54. Der lustige Ferdinand oder der Goldhirsch.

[188] Es war einmal ein Soldat, der war immer lustig und guter Dinge, obwohl er nur wenig zu beißen hatte; denn die Groschen und Kreuzer wollten nie lange in seiner Tasche bleiben, so daß oft Schmalhans bei ihm Koch war. Doch[188] ließ er sich das nicht verdrießen; er blieb immer der lustige Ferdinand; so nannten ihn nämlich seine Kameraden.

Als er nun eines Tages vor der Thür des Königs die Wache hatte und sich das schöne Schloß mit seinen Kostbarkeiten recht betrachtete und all die vornehmen Herrn sah, die da aus und eingiengen und dem König zu Diensten waren: da dachte er, so ein König hat es doch gut; der hat Geld genug und für Geld kann man ja Alles haben in der Welt. Hätt' ich nur Geld, ich wüßte wohl was ich thäte.

Wie dem lustigen Ferdinand diese Gedanken so im Kopfe herum giengen und er Niemand hatte, dem er sie hätte mittheilen können, so nahm er ein Stück Kreide und schrieb an die Thür, die zum Zimmer des Königs führte:


Das Geld

Bezwingt die ganze Welt.


Als später der König ausgieng und diese Worte las, ließ er eine strenge Untersuchung anstellen, wer das geschrieben. Da gestand es der lustige Ferdinand sogleich ein, und weil der König ein guter gnädiger Herr war, ließ er ihn selbst vor sich kommen und stellte ihn darüber zur Rede, verzieh es aber dem Soldaten leicht, weil dieser sagte: er habe das nur so hingeschrieben, weil er auf dem Posten nicht habe reden dürfen und doch den Gedanken nicht habe los werden können. Dann aber wollte der König ihm beweisen, daß jener Gedanke unrichtig sei. Allein der lustige Ferdinand wußte den König immer zu widerlegen und sagte endlich sogar: »Herr König, wenn ich nur Geld genug hätte, so wollte ich Alles erreichen, es möchte sein, was es wollte;[189] ja ich glaube fest, ich wollte Eure Tochter zur Frau kriegen und selbst noch ein König werden.«

Diese Rede von einem gemeinen Soldaten verdroß zwar den König ein wenig, doch ließ er sich's nicht merken und sagte vielmehr: »um Dich zu widerlegen, will ich eine Wette mit Dir eingehen. Du sollst ein ganzes Jahr lang so viel Geld haben, als Du verlangst; kannst Du während dieser Zeit die Liebe meiner Tochter gewinnen, so ist es gut, Du sollst sie haben; will sie Dich dann aber nicht, so kostet Dir's den Kopf. Jetzt besinn Dich wohl!« Der lustige Ferdinand besann sich aber nicht lange und sagte sogleich, er wolle die Wette wohl eingehen, erhielt dann vom König den Schlüßel zur Schatzkammer und nahm sich für's erste so viel Geld, als er nur heimtragen konnte. Dann ließ er Eßen und Trinken sich schmecken, lud seine Kameraden zu sich ein, fuhr spazieren und gieng auf Reisen und sah und genoß für sein Geld Alles, was das Herz nur begehrte. Um die schöne Prinzessin aber kümmerte er sich gar nicht. Die war indes nicht so vergnügt wie Ferdinand. Um sie nämlich vor allen Nachstellungen und Bewerbungen zu hüten, hatte der König sie auf eine kleine Insel, die in der Nähe des Schloßes lag, bringen laßen und hatte streng verboten, daß ja kein Mannsbild zum Besuch zu ihr gelaßen würde. Da lebte sie nun wie in einem Gefängnis und hatte oft Langeweile.

Als der lustige Ferdinand eines Tages wieder in die Schatzkammer kam und seine leeren Taschen mit Gold füllte, fragte ihn der König, wie es gehe und mahnte ihn zugleich, daß er nur noch ein halbes Jahr übrig habe und wohl sehen[190] möge, wie er in dieser Zeit das Herz seiner Tochter gewinne; denn sonst werde es ihm unfehlbar das Leben kosten, sagte er. –

Ferdinand blieb gutes Muthes und dachte, es ist wahr, Du mußt Dich jetzt wohl nach der Prinzessin umsehen, und gieng zu einem Goldschmid, der war so geschickt wie kein anderer Meister in der ganzen Welt, und bestellte bei ihm einen goldenen Hirsch, ganz so groß wie ein rechter Hirsch, mit großem, zackigem Geweih; im Innern aber sollte der Hirsch hohl sein, so daß ein ausgewachsener Mann sich darin verbergen könne. Das Gold dazu holte Ferdinand aus der Schatzkammer des Königs, und da dauerte es nicht lange, da war der Hirsch fertig und war so überaus schön geworden, daß man gar nichts Herrlicheres sehen konnte.

Durch eine geheime Thür, die Niemand fand, wer es nicht wußte, kroch der lustige Ferdinand in den Bauch des Hirsches und nahm zugleich seine Zither mit, die er ganz ordentlich zu spielen verstand. Dann hatte er dem Goldschmid Alles entdeckt und hatte ihn für vieles Geld dazu bewogen, daß er den Goldhirsch auf's Schloß brachte und ihn dem König vorstellte. Der konnte sich gar nicht genug darüber verwundern. Als nun aber der Goldschmid ein bestimmtes Zeichen gab und im Bauche des Hirsches eine Zither anfieng zu spielen, da wußte der König nicht, was er vor Entzücken sagen sollte. Auch die Königin war ganz außer sich und bat den König, er solle den Hirsch doch kaufen und seiner Tochter auf die Insel schicken, daß sie sich damit unterhalten möchte. – Der König sagte ja, das wolle er gern[191] thun, und kaufte den Goldhirsch und ließ ihn sogleich der Tochter bringen. Die freute sich nicht wenig darüber und ließ den Hirsch beständig die Zither schlagen und konnte das Spiel nicht satt hören, bis sie endlich müde wurde und ein schlief.

Da machte der lustige Ferdinand leise die Thür auf und schlüpfte heraus und besah sich die Prinzessin, die in ihrem Bett lag und ruhig schlief. Sie war aber so wunderschön, daß er seine Augen nicht von ihr wegwenden mochte und es endlich nicht laßen konnte, ihr einen recht langen und herzhaften Kuß auf die Lippen zu drücken, also, daß die Prinzessin davon erwachte und schier erschrack, als sie einen Mann vor ihrem Bett stehen sah. Ferdinand aber sagte ihr sogleich, wer er sei und bat sie so dringend und rührend, sie möge ihn doch nicht verrathen, er wolle ihr auch alle Tage was vorspielen, so lange sie's nur hören möge, daß die Prinzessin es endlich ihm versprach, wenn er hübsch still in seinem Versteck bleiben wollte. Ja, das wollte er ja herzlich gern, sagte er, und verkroch sich alsbald wieder in den Bauch des Hirsches.

Am andern Morgen konnte die Prinzessin es gar nicht erwarten, bis sie den Hirsch wieder spielen hörte. Auch der König kam, um es zu hören und freute sich ganz besonders, weil seine Tochter so vergnügt war; ja sie meinte, daß sie jetzt gewiß keine Langeweile auf der Insel mehr haben werde.

Als es nun Abend war und die Prinzessin wieder ganz allein war und zu Nacht aß, da machte der lustige Ferdinand die Thür auf und rief leise: »Prinzessin, ach liebe Prinzessin,[192] darf ich nicht ein wenig heraus kommen? Ich habe so arg Hunger! seit gestern habe ich nichts mehr gegeßen und heut so viel spielen müßen!« Ja, da erlaubte es ihm die Prinzessin, daß er heraussteigen und mit ihr eßen durfte. Und wie sie ihn nun recht betrachtete und sich mit ihm unterhielt, da gefiel er ihr recht gut und immer beßer, also, daß sie es gern geschehen ließ, als er zu guter letzt sie in den Arm nahm und recht tüchtig abküßte. Und wie sie nun zu Bett gieng und der lustige Ferdinand ihr klagte, wie ihm der Rücken gar so weh thäte, weil er in dem Hirschbauche immer krumm liegen müße und wie ganz erbärmlich er in der letzten Nacht habe frieren müßen, da ließ die Prinzessin ihn mit unter ihre Bettdecke schlüpfen und beide hatten sich dann recht herzlich lieb und versprachen sich, daß sie nicht von einander laßen, sondern immer so beisammen bleiben wollten.

So gieng das nun vier oder fünf Monate lang fort und die beiden waren überaus glücklich. Den lustigen Ferdinand sah man nirgends, und der König meinte, er werde wohl wieder auf Reisen sein. Da wurde plötzlich die Prinzessin bleich und krank, so daß der König ihr seinen Leibarzt schickte, der sie untersuchen und ihr was verordnen sollte. Der Doktor aber schüttelte den Kopf, gieng zum König und sprach: »der Prinzessin kann ich nicht helfen; die wird in einigen Monaten, wenn sie ein kleines Kind bekommen hat, von selbst schon wieder wohl werden.« Darüber ward der König so ungehalten und aufgebracht, daß er den Arzt in's Gefängnis werfen ließ. Dann schickte er einen andern Doktor zu der Prinzessin; der sagte aber dasselbe wie der[193] erste und wurde ebenfalls dafür eingesperrt. Und ebenso gieng es noch einigen andern, bis der König endlich selbst zu seiner Tochter gieng und sie fragte, ob sie denn heirathen wolle. Sie sagte, sie habe schon geheirathet. Und als der König fragte, wer denn ihr Gemahl sei, sagte sie: »der lustige Ferdinand, den Du ja selbst in dem goldenen Hirsche mir geschenkt hast,« und öffnete die Thür und ließ ihn aussteigen. Da ärgerte sich der König zwar, konnte aber doch sein Wort nicht brechen, weil die Prinzessin erklärte, daß sie nie einen andern lieben und heirathen möge; und so hat der lustige Ferdinand, noch ehe das Jahr herum war, seine Wette gewonnen, hat die Prinzessin behalten und ist nach dem Tode ihres Vaters auch noch König geworden.

Quelle:
Ernst Meier: Deutsche Volksmärchen aus Schwaben. Stuttgart 1852, S. 188-194.
Lizenz:

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Epicharis. Trauer-Spiel

Epicharis. Trauer-Spiel

Epicharis ist eine freigelassene Sklavin, die von den Attentatsplänen auf Kaiser Nero wusste. Sie wird gefasst und soll unter der Folter die Namen der Täter nennen. Sie widersteht und tötet sich selbst. Nach Agrippina das zweite Nero-Drama des Autors.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon