Erstes Kapietel

[18] Nu, singe ma1, du meine norddeutsche Pastorenseele von einem, der da lange nich wusste, was er wollte und es denn mit eins fand:

Da war nu Rieke Thomsen, die dicke Hebamme, die hatte die Hände auf dem ßtattlichen Leib und die Füße auf die Feuerkieke.

Und denn warf sie mit eins den Holzpantoffel mit sachtem Schwung gegen die Türe.

Kam da der alte Hule Beiderwand, der bei sie wohnte und so ne knarriche Sstimme hatte und sich so ßteil hielt, weil ein inwendiges schönes Licht in ihm war.

»Töf,« saachte er, »töf.« –

Die Türe knarrte kurz und hart.

Und denn saachte die kleine dusselige Tine Rauh, daß Liese Dusenschön auf das Haus zukäme.

Tine Rauh! –[18]

Das war auch eine von den Rauhen, die in de lüttje Bäckerstroot wohnen und alle so 'n krauses, gelbes Haar und so 'n fahrichen Sinn haben.

Und es dauerte auch kein Jahr, denn ßtarb sie.

Liese Dusenschön aber lag oben in Nöten.

Die halbe Nacht wird darüber hingehen, hatte Rieke Thomsen gesaacht. – – –

Die Türe knarrte kurz und hart.

Nach eine Weile kam Stiena Dusenschön, Liese Dusenschöns Mutter, und denn tranken sie unten Kafffe und Stiena hatte ne Postkarte bekomm, und da stand »Du ahnst es nich,« auf, und da war sie sehr ßtolz auf und saachte, daß demnach ein hoher Herr der Vater des Kindes sei, und die Perlenfransen ihrer Haube schlugen ziemliche Wellen.

Die Türe knarrte kurz und hart. – – –

Liese Düsenschöns Vater war ein finsteren verschlossenen Mann gewesen, vor ehedem Bürgermeister von Hilligenlei. –

Der hatte nie im Leben ein Wort geßprochen.

Erst auf dem Totenbette löste sich ihm die Zunge:

»Kumm man nich an die Gas,« hatte er gesaacht und denn war er geßtorben.

Die Tür knarrte kurz und hart. – – –

Die dusselige Tine Rauh aber kam herunter und saachte, daß Liese Dusenschön tot sei.[19]

Und Stiena und Rieke Thomsen sahen den neugeborenen Knaben an und nannten ihn Tjark. –

Tjark Dusenschön. –

Hule Beiderwand aber saachte finster, der sei schlapp und werde Hilligenlei auch nich zu Heilig-Land machen. –

Die Türe knarrte kurz und hart. – – –

Suse Dusenschön, das war nu die jüngste von Lieses Schwestern gewesen, die war zuerst Vice II bei Reimers in Niendorf gewesen und denn war sie mit einem Studenten im Grase gewesen, der hatte ihr gezeigt, wie der Buchfink feift und Hochzeit macht und denn war er wechgegangen. –

Und denn war sie auch Mutter gewesen und nu war sie auch tot.

Na! Und Dorchen Dusenschön, Lieses zweite Schwester?

Wer hat sie gesehen? Na! – na, laß man! –

Die Türe knarrte kurz und hart. – – –

1

Singe ma (mal) nicht zu verwechseln mit Tschin Ma = beliebter chinesischer Barietégaukler.

Quelle:
Gustav Meyrink: Gesammelte Werke, Band 4, Teil 2, München 1913, S. 20.
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