XX
Jacta est alea

[394] Nachdem ich meinen großen Wurf getan,

Da hub der Vater mich zu schelten an:


»Du trittst mit Rom in Fehde? Bist du toll?

Mich wundert's, Ulrich, wie das enden soll!


Poet war schlimm und klingt erbärmlich schon,

Doch Ketzer ist noch weit ein schlimmrer Ton!


Erlebt ich's nicht! Ein Sohn in Bann und Acht,

Der meinen grauen Haaren Schande macht!


So, Ulrich, mehrst du deines Stammes Glanz?

Jetzt gehst du halb zerlumpt, bald bist du's ganz!


Was kümmert dich, ob unser Haus zerfällt?

Was kümmert irgend noch dich auf der Welt?


Wenn nur in Holzschnitt du und Kupferstich

Den Lorbeer trägst – was anders kümmert dich?


Du lächelst? Du verziehst den Mund zum Scherz?

Ich wußt es nicht: du hast ein schlechtes Herz.«


Der Vater sprach's und blickte finster drein,

Mit Tränen bat das fromme Mütterlein:


»Mein süßer Ulrich, laß das böse Spiel!«

Ich gab zur Antwort: Nein! Der Würfel fiel.


Mein Mütterlein, behalt mich lieb und gern!

Bleib du mir milde wie der Abendstern!
[394]

Du kränkst mich, Vater, nicht, so herb du bist!

Hier schlägt ein Herz, das guter Meinung ist.


Beleidigt dich mein abgebraucht Gewand,

So laß mich treten aus des Hauses Band!


Ich sei ein Fremdling dir! Du bleibst in Ruh,

Mein Gut, du teilst es meinen Brüdern zu.


Und ärgre, Vater, dich am Lorbeer nicht,

Der nur im Bildnis mir die Stirn umflicht!


Ich selber trage sonder Prunk und Glanz

Im Leben einen schlichten Dornenkranz.


Wozu der Lorbeer? Das hat keinen Sinn.

Ein jeder weiß, daß ich der Hutten bin,


Den weder Zeit noch Tod noch Acht noch Bann

Vom Herzen seines Volkes scheiden kann!


Burg Steckelberg, die von der Höhe schaut,

Von Frankens schönen Hügeln rings umblaut,


Die Brücke nieder! öffne mir dein Tor!

Ich reit aus dir zum letztenmal hervor.


Blas, Türmer, blas mir noch ein tapfer Stück!

Ich fahr in Kampf und kehre nicht zurück.

Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 394-395.
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