Die Zwingburg

[77] Gebrochen ist der alte Twing,

Ringsum ergrünt sein Mauerring,

Der Eppich schwankt im Fenster,[77]

Versunken in der Erde Schoß

Tief unter das besonnte Moos

Sind Ritter und Gespenster.


Wo durch das tiefgewölbte Tor

Die zorn'ge Fehde schritt hervor

Und ließ die Hörner schmettern,

Da hat sich, duftig eingeengt,

Ein Zicklein ans Gesträuch gehängt

Und nascht von jungen Blättern.


Wo wildverträumt Frau Minne stund,

Zerrann auf blauem Himmelsgrund

Der kecke Bau des Erkers;

Wo im Verlies der Haß gegrollt,

Ist in das weiche Gras gerollt

Ein Quaderstein des Kerkers.


Und wo den Teich vom Hügelhang

Herab die trotz'ge Feste zwang

Ein finster Bild zu spiegeln,

Da rudert, von der Flut benetzt,

Der Burg zerstörtes Wappen jetzt:

Ein Schwan mit Silberflügeln.
[78]

Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 77-79.
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