2.

Eine finstre That

[386] Er war ein schöner, ein sehr schöner Mann, dieser Vicomte de Latour; das wußte er selbst recht gut und verwandte auch auf die Pflege der ihm von der Natur verliehenen äußeren Vorzüge eine Sorgfalt, als ob es sich dabei um die wichtigste Angelegenheit des irdischen Lebens handle.

Eben jetzt saß er im Frisirstuhle, um seiner vortrefflichen Erscheinung durch die Hand des kundigen Dieners jenes unvermeidliche pic ertheilen zu lassen, ohne welches der »Falter des Salons« zwischen den Rosen und Blumen der Gesellschaft herumflattert wie ein lädirter Schmetterling, der seine schillernden Flügelschuppen verloren hat.[386]

»Jean, ich war gestern mit meinem Barte nicht zufrieden!« sagte Vicomte de Latour zu dem Diener. »Ich mußte sehr viel streichen, um die Spitzen grad zu erhalten; sie sanken ganz bedeutend niederwärts. Wer trägt die Schuld, Du oder die Wichse? Es war doch echt ungarische!«

»Ich glaube, das Letztere ist der Fall, gnädiger Herr. Die Parfumeurs bringen jetzt nur lauter elendes Zeug auf den Markt!« antwortete der Diener mit einem ironischen Lächeln.

»Und das Toupet war auch nicht gut; es bildete ein ganz schauderhaftes Gelock. Du mußt Dir mehr Mühe geben!«

»Ich bin kein gelernter Friseur, gnädiger Herr, und thue, was in meinen Kräften steht. Mehr ist von einem einfachen Matrosen nicht zu verlangen!«

»Vraiment, das mag sein, mein lieber Jean. Aber Du solltest trotzdem zu lernen suchen, was zu Deiner gegenwärtigen Stellung nothwendig ist. Eau de Cologne oder eau de mille fleurs paßt nicht auf das Taschentuch eines respectablen Cavaliers. Nimm in Zukunft coeur de rose dazu. Doch, à propos, hast Du meinen gestrigen Auftrag ausgeführt?«

»Ich hoffe, der gnädige Herr werden mit mir zufrieden sein!«

»Nun?«

»Es war doch die blonde Dame gemeint, welche dem Herrn Vicomte gegenüber an der Seite eines ebenso blonden jungen Mannes Platz genommen hatte?«

»Dieselbe. Sie war ganz ungewöhnlich reizend und eine Schönheit ersten Ranges. Ich muß unbedingt ihre Bekanntschaft machen!«

»Ich bin Beiden am Schlusse der Vorstellung nachgegangen bis an ihre Wohnung und habe mich schon heut früh, als der gnädige Herr noch schliefen, nach den Verhältnissen der Dame genau erkundigt.«

»Und das Resultat dieser Erkundigung ist?«

»Sie heißt Adele von Treskow und gehört einer sehr alten aber ebenso armen Familie an. Sie besitzt blos noch die Mutter; der Herr war ihr Bruder und ist in irgend einer Eigenschaft, welche ich nicht erfahren konnte, beim Justizwesen angestellt. Sein Gehalt wird für die Bedürfnisse der drei Personen wohl kaum hinreichen.«

»Ein sehr glücklicher Umstand! Und die Herzensverhältnisse des Fräuleins? Eine Frage nach ihnen hat ihre Schwierigkeiten.«[401]

»Ist mir aber doch genügend beantwortet worden.«

»Ah!«

»Sie ist die Geliebte eines Herrn Max von Schönberg-Wildauen; er ist Artillerie-Offizier und bewohnt eine Parterre-Abtheilung im Palais der Herzogin von Oerstädt.«

»Ist er reich?«

»Sehr! Sein Vater, der Prinz Otto Victor von Schönberg-Wildauen sollte als Aeltester der Familie eigentlich regierender Fürst sein, hat aber aus Liebe zu einem nicht gleichblütigen Mädchen einst freiwillig verzichtet und soll seinen Besitz nach Millionen zählen.«

»Hm! Ob diese Liebe wohl eine geheim gehaltene ist?«

»Das zu erfahren, war mir allerdings nicht möglich. Wenn der gnädige Herr die Dame beobachten wollen, so bietet sich dazu eine günstige Gelegenheit; grad vis-à-vis befindet sich eine Conditorei mit Kaffee. Das Haus besitzt einen öffentlichen Durchgang; man vermag also von der Rückstraße her Zutritt zu nehmen.«

»Prächtig! Ich werde gleich nachher dort frühstücken. Du begleitest mich!«

Jean entfernte den Pudermantel von der Schulter seines Herrn und war ihm behülflich, die elegante Promenadentoilette anzulegen. Als dies geschehen war, wurde die Conditorei aufgesucht. Allerdings konnte man von hier aus das Haus, welches die Familie Treskow mit bewohnte, vollständig überblicken, und der Vicomte hatte das Glück, das schöne, rosige Köpfchen des Fräuleins einige Male am Fenster erscheinen zu sehen. Seine Befriedigung wurde noch größer, als er sie in Begleitung der Mutter dann auf die Straße treten sah. Jedenfalls beabsichtigten sie, einen Morgenspaziergang zu unternehmen. Er erhob sich, gab dem Diener einen Wink und folgte den beiden Damen von Weitem.

Diese schritten durch mehrere Straßen und bogen dann in den Park ein, dessen Teich von dem feineren Publikum zum Gondeln benutzt zu werden pflegte. Als sie eines der kleinen, schwankenden Fahrzeuge bestiegen, wandte sich Latour zum Diener zurück.

»Jean, wir kennen uns nicht. Du nimmst eine Gondel und stößest mit ihnen zusammen. Wenn es Dir gelingt, die Frauen über Bord zu kentern, erhältst Du eine gute Belohnung von mir!«

Jean lächelte schlau.

»Keine Sorge, Herr Vicomte! Ein Seemann wie Jean Letrier wird es doch wohl fertig bringen, diese Nußschaale von Spielzeug umzurudern. Sie ziehen die junge, ich oder der Rudermann, welcher bei ihnen sitzt, die alte Dame aus dem Wasser, und voilà die interessanteste Einleitung zu einer ebenso interessanten Bekanntschaft!«

Sie trennten sich. Latour nahm eine Gondel und stieß ab. Mit der Geschicklichkeit eines Mannes, der sich von frühester Jugend an auf der See bewegt hat, führte er das kleine Boot durch die Wellen. Die Zuschauer, welche am Ufer standen, bewunderten seine Kraft und die Geschmeidigkeit seiner Bewegungen, und die sich auf dem Wasser Befindlichen gaben sich die möglichste Mühe, es ihm gleich zu thun. Aller Augen waren auf ihn gerichtet, als plötzlich ein durchdringender Hülferuf erscholl. Die Gondel, in welcher die beiden Damen saßen, war umgeschlagen; Niemand wußte so recht, wie es geschehen war. Wie ein Pfeil schoß die Seinige auf die Unglücksstelle zu, und im nächsten Augenblicke hatte er Adele zu sich hereingezogen. Ihre Mutter wurde von dem Insassen eines andern Fahrzeuges aus dem nassen und gefährlichen Elemente befreit. Er landete und winkte eine Droschke herbei. Als die Frauen in derselben Platz nahmen, hatten sie sich von dem Schreck noch nicht erholt, doch ermannte sich die Mutter in soweit, daß sie den Pflichten der Höflichkeit und Dankbarkeit Folge leistete:

»Verzeihen Sie, mein Herr, daß der Ausdruck unsers Dankes augenblicklich kein genügender sein kann,« meinte sie. »Darf ich um Ihre Karte bitten?«

»Gnädige Frau, ich bin mehr als vollständig belohnt durch das Glück, Sie von meiner Hochachtung überzeugen zu dürfen! Ich bitte sehr, mich nach Ihrem Befinden erkundigen zu dürfen, und gestatte mir, dem mir gewordenen Befehle Gehorsam zu leisten.«

Er überreichte die gewünschte Karte und verabschiedete sich mit einer vollendeten Verbeugung von den beiden vor Schreck und Nässe zitternden Damen.

Der Coup war vollständig gelungen. Mit befriedigter Miene traf er mit Jean zusammen, welcher sich königlich freute, die versprochene Belohnung verdient zu haben, ohne von irgend Jemand für seine vermeintliche Ungeschicklichkeit zur Rechenschaft gezogen worden zu sein.

Die gewünschten Folgen ließen nicht lange auf sich warten. Schon am frühen Nachmittage ließ sich Richard von Treskow, der Bruder Adelens melden, im Namen der Mutter eine Einladung für den Abend auszusprechen. Er war ein junger, ungewöhnlich gewandter Mann, der sich nicht im Mindesten durch das selbstbewußte Wesen Latours und den Luxus, mit welchem die Wohnung desselben ausgestattet war, beengt zu fühlen schien. Im Gegentheile machte er es sich so bequem und gemüthlich wie möglich bei ihm und zog ihn in ein so animirtes Gespräch, daß der Vicomte bald keinen faux pas mehr zu begehen glaubte, wenn er sich leise nach den Herzensverhältnissen seiner Schwester erkundigte.

»Adele ist verlobt,« antwortete Richard; »zwar ist es keine Verlobung unter großem Cercle gewesen, vielmehr glaubt Max von Schönberg-Wildauen Ursache zu haben, seinem Vater erst in einer späteren Zeit die betreffenden Erörterungen zu machen; aber die beiden Leute haben sich außerordentlich lieb und fühlen sich vollständig gebunden.«

»Jedenfalls wird mir das Vergnügen, auch dem Herrn von Schönberg vorgestellt zu werden!«

»Natürlich, und ich werde diese Verpflichtung sogar sehr gern und mit Genugthuung auf mich nehmen! Leider ist er jetzt abwesend. Er befindet sich auf Manövre, kommt erst ungefähr in acht Tagen wieder in Garnison und wird sich dann jedenfalls beeilen, Ihnen den schuldigen Dank abzustatten[402] für den außer ordentlichen Dienst, welchen Sie meiner Schwester heut leisteten.«

»O bitte, mein bester Herr Treskow,« meinte Latour abwehrend und mit wegwerfender Miene; »was ich that, war nicht so groß und rühmenswerth, daß es einer besonderen Danksagung bedarf. Ein jeder Andre an meiner Stelle hätte ja dasselbe gethan. Ich hörte schon einmal von der Familie Schönberg sprechen. Es soll eine sehr distinguirte und wohlhabende sein?«

»Beides ist richtig! Die Schönbergs gehören zu den ersten Familien des Landes und theilen sich in die fürstliche und gräfliche Linie. Das Vermögen der Fürsten von Schönbergs-Wildauen ist ein fast unermeßliches und man kann es den Herren zum Ruhme sagen, daß sie von ihren Reichthümern den besten Gebrauch zu machen verstehen. Ich habe den schlagenden Beweis zu dieser Behauptung an mir selbst erfahren.«

»Ah!?« dehnte Latour, unter einer gut gespielten Theilnahme seine Neugierde verbergend.

»Gewiß!« antwortete Richard offen. »Ich habe nie das Glück gekannt, über volle oder auch nur einigermaßen zureichende Mittel gebieten zu können. Mein Vater hinterließ uns einen alten, ehrlichen Namen und einen ganz bedeutenden Schuldenrest, welchen er geerbt hatte, ohne ihn später vollständig decken zu können. Um meinen Studien obliegen und mir eine angemessene Existenz gründen zu können, mußte ich mich einem Gläubiger in die Hände geben, der sich nach und nach als Wucherer entpuppte und die geringen Summen, welche ich von ihm entnahm, zu einer wahrhaft erschreckenden Höhe steigerte. Die Lage, in welche ich mich durch diesen Schmutz versetzt sah, wurde geradezu unerträglich und ich sah mich fast der Verzweiflung nahe, als Max von Schönberg mir seine Freundschaft schenkte und mir die großmüthigste Hülfe brachte. Ebenso verdanke ich seinem Einflusse wohl zum Meisten die für mein Alter sehr ungewöhnliche Stellung, welche ich gegenwärtig bekleide. Kann ich Ihren in derselben oder durch dieselbe eine Gefälligkeit erweisen, Vicomte, so verfügen Sie über mich!«

Er hatte sich erhoben, um seinen Besuch zu beenden. Latour reichte ihm mit wohlwollendem Lächeln die Hand.

»Ich danke Ihnen! Ich glaube kaum, daß ich während meines nur kurz zugemessenen Aufenthaltes hier in die Lage kommen könnte, Ihren juridischen Beistand in Anspruch zu nehmen; desto mehr aber möchte ich mir Ihr persönliches, ich möchte sagen Ihr gesellschaftliches Wohlwollen erbitten, besonders in Beziehung auf die Glieder Ihrer Familie, die ich so gern von meiner ganz besonderen Theilnahme überzeugen möchte. Für jetzt aber Adieu! Wir sehen uns doch heute Abend wieder?«

»Das versteht sich. Ich wünsche nur, daß Max anwesend wäre, um Ihnen denselben vorstellen zu können.«

Er empfahl sich. Latour blickte ihm noch durch die Scheiben des Fensters nach.

»Entrirt, glücklich entrirt, diese interessante Angelegenheit!« meinte er mit befriedigtem Lächeln. »Das Mädchen ist allerliebst, wirklich allerliebst; sie hat etwas Unwiderstehliches an sich, dem man Rechnung zu tragen gezwungen ist, trotzdem man Erfahrung genug besitzt, um dergleichen Abenteuer nur noch von der unterhaltenden Seite zu nehmen.«

Er schritt nachdenklich im Zimmer auf und ab.

»Fast möchte ich glauben, sie habe einen wirklich ernsten Eindruck auf mich gemacht, ungefähr wie Clairon, als ich sie zum ersten Male sah. Aber was thut es? Das Herz ist das albernste Gefäß im menschlichen Körper. Ich war wahnsinnig in diese Clairon verliebt, und jetzt – jetzt hasse ich sie, hasse sie mit aller Kraft und aller Gluth und würde viel, sehr viel darum geben, wenn ich von ihr loskommen könnte. Sie ist mein Engel gewesen und mein Teufel geworden. Die Hölle möge ihr mit einem guten Messerstiche danken; aber tief muß er gehen und die richtige Stelle muß er treffen, denn diese fürchterliche Katze hat das Leben von tausend Panthern. Wie oft habe ich die Klinge schon hinter ihr gezückt und sie doch wie der in die Scheide gestoßen, weil mich ein einziger Ton ihrer berückenden Stimme wieder in die alten Banden schlug. Sie ist mir gefolgt von Land zu Land, von Meer zu Meer. Hier aber wird sie mich nicht überraschen, dafür ist gesorgt!«

Er griff zur Klingel.

»Den Wagen!« befahl er, als Jean erschien.

Dann trat er zum Sekretär und entnahm einem Fache desselben ein sehr zusammengefallenes Portefeuille.

»Die letzten Banknoten! Der Wechsel bleibt aus und ich habe schon einige Zeit lang von dem Ertrage meiner präparirten Karten leben müssen. Aber die Anweisung muß nun kommen und ich werde diese Summe hier zu irgend einem Bijou verwenden, welches ich heute der Treskow bringe. Ich kenne ja aus Erfahrung den Einfluß, welchen ein solches Geschenk auf das Frauenherz ausübt. Vorher aber versuche ich noch einen Sturm auf diesen elenden Krämer, der noch über seine eigene Vorsicht die Beine brechen wird!«

Der Wagen brachte ihn zum Banquier.

Dieser empfing ihn mit der Freundlichkeit eines Mannes, der die Regeln des Dehors hinter dem Kassenpulte studirt hat.

»Ah, der Herr Vicomte! Angenehm, sehr angenehm! Womit darf ich dienen?«

»Mit einem kleinen Vorschusse, Herr Commerzienrath, wenn ich aufrichtig sein soll.«

»Vorschuß? Wieso? Ein Vorschuß, und betrüge er den hundertsten Theil eines Pfennigs, ist und bleibt eine geschäftliche Sünde, für welche es keine Vergebung giebt!«

»Es war mir bei Ihnen ein Credit eröffnet, Herr Commerzienrath,« meinte Latour, der einen leichten Anflug von Beleidigtsein nicht zu unterdrücken vermochte, »dessen Höhe –«

»Meine Zahlungen an Sie bereits erreicht haben, Herr Vicomte,« unterbrach ihn schnell der Banquier.

»Sehr richtig! Ich war auf einige unvorhergesehene Ausgaben nicht vorbereitet. Doch glaube ich, dieser Credit[403] müsse ein gewisses Vertrauen zur Folge haben, an welches ich mich heute mit einer kleinen Bitte wenden darf.«

»Thut mir leid, mein Verehrtester! Der Geschäftsmann soll nur seinen Büchern trauen. Diese Klugheitsregel hat sich bei mir zum festen Prinzipe ausgebildet, gegen welches ich nur höchst ungern handle.«

»Haben Sie hier zu Lande nicht ein Sprüchwort, welches behauptet, daß eine jede Regel ihre Ausnahme erleide?«

»Das haben wir, doch ist es Jedermanns eigene Sache, an die Wahrheit dieses Wortes zu glauben oder nicht. Vielleicht wäre ich in dem vorliegenden Falle zu einer Ausnahme bereit, wenn nicht –«

»Nun, wenn nicht –?«

»Wenn mich nicht gewisse Gründe zum Gegentheile bestimmten.«

»Darf ich diese Gründe hören?«

»Warum nicht? Der erste liegt in Ihrem Besuche dunkler Häuser, die –«

»Herr Commerzienrath!« fuhr Latour zornig auf.

»Besuche dunkler Häuser,« wiederholte der Banquier gleichmüthig, »für welchen ich allerdings nur so lange keine Beachtung haben kann, als mein geschäftliches Vertrauen dabei nicht in das Spiel kommt. Kassiren Sie Ihre Anweisungen bei mir ein, zu welchem Zwecke Sie nur immer wollen. Handelt es sich aber um einen aller Caution entbehrenden Vorschuß, so ziehe ich allerdings meine persönlichen Beobachtungen zu Rathe.«

»Herr Commerzienrath!« klang es noch einmal drohend.

Dieser aber antwortete nur durch eine leichte, abwehrende Handbewegung.

»Der zweite Grund liegt an der augenblicklichen Ebbe, an welcher heute meine Kasse leidet. Ich mußte dem Juwelier Wallerstein vor wenigen Augenblicken eine sehr ungewöhnliche Summe vorstrecken, die er zum Ankaufe von Steinen zu verwenden hatte, welche zu zwei außerordentlich kostbaren Schmuckgarnituren bestimmt sind. Sie wurden von der Herzogin von Oerstädt bestellt; ich sehe mich wirklich zur größten Sparsamkeit veranlaßt!«

Latour erwiderte Nichts. Er nahm den Hut und empfahl sich mit einer tiefen, ironischen Verbeugung. Die Mittheilung des Banquiers war ihm mehr werth als die Summe, welche er zu fordern beabsichtigt hatte.

»Zum Juwelier Wallerstein!« befahl er, wieder in den Wagen steigend.

Der wegen seiner Geschicklichkeit berühmte Mann empfing den Vicomte mit außerordentlicher Zuvorkommenheit. Das Auftreten Latours, welcher schnell auswählte und ohne Handel bezahlte, ließ in ihm einen guten Kunden vermuthen. Schon wieder unter der Thür, wandte er sich noch einmal zurück.

»Es ist möglich, daß wir uns bald wiedersehen,« bemerkte er. »Ich beabsichtige, meiner Braut einen Schmuck anfertigen zu lassen, der ihrem etwas verwöhnten Geschmacke zusagt, und werde Sie vielleicht baldigst einmal um Rath und Urtheil ersuchen.«

»Sehr verbunden! Ich darf Ihnen mein Atelier aufrichtig empfehlen und hätte gerade jetzt Gelegenheit, Ihnen etwas wirklich Prachtvolles zu zeigen, wenn Ihre Zeit Ihnen den kleinen Aufenthalt gestattete.«

»Zu einem solchen Zwecke steht mir die nöthige Muse natürlich zur Verfügung. Ist es wirklich etwas so Exquisites?«

»Sie dürfen meiner Versicherung Glauben schenken! Wollen Sie gefälligst Zutritt nehmen?«

Er führte den Vicomte in ein anstoßendes Cabinet und breitete eine Anzahl funkelnder Steine von seltener Größe und Reinheit vor ihm aus.

»Ich bin soeben erst in den Besitz dieser Kostbarkeiten gekommen, welche zu einer Doppelgarnitur für die Herzogin von Oerstädt bestimmt sind. Sie repräsentiren ein ganzes Vermögen und würden selbst einer Kaiserin zur Ehre gereichen.«

Er ließ die Brillanten vor dem Auge des entzückten Zuschauers in allen Lichtern spielen. Latour besah sich jeden einzelnen der Steine und frug dann:

»Sind Sie mit diesen Einlagen an die Herzogin gebunden?«

»Allerdings! Auch würde ich ihre Kundschaft sofort verlieren, wenn ich für eine andere Person ein Duplicat anfertigte. Doch hoffe ich, auch in anderer Weise allen Ihren etwaigen Ansprüchen gerecht werden zu können.«

»Auch baldigst?«

»Baldigst, ja, wenn auch nicht für heute und morgen. Die beiden Garnituren nehmen für den Augenblick meine Zeit so vollständig in Anspruch, daß ich vor Beendigung dieser Arbeit eine andere wohl kaum vornehmen kann. Doch von diesem Augenblicke an stehe ich Ihnen dann sofort zu Gebote.«

»Wann würde dies sein.«

»Die Herzogin hat ihre Eigenthümlichkeiten und ist sehr penibel, sehr minutiös. Heute ist Dienstag; Montag Abend Punkt neun Uhr bin ich zu ihr befohlen. Bringe ich den Schmuck eine Viertelstunde später, so behält sie ihn nicht. Man schickt sich jedoch gern in solche Eigenheiten, denn sie wird auch Punkt neun Uhr zahlen, und zwar baar, ein Umstand, welcher bei der jetzigen Art und Weise dieser Herrschaften leider zu den Seltenheiten gehört.«

Ein undefinirbarer Zug glitt blitzschnell über das Gesicht Latours.

»So muß ich mich also fügen,« meinte er. »Lassen wir immerhin der Dame den Vortritt; ich werde nicht verfehlen, mich einzustellen.«

Mit diesen Worten empfahl er sich.[404]

Draußen angelangt verschmähte es der Vicomte in dem Wagen Platz zu nehmen; vielmehr schickte er denselben nach Hause und schritt langsam und ohne ein besonderes Ziel die Straße entlang. Es waren Gedanken in ihm aufgestiegen, welche er im Gehen besser zu klären vermochte als unter dem Hufschalle der dahintrabenden Rosse. Sie nahmen ihn so sehr in Anspruch, daß er fast die Stunde versäumt hätte, für welche er bei Treskows zugesagt hatte.

In seinem Hotel angekommen, machte er zwar in Eile aber doch mit gewohnter Sorgfalt Toilette und fuhr dann nach der Wohnung des Mädchens, welches einen ebenso großen Eindruck auf ihn gemacht hatte, wie – – Clairon.

Er fand nicht eine große Gesellschaft, sondern nur den engsten Familienzirkel versammelt, ein Umstand, welcher ihm nicht anders als willkommen war. Der Zauber, welcher Adelen umgab, machte sich hier mehr als vorher geltend, und als Latour die Familie verließ, geschah es mit dem festen Vorsatze, die neue, liebenswürdige Bekanntschaft mit allem Eifer zu verfolgen, um seinen bisherigen Eroberungen eine neue und vielleicht die beneidenswertheste hinzuzufügen.

Er sprach von jetzt an täglich vor, begleitete die Damen auf ihren Spaziergängen und hatte schon nach wenigen Tagen auf alle Rechte und Pflichten eines Hausfreundes Beschlag gelegt. Die beiden Frauen ließen dies ruhig geschehen, Richard aber beobachtete es mit weniger Gleichmuth als sie. Er hatte ein scharfes Auge und stand im Begriffe den Vicomte zu durchschauen. Die Rückkehr Max von Schönbergs stand in Kürze zu erwarten. Was würde dieser zu dem Nebenbuhler sagen? Adele war dem Geliebten in treuer Liebe ergeben, daran konnte gar nicht gezweifelt werden, aber auch die erfolglose Nebenbuhlerschaft hat ihre Schattenseiten, welche einen jungen Mann sicher nicht gleichgültig lassen werden.

Es war am Abende des Sonntages, als vor dem Thore des Hotels, in welchem Latour logirte, eine Droschke hielt, aus welcher ein junger Mann mehr sprang als stieg und sich an den herbeieilenden Kellner mit der Frage wandte:

»In diesem Hause wohnt der Herr Vicomte de Latour?«

»Ja, mein Herr!«

»Kann ich ein Zimmer mit Cabinet haben, aber comfortabel und möglichst in der Nähe des Herrn Vicomte?«

»Es wird möglich zu machen sein.«

»Ist der gnädige Herr zu sprechen?«

»Nein. Der Herr Vicomte sind ausgefahren.«

»Wohin?«[417]

»Ich mußte drei Billets für die Oper besorgen.«

»Drei? Für wen die beiden andern?«

»Das vermag ich nicht zu sagen.«

»Welchen Rang mußten Sie nehmen?«

»Mittelloge des ersten.«

»Wann beginnt hier die Oper?«

»Der Anfang ist schon um eine Stunde vorüber.«

»Wo befindet sich der Diener des Herrn Vicomte?«

»Er begleitete den Herrn.«

»Schön! Bringen Sie die Wohnung in Stand. Ich fahre in's Theater und werde nach meiner Rückkehr ein Abendbrod auf meinem Zimmer nehmen. Sollte der Herr Vicomte vor mir zu Hause sein, so braucht er von meiner Anwesenheit Nichts zu erfahren!«

»Ganz wie Sie befehlen, gnädiger Herr!«

Der Fremde voltigirte mit einem katzenartigen Sprunge in die Droschke zurück und schnellte sich nach wenigen Minuten vor dem Hauptportale des Theaters mit einem eben solchen Satze wieder zur Erde herab.

»Sie halten sich in der Nähe und bleiben zu meiner Disposition,« meinte er, den Kutscher bezahlend. »Lassen Sie mich nicht warten, wenn ich winke!«

Das gegebene Stück war nicht für das große Publikum berechnet; es wurde vor einem nur spärlich besuchten Hause gegeben, und darum war an disponiblen Plätzen kein Mangel. Der Fremde wählte das Parquet, suchte Deckung hinter einem der Pfeiler und warf dann den Blick empor zur Mittelloge des ersten Ranges. Ein finsterer Schatten glitt über seine schönen, weichen Züge, die Augen blitzten scharf auf und die kleine, fein behandschuhte Hand ballte sich zur Faust; Latour saß neben Adele von Treskow und war, ohne auf die Bühne zu achten, augenscheinlich dabei, ihr galante Schmeicheleien zu sagen.

Der verborgene Beobachter wandte sich am Schlusse des Actes an seinen Nachbar:

»Pardon, mein Herr, können Sie mir vielleicht sagen, wer der Herr in der Mittelloge des ersten Ranges ist, welcher eben jetzt so angelegentlich mit seiner Nachbarin spricht?«

»Gewiß kann ich Ihnen dies sagen, da er zufälliger Weise in unserm Atelier vor einigen Tagen einen Einkauf machte und dabei seine Karte zurück ließ. Es ist der Vicomte de Latour, jedenfalls ein Franzose, welcher vorübergehend seinen Aufenthalt hier genommen hat.«

»Ich danke Ihnen sehr. Ist Ihnen die Dame an seiner Seite bekannt?«

»Auch sie kenne ich; ihr Verlobter, der Prinz von Schönberg-Wildauen, ließ für sie schon Verschiedenes bei uns arbeiten. Es ist ein Fräulein von Treskow, deren Bruder beim Ministerium der Justiz beschäftigt ist.«

»Darf ich fragen, welcher Art die Arbeiten sind, von denen Sie sprechen?«

»Ich bin Geschäftsführer des Hofjuweliers Wallerstein.«

»Ah!« dehnte der Frager. »Welcher Gegenstand war es, den der Vicomte bei Ihnen erwarb?«

»Ein Bracelet von ungewöhnlicher Arbeit und dem entsprechenden Werthe.«

»Er ließ seine Karte zurück?«

»Wie ich schon sagte. Er sprach davon, sich eine Schmuckgarnitur für seine Braut fertigen zu lassen.«

»Das dürfte doch wohl kaum mit der Angabe, wel che Sie über Fräulein von Treskow machten, in Einklang zu bringen sein!«

»Warum nicht? Diese Dame ist für ihn jedenfalls nur das, was man eine ›Bekanntschaft‹ zu nennen pflegt. Eine Frage nach seiner Braut konnten wir natürlich nicht aussprechen. Sie scheinen an der Person dieses Herrn Interesse zu finden?«

»Allerdings. Ich begegnete ihm in Paris, allerdings nur flüchtig, weshalb beim Wiedererkennen eine Täuschung sehr leicht möglich war. Daher meine Erkundigung bei Ihnen.«

»Nach der Art und Weise, wie er von seiner Bestellung sprach, scheint er sehr wohlhabend zu sein?«

»In der feinen Pariser Gesellschaft galt er sogar für sehr reich. Ich hörte von großen Gütern, welche er im Süden Frankreichs besitzt.«

»Diese Mittheilung ist für mich von Werth, da unsre Auslagen für die in Rede stehende Arbeit ganz beträchtlich sein werden.«

»So wurde schon ein festes Uebereinkommen getroffen?«

»Nein. Zwar schien es ihm dringlich zu sein, da wir aber bis Montag zwei kostbare Garnituren für die Herzogin von Oerstädt zu liefern haben, so beschloß er, sich bis dahin in Geduld zu fassen.«

»Zwei kostbare Garnituren für die Herzogin von Oerstädt?« frug der Fremde. Die langen, seidenen Wimpern senkten sich auf seine großen, dunklen Augen, und das feine, blasse Gesicht nahm einen eigenthümlich starren Ausdruck an, als sei die Seele in scharfem Sinnen abwesend.

»Ja,« erwiderte der Juwelier wohlgefällig. »Es ist eine ungeheuer werthvolle Arbeit, die präcis Punkt Neun Abends abgeliefert werden muß. Damen von solcher Extraction haben ihre Eigenthümlichkeiten.«

Der Vorhang erhob sich wieder, und das kurze Gespräch hatte somit ein Ende erreicht.

Der Fremde wartete den Schluß der Vorstellung nicht ab, sondern trat noch vor demselben in das Foyer, warf einen Blick in das Adreßbuch und bestieg dann seine Droschke, um sich nach der Wohnung der Familie Treskow fahren zu lassen. Dort angekommen, stieg er aus, schickte den Kutscher fort und nahm im Dunkel eines Thoreinganges Platz, von welchem aus es ihm leicht war, alle Passanten genau zu beobachten.

Nach einiger Zeit kam der Wagen des Vicomte dahergerollt. Jean sprang vom Bocke, wo er neben dem Kutscher Platz gehabt hatte, und war den Herrschaften beim Aussteigen behülflich.

»Du fährst nach Hause,« befahl Latour, »und wartest dort meine Heimkehr ab!«[418]

Er verschwand mit Adele im Hausflur. Jean lachte vergnügt.

»Mir recht,« meinte er zu dem Rosselenker; »da kann ich einmal die Stelle des gnädigen Herrn einnehmen!«

Schon machte er Miene, im Plafond des Wagens Platz zu nehmen, als er zu seinem Erstaunen bemerkte, daß von der andern Seite ihm schon Jemand zuvorgekommen war.

»Was fällt Ihm denn da ein?« frug er. »Gleich steige Er aus dem Wagen und mache Er sich fort, sonst werde ich Ihm Seinen Weg zeigen!«

»Ah!«

Nur dieser eine Laut ließ sich als Antwort vernehmen; er erklang sonderbar scharf und pfauchend, grad als ob eine wilde Katze ihre geschmeidigen Glieder zum Sprunge rüste. Jean mußte diesen drohenden Ton kennen, denn er wich in unendlicher Bestürzung vom Wagenschlage zurück.

»Miß Admiral!«

Auch er sprach nur dieses eine Wort, aber in dem Klange desselben sprach sich ein Grad von Furcht aus, den man bei dem mehr als gewandten Domestiken wohl kaum gesucht hätte.

»An Bord mit Dir! Stoß ab, Jean!« klang es kurz und gebieterisch.

Im nächsten Augenblicke saß Jean auf dem Bocke, und der Wagen setzte sich in Bewegung. Der Fremde lehnte sich in die Kissen zurück und gab nicht eher ein Lebenszeichen von sich, als bis vor dem Hotel gehalten wurde. Ohne das Oeffnen des Schlages abzuwarten, schwang er sich über denselben zur Erde nieder, warf dem Diener ein barsches:

»Herauf!«

zu und trat in den hellerleuchteten Flur, wo ihn der Kellner, welchen er vorhin gesprochen hatte, erwartete.

»Ist meine Wohnung im Stande?«

»Zu Befehl, gnädiger Herr. Ich bitte um die Erlaubniß, Sie zu führen!«

»Und das Abendbrot?« frug er, im Zimmer angekommen.

»Steht bereit.«

»Ich danke! Jean wird mich bedienen.«

Der Kellner entfernte sich. Der seltsame Gast warf den Mantel ab und stellte sich mit über die Brust verschlungenen Armen vor Jean hin.

»Jean Letrier!«

Der Diener blickte fragend in die leuchtenden Augen seines Gegenübers.

»Wie gefällt es Dir am Lande?«

Jean zuckte die Achsel. Er wußte nicht, welches Ziel die Frage verfolgte.

»Nun? Du konntest doch vorhin sprechen, als Du den gnädigen Herrn spielen wolltest!«

»Mademoiselle Clairon, ich bin noch nicht darüber mit – – –«

Sie schnitt ihm mit einer gebieterischen Handbewegung die Rede ab.

»Mademoiselle Clairon ist zur See oder sonst irgendwo. Ich bin der Chevalier de Poulettre, merke Dir das! Wie befindet sich der Herr Vicomte?«

»Ich danke! Der gnädige Herr sind wohlauf.«

»Das läßt sich denken! Der Herr Capitain liegt ganz prächtig vor Anker, während die Mannschaft auf hoher Fahrt sich abarbeitet, daß die Rippen brechen. Ich werde ihn einmal zwischen die Taue nehmen, daß er die Kielmuscheln zu kosten bekommt. Jetzt will ich essen!«

Der sonst so resolute Diener schlich kleinlaut durch die Thür und zeigte dann bei der Bedienung des Chevaliers einen Eifer, wie er ihn wohl kaum bei dem Vicomte selbst in Anwendung brachte. Das Souper nahm eine so lang Zeit in Anspruch, daß Latour unterdessen zurückkehrte. Er fand Jean nicht seiner wartend und zog die Glocke. Erst nach mehrmaligem Klingeln erschien der Gerufene. Er hatte ein gefülltes Service in der Hand und sah außerordentlich in Anspruch genommen aus.

»Jean, ich muß Dir sagen, daß Du mich in neuerer Zeit ganz unverantwortlich vernachlässigst. Wenn Du in dieser Weise fortfährst, werde ich mich nach einem andern Diener umsehen müssen.«

Letrier setzte seine Last ab und trocknete sich den Schweiß von Stirn und Wangen.

»Herr Vicomte, ich habe nichts dagegen, gar Nichts, wenn Sie mir den Abschied geben wollen; denn wie die Sachen gegenwärtig hier stehen, ist ein verteufelt contrairer Wind zu erwarten. Ich konnte nicht kommen, weil ich Trepp auf und Trepp ab zu segeln habe wie ein Ebenholzschooner hinter dem die englischen Rothjacken her sind.«

»Das war nicht nothwendig, Jean. Du weißt ja, daß ich zu so später Stunde höchstens nur eine Wenigkeit zu essen pflege. Ziehe mir die Stiefel aus und gieb den Hausrock her!«

»Entschuldigung, gnädiger Herr, dazu habe ich keine Zeit!«

»Keine – Zeit – –!« rief Latour ganz erstaunt. »Höre, Mensch, ich glaube, Du bist wohl nicht recht bei Sinnen!«

»Was meine Sinne anbelangt, Herr Vicomte, so sind sie alle ganz prächtig unter Segel, obgleich es gar kein Wunder wäre, wenn mir einer oder der andere über Bord gegangen wäre. Ihr Souper, gnädiger Herr, hat mich nicht ermüdet; es ist ein Anderer, dem ich zu serviren habe.«

»Ein Anderer –? Du zu serviren? Es wird mir wirklich angst um Deinen Verstand!«

»Mein Verstand ist sehr gut, gnädiger Herr! Um ihn wird mir nicht angst, sondern um Sie, denn der Andre, den ich bedienen muß, oder vielmehr die Andere – – –«

Er wurde unterbrochen; eine Klingel ertönte.

»Da haben Sie es, Herr Vicomte; sie klingelt; ich muß fort!«

Er ergriff das Service und wollte eiligst das Zimmer verlassen. Latour hielt ihn zurück.

»Halt! Du bleibst; Du hast blos mich zu bedienen!«

»Lassen Sie mich, gnädiger Herr! Wenn ich nicht sofort[419] komme, wird sie zornig, und Sie wissen ja am Besten, daß sie dann entsetzlich ist!«

»Und wenn Du nicht bleibst, so werde ich zornig, und Du weißt, daß ich dann auch nicht liebenswürdig zu sein pflege. Wer ist denn diese fürchterliche Sie, die Dir so außerordentlich bange macht?«

»Es ist – – ach so, ich habe es Ihnen ja noch gar nicht gesagt, daß sie da ist! Es ist –«

Wieder wurde er unterbrochen.

»Jean!« ertönte eine helle, scharfe Stimme aus einer nahen, auf den Corridor geöffneten Thür.

Latour trat bei ihrem Klange erschreckt um mehrere Schritte zurück.

»Bei allen Teufeln,« rief er erblassend, »das ist ja – – oder trügen mich meine Sinne – das ist keine Andre als Clairon!«

»Freilich ist es die Miß Admiral, gnädi – – –«

Er konnte nicht weiter sprechen; ein gewaltiger Faustschlag, von hinten auf seinen Kopf streckte ihn zu Boden.

»So, mein Junge, daß ist für die Miß Admiral, wenn Du Dir den Chevalier de Poulettre nicht merken magst!« rief es zornig. »Scheer Dich hinüber an Deine Arbeit, sonst fühlst Du den Zweiten besser! Oder soll ich mit dem Essen vielleicht warten, bis es Dir gefällig ist?«

Der Diener raffte sich empor und war, die Scherben des zerbrochenen Services liegen lassend, im nächsten Augenblicke durch die Thür verschwunden. Der Fremde stand mit einem zweideutigen Lächeln vor dem Vicomte.

»Darf der Chevalier de Poulettre es wagen, den Herrn de Latour zum Souper zu laden?«

»Clairon! Ist es möglich, Dich hier zu sehen? Ich stand im Begriffe, an – – ich dachte, daß – – ich glaubte, Du wärst auf – – ich – ich – – –«

»Schon gut für jetzt, Herr Vicomte! Ich sehe, daß die Freude über meine wohlgelungene Ueberraschung Ihnen die Sprache raubt. Kommen Sie auf mein Zimmer, wo wir Gelegenheit finden werden, Ihrer verlorenen Fassung wieder habhaft zu werden!«

Mit einer gebieterischen Handbewegung deutete er nach der Thür. Latour gehorchte der Weisung und trat in das Nebenzimmer, wo Jean eifrig beschäftigt war, das Versäumte nachzuholen. Der Fremde überflog das Arrangement der Tafel mit einem raschen Blicke.

»Du kannst jetzt gehen, Jean! Ich werde klingeln wenn ich Dein bedarf.«

Der Diener entfernte sich, und die beiden Männer nahmen einander gegenüber Platz.

»Essen Sie, Vicomte,« meinte der Chevalier; »Ihre zarten Nerven bedürfen der Stärkung!«

Dem Blicke, welcher aus dem dunklen Auge blitzte, war nicht zu widerstehen. Ohne ein Wort der Erwiderung griff Latour nach dem Bestecke, und es trat eine lange Pause ein, während welcher nur das Klirren der Teller und das Geräusch von Messer und Gabel sich vernehmen ließ.

Es war, als sei der Vicomte vollständig seiner Sprache beraubt; er erhob den Blick nicht vom Couverte und vermied es sichtlich, ihn in das Auge seines Gegenübers zu senken. Endlich warf dieser die Serviette von sich und lehnte sich behaglich in dem weichen Polster des Sessels zurecht.

Latour folgte diesem Beispiele und ermannte sich zu einer Frage.

»Clairon, was soll Deine Anwesenheit hier?«

»Nicht mehr und nicht weniger als die Deinige.«

»Du bist Segelmeister des ›l'Horrible‹; Du gehörst auf das Schiff!«

»Du bist Capitain des ›l'Horrible‹ und gehörst auf seine Planken!«

»Ich übergab Dir seine Leitung, weil ich in Hamburg zu thun hatte, wie Du weißt!«

»Ich übernahm diese Leitung, weil ich nicht glaubte, daß Du Deine Reise zu einer Vergnügungstour ausdehnen würdest, in deren Betreff Dir meine Erlaubniß fehlt!«

»Es ist nicht das Vergnügen, welches mich hierher geführt hat, und übrigens wußte ich den ›l'Horrible‹ bei Dir in sicheren Händen.«

»Ueber den Zweck Deines Hierseins später! Ich allerdings bin nicht zum Vergnügen hier, sondern um Dir zu beweisen, daß unser gutes Schiff bei mir sich nicht in sichern Händen befand.«

»Wieso?« frug Latour mit schnell erhobenem Haupte.

»Du schriebst mir von Hamburg aus, die Wechsel an Deine gegenwärtige Adresse zu senden?«

»Allerdings that ich dies.«

»Den Einen erhieltst Du?«

Der Vicomte nickte.

»Der Folgende blieb aus?«

»So ist's! Ich befinde mich dadurch in großer Verlegenheit.«

»Sie wird nicht so bedeutend sein, da Dir die Mittel zu einem kostbaren Bracelet für die Dame Treskow übrig blieben!«

Latour fuhr überrascht empor.

»Woher weißt Du das?«

»Hast Du jemals Etwas zu thun vermocht, ohne daß ich Kenntniß davon bekam? Du kannst mich ebenso wenig hintergehen, wie es Dir jemals gelingen wird, den Herrn von Schönberg-Wildauen auszustechen. Du littest stets an einem höchst ungerechtfertigten Selbstvertrauen.«

Die Ueberraschung des Vicomte verdoppelte sich, aber er gab sich Mühe, ihrer Herr zu werden.

»Und Deine chronische Krankheit heißt Spionage. Doch Du bist falsch unterrichtet. Ich kaufte allerdings vor einigen Tagen ein Bracelet, aber nicht für Fräulein von Treskow, deren Bekanntschaft ich nur zufälliger Weise machte, sondern für Dich. Es befindet sich bei meinen Effecten und steht Dir jeden Augenblick zur Verfügung.«[420]

Der Chevalier de Poulettre lachte geringschätzend.

»Danke! Ich habe nie ein Geschenk acceptirt, welches für eine Andre bestimmt gewesen war. Befindet es sich wirklich noch in Deinem Besitze, so ist es doch nur, weil es von der Dame zurückgewiesen wurde, eine Ehre für sie und ein Glück für Dich, da dieses Armband Dein einziges Vermögen bildet. Du wirst es verkaufen müssen, um nicht zu verhungern.«

»Wie meinst Du das?« frug der Vicomte de Latour.

»Ganz so wie ich es sage. Es ist der Beleg zu meiner Behauptung, daß der ›l'Horrible‹ sich in schlechten Händen befand.«

»Du sprichst in Räthseln!« rief Latour mit erbleichendem Angesichte. »Was ist geschehen?«

»Wir sind gekapert.«

Sie wurden so ruhig, so gleichmüthig ausgesprochen, diese drei Worte, aber sie brachten eine schreckliche Wirkung auf den Vicomte hervor. Wie von Federn getrieben, so schnellte er von seinem Sitze in die Höhe; das Blut wich aus seinen Wangen, die Augen drohten aus ihren Höhlen hervorzutreten, und nur silbenweise wiederholte er langsam und tonlos:

»Wir – sind – ge – ka – pert?!«

»Gekapert, ja! Und Alles ist fort, Alles, Alles; kein Nagel, kein armseliger Span von unserm prächtigen ›l'Horrible‹ ist gerettet worden, und Niemand blieb übrig, um Dir die Nachricht zu bringen, als nur ich allein! Jetzt weißt Du, warum der Wechsel ausblieb.«

Latour sank kraftlos auf seinen Sitz zurück und lag einige Minuten lang vollständig bewegungslos; dann griff er mit zitternder Hand nach dem Glase, stürzte seinen Inhalt hinunter, füllte es wieder und leerte es zum zweiten Male auf einen Zug.

»Es ist unmöglich, was Du sagst, vollständig unmöglich!«

»Es ist wirklich und folglich auch möglich. Oder glaubst Du, daß ich hier sein würde, wenn es anders wäre? Glaubst Du, daß ich Dich meiner Eifersucht für werth halte und die Unsrigen verlassen möchte, um Dich im Abenteuer mit einer blassen Deutschen zu stören? Peh'!«

Er schien die Geberde der Verachtung, welche das letzte Wort begleitete, nicht zu bemerken und forderte begierig:

»Erzähle! Ich muß Alles wissen, Alles, und sogleich!«

»Gern, mein Angebeteter! Meine unendliche Liebe zu Dir macht es mir vollständig unmöglich, Dir eine so beglückende Nachricht auch nur eine Minute länger vorzuenthalten;[433] davon wirst Du ganz sicher überzeugt sein. Also höre: Ich hatte besprochener Maßen in Rio mit einem Wechsel zärtlich für Dich gesorgt; das Schiff war neu kalfatert, der Raum auf Massenlogis eingerichtet, und ich stach in See, um auf Ascension zuzuhalten, wo wir den ›Colombo‹ trafen und einige hundert Mann Ebenholz, die er an der Goldküste gepreßt hatte, an Bord nahmen. Gelang es, den Engländern zu entkommen, so mußte ich auf den Antillen ein glänzendes Geschäft machen.«

»Bekamst Du die Ladung wie immer auf Credit?«

»Nein. Der Spanier klagte über die schlechten Zeiten und meinte, die Rothjacken seien so wachsam, daß der Handel nur noch gegen Baar zu unternehmen sei. Wollte ich mir die Waare nicht entgehen lassen, so mußte ich meine Kasse bis auf den letzten Dollar leeren. Ich that es, denn die Neger waren ohne Ausnahme kräftig, jung und bei guter Laune, und besonders unter den Mädchen befanden sich einige Capitalexemplare, mit denen ich mir getraute, Ehre einzulegen.«

»Welchen Cours ließest Du halten?«

»Ich steuerte auf Cuba und gelangte glücklich bis zur Höhe von Bahia. Dort nahm uns ein englisches Orlog in Sicht, dem sich bald eine Fregatte zugesellte, welche sich als ein so trefflicher Segler erwies, daß an ein Entkommen ohne Kampf nicht zu denken war. Ich legte die schwarzen Hallunken an die Kette und ließ den ›l'Horrible‹ unter Waffen setzen. Die Einzelheiten kannst Du besser später erfahren, jetzt aber will ich kurz sein. Wir wurden von den beiden Engländern in die Mitte genommen und dermaßen zugerichtet, daß wir uns des Enterns nicht erwehren konnten. Unsre Jungens vertheidigten sich wie die Teufels; es half ihnen Nichts; sie wurden niedergehauen, oder gefangen genommen und nach kurzer Prozedur an die Raaen geknüpft. Der ›l'Horrible‹ war verloren.«

»Verloren!« rief Latour, »mein guter, mein herrlicher ›l'Horrible‹ verloren, geentert und genommen von den englischen Zwiebackratten, welche bisher immer schon zitterten, wenn sie nur meinen Namen hörten! O, wäre ich dabei gewesen, wäre ich nur dies einzige Mal dabei gewesen, ich hätte sie zu Paaren getrieben, wie stets und allemal!«

Er lief mit großen Schritten im Zimmer auf und ab und kämpfte mit einer Erregung, die ihm das Blut fast aus den Augen treten ließ. Auch der Chevalier war aufgesprungen; er hatte den Griff eines Messers erfaßt und zerfetzte mit der Klinge desselben achtlos das kostbare Tafeltuch, welches den vor ihm stehenden Tisch bedeckte. Die Erinnerung an die erlittene Niederlage verzerrte sein Gesicht zu einer häßlichen, abschreckenden Fratze und ließ unter der untadelhaften Weiße seiner Stirnhaut dicke, blaue Adern aufschwellen.

»Denkst Du, der ›l'Horrible‹ habe einen einzigen Feigling an Bord gehabt, so stoße ich Dir dieses kalte Eisen zwischen die Rippen!« zürnte er, indem ein leuchtender Blitz aus seinem Auge zuckte. »Du hast eine gute Faust und verstehst, einen wackern Kiel zu führen; das ist der einzige Grund, wegen dessen ich Dich erträglich finde. Aber glaubst Du, daß ich weniger vermag als Du? Es war unmöglich, das Schiff zu halten, und damit pasta. Ein einziges beleidigendes Wort noch von Dir, und von den Dreien, welche vom ›l'Horrible‹ noch übrig sind, Du, ich und Jean, fährt Einer zur Hölle!«

»Pah, Clairon, es ist noch nicht erwiesen, ob Du mein Meister bist, und übrigens habe ich ja noch keinen Vorwurf gegen Dich ausgesprochen! Also sie mußten Alle dran glauben, meine tapfern Jungens?«

»Alle!«

»Und Du? Wie war es denn Dir möglich, dem – dem – verteufeltes Wort! – dem Strange zu entgehen?«

»Was dies betrifft, so war es nicht sehr schwierig. Als ich sah, daß es mit uns zu Ende ging, eilte ich hinab, warf mich schleunigst in Frauenkleider, schloß mich ein und entledigte mich des Schlüssels durch die Außenlucke. Als ich gefunden wurde, gab ich mich für eine Gefangene aus und erregte durch meine Erzählung das Mitleid der Engländer in dem Grade, daß ich mit der größten Rücksicht und Sorgfalt behandelt und dann bei erster Gelegenheit an das Land gesetzt wurde.«

»Und rettetest Du blos Dein Leben?« frug Latour mit scharfem, mißtrauischem Blicke.

»Blos!« antwortete der Andre kurz und zurückweisend. »Da ich Deine Adresse kannte, so hatte ich natürlich nichts Eiligeres zu thun, als Dich aufzusuchen, um Dir das Geschehene zu rapportiren. Der ›l'Horrible‹ ist hin und wir – wir sind Bettler!«

Er schwieg; auch der Vicomte sprach lange kein Wort. Er setzte seinen Zimmerspaziergang fort und war augenscheinlich bemüht, das verloren gegangene, innere Gleichgewicht wieder zu erlangen.

»Bettler?« grollte er endlich; »nein, Bettler sind wir nicht. Der ›l'Horrible‹ ist hin, ja, aber nur auf kurze Zeit. Ich werde mir ihn wiederholen!«

»Hab' auch nichts Anderes von Dir erwartet!« meinte der Fremde. »Wir Beide sind wohl Manns genug, das gute Fahrzeug wieder unter die Füße zu bekommen. Hast Du schon an ein Mittel gedacht?«

»Nein,« lautete die zurückhaltende Antwort. »Ich zweifle aber nicht, daß sich bald eines finden wird.«

»Ich bin ganz derselben Gewißheit, nur mit dem Unterschiede, daß ich dieses Mittel schon kenne!«

»Ah! Darf ich es hören?«

»Es ist ganz dasselbe, an welches Du denkst.«

»Du irrst; ich habe noch keinen bestimmten Gedanken. Das Einfachste wäre wohl, den ›l'Horrible‹, der jetzt als gute Priese wohl zu Regierungszwecken benutzt wird, aufzusuchen, als Matrosen Hoyer auf ihm zu nehmen und die Mannschaft zu unserm Glauben zu bekehren.«

»Hm!«

»Was meinst Du?«

»Du bist klug genug, um die Ausführung dieses Vorschlages[434] selbst auch für zu umständlich und unsicher zu halten. In dieser Weise handelt man blos dann, wenn Einem kein anderer Weg zu Gebote steht.«

»Du kennst einen andern und bessern?«

»Ja. Ich sagte schon, daß es ganz derselbe sei, an den Du denkst.«

»Und ich wiederhole, daß Du irrst. Ich bin durch Deine Nachricht so überrascht und angegriffen, daß mir ein ruhiges Ueberlegen jetzt eine absolute Unmöglichkeit ist.«

»Herr Vicomte!« klang es scharf und schneidig; der Sprecher warf einen raschen, überlegenen Blick auf Latour und fuhr mit einer ironischen Handbewegung durch die Luft.

»Herr Chevalier!« tönte die Antwort in einem Tone, welcher imponiren sollte.

Poulettre lachte.

»Glaubst Du wirklich, mir einen Gedanken verbergen zu können?«

»Glaubst Du wirklich, allwissend zu sein?«

»Zuweilen, ja, wenigstens in Beziehung auf Dich. Du bist ein guter Seemann, aber ein untreuer Liebhaber und ein schlechter Diplomat. Die Intrigue ist ein Feld, auf welchem Du Dich nur blamirst.«

»Meinst Du?« frug Latour mit stolzer, selbstbewußter Miene. »Wenn Du wirklich so klug bist, wie Du meinst, so enthülle mir doch den Gedanken, welchen ich sonderbarer Weise habe, ohne es zu wissen!«

»Schön!« antwortete Poulettre mit überlegenem Lächeln. »Meine Meinung über Dich ist, wie Du weißt, keine überspannte; trotzdem aber halte ich Dich für klug genug, um zu wissen, daß – –« er näherte sich dem Vicomte und setzte flüsternd hinzu: »daß die Doppelgarnitur der Herzogin von Oerstädt uns die Mittel bietet, schneller und leichter zum Ziele zu gelangen.«

»Weib!« rief Latour zurückweichend. »Du bist kein Mensch, sondern ein Satan, ein Teufel!«

»Ich danke Dir für dieses Compliment und bin zufrieden mit ihm, denn der Teufel ist für gewisse Fälle eine ganz respectable Persönlichkeit. Uebrigens ist Dein Entsetzen vor mir der sicherste Beweis, daß ich das Richtige getroffen habe. Ist dieser Wallerstein ein kräftiger Mann?«

Latour antwortete nicht. Das Erstaunen, seine innersten Gedanken mit einer solchen Bestimmtheit enthüllt zu sehen, machte ihn für den Augenblick sprachlos.

»Nun? Hat meine Allwissenheit dem Herrn Vicomte die Zunge gelähmt?«

»Woher weißt Du Etwas von dem Schmucke?«

»Das ist meine Sache! Beantworte mir vor allen Dingen meine Frage!«

»Der Juwelier ist Unsersgleichen nicht gewachsen.«

»Das läßt sich denken! Er hat den Schmuck Montag, also morgen Abend Punkt neun Uhr zu liefern?«

»Auch das weißt Du? Unbegreiflich!«

»Du hast Dich natürlich in dem Hause, welches die Herzogin bewohnt, genau umgesehen!«

Er antwortete nicht, aber das Erstaunen, welches in seinen Mienen deutlich zu lesen war, machte eine Bejahung überflüssig. Poulettre fuhr, belustigt von dem Eindrucke seiner Allwissenheit, fort:

»Bewohnt sie es allein?«

»Nein. Sie hat nur die erste Etage und einen Theil des Parterres inne.«

»Wer bewohnt das Souterrain?«

»Der Hausmann, soweit dasselbe nicht aus Wirthschaftsräumlichkeiten besteht.«

»Und den andern Theil des Parterres?«

»Ein Artillerieoffizier, dessen Namen ich nicht genau kenne. Er klang wie Schönfeld, Schönherr oder Schönthal.«

»Willst Du wirklich immer noch Komödie mit mir spielen?«

»Wieso?«

»Du kennst die Verhältnisse der kleinen Treskow wohl gut genug, um zu wissen, daß dieser Artillerieoffizier ein Herr von Schönberg-Wildauen ist!«

Poulettre sprach eine Vermuthung als Gewißheit aus. Latours Gesicht zeigte, daß er errathen worden sei.

»Die Verhältnisse dieses Mädchens sind mir wirklich nicht so geläufig, wie Du meinst! Aber Du bist wahrhaftig ein Dämon, vor dem man sich zu hüten hat!«

»Pah! Ein wenig Divinationsgabe und Kenntniß Deines lieben Characters, das ist der Dämon, der Dir solches Entsetzen einflößt. Uebrigens sehe ich keinen Grund, geheimnißvoll zu sein. Du liebst die Treskow – –«

»Ich sage Dir, daß Du Dich täuschest!«

»Laß diese Versicherung; ich kenne Dich! Der Herr von Schönberg ist ihr Verlobter – –«

»Ich erinnere mich jetzt, davon gehört zu haben.«

»Laß Dich nicht auslachen! Er wohnt in dem Hause, welches morgen Abend Punkt neun Uhr der Juwelier Wallerstein mit einer Summe Geldes verlassen wird, die vollständig hinreichend ist, uns aus aller Verlegenheit zu helfen – –«

»Nun?« frug Latour beinahe athemlos. Er sah ganz denselben Plan entwickelt, den er verfolgt hatte, seit er von dem Schmucke gehört.

»Ich weiß nicht, wie innig Deine Beziehung zu dieser Treskow ist; aber ich weiß, daß Du ihr den Hof machst, und das ist genug für mich. Sie muß bestraft werden und Du durch sie. Du freilich kannst diese Strafe sehr ruhig hinnehmen, denn Du gelangst durch sie zu den Mitteln, unsern ›l'Horrible‹ zurück zu holen.«

»Ich verstehe Dich nicht!«

»Lüge nicht! Schönberg wird sich Wallersteins und seines Geldes bemächtigen.«

»Das wird, oder vielmehr, das kann er nicht thun.«

»Warum?«

»Weil er nicht anwesend ist.«

»Wo befindet er sich?«

»Auf dem Manöver.«[435]

»Wann kehrt er zurück?«

»Er hat darüber nicht geschrieben, wird aber täglich erwartet.«

»Du wirst erlauben, mich über diesen Punkt noch näher zu informiren! Für jetzt aber bist Du entlassen. Ich sehe, daß Du der Sammlung bedarfst und erwarte Dich erst in einer Stunde wieder, wo wir unser Thema von Neuem aufnehmen können.«

Latour entfernte sich gehorsam. Als er sich schon an der Thür befand, erklang noch die Weisung:

»Ich wünsche das Bracelet zu sehen. Vergiß nicht, es mitzubringen!«

Er neigte bejahend den Kopf und ging.

In seinem Zimmer angekommen, warf er sich tiefathmend auf das Sopha. Doch ließ es ihm in dem Polster desselben nicht lange Ruhe. Er sprang wieder auf und maß den Raum mit langen, hastigen Schritten.

»Wer hätte das noch vor einer Stunde gedacht!« monologisirte er. »Der ›l'Horrible‹ ist hin und die ›Miß Admiral‹ hier! Es ist wahr, ich bin in diesem Augenblicke ein Bettler, und die prächtige Treskow, ich muß sie auch aufgeben. Vielleicht hätte sie sich noch geneigt finden lassen, obgleich sie mein Geschenk zurückgewiesen hat; aber die Clairon tritt hindernd in den Weg. Woher mag nur dieses Weib eine so genaue Kenntniß aller Verhältnisse genommen haben. Jedenfalls befindet sie sich schon längere Zeit in der Nähe und hat alle meine Schritte beobachtet. Ich muß sie darüber inquiriren!«

Er setzte unter eifrigem Nachdenken seine Zimmerpromenade fort.

»Ich glaube, sie hat das Meiste nur errathen. Sie kennt mich und besitzt einen Scharfsinn, vor dem man sich in Acht zu nehmen hat. Uebrigens kann mir, die Angelegenheit mit der Treskow abgerechnet, ihre Anwesenheit nur von Nutzen sein. Ich muß die Garnituren oder die dafür ausgezahlte Summe unbedingt in meine Hand bekommen. Schönberg ist mir mehr als gleichgültig; sein Schicksal läßt mich kalt, und fast möchte ich wünschen, daß er noch zur rechten Zeit zurückkehrte.«

Er blieb vor dem Spiegel stehen und betrachtete sich mit wohlgefälligem Lächeln.

»Hm, ich sollte eigentlich stolz darauf sein, daß ein Weib wie Clairon Alles daran setzt, mich zu fesseln. Sie ist ein Engel und Teufel zugleich, und ich möchte beinahe behaupten, daß sogar die Schönheit Adelens einen Vergleich mit der ihrigen zu scheuen hat, und in Beziehung auf – auf das Handwerk giebt es keine Zweite, welche ihren Platz einnehmen könnte!«

Die verloren gegangene Ruhe kehrte ihm allmählig wieder, und als die Stunde vergangen war, suchte er das Nebenzimmer mit ganz anderen Regungen auf, als diejenigen waren, mit denen er es vorher betreten hatte.

Er blieb bei dem Anblicke, welcher sich ihm bot, unwillkürlich am Eingange stehen. Der Chevalier de Poulettre war verschwunden, und an seiner Stelle ruhte eine Dame auf dem Divan, deren Kleidung ganz darauf berechnet war, eine wahrhaft entzückende Schönheit an das Licht zu stellen.

»Clairon!« rief er.

»Tritt näher und setze Dich zu mir!« bat sie, ihm die kleine, feine Hand bewillkommnend entgegenstreckend. Ihre Stimme klang jetzt ganz anders als vorher; sie hatte einen Ton, dem auch ein festerer Character als Latour nicht widerstanden hätte. Er eilte auf sie zu, nahm auf demselben Sitze Platz und zog sie in seine Arme. Sie machte nicht den geringsten Versuch, sich seiner Liebkosungen zu erwehren und schien die Art und Weise ihrer vorigen Unterhaltung vollständig vergessen zu haben.

Draußen aber an der Thür stand lauschend Einer, der beim leisen Klange des Liebesgeflüsters die Faust drohend ballte und dann sich langsam nach seinem Stübchen schlich. Es war Jean Letrier.

»Sie hat mich geschlagen,« murrte er ingrimmig, »geschlagen, als ob ich mich an Bord und unter ihrem Befehle befände. Der Capitain ist schwach gegen sie; er haßt sie und vermag ihr doch nicht zu widerstehen. Sie wird mir diesen Schlag und noch vieles Andere dazu bezahlen, so wahr ich Jean Letrier heiße!«

Der ergrimmte Diener begab sich zur Ruhe. Die Anwesenheit der resoluten Herrin, die er am Bord des »l'Horrible« geglaubt hatte, gab ihm viel zu denken; er fand erst spät die gesuchte Ruhe und erhob sich schon am frühen Morgen vom Lager, obgleich er wußte, daß man seiner Dienste heut erst spät bedürfen werde.

Der Vormittag war noch nicht sehr weit vorgerückt, als ein junger Mann in Offiziersuniform erschien und nach dem Herrn Vicomte de Latour frug. Der Letztere hatte soeben erst Toilette gemacht und empfing den ihm Unbekannten mit fragendem Blicke.

»Ich habe sehr um Verzeihung zu bitten,« entschuldigte sich dieser, »daß ich mir gestatte, mich selbst vorzustellen. Mein Name ist Schönberg; ich glaube, Sie haben ihn bei Frau von Treskow nennen hören.«

»Ah, Herr Lieutenant, Ihr Besuch gewährt mir die angenehmste Ueberraschung, welche ich mir denken kann! Nehmen Sie Platz und haben Sie Dank für die Ehre, Sie kennen zu lernen!«

»Die Pflicht des Dankes ist nur die meinige, Vicomte! Ich kam gestern am späten Abende von unsern Exercitien zurück und besuchte heut meine Braut, von welcher ich erfuhr, daß sie Ihnen ihr Leben zu verdanken habe. Natürlich bin ich sofort zu Ihnen geeilt, um Ihnen die Größe meiner Verpflichtungen zu erkennen zu geben. Verfügen Sie über Alles, was ein dankbarer Mann Ihnen zur Verfügung zu stellen vermag!«

»Ich hatte schon öfters zu bemerken, daß das kleine Ereigniß, an welches mich zu erinnern Sie die Güte haben, ein nichts weniger als außerordentliches ist. Ich fühle mich beschämt, wenn ich von Dankbarkeit sprechen höre, denn was ich that, hat mir ganz unverdiente Früchte getragen, zu denen ich vor allen Dingen auch Ihren freundlichen Besuch[436] rechnen muß. Es ist ja für den Fremden so wohlthuend, eine Theilnahme zu finden, die ihn der Einsamkeit entreißt und ihn die Traulichkeit des heimathlichen Herdes weniger vermissen läßt.«

»Ich stimme Ihrer letzteren Behauptung bei und ersuche Sie wirklich dringend, das Meinige beitragen zu dürfen, damit Sie sich hier so wohl und heimisch wie möglich fühlen. Hier meine Karte, Vicomte. Sie ist für Jeden, der sie meiner Wirthschafterin vorzeigt, ein passe partout für meine Wohnung, welche meinen Freunden zur Verfügung, steht auch wenn ich nicht zu Hause bin.«[437]

»Besuchen Sie mich ganz nach Belieben, Herr Latour, und machen Sie es sich bequem, wenn sie mich nicht vorfinden sollten,« fuhr Max von Schönberg fort. »Es giebt bei mir keine Stunden der Dehors; ich lasse mich nicht geniren, und daher hat bei mir ein Jeder lettre blanche, zu thun was ihm beliebt.«

Latour griff mit einer fast hastigen Bewegung nach der Karte. Für die Ausführung seines Planes konnte ihm Nichts dienlicher sein als sie. Der Zufall spielte ihm hier den besten Trumpf in die Hände.

»Ich danke Ihnen, Herr Lieutenant! Zwar ist von jetzt an die Zeit meines Hierseins nur noch karg bemessen, aber ich werde jedenfalls einmal Gelegenheit nehmen, Sie zu begrüßen. Habe ich vielleicht noch heut das Vergnügen, Sie bei Frau von Treskow zu sehen?«

»Wohl schwerlich, da ich die Absicht habe, noch am Nachmittage zu verreisen.«

Die Augenwinkel Latours legten sich in unmuthige Fältchen.

»Läßt Ihnen die Strenge des Dienstes nicht einmal Zeit, sich von den Strapazen des Manövers auszuruhen?«

»Es ist eine Privatangelegenheit, der ich folge. Ich will den Vater besuchen. Sie wissen ja,« fuhr er mit liebenswürdiger Offenheit fort, »daß die liebe Jugend sehr oft Veranlassung hat, sich an die väterliche Mildthätigkeit zu wenden. Und ich gehöre leider zu den Unglücklichen, welche gelernt haben, dies so oft wie möglich zu thun.«

»Ich begann schon, mich auf unser heutiges Zusammentreffen zu freuen. Ist es Ihnen nicht möglich, den ersten Abend nach Ihrer so lange ersehnten Rückkehr der Braut zu schenken?«

»Nein!« Ein Zug des Mißmuthes verdunkelte bei diesem Worte die schönen, ehrlichen Züge des Lieutenants. »Ich mache mich einer Unart gegen Adele schuldig, aber die Angelegenheit ist dringend.«

»Ich möchte nicht gern unbescheiden oder gar zudringlich sein, aber wenn diese Angelegenheit nichts Anderes als die väterliche Mildthätigkeit betrifft, so möchte ich mir doch fast die Aufgabe stellen, Sie zurück zu halten.«

»Es würde Ihnen nicht gelingen,« meinte der junge Mann, sich erhebend.

Latour sah seinen Plan in Gefahr; auch er erhob sich und streckte ihm die Hand entgegen.

»Herr Lieutenant, die Familie Ihrer Braut beehrt mich mit freundschaftlichem Vertrauen, auch Sie hatten vorhin die Güte, mich Ihren Freunden beizuzählen; darf ich hoffen,[449] daß dies nicht eine Sache der bloßen Höflichkeit gewesen sei?«

»Sie dürfen überzeugt sein, daß ich wirklich freundschaftliche Gefühle für Sie hege!«

»So bitte ich auch um die Erlaubniß, als wirklicher Freund handeln zu dürfen!«

»Sie ist Ihnen zugestanden.«

»Ich möchte fast annehmen, daß die Veranlassung zu Ihrer Reise in einer kleinen pecuniären Verlegenheit zu suchen sei?«

»Ich sehe allerdings keinen Grund, dies in Abrede zu stellen.« Und lächelnd fügte er hinzu: »Klingende Gründe gehören ja zu den zwingendsten, welche man kennt!«

»Sie dürfen dessenungeachtet Ihre Braut nicht vernachlässigen, besonders da es mir eine ganz besondere Ehre sein würde, ebenso zwingende Gegengründe Ihnen, so lang Sie wünschen, zur Verfügung stellen zu dürfen.«

»Herr Vicomte!«

»Pardon, mein bester Herr Lieutenant! Es ist keineswegs meine Absicht, Ihnen eine beleidigende Offerte zu machen, vielmehr entspringt mein Anerbieten dem Bestreben, unserer jungen Freundschaft eine mir höchst erwünschte Kräftigung zu ertheilen. Haben Sie die Güte, jede andere Auffassung zurückzuweisen und die Kleinigkeit, welche ich Ihnen zur Verfügung stellen möchte, zu acceptiren!«

»Welchen Umfang würde diese Kleinigkeit haben, und welches sind die Bedingungen, unter denen sie geboten wird?«

»Der Umfang richtet sich ganz nach dem Bedürfnisse; Bedingungen habe ich natürlich nicht zu stellen, es müßte denn der an Sie gerichtete Wunsch sein, mir bis morgen Frist zu ertheilen, da ich diese Zeit bedarf, um meinem Credite eine materielle Form zu geben.«

»Die Summe ist keine ganz unbedeutende,« bemerkte der Offizier vorsichtig. Das Anerbieten Latours schien ihm nicht unwillkommen zu sein.

»Ob bedeutend oder nicht, ich stehe Ihnen zur Verfügung, und zwar herzlich gern,« lautete die großmüthige Versicherung. »Werden Sie noch abreisen?«

»Ich werde bleiben. Hier meine Hand! Ich will Ihnen offen gestehen, daß Ihre Freundlichkeit mich aus einer wenig angenehmen Situation befreit; nehmen Sie also die Versicherung meiner besten Dankbarkeit und gewähren Sie mir die Bitte, die Höhe – –«

»Jetzt nicht, jetzt nicht!« fiel ihm der Andre in die Rede. »Wir sehen uns heut ja wieder, und haben dann vollständig Zeit zu einem Arrangement, mit dem ich unsre erste Unterredung nicht beendigen möchte. Ich habe das Glück gehabt, ein trauliches Plätzchen zu entdecken, welches sich für ein gemüthliches Zusammensein wie kein zweites eignet, und ich hoffe, daß wir heut Abend nach unserer Verabschiedung von Frau von Treskow uns dort noch ein Stündchen amüsiren. Ja?«

»Gern! Also auf Wiedersehen bis dahin!«

Er verließ Zimmer und Hotel. Latour blickte ihm durch das Fenster nach, so lange er ihn zu sehen vermochte; dann senkte er das Auge auf die erhaltene Karte.

»Der Passe-partout zum Ort, wo ich den Schatz zu heben habe. Ich werde die Karte zu gebrauchen wissen!« –

Am andern Morgen wurde die Stadt durch die schreckhafte Kunde alarmirt, daß der Juwelier Wallerstein in der Wohnung des Lieutenants von Schönberg-Wildauen ermordet aufgefunden worden sei. Er war nicht nur der ungeheuren Summe, welche den Preis der Doppelgarnitur bildete, sondern aller werthvollen Gegenstände, welche er bei sich getragen hatte, beraubt. Der Lieutenant hatte an demselben Morgen und an mehreren Orten Kassenscheine ausgegeben, welche von der Herzogin von Oerstädt nachweislich als Zahlung verwendet worden waren. Er wurde verhaftet und wegen Raubmordes in Untersuchung gezogen. – –

Quelle:
Auf der See gefangen. Criminalroman von Karl May. In: Frohe Stunden. 2. Jg. Dresden, Leipzig (1878–1879). Nr. 29, S. 449-450.
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Auf der See gefangen
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