74. Der Knabe, der zehn Jahr in der Hölle diente.

[256] In dem Dorfe Bodelshausen, das an der Straße zwischen Rotenburg und Hechingen liegt, war einmal ein Mann, dem starb seine Frau und hinterließ ihm sechs unerzogene Kinder. Da suchte der Mann eine Mutter für seine Kinder und heirathete eine zweite Frau, die war aber ein böses Weib und eine rechte Rabenmutter und quälte ihren Mann und ihre armen Kinder, und oft hörte man sie den Wunsch aussprechen: »wenn ihr nur alle beim Teufel wäret!«

Als nun der älteste Sohn konfirmirt war, wollte die Stiefmutter ihn sogleich aus dem Hause schicken und ihn bei fremden Leuten in Dienst geben. Ihr Mann sagte zwar: »der Knabe ist noch zu schwach, er kann noch nicht dienen, auch nimmt ihn jetzt noch Niemand.« Aber das galt nichts, was der Mann sagte. Die Stiefmutter sprach: »ei was! er soll fort; ich will schon einen Herrn für ihn finden und sollt's auch nur der Teufel sein.« Und dann packte sie ein kleines Bündelchen zusammen, das enthielt die Kleider und die Wäsche des Knaben, und so gieng sie mit ihm fort dem Oberlande zu.

Wie sie nun im Sigmaringer Walde waren, begegnete ihr ein Jäger, grüßte sie und fragte, wo sie mit dem Knaben hin wollte? »In's Oberland,« sagte sie. »Und was soll er dort machen?« fragte der Jäger. »Dienen muß er,« sprach die Frau. Da meinte der Jäger, der Knabe sei noch viel zu klein und zu schwach und werde keinen Herrn bekommen.[257] Die Frau aber sprach: »ich will schon einen für ihn finden, und sollt's auch nur der Teufel sein.« Sprach der Jäger: »der Knabe dauert mich, laßt ihn mir, er soll's gut bei mir haben.« Ja, die Stiefmutter war gleich damit zufrieden, und nachdem sie den Lohn für das Kind ausbedungen und ihm sein Bündelchen mit den Kleidern übergeben hatte, kehrte sie vergnügt um und fragte nicht einmal, wo der Jäger denn zu Haus sei. Der zog nun mit dem Knaben im Walde fort bis sie an eine Höhle kamen; in die giengen sie hinein, mußten mehre Stiegen hinabsteigen und kamen endlich an ein großes Thor, an das klopfte der Jäger, da gieng's auf, sie traten ein, das Thor ward wieder geschloßen und da merkte der Knabe bald, daß er beim Teufel in der Hölle war.

Sogleich wies der Teufel dem Knaben seine Arbeit an: er mußte Holz tragen und das Feuer, das unter den großen Keßeln in der Hölle brannte, beständig nachschüren: wenn er das versäumte, so kriegte er Schläge, sagte der Teufel. Auch verbot er ihm ganz streng, daß er niemals einen Deckel aufheben und in die Keßel sehen dürfte. – Als aber einstmals der Teufel nicht in der Nähe war und der Knabe gar zu gern gewußt hätte, wer wohl in den Keßeln sein möchte und er es endlich wagte, den einen Deckel aufzuheben: wie erschrack er da, als er seinen eigenen Großvater und seine Großmutter darin sitzen sah! Die heulten und jammerten und baten ihn: »er möchte doch unter diesen Keßel nicht so viel Holz legen, denn sie müßten gar zu fürchterliche Schmerzen leiden!« – Da verschonte der Knabe so viel er nur[258] konnte, diesen Keßel und ließ das Feuer manchmal erlöschen; dafür hat er aber auch manchen buckelvoll Schläge bekommen.

Nach einiger Zeit sah der Knabe auch, wie zwei Teufel seine böse Stiefmutter brachten und erst auf einen glühenden Rost legten und dann in einen Keßel mit siedendem Oele steckten und sie braten ließen.

Da ward es ihm gar zu unheimlich in der Hölle, und als eben zehn Jahre herum waren, mochte er nicht länger dem Teufel dienen und passte auf, wo er den Schlüßel zum Höllenthor hinlegte, erwischte ihn dann einmal, schloß auf und schlich sich fort und war froh wie er wieder droben auf der Erde war. Von dem Rauch und Ruß aber, der ihm so lange um den Kopf geflogen war, sah sein Gesicht ganz schwarz aus, also, daß man ihn hätte für einen Mohren halten können.

Quelle:
Ernst Meier: Deutsche Volksmärchen aus Schwaben. Stuttgart 1852, S. 256-259.
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