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Stilles Glück

[50] Wer kennt nicht Frau Veronika Schoißengeyers niedliches Landhaus draußen ganz, ganz am Ende der Vorstadt! Mit spiegelnden, fröhlichen Fensterlein guckt es gar schelmisch über die Flur, wenn Frau Sonne gütig herniederlacht.

Frau Veronika Schoißengeyers Villa.

Ja, staune du nur, schöne Leserin! Frau Veronika Schoißengeyers Villa. Denn kaum ein paar Jährlein, oder so, waren ins Land gegangen, seit wir Zeugen von Veronikas Triumphen gewesen, als die Künstlerin dem wackern Charcutier errötend zum Altare folgte.

Ja, ja, und du, lieber Leser, hättest es wohl auch nicht vermutet! Ja, ja, demselbigen Charcutier Schoißengeyer, der damals die unbedachte Äußerung tat.

Und was ihn betrifft, selbst heute noch, wenn der Wackere – beut das Kirchweihfest frischfröhliche Lustbarkeit – ein wenig zu tief in das Krüglein geguckt, kannst du ihn plötzlich ein gar ernsthaft Gesicht[50] machen sehen, und hast du ein scharfes Ohr, werden dir auch gewiß seine gemurmelten Worte nicht entgehen: Ich woaß nöt, i glaub halt allaweil, 's isa Sau!

Doch du und ich, wir beide, wissen nur zu gut, was er damit meint. Daß es nur Reminiszenzen sein können an jenen Abend, da sich Veronika in aller Herzen sang und tanzte. Ein erkleckliches Sümmchen war es, das da heute so rundliche, aber immer noch resolute Frauchen so ganz still und ohne viel Aufhebens durch ihre Kunst erworben hatte, ehe es den Brettern, die die Welt und – leider muß es gesagt sein – nicht immer die des Herzensreinen bedeuten, für immer Valet sagte, und von dessen Zinsen, nicht zu vergessen dessen, was der zielbewußte Gatte vordem durch nimmerrastender Hände Arbeit geschaffen, das Paar nun einträglich schaltete und waltete.

Und willst du jetzt, geneigte Leserin, Zeugin sein eines stillzufriedenen Glückes, – komm, folge mir in das behagliche Stübchen, wo Vater Schoißengeyer von des Tages Unrast und Mühsal verschnaufend, an dem grünen Kachelofen sitzend, der derben Stiefel entledigt, in den stets weißen, blitzsaubern Socken die fleißigen Füße, die von treubesorgt emsigem Auf- und Niedergang in dem schmucken Anwesen so ermüdeten, Erquickung atmen läßt.[51]

Frau Veronika, wie immer in der geliebten Tracht ihrer Heimat, wehrt den übermütigen Rangen, die, zwölf an der Zahl, bei der stämmigen Gestalt ihres Erzeugers doch alle der Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten, sie jauchzend umdrängen. Gesteht, ist das nicht ein entzückendes Bild?! Ein erhebendes Symbol wahren dauernden Glückes zweier, die mit klarer Besonnenheit ihren gegenseitigen schlichten Wert erkannten und jedem Tande abhold, stets ihrem Stande ihrem Stamme treu geblieben waren. Die nie zu hoch hinaus gewollt ins Unreale und flugs zugegriffen, wenn es galt, ehrlichen irdischen Vorteil beim Schopfe zu fassen. O, könnte sich unser Auge, wohin es in der Welt auch blicke, doch stets an solch inniger Vollkommenheit erlaben!

Doch jetzt geht das Öl der Lampe zur Neige, und alles sucht die schwellende Lagerstätte auf.

Nur Frau Veronika bleibt noch ein Weilchen und gedenkt im stillen der bewegten Vergangenheit, der nahen und doch, ach, so fernen.

Wie ihr guter Mann verlegen die Ballonmütze in den Händen gedreht, damals, und sie ihm ohne viel Federlesens um den Hals gefallen war. Und der Ärger des verschmähten Freiers, jenes windigen Gecken, dem es ja doch nur um ihr Geld zu tun gewesen.[52]

Und dann die Hochzeit! Die Hochzeit in Linz, der Vaterstadt ihres Schoißengeyer – –!!


»Brock' mer uns a Sträuß-la,

Steck' mer's uns aufs Hüat-la.

So san mir Landsleut',

Linzerische Bua'm – –«


Frau Veronika wiegte summend das Köpfchen, und ihre Augen wurden feucht.

Wiederum, als sei es eben erst gewesen, sah sie im Geiste die Deputation des oberösterreichischen Dichterbundes feierlich auf sich zuschreiten und ihr die Ehrengabe überreichen, einen breiten, wunderschönen roten »Andreas-Hofer«-Gürtel und dazu, – wie der Sprecher schelmisch hervorhob, für ihren künftigen Erstgeborenen einen prachtvollen künstlichen Kropf aus fleischfarbenem Leder zum Umschnallen, falls ihn dereinst die Zünfte der Abgeordneten für die Alpenländer wählen sollten. Rasch sich in die Lage findend, hatte Veronika damals in schmuckloser Einfachheit das »Zu Mantua in Banden« vorgetragen, und als sie mit dem herzzerreißenden Wehruf:


»Franzosen, ach, wie schießt ihr schlecht«


schloß, da wischten sich die bärtigen Männer mit den rauhen Handrücken über die Augen.

Es ging ein Schluchz durch Österreichs Gaue!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –[53]

Selig lächelte Frau Veronika vor sich hin. Dann sehnte auch sie sich nach der labenden Ruhe des Schlummers an der Seite des geliebten Gatten –


»Sie nimmt das Licht und geht zu Bett

Und spricht: der Abend war so nett.«


– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –


Schlußgesang

Und wir? Lasset uns kommen zu Hauf allesamt und dem Wildschwein Veronika ein treulich Andenken bewahren auch fürder. Und drohe auch welsche Art wie nächtlich grimmer Wolf unsere Hürde zu beschleichen, die tückischen Krallen zu wetzen nach dem Hort oberbayrischer Kunst, – nein, Herz, sei unverzagt, nimmermehr sollen sie es uns entfremden – die Pierre Lotis, die Oscar Wildes und Maeterlincke, die Strindberge, Wedekinde und der grämliche Ibsen und wie sie alle heißen mögen, diese ausgestoßenen Stiefkinder bodenständiger unverfälschter Fabulierkunst, – nimmermehr entfremden das holde, innigschlichte Bild


unserer, unserer, unserer Veronika.


Das walte Gott![54]

Quelle:
Gustav Meyrink: Gesammelte Werke, Band 4, Teil 1, München 1913, S. 50-55.
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