Das begrabene Herz

[103] Mich denkt es eines alten Traums.

Es war in meiner dumpfen Zeit,

Da junge Wildheit in mir gor.

Bekümmert war die Mutter oft.

Da kam einmal ein schlimmer Brief.

– Was er enthielt, erriet ich nie –

Die Mutter fuhr sich mit der Hand

Zum Herzen, fast als stürb es ihr.

Die Nacht darauf hatt ich den Traum:

Die Mutter sah verstohlen ich

Nach unserm Tannenwinkel gehn,

Den Spaten in der zarten Hand,

Sie grub ein Grab und legt' ein Herz

Hinunter sacht. Sie ebnete

Die Erde dann und schlich davon.


Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 103-104.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1892)
Gedichte.
Die schönsten Liebesgedichte (insel taschenbuch)
Ausgewählte Novellen / Gedichte (Fischer Klassik)
Gedichte: Apparat zu den Abteilungen III und IV
Gedichte: Apparat zu den Abteilungen VIII und IX. Nachträge, Verzeichnisse, Register zu den Bänden 1 bis 7