Der Rappe des Komturs

[204] Herr Konrad Schmid legt' um die Wehr,

Man führt' ihm seinen Rappen her:

»Den Zwingli laß ich nicht im Stich,

Und kommt ihr mit, so freut es mich.«

Da griffen mit dem Herren wert

Von Küßnach dreißig frisch zum Schwert:

Mit Mann und Roß im Morgenrot

Stieß ab das kriegbeladne Boot.

Träg schlich der Tag; dann durch die Nacht

Flog Kunde von verlorner Schlacht.

Von drüben rief der Horgnerturm,

Bald stöhnten alle Glocken Sturm,

Und was geblieben war zu Haus:

Das stand am See, lugt' angstvoll aus.

Am Himmel kämpfte lichter Schein

Mit schwarzgeballten Wolkenreihn.

»Hilf Gott, ein Nachtgespenst!« Sie sahn

Es drohend durch die Fluten nahn.

Wo breit des Mondes Silber floß,[204]

Da rang und rauscht' ein mächtig Roß,

Und wilder schnaubt's und näher fuhr's...

»Hilf Gott, der Rappe des Komturs!«

Nun trat das Schlachtroß festen Grund,

Die bleiche Menge stand im Rund.

Zur Erde starrt' sein Augenstern,

Als sucht' es dort den toten Herrn...

Ein Knabe hub dem edeln Tier

Die Mähne lind: »Du blutest hier!«

Die Wunde badete die Flut,

Jetzt überquillt sie neu von Blut,

Und jeder Tropfen schwer und rot

Verkündet eines Mannes Tod.

Die Komturei mit Turm und Tor

Ragt weiß im Mondenglanz empor.

Heimschritt der Rapp das Dorf entlang,

Sein Huf wie über Grüften klang,

Und Alter, Witwe, Kind und Maid

Zog schluchzend nach wie Grabgeleit.


Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 204-205.
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