28. Hans ohne Sorgen.

[99] Es lebte vor Zeiten ein fröhlicher Müller in Schwaben, der hatte über seine Hausthür die Worte geschrieben: »Hans ohne Sorgen.« – Da ritt einmal der Herzog von Schwaben an der Mühle vorbei, las die Ueberschrift und dachte: »wart, wenn du keine Sorgen hast, so will ich dir schon welche machen!« und ließ den Müller zu sich rufen und sprach: »Du mußt doch auch erfahren, was Sorgen sind. Da will ich Dir ein Räthsel aufgeben; kannst Du das lösen, so ist's gut; kannst Du es aber nicht, so sollst Du nicht[99] länger Herr in Deiner Mühle bleiben, sondern sollst sie mir abtreten. Das Räthsel, welches Du lösen sollst, ist aber dieß: Du mußt mich besuchen, nicht bei Tag und nicht bei Nacht, nicht nackt und nicht bekleidet, nicht zu Fuß und nicht zu Pferd.« Und als er das gesprochen hatte, ritt der Herzog weiter.

Da zerbrach sich der Müller den Kopf und dachte hin und her und konnte das Räthsel nicht lösen, also, daß es ihm viele Sorgen machte. Dann wandte er sich endlich an seinen Mahlknecht und sagte zu ihm: »wenn Du mir das Räthsel lösen könntest, wollte ich Dir gern meine Tochter zur Frau geben und Du solltest nach mir die Mühle erben.« – Dem Knecht schien das Räthsel sehr leicht und er sagte auf der Stelle zu seinem Herrn: »ei, so geht doch am Mittwoch zum Herzog! denn der Mittwoch ist ja gar kein Tag, weil das Wörtlein ›Tag‹ wie in Sonntag, Montag u.s.w. darin fehlt, und ist doch auch keine Nacht. Und wenn Ihr nicht nackt und nicht bekleidet sein sollt, so hängt doch ein Fischergarn um! und sollt Ihr nicht zu Fuß und nicht zu Pferd kommen, ei, so reitet auf einem Esel hin!«

Da wurde der Müller wieder lustig und guter Dinge, hüllte sich in ein Fischergarn und begab sich eines Mittwochs auf einem Esel zum Herzog, der mit dieser Auflösung zufrieden war und den Hans-ohne-Sorgen freundlich entließ. Der Müller aber verlobte alsbald seine einzige Tochter dem Mahlknecht, und nicht lange nachher gab's eine fröhliche Hochzeit in der Mühle.

Quelle:
Ernst Meier: Deutsche Volksmärchen aus Schwaben. Stuttgart 1852, S. 99-100.
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