XXIX
Der letzte Humpen

[403] Herr Konrad der Komtur vergaß mich nicht

Und seine Sendung lacht wie Sonnenlicht.
[403]

Sie ist, ob auch in schlichtes Stroh gehüllt,

Bis oben an den Rand mit Geist gefüllt.


Statt eines Briefs hat der Bequeme mir

Geschickt das Fläschchen Rüdesheimer hier.


Dank! Einmal solche würz'ge Labe noch!

Ihr Gutes hat die Pfaffengasse doch.


Der Arzt verordnet mir den Wasserstrahl,

Wohlan, ich zeche heue zum letztenmal!


Nicht brauch ich dich zu schwenken, du bist rein,

Du kommst vom Brunnen, hölzern Becherlein!


Herr Rüdesheim, was gibt's am Rhein? Wie geht's

Der Klerisei von Mainz? Sie durstet stets?


Erlaucht, auf Schweizerboden keinen Stolz!

Bequemet Euch in dies Gefäß von Holz!


Lab ich allein mich aus dem Zauberquell

Liege nirgend hier im Gras ein Zechgesell?


Allein zu trinken ist mir schwer verhaßt,

Ein Mönchlein selber wär mir recht als Gast.


Ein Mönchlein! Wäre nur der Luther hier,

Mit Feuerzungen sprächen beide wir!


Ihn trat der Frundsberg auf der Dornenbahn

Zu Worms mit einem vollen Humpen an


Und sprach ihm zu: »Mach dir die Kehle naß!

Dann rede frisch! in vino veritas.«


Im Weine Wahrheit! Doch auch du bist hie,

Anmut'ge Lüge, Traum und Poesie!


Aus meinem Becher steigt ein Reigen klar

Und lächelnd grüßt mich eine Geisterschar.
[404]

Voraus die ewig junge Lebenslust,

Sie legt den Lockenkopf mir an die Brust


Und schaut zu mir mit hellen Augen auf:

»Du wirst genesen, Hutten! Zähle drauf!«


Und hier die Blasse mit dem süßen Schein

Der trauten Blicke muß die Liebe sein!


Sie flüstert das beseligende Wort:

»Noch hüte, Hutten, ich dir einen Hort!«


Mit beiden Armen winkt sie Heil mir zu:

»Es ist die Schönste, Hutten! Traue du!«


Und der Poet in meinem Herzen singe,

Von holder Erdefreuden Chor umringe,


In tausend Melodieen ein Getön:

O Erde, du bist lustig, du bist schön!...


Verbleiche, Reigen! Sinnentanz, erlisch!

Herr Reformator Hutten, auf vom Tisch!


Des Weines Hälfte blieb, die heb ich auf

Dem Freunde, kehrt er müd vom Arzteslauf.


Drei Züge noch, das ist die heil'ge Zahl!

Drei Sprüche noch und sonder lange Wahl!


Den ersten Trunk dem heil'gen röm'schen Reich!

Möcht es ein weltlich deutsches sein zugleich!


Den zweiten meinem Kaiser! Möcht er sein,

Der fünfte Karl, so echt, wie dieser Wein!


Den dritten bring ich jedem auf der Welt,

Der sich und seinen Becher wacker hält!
[405]

Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 403-406.
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