XII
Romfahrt

[385] Erwerben wollt ich fremder Muse Gunst,

Den edlen Kranz der alten Redekunst.


Latein gedrechselt hab ich manches Jahr

Und ein Latein, das schlank und zierlich war.


Nun blieb mir die Rotunde noch zu sehn,

Als Pilger auf das Kapitol zu gehn.


Am Wege traf ich manchen Lorbeerstrauch

Und Myrtenbusch und manchen Fladen auch.


Gewölk und schneid'ger Wind und Tannenduft

Bekommt mir besser als die welsche Luft.


Die Trümmer sah ich alter Römerpracht

Zur Festung dienen einer Priestermacht.


Entartet und verheuchelt sah ich da

Den Kopf des Claudiers und der Claudia.


Ich sah ein Weib, das mit sich handeln ließ,

Die man die »allgemeine Kirche« hieß.


Ich fand von feiler Schreiberschar entweiht

Die ciceronische Beredsamkeit.


Ich sah, wie man in dieser Pfaffenstadt

Uns ohne große Kunst zum Narren hat,
[385]

Sah unsrer Väter Glauben in der Hand

Ungläub'ger Priester als ein Gängelband.


Sag ich es kurz und klassisch, was ich sah

Am Tiberstrom? Cloaca maxima!


Mich freute Tempel nicht, noch Monument.

Mein Volk verachtet sehn! Das würgt und brennt!


Mir den Geschmack zu bilden hofft ich dort

Und bitter war der Mund mir immerfort.


Mir gor das Blut, die Galle regte sich,

Ich sprach: Jetzt, Hutten, schilt! sonst tötet's dich.


Vor Petri neuem Tempel höhnt ich laut:

Der Simon hat's mit unserm Geld gebaut!


Was soll die übermüt'ge Pfarre da

Mit Zinne, Portikus und Statua?


Wir wissen es, wer hier zu Miete saß:

Der unverschämten Hölle frechster Spaß!


Der Stier im Wappen sagt: Hie hat gehaust

Der Borgia Lust, davor's dem Teufel graust!


Der zehnte Leo nun verkauft den Geist,

Der über seinem roten Käppchen kreist!


Du malest, Raffael, zu seinem Glanz?

Freund! Mal ihm einen dreisten Totentanz,


Damit der Unfehlbare nicht vergißt,

Daß er, wie wir, ein armer Sünder ist.


Ich ging. Mit einem derben Kohlenstrich

Beschrieb des Vatikanes Mauer ich:


»In diesen tausend Kammern thront der Trug!

Ein Deutscher kam nach Rom und wurde klug.«
[386]

Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 385-387.
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