Die gelöschten Kerzen

[21] Ein gewalt'ger Herd mit glühnden Kohlen

Und zwei hellen Kerzen auf dem Simse,

Dran ein plaudernd Paar: ein narb'ger Feldherr

In der Majestät des Greisenalters

Und ein unbefangnes Kind der Neuzeit,

Ein geliebter und verzogner Neffe.

Würdevoll erzählt der Greis von weiland,

Von Verschollnem oder halb Verschollnem.

»Damals warst du noch ein Ungeborner,

Neffe«, sagt er, »oder in den Windeln«...

Auf dem Herde zuckt ein blaues Flämmchen,

Ein vergeßnes Flämmchen aus der Asche,

Und die beiden sehn den Irrwisch tanzen,

Und der Irrwisch unversehens springt er

Auf des Jünglings blühend kecke Lippen:

– »Ohm, wie war es denn mit der Camargo?«

Der Benarbte lächelt. »Wissen willst du

Das mit der Camargo?« – Eine Kerze

Haucht er aus und auch die andre Kerze.

»Du erlaubst? Nur daß ich nicht erröte!

Also...« Durch das Dunkel glühn die Kohlen.

Und der Jüngling streicht ein Holz, die eine

Kerze flammt er an und dann die andre:

»Ohm, wie war's denn mit dem Sturm auf Düppel?«


Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 21.
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