Der Tod und Frau Laura

[158] Es war in Avignon am Karneval,

Daß sich ein Mörder in den Reigen stahl,

Und daß die Pest verlarvt sich schwang im Tanz

Mit einem schlotterichten Mummenschanz.


In einer nahen Villa täuschen sie

Die Angst mit Wohllaut und mit Phantasie,

Frau Laura war und auch Petrarca da,

Als an das Tor ein dumpfer Schlag geschah.


Die blassen Lippen schaudern vor dem Wein,

Es tritt ein Weißgewandeter herein,

Der eine Maske mit dem Sterbezug

Und einen frischgepflückten Lorbeer trug.


Der Dämon hebt den Lorbeer voller Ruh,

Und sinnt und schreitet auf Petrarca zu:

»Ich grüße, Freund, und komme priesterlich,

Das ist der Sel'gen Lorbeer! Neige dich!«


Der Lorbeer schwebt. Da raubt ihn eine Hand,

Frau Laura war es, die daneben stand,

Sie schmiegt ihn um die blonden Haare leicht,

Sie steht bekränzt. Sie schaudert. Sie erbleicht.

Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 158.
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