordonnanzen aus, Dorchlaucht, von wegen dem Einzugsjubiläum und dem Einzugsschmauß. Die Krakehline mag rasch zum Fleischer schicken und zum Bäcker und Conditor, damit – – –«

»Das braucht doch Er mir nicht etwa erst zu sagen!« wurde er wieder unterbrochen, indem die dicke Wirthschafterin mit geschäftig geröthetem Gesichte und hinter ihr Wanda aus der Küche traten. »Daß der junge Herr kommt, habe ich noch eher gewußt als Er, Er alter Isegrim, und was ich da zu thun habe, das ist meine Sache!«

»Sehen Sie, Dorchlaucht, daß sie schon wieder Krakehl anfangen will? Es ist am Besten, wir stecken sie ein paar Tage lang hinter Schloß und Riegel, damit – – –«

Er wurde zum dritten Male unterbrochen; es trat ein Ereigniß ein, welches den Fluß seiner Strafrede sofort in's Stocken brachte. Den steilen Schloßberg herauf kam nämlich in rasendem Galopp ein Pferd gelaufen, welches in den Hof einbog und in der Mitte desselben vor den hier versammelten Menschen scheute, so daß es mit einem plötzlichen Rucke zur Seite flog und den Reiter, welcher sich mit Armen und Beinen an seinen Hals und Leib geklammert hatte, auf das harte Pflaster schleuderte.

Einen Augenblick lang lag er wie geprellt am Boden;[820] dann begann er sich zu regen und krappelte sich langsam von der Erde auf. Es war eine sonderbare Gestalt. Von hoher, breiter und außerordentlich muskulöser Figur, trug er auf dem glattgeschorenen Kopfe einen Hut, dessen ungeheuere Krempe hinten weit über den Nacken herunterschlappte, während ihr vorderer Theil einfach über dem Gesichte weggeschnitten war. Den Leib bedeckte ein kurzer, weiter Sackrock, dessen Aermel kaum bis über die Ellbogen reichten und erst die Aermeltheile eines sauber gewaschenen Hemdes, dann die braungebrannten Vorderarme und endlich zwei Hände sehen ließen, die einem vorsündfluthlichen Riesenthiere anzugehören schienen. Die Beinkleider staken in ein Paar ebenso weiten Hosen von leichtem Zeuge, unter denen zwei Stiefeln sichtbar wurden, deren Leder aus dem Rücken eines Elephanten herausgeschnitten zu sein schien. Der Mann sah in dem alten Hute, dem moosgrünen Rocke und dem gelben Nankinghosen einer Maskenballfigur ähnlich, welche sich vom Saale heraus auf die Straße verirrt hat, und schnitt in Folge des durch den Sturz verursachten Schmerzes und des rundum schallenden Gelächters ein Gesicht, als wolle er vor Aerger das jetzt ruhig dastehende Pferd sammt der ganzen lustigen Gesellschaft verschlingen.

»Zounds, mille tonnerre, heiliger Schiffsrumpf, was giebt es denn zu lachen und zu schreien, Ihr Sakermenter, wenn ein ehrlicher Steuermann etwas schneller als gewöhnlich von dieser verdammten Bestie steigt? Macht es mir doch nach, Ihr Laffen, wenn Ihr es fertig bringt, ohne Eure Mondscheinknochen zu brechen. Aber, halte – là – heigh day – heda, da ist ja der Herr Durchlaucht oder wie er heißt und auch die schöne junge Miß, die mich damals so hoch gehalten hat! Und – by god – huzza, prächtig, da ist ja auch der Heinz, am crutch, an der Krücke, der alte Swalker! Kennst Du mich noch, Bruder Humpelfuß?«

»Der Peter, Dorchlaucht, weiß Gott, der Peter. Nun ist es erst ganz und gar gewiß, daß sie wirklich kommen!«

Er stelzte auf den Bruder zu, um ihn herzlich zu umarmen.

»Freilich bin ich es, der Peter Polter aus Langendorf, Hochbootsmannsmaat auf Ihrer englischen Majestät Kriegsschiff ›Nelson‹, dann Steuermann per honneur auf dem Vereinigten-Staaten-Klipper ›Swallow‹, auch Prairiejäger, Trapper, Squatter und Polizeikommissar, jetzt aber abgetakelt von diesem verteufelten Viehzeuge und Avisodampfer von all den stattlichen Fahrzeugen, die hinter mir hergesegelt kommen. Willkommen, Heinz. Komm, schieb den Schnurrbart bei Seite, damit ich den Ort finde, wo man nach Regel und Sitte die Lippen hinzudrücken hat!«

»Willkommen Peter!«

Er umarmte und küßte ihn herzlich.

»Willkommen, Peter!« rief auch der Oberst, ihm die Hand entgegenstreckend.

»Willkommen, Peter!« schloß sich Wanda freundlich an.

»Willkommen!« rief die ganze Dienerschaft, die bei seinem unfreiwilligen Einritte im Begriff gestanden hatte, den Anweisungen Heinzes nachzukommen.

Nur eine schwieg. Peter bemerkte es.

»Nun, kann Sie mir nicht auch die Hand reichen, Sie alte, griesgrämige Flattuse Sie? Da ist Mutter Thick in Hobokken doch ein anderes Weibsbild wie Sie! Die hat Haare auf den Zähnen und eine ganze Schiffsladung Ambition, aber wenn der Peter Polter kommt, da weiß sie, was sich schickt und ziemt! Good day auch Ihnen, Miß Treskow! Schon eingetroffen hier? Wir ritten so vergnügt beisammen und es ging auch eine Weile ganz hübsch und gut, bis es meinen Rappen einfiel, sich gegen das Steuer zu empören; ich gab ihm einige gute Hiebe und – hopp hopp, gings fort wie im Sturm, so daß ich mir alle Mühe geben mußte, nur den richtigen Cours einzuhalten. Führt den Racker in den Stall. Er hat es zwar nicht um mich verdient, aber er kommt mir dann wenigstens aus den Augen!«

»Also mein Sohn kommt wirklich?« frug der Oberst, ihn zu sich winkend und nach seinem Zimmer schreitend, gefolgt von Wanda, Adele und Heinz.

»Der Capitain Parker? Freilich kommt er und die andern Alle auch.«

»Wer noch?«

»Nun Alle: Der Polizeilieutenant, der Master Wallerstein, der Colonel, der Apache, Dik Hammerdull, Pitt Holbers, Bill Potter und so weiter. Der schwarze Capitain aber und der böse Jean, der mir damals mit meiner Uhr durchgekniffen ist, sie liegen in Eisen und werden den ›l'Horrible‹ so bald nicht wiedersehen.«

»Wann sind sie da?«

»Hm, in einer Viertelstunde. Wir haben Pferde genommen und das Gethier hat so rasche Beine, daß es wie auf Dampfschaluppen vorwärts geht.«

»Mein Gott, so schnell,« rief Wanda. »Da muß ich mich mit meinen Küchenvorbereitungen sputen!«

»Ich schließe mich Ihnen an, wenn Sie gestatten,« meinte Adele, sich von dem Obersten verabschiedend und der Freundin folgend.

Der Prinz befand sich in einer fieberhaften Aufregung; er mußte so schnell wie möglich Alles wissen.

»Also Herr von Treskow kommt auch mit?«

»Ja, Herr Fürst.«

»Wer ist jener Wallerstein?«

»Das ist, hm, das ist der Neffe vom Colonel.«

»Und wer ist der Colonel?«

»Sam Fire-gun, der Bruder von dem ermordeten Juwelier Wallerstein, den der schwarze Capitain mit der Miß Admiral ermordet hat.«

»Miß Admiral? Wer ist das?«

»Das ist die Geliebte des schwarzen Capitains und zugleich Segelmeister auf dem ›l'Horrible‹, ein ganz höllisches Frauenzimmer, Master Prinz, hat sich aber doch noch festgefahren.«

»Ich scheine mich da auf ganz romantische Berichte gefaßt machen zu müssen. Und die Andern?«

»Dik Hammerdull, Pitt Holbers und Bill Potter, das sind Prairiejäger und Fallensteller, die zur Compagnie des Colonels gehörten.«[821]

»Und dann noch Einer?«

»Ah, der Apache! Der heißt Winnetou, ein Häuptling der Apachen.«

»Also gar ein Indianer!«

»Yes, Herr Lord von Schönberg, und was für Einer! An ihn kommt Keiner, selbst der Colonel kaum.«

»Aber wie seid Ihr denn mit diesen Männern allen zusammengekommen?«

»Ja, das ist eine lange Geschichte, und wenn ich sie regelrecht abwickeln soll, so muß ich mich setzen.«

Er nahm ganz ungenirt Platz, zupfte sich den breiten Hemdenkragen zurecht und begann dann zu erzählen. Trotz der Ungeduld, mit welcher der Oberst die Ankunft des geliebten und so lange vermißten Sohnes erwartete, lauschte er doch mit Spannung dem interessanten Berichte des Seemannes, der sich so in seine Erzählung vertiefte, daß er erst dann eine aufhorchende Pause machte, als vom Städtchen her ein jubelndes Rufen und Singen durch das Fenster herein tönte.

»Sie kommen!« rief der Prinz. »Vorwärts, hinunter, ihnen entgegen!«

Er eilte hinaus und die Treppe hinab. Im Schloßhofe sah er das ganze männliche und weibliche Dienstpersonal in Reih' und Glied aufgestellt. Heinz, in seiner Staatsuniform von Anno Vierzehn, die er nur bei ganz besonders feierlichen Veranlassungen anzulegen pflegte, commandirte.

»Achtung! Augen rechts, richt't Euch! Augen grad aus, grad auf das Thor hin! August, paß auf!«

Einer der Knechte stand seitwärts bei einem alten Böller und hatte die Lunte in der Hand.

Da ließ sich scharfes Pferdegetrappel vernehmen und im nächsten Augenblicke sprengten die Erwarteten zum Thore herein.

»August, Feuer!«

Der Böllerschuß krachte.

»Laden, immer rasch wieder laden, August! Schreit Vivat, Ihr Leute!«

Von den Böllerschüssen und den Hochrufen der Schloßbewohner wurden die Pferde scheu, und während die Jäger absprangen und sie bei den Zügeln nahmen, lagen sich Vater und Sohn in den Armen, lange, lange Zeit. Es war ein tief ergreifendes Wiedersehen nach so schweren, traurigen Schicksalen, und als sie endlich von einander ließen, rollten den beiden starken Männer die hellen Zähren über die Wangen.

»Max, mein Sohn, mein lieber, lieber Sohn, willkommen bei Deinem alten Vater! Komm herauf, kommt mit, Alle, Alle; Ihr sollt Euch auf Wildauen ausruhen von dem, was Ihr für mich und mein Kind gethan, überstanden und erlitten habt!«

Droben angekommen, übernahm Max die Vorstellung. Es war eine wunderbare Gesellschaft, welche der Prinz jetzt bei sich sah, und in dieser Zusammenstellung war sie hier und im ganzen Lande wohl noch nie gesehen worden; aber jeder Einzelne wurde trotz seines unscheinbaren Aeußeren aufgenommen, als sei er eine fürstliche Persönlichkeit.

Dann ging es an das Erzählen und Berichten, welches so viel Zeit in Anspruch nahm, daß es selbst während der Tafel nicht ausgesetzt wurde. Und darauf gab es Tausenderlei zu fragen und zu ergänzen, bis der Prinz ein vollständig klares Bild von allem Geschehenen hatte.

»Und die drei Gefangenen?« frug er.

»Um jede Versäumniß zu verhüten,« antwortete Treskow, »gab ich die bereits während der Seefahrt aufgenommenen Protokolle zur augenblicklichen Durchsicht und ließ dann sofort das erste Verhör vor nehmen. Das Weib ist ein wahrer Teufel und der Capitain von der Hoffnungslosigkeit auf nochmalige Rettung kleinlaut geworden. Sie hassen sich gegenseitig jetzt ebenso grimmig, wie sie sich früher schrankenlos geliebt haben, und suchen einander durch die gravirendsten Aussagen gegenseitig zu verderben. So haben sie den Raubmord bereits gestanden, an welchem Beide gleich schuldig sind. Der größte Theil der Summe ist gerettet, den die Miß Admiral bei sich führte; sie hatte ihren Verbündeten darum bestohlen. Auch die im Hide-spot geraubten Depositenscheine sind außer einem einzigen noch vorhanden; der schwarze Capitain hat keine Zeit gehabt, sie zu verwerthen. Der Henkerstod erwartet sie sicher, vielleicht auch Jean Letrier, so daß eine spätere Auslieferung an die Vereinigten Staaten in Wegfall kommt. Unter solchen Umständen kostete es mich natürlich blos ein Wort, um Max selbst vor dem kürzesten gefänglichen Einziehen zu bewahren.«

»Ich danke Ihnen, Herr Lieutenant. Sie haben Ihre Aufgabe gelöst und ich werde mein Ihnen gegebenes Wort nun auch halten!«

Er erhob sich, nahm Adele bei der Hand und führte sie seinem Sohne zu.

»Hier, meine Kinder, seid vereinigt nach so langer Trennung, und nehmt meinen Segen als besten Beweis, daß ich die Vergangenheit vergessen habe und Euch und mir das Glück gönne, welches uns bisher gemieden hat.«

Und sich an Treskow wendend, fuhr er fort:

»Ihnen aber, Herr Lieutenant, bin ich einen Dank schuldig, dessen Größe mich verlegen macht; ich werde ihn niemals abtragen können. Doch will ich Ihnen versichern, daß – – –«

»Daß sich Jemand hier befindet, der Dich in der Erfüllung dieser Verpflichtung unterstützen wird, lieber Onkel,« fiel ihm Wanda in die Rede.

Das kluge und resolute Mädchen sah das Eisen warm und nahm sich vor, es schleunigst zu schmieden.

»Ja, thue das, mein Kind,« stimmte er zu. »Stehe mir bei, so viel Du kannst!«

»Ich habe bei der letzten Anwesenheit des Herrn von Treskow ihm einen Preis versprochen, wenn es ihm gelänge, seine Aufgabe zu lösen. Soll er ihn erhalten, Onkelchen?«

»Sicher, denn ich nehme an, daß Du nichts versprochen hast, was zu halten nicht in Deiner Macht steht.«[822]

»Es steht in meiner Macht. Richard, bitte!«

Sie ergriff die Hand des Geliebten und trat mit ihm vor den Prinzen.

»Weißt Du, welches der versprochene Preis ist?«

»Nun?«

»Ich selbst, Onkel. Darf er ihn haben?«

Mit überraschter Miene blickte der Oberst die Beiden an.

»Was? Die Sache ist zu ernst, als daß sie für Scherz genommen werden könnte. Ich weiß nur, daß Ihr Euch schon in der Residenz gesehen hattet.«

»So ist es, Durchlaucht,« nahm jetzt Treskow das Wort, »aber nicht allein gesehen, sondern auch herzlich lieb gewonnen. Ich allerdings würde diese Mittheilung bis zu einem andern Zeitpunkte, bis dahin aufgeschoben haben, wo ich mir sagen kann, von Ihnen gekannt und mit dem nöthigen Vertrauen beehrt zu sein; da aber Fräulein Tzernowska Sturm zu laufen beginnt, so muß ich mich schon tapfer an ihrer Seite halten.«

»Was mein Vertrauen betrifft, so bedarf es nicht erst einer bestimmten Zeit, um dasselbe zu erlangen; Sie besitzen es ja bereits in einem Maße, welches mich mit Freuden einwilligen läßt. Seid glücklich, Kinder, so glücklich, wie es hoffentlich die beiden Andern werden. Später aber sollt Ihr mir beichten, wie Ihr Euch zusammengefunden habt!«

Es folgte nun eine Scene voll Glück und Dankbarkeit. Die beiden jungen Paare überschütteten den alten »Knaster« mit ihren Zärtlichkeiten, daß es ihm endlich doch zu viel wurde und er sie mit spaßhafter Strenge zurückweisen mußte.

»Genug, genug für jetzt! Hier sitzen noch Andre, die wir nicht vergessen dürfen und die vor allen Dingen mit uns auf Euer Wohl anstoßen müssen.«

Dies geschah, und als die Reihe der Toaste ihr Ende erreicht hatte, wandte sich der Oberst an den Juwelier.

»Sie werden jedenfalls in der Residenz ein neues Geschäft errichten?«

»Sicher. Ich hoffe, daß die Kunden meines Vaters mir ihre Theilnahme zuwenden werden, sobald sie hören, daß der Sohn des Ermordeten sich etablirt hat.«

»Lassen Sie mich für meinen Theil mit dafür sorgen, daß dies geschehe. Ihre erste Arbeit aber wird für mich sein. Unsre beiden Damen werden gar Manchenlei bedürfen, was in Ihr Fach schlägt. Und Sie,« wandte er sich an den Colonel, »werden wohl von nun an im Vaterlande bleiben?«

Der Gefragte schüttelte langsam mit dem Kopfe.

»Wen die Prairie einmal gepackt hat, Durchlaucht, den läßt sie nie wieder los. Ich werde hier bleiben, bis der Prozeß beendet ist, und dann mit den Meinigen wieder zurückkehren. Die Savanne bietet uns den unendlichen Raum zum freien Leben, sie hat auch Platz genug für uns im Tode.«

»Und Du, Peter?«

»Ich? Hm, Herr Durchlaucht, ich weiß noch gar nicht, in welches Fahrwasser ich gerathen werde. Mutter Thick und die ›Swallow‹, die möchte ich wiedersehen, ja, vor der Hand aber bin ich bei meinem Humpelheinz und werde mich wegen der Zukunft noch nicht mit Grillen plagen. So viel aber ist gewiß, daß ich niemals wieder in diese miserable Prairie zu bringen bin. Ich habe genug von ihr!«

»Glaub's!« lachte der Oberst. »Jetzt aber, Ihr Leute, laßt Euch Eure Zimmer anweisen. Ihr seid alle der Ruhe bedürftig und hier auf Wildauen vollständig zu Hause.«

Es geschah; die zahlreichen Gastzimmer des Schlosses wurden fast sämmtlich mit Beschlag belegt. Jeder erhielt einen oder mehrere der prächtigen Räume angewiesen, und ganz besonders waren es die Trapper, welche sich über den Comfort, der sie umgab, nicht genug wundern konnten.

Nachdem man ein Wenig ausgeruht hatte, saßen Hammerdull, Holbers und Potter zusammen auf einen kostbaren Sammetdivan und rauchten aus den bekannten holländischen Pfeifen des Obersten ihren Tabak.

»Pitt Holbers, altes Coon,« meinte der Erste, »was sagst Du denn zu diesem Hide-spot, he?«

»Hm, wenn Du denkst, Dik, daß es Einem hier gefallen kann, so hast Du recht. Der alte Prinz ist ein famoser Kerl.«

»Ob famos oder nicht, das bleibt sich gleich; aber er hat ein delicates Essen, kostbares Zeug in den Flaschen und einen Tabak, der in den Staaten drüben nicht besser sein kann. Die Mary habe ich mit; nun fehlt mir nur noch meine alte, treue Mirjam, die ich in Franzisko gelassen habe. Was könnte die sich hier pflegen! Oder nicht, Bill Potter?«

»Deine Mirjam? Was geht mich die Stute an! Die Hauptsache ist, daß ich mich wohl befinde, und das, hihihihi, das ist ganz gehörig der Fall. Wir haben Alles, was das Herz begehrt, und ein Wenig in Wald und Feld herumpürschen, das werden wir wohl auch dürfen. Ich gehe nicht sogleich wieder fort von hier!«

Einer der Glücklichsten und zugleich Geschäftigsten war Heinz. Er hatte seinen lieben jungen Herrn wieder, seinen Peter bei sich und konnte nun die berühmte Geschichte von anno Vierzehn gehörig an den Mann bringen.

Der Prinz war mit einem Male wieder jung geworden; er konnte sich von den vier Verlobten kaum trennen und ging noch am späten Abende, als Alles sich zur Ruhe begeben hatte, mit ihnen im Parke promeniren. Trotz der Ausführlichkeit der heutigen Erzählung gab es noch genug zu fragen, zu beantworten und zu ergänzen, sodaß die Unterhaltung fast kein Ende nehmen wollte.

Eben waren sie an einen freien Platz gekommen, welcher ringsum von hohen, dicht belaubten Linden umgeben war, als sie eine dunkle Gestalt bemerkten, welche ausgestreckt im hohen Grase lag.

»Wer ist das?« frug der Oberst. »Sollte sich ein Landstreicher herein in den Park gemacht haben?«

Sie traten näher.

»Wer ist hier?« klang die barsche Frage des Schloßherrn.

Die Gestalt wickelte sich aus der sie umhüllenden Decke und erhob sich. Es war der Indianer.

»Das große Wigwam meines weißen Bruders ist schöner[823] als die Wohnung Manitou's, aber der Sohn der Prairie liebt die freie Luft und den Glanz der Sterne. Winnetou, der Häuptling der Apachen wird schlafen in den Halmen des Grases und sich bedecken mit den Wolken des Himmels, wie es thun die Kinder seines Volkes von Jugend auf. Howgh!«– – –[824]


Quelle:
Auf der See gefangen. Criminalroman von Karl May. In: Frohe Stunden. 2. Jg. Dresden, Leipzig (1878–1879). Nr. 52.
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Auf der See gefangen
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Auf der See gefangen. Gesammelte Werke Bd. 80

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