XVI
Das Kindlein in Mainz

[389] O Mainz, du lust'ger Sitz, du traute Stadt,

Die Huttens Feder oft belobet hat!


Der Mainzer Albrecht war mir redlich hold

Und bot mir manchen Trunk in purem Gold.


Er lauschte meinen kühnen Scherzen gern,

Ich nannt ihn meinen Freund und meinen Herrn.
[389]

Ich spottete vor seinem Ohre dreist,

Er zürnte nicht, er ist ein freier Geist;


Doch in der Stunde der Versuchung, ach,

Der Geist war willig und das Fleisch war schwach.


Ihm hielt ich Treue, bis er mich verstieß.

Wo lebt der Freund, den Hutten je verließ?


Die Kanzelei von Rom schrieb Brief um Brief,

Bis mich der Albrecht nicht mehr zu sich rief.


Geächtet wurde Luther und gebannt...

Ich lebte von der Faust und streift im Land.


Ein treuer Rüde, stahl ich wieder hin

Zum Mainzer mich und still umschlich ich ihn.


Ich blickt ihm ins Gemach; er saß beim Mahl,

Landfremden Pfaffen bot er den Pokal.


Gemunkel ging: mit Luther sei's vorbei,

Der eingetan und aufgehoben sei.


Die langen welschen Nasen nickten fein

Und freuten sich an ihren Schelmerein.


Er lächelte! Mir gab es einen Stich –

Mein Edelfalke, Gott behüte dich!


Ade, mein Albrecht, mein verlorner Hort!..

Ich schlich betrübt mich in die Krone fort,


Wo einst bei Becherklang ich manche Nacht

Mit witzigen Gesellen durchgelacht.


Hier setzt ich mich zu einem Kruge Bier,

Des Wirtes Kind gesellte sich zu mir.


Das Mägdlein, mein ich, stand im vierten Jahr,

Ich fuhr ihm durch das blonde Ringelhaar:
[390]

Sag mir dein Nachtgebetlein, wie du's weißt!

Das Kind hub an: »Gott Vater, Sohn und Geist,


Dein Name sei gelobt! Hüt uns vor drei:

Vor Wassernot und Brand und Kriegsgeschrei!«


Den Schiffern gnade Du in Nacht und Sturm!

Sei Bruder Martins Burg und fester Turm!


Umschleicht ihn mit dem Dolch ein Mörder wild,

So deck ihn, Herr, mit Deinem starken Schild!


Und leidet Dein Gerechter Hungersnot,

So schick ihm Du durch Deine Raben Brot!


Wer lehrte dich, mein Kindlein, dies Gebet?

– »Die Mutter heißt mich's beten früh und spät.«


Nun mein ich aber, daß kein Leid geschieht

Dem Mann, für den in Mainz ein Kindlein kniet.

Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 389-391.
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