Dritter Gesang.
Kurmacherei.

[56] Des Grafen Expedition in den Obstgarten. – Die geheimnißvolle Nymphe ist eine Gänsehirtin. – Die Pilzenlese als ein Wandeln elysischer Schatten. – Die verschiedenen Gattungen der Schwämme. – Telimene im Tempel der Träumereien. – Berathungen über Thaddäus' Zukunft. – Der Graf als Landschaftsmaler. – Thaddäus' Kunstbemerkungen über Bäume und Wolken. – Des Grafen Ansicht über die Kunst. – Die Glocke. – Das Billet. – O Herr, ein Bär!


Der Graf ritt wieder heim; doch hält er oft am Weg,

Dreht immer den Kopf zurück, schaut nach den Gartengeheg;

Und einmal schien ihm, als blinkte wieder vom Fensterlein

Jenes geheimnißvollen Kleidchens schneeiger Schein,

Und etwas Leichtes fiel dann aus der Höhe wieder,

Flog durch den ganzen Garten pfeilschnell zur Erde nieder,

Und aus den grünen Gurken strahlt' es in weißem Licht,

Wie wenn ein Sonnenstrahl aus wolkiger Hülle bricht

Und blitzt dann mitten im Acker auf glattem Feuerkiese,

Oder auf winzigem Tümpel in der grünen Wiese.


Der Graf sitzt ab. Die Diener heißt er nach Hause zieh'n;

Er selbst rückt dann verstohlen gegen den Garten hin.

Bald hat er den Zaun erreicht, fand eine Öffnung klein,

Und wie ein Wolf in den Schafstall, preßt er sich da hinein.

An's Stachelbeergesträuch, das seine Gestalt verdeckt,

Stößt er zum Unglück an; da blickt, ein wenig erschreckt,

Die Gärtnerin umher, was das Geräusch bedeute, –[57]

Sieht nichts: und flüchtet dennoch nach der andern Seite.

Durch Gras und Wegerich und Sauerampfer schlüpfend,

Auf allen Vieren kriechend, wie ein Laubfrosch hüpfend,

So schleicht der Graf heran; jetzt steckt er, schon ganz nah',

Den Kopf hervor – und herrlich war, was er nun sah:


Kirschbäume steh'n vereinzelt an dieser Stelle im Garten,

Dazwischen, mit Fleiß vermengt, viel bunte Getreidearten,

Bartgerste, Weizen, Bohnen, Erbsen, Hirse, Mais, –

Auch Blumen und Gesträucher drängen sich in den Kreis;

Ein Gärtlein für's Geflügel – die Wirthschafterin erfand es,

Frau Kokosznicka, als Wirthin eine Perle des Landes –

Geborene Jendykowicz; – ihre Erfindung bedeutet

Eine Epoche der Wirthschaft; heut' allgemein verbreitet,

War sie damals noch neu und, unter Verschwiegenheit,

Nur wenigen Leuten vertraut. Das war so bis zur Zeit,

Da sie im Kalender erschienen, unter dem Titel:

»Schutz gegen Geier und Habicht, oder: ein neues Mittel

Das Federvieh zu züchten.« Was man darunter verstand,

War eben unser Gärtlein; damit war's so bewandt:


Als treue Schildwach' ist der Haushahn aufgestellt,

Der unbeweglich den Schnabel in die Höhe hält,

Den kammgeschmückten Kopf ein wenig seitwärts neigt,

Um besser in den Himmel hineinzuspäh'n: da zeigt

Ein Habicht sich da droben, hangend im Wolkenreich –

Ein Kräh'n: und in dies Gärtlein flieh'n die Hennen gleich,

Sogar die Gänse und Pfauen, und selbst, im jähen Schrecken,

Die Tauben, wenn's nicht geht, sich auf dem Dach zu verstecken.


Jetzt war am ganzen Himmel weit und breit kein Feind,

Nur daß die Sommersonne brennend herniederscheint;

In's Ährenwäldchen flohen die Vögel vor dem Brand,

Die liegen auf dem Rasen, die baden sich im Sand.


Inmitten der Vogelköpfe ragen nackt und klein

Auch Menschenköpfchen empor; die Haare, weiß, wie Lein,

Und kurz; die kleinen Hälse bis zu den Schultern bloß,[58]

Dazwischen, mit längeren Haaren, ein Mädchen schlank und groß.

Dicht hinter den Kindern sitzt der Pfau in vollem Staat,

Entfaltet breit und glänzend das irisfarb'ne Rad,

Von dessen dunklem Blau der Köpfchen schimmerndes Weiß

Sich wie ein Bildniß abhebt, – und wie ein Sternenkreis

Umzeichnet sie ringsum der Pfauenaugen Kranz;

So strahlen sie im Getreide, wie in des Äthers Glanz,

Inmitten der goldnen Kolben, die aufwärts streckt der Mais,

Des englischen Grases, mit seinen Streifen silberweiß,

Der grünen Malven und des Amaranths Koralle;

Es flechten sich in einander die Formen und Farben alle,

Als wie ein Gitter aus Gold und Silber anzuseh'n,

Und wie ein leichter Vorhang spielend im Windesweh'n.


Gleich einem Baldachin hängt über dem bunten Hain

Ein heller Nebelstreif von Faltern zart und fein, –

Großmütterchen genannt; ihr Flügleindoppelpaar

Ist leicht wie Spinnegewebe, wie Glas so rein und klar.

Wenn sie in Lüften hangen, bemerkt der Blick sie kaum,

Und schwirren sie auch, doch meint man, sie ruhen starr im Raum.


Ein graues Büschlein, aus Straußenfedern, wie es schien,

Hielt das Mädchen erhoben und schwang es her und hin,

Als wenn sie von den Köpfchen der Kleinen scheuchen wollt'

Den Regen der Schmetterlinge; und etwas, hell wie Gold,

Und wie ein Horn gestaltet, blinkt in ihrer Linken, –

Das ist wohl ein Gefäß, aus dem die Kinder trinken,

Man sah sie es der Reih' nach dem Mund der Kleinen reichen,

Dem goldnen Horn der Amalthea zu vergleichen.


Also beschäftigt, wandte sie immer doch den Blick

Zum Stachelbeergesträuch, wo's früher gerauscht, zurück,

Sie weiß nicht, daß vom andern End' der Störenfried,

Wie eine Schlange kriechend, des Weges näher zieht; –

Nun springt er aus dem Weg'rich hervor – sie sieht sich um,

Vier Beete steht er entfernt, verbeugt sich tief und stumm, –

Schon hat sie den Kopf gewendet, die Arme ausgestreckt,[59]

Stürzt vor zur Flucht, als wie ein Häher aufgeschreckt,

Schon schweben die leichten Schritte über die Blumen hin:

Als, durch den Fremdling und die fliehende Pflegerin

In Furcht versetzt, die Kleinen ganz erbärmlich schrei'n;

Sie hört's und fühlt, es würde ganz unbesonnen sein,

Die kleinen geängstigten Kinder jetzt allein zu lassen;

So kehrt sie um, wohl zögernd, – allein sie muß sich fassen.

Unwillig, wie ein Schatten, den Zaubersprüche zwingen,

Kommt sie, den ärgsten Schreihals zunächst zur Ruh' zu bringen,

Setzt sich zu ihm auf den Boden, nimmt ihn auf den Schooß,

Die Andern stillt sie mit Zuspruch und zärtlichem Gekos'; –

Nun sind sie still; die Händchen geschlungen um ihr Knie,

Die Köpfchen angeschmiegt, also nun ruhen sie,

Wie Küchlein unter dem Flügel der Mutter. Und sie spricht:

»So schreit man? ist das schön? ist's artig? wird sich nicht

Der Herr da fürchten? Das ist kein garstiger Bettelmann;

Ein Gast – ein guter Herr – wie hübsch! seht ihn nur an!«


Sie selbst sah hin. Der Graf lächelte gar mild,

Von so viel Lobesworten sichtlich dankerfüllt.

Sie besinnt sich, verstummt, blickt nieder – und die Wangen

Erglüh'n ihr, wie Rosenknospen, in feuerrothem Prangen.


Es war auch ein schöner Herr – von schlankem Körperbau,

Länglichem Gesicht, die Augen mild und blau,

Die Wangen blaß, doch frisch, die Haare weißlich, lang, –

Jetzt zierte sie überdies ein Kranz, der sie durchschlang,

Von Grasstreifen und Blättern, die er abgerissen,

Als er sich durch die Beete hatte winden müssen.


»O du« rief er, »wie immer dein hehrer Name heißt,

Sei's Göttin oder Nymphe, Erscheinung oder Geist,

Sprich: ist's dein eigner Wille, der hier dich wandeln läßt,

Hält dich ein fremder Machtspruch in diesem Thale fest; –

Ach wohl! ich merk's, ein Freier, dem Liebe du versagt,

Ein Mächtiger – oder ein Vormund, von Eifersucht zernagt,

Bewacht dich, wie eine Verwünschte, in diesem Schloßpark hier![60]

Du, werth, daß um dich Ritter kämpfen im Turnier,

Daß tragische Romane dich als Heldin feiern,

O wolle mir, du Schöne, dein grausam Los entschleiern!

Ich will dein Retter sein. Mein Herz ist dein von heut'

Und dein ist auch mein Arm, sowie dein Wink gebeut!«

Spricht's und streckt den Arm aus.

Sie hört, wie er so spricht,

Mit mädchenhaftem Erröthen, doch heit'rem Angesicht;

Gleich wie ein Kind nach grellen Bilderchen begehrt

Und blanken Rechenpfennigen, eh' ihr wahrer Werth

Sich ihm erschließt, so kost ihr Ohr in Wohlbehagen

Mit den tönenden Worten, die ihr gar nichts sagen.

Am Ende fragt sie: »Herr, von wo denn kommet Ihr?

Was suchen Euer Gnaden auf den Beeten hier?«

Der Graf macht große Augen, schweigt verwundert, verstimmt,

Dann sagt er, indem er den Ton ein wenig tiefer nimmt:

»Ich störe die Unterhaltung – wollen mir Fräulein vergeben,

Recht sehr vergeben, bitte, – zum Frühstück eilt' ich eben,

Käm' gerne noch zurecht: nun ist's schon ziemlich spät,

Ihr wißt ja, Fräulein, daß die Straße im Bogen geht,

Ich glaubte, durch den Garten führ' ein geraderer Weg –«

»Ja,« sagt sie, »Euer Gnaden! Doch drüben führt ein Steg, –

Man muß nicht die Beete verderben, – dort durch den Rasen hin,

Dort geht man.« – »Rechts oder links?« fragt er. Die Gärtnerin

Erhebt die blauen Augen und scheint in seinen Mienen

Verwundert nachzuforschen; denn tausend Schritt von ihnen,

Wie auf der flachen Hand, liegt deutlich dort das Haus,

Und er fragt nach dem Weg? – Nun will er aber durchaus

Etwas zu ihr sagen und weiß nicht, wie zu beginnen:

»Da wohnen Fräulein? Beim Garten? Oder im Dorfe drinnen?

Wie kommt es, daß ich Fräulein nie im Hause sah?

Wohl eine Fremde? oder doch erst seit Kurzem da?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ach, wollen Fräulein verzeih'n:

Ist das dort nicht Ihr Zimmer, dort jenes Fensterlein?«


Er denkt: Wenn sie auch nicht in Romane passen mag:

So ist sie eben ein Mädchen, blutjung und schön, wie der Tag, –[61]

Oft blüht eine große Seele, ein erhaben Gemüth

Im Stillen, wie eine Rose inmitten der Wälder blüht;

Nur an das Licht getragen, nur vor die Sonne gestellt:

Strahlt sie in tausend Farben vor der erstaunten Welt. –


Indessen stand die Gärtnerin schweigend auf; das Kind,

Das ihr am Arm gehangen, erhebt sie, – faßt geschwind

Ein andres bei der Hand, treibt noch ein paar Kleine

Wie Gänschen voraus – und geht so weiter durch die Raine.

Nun kehrt sie sich um: »Herr, wollt ihr nicht so freundlich sein

Und jagt mein Geflügel wieder in's Getreid' hinein?«

»Was? Ich Geflügel jagen?« schreit der Graf erschreckt,

Indessen war sie verschwunden, vom Schatten der Bäume bedeckt;

Vom Laubengang herüber, durch der Maien Schleier,

Strahlt nur noch etwas her, wie zweier Augen Feuer.


Der Graf blieb nun allein, stand noch im Garten lang';

Allmählich, wie die Erde nach Sonnenuntergang,

Kühlt seine Seele sich ab und färbt sich immer trüber.

Er träumt, – doch zieht nichts Holdes an seinem Geist vorüber.

Aufwacht er, ärgert sich – weiß selbst nicht über wen:

Weh! Was hat er gehofft, und was hat er geseh'n!

Denn als er durch die Beete zu jener Hirtin geschlüpft,

Da hatte sein Kopf gebrannt, da hatte sein Herz gehüpft:

In seiner Geheimnißvollen – was hatt' er nicht alles erblickt!

Mit wie viel Reizen und Wundern die Nymphe ausgeschmückt!

Wie viel geahnt! – Und nun! – Wohl war's ein hübsches Gesicht,

Wohl schön die Gestalt, doch ach! wie linkisch war sie nicht!

Und diese Pausbacken, dies Roth, ach, so robust,

Zeigt gar so viel Behagen, einfält'ge Lebenslust!

Man sieht, die Seele schläft noch und das Herz ist leer!

Und was sie sprach! wie gewöhnlich! so recht vom Dorfe her!

»Zu spät errath' ich's!« schreit er, »wozu noch Träume brüten!

Meine mystische Nymphe scheint die Gänse zu hüten!«


Und mit der Nymphe verschwanden alle Wunder zugleich:

Die Bänder, diese Gitter, die da so zauberreich[62]

Gestrahlt, die er geseh'n, so selig, so wunderfroh,

Die silbernen, die goldenen, – weh! also war das Stroh?


Und händeringend sah er am Boden, wohlgebunden,

Ein kleines Gärbchen liegen, mit Radengras umwunden,

Das waren die Straußenfedern in der Hand der Maid! –

Auch das Gefäß vergaß er nicht in seinem Leid:

Ach, jenes goldige Kännchen, das Horn der Amalthee –

Es war ein gelbes Rübchen! Ihm war, als wenn er sähe,

Wie es ein Kindermund mit großer Gier zerkaut:

Wo waren die Zauber, die Wunder, die er aufgebaut! –

So geht's dem Knaben, wenn er Endivienblumen gewahrt,

Die Blätter locken die Hand, so blau, so weich, so zart, –

Er kommt und will sie streicheln – er bläst – und wie ein Flaum

Zerflattert die ganze Blume in der Lüfte Raum –

Und in der Hand des Forschers, der sich zu viel vermaß,

Bleibt nur ein nackter Stiel von grünlich-grauem Gras.


Der Graf drückt in die Stirn den Hut und kehrt zurück

Des Wegs, den er gekommen; doch kürzt er ihn um ein Stück,

Nimmt über Gemüse und Beeren und Blumen seinen Lauf –

Dann springt er über den Zaun und athmet endlich auf!

Da fällt ihm ein: vom Frühstück sprach er ja soeben –

Nun wissen vielleicht schon Alle, was sich jetzt begeben,

Im Garten, nah' dem Haus! – Und wenn man ihn nun sucht?

Was kann man nicht alles denken von seiner jähen Flucht?

So heißt es denn wieder: zurück! Er drückt sich an Zäunen vorbei

Um Rain und Rasen herum, – und freut sich, nach tausenderlei

Umwegen, daß er sich endlich auf der Straße sieht,

Die in gerader Richtung sich nach dem Hofraum zieht. –

Hingeht er am Zaun, das Haupt vom Garten abgekehrt,

Als wie ein Dieb vom Speicher, daß ja nur Keiner erfährt,

Er woll' ihn besuchen oder er hab' es schon gethan;

So hütet sich der Graf: es dachte kein Mensch daran, –

Doch blickt er vom Garten weg, rechts in die Gegend hinein.


Auf weichem Rasengrund erhebt sich ein lichter Hain:

Dort, zwischen den Birkenstämmen, unter den grünen Zweigen,[63]

Die wie ein blühend Gezelt sich über die Matten neigen,

Dort wallen so viele Gestalten, – seltsam, wie im Tanz

Bewegt, und seltsam gekleidet: recht, wie im Mondenglanz

Umirrende Geister. Die Einen, von schwarzem Gewand umschlossen,

Die Andern von schneeigem, langem bis zur Erde umflossen,

Der unter einem Hut, so breit, als wie ein Reifen,

Bloßköpfig Jener. Um Andere wallen, wie Wolken streifen,

Leichtwehende Schleier und flattern den Köpfen nach im Geh'n,

Als wie Kometenschweife, seltsam anzuseh'n.

Jeder in anderer Haltung: der wuchs an die Erde fest,

Regt nur die Augen, die er am Boden schweifen läßt, –

Der schaut gerade vor sich, nachtwandlerartig schreitend,

Wie auf dem Seil, nicht rechts, noch links vom Wege gleitend,

Stets aber neigen sich Alle hin und her zur Erde,

Als bückten sie sich vor Wem mit demuthvoller Gebärde.

Oft stoßen sie auf einander – doch kein Einziger spricht,

Oft nahen sie einander, doch grüßen sie sich nicht –

Sind ganz in sich versunken, mit tiefen, sinnenden Mienen.

Das Bild der elysischen Schatten sah der Graf in ihnen,

Die, ob auch Schmerz und Sorge sie nimmermehr ergreifen,

Zwar still und sanft – und dennoch voller Schwermuth schweifen.


Wer hätt' in jenen Leuten, die sich so wenig regen,

So still einhergeh'n, – unsre Bekannten suchen mögen?

Die Freunde unsres Richters? Nach des Frühstücks Getöse

Begaben sie sich hinaus zur festlichen Pilzenlese.

Und als gescheidte Leute versteh'n sie Gang und Wort

Stets richtig abzumessen, daß nach Zeit und Ort

Bei jeder Gelegenheit sich Alles trefflich schickt.

Drum änderten sie, bevor man in's Wäldchen ausgerückt,

Gewand und Haltung; zogen Linnenmäntel an, –

Die werden beim Spaziergang über den Kontusz gethan, –

Und setzten auf den Kopf Strohhüte auf. Darum

Erscheinen sie weiß, wie Seelen im Purgatorium.

Die Jugend ist auch verkleidet, außer Telimene

Und Einigen, die sich französisch tragen.[64]

Diese Scene

Begriff der Graf nicht; fremd war ihm die ländliche Sitte,

So lief er staunend in's Wäldchen mit beflügeltem Schritte.


Da gab es Schwämme in Fülle. Den Fuchspilz nehmen die Jungen,

In lithauischen Liedern hundertfach besungen,

Sinnbild des Mädchenthums – weil ihn kein Wurm verletzt

Und, seltsamer Weise, kein Insekt sich auf ihn setzt.

Auf den Herrenpilz, den schlanken, machen die Mädchen Jagd,

Den Obersten der Schwämme,1 wie das Volkslied sagt;

Jeder paßt auf den Rothpilz, der sich so stolz nicht streckt,

Und weniger ward besungen, dafür am besten schmeckt,

Gesalzen oder frisch, in Herbst und Wintertagen; –

Der Wojski aber möcht' nur Fliegenschwämme erjagen.


Als Auswurf wird verachtet ein andres Pilzengeschlecht, –

Theils ist es nämlich schädlich, theils auch schmeckt's nicht recht;

Doch ist's nicht ohne Nutzen; es füttert manches Thier

Und ist ein Nest der Insekten und der Haine Zier.

Der Wiesen grünes Tischtuch, weithin ausgespannt,

Bedeckt's, wie Reihen Gefäße; hier mit rundem Rand

Die Blätterschwämme silbern, gelb und roth, – wie kleine

Pokälchen, angefüllt mit mannigfachem Weine;

Der Löcherschwamm, ein Becherlein, aber umgedreht,

Die Bodenwölbung nach oben; dort, schlank erhoben, steht

Der Trichterpilz, vergleichbar einem Champagnerpokale;

Und wie eine milchgefüllte runde Meißnerschale

Sitzt hier der Moosschwamm, breit und platt und weiß; – dort fällt

Der Bofist auf: die Kugel, die schwärzlichen Staub enthält,

Gleicht einer Pfefferbüchse; – wie andre sind genannt,

Ist nur in der Sprache der Hasen oder Wölfe bekannt;

Den Menschen gelang's noch nicht, sie allesammt zu taufen;

Sie wachsen aber im Wald in ungezählten Haufen. –

Die Wolf- und Hasenpilze verschmäht man ganz und gar;

Und wer sich zu einem geneigt und wird den Irrthum gewahr,

Zerbricht ihn oder stößt ihn mit dem Fuß aus Wuth;

So wird das Gras verunziert, was weder klug noch gut.[65]

Nicht Wolfs- noch Menschenpilze sucht Telimene heut', –

Den Kopf zurückgeworfen, gelangweilt und zerstreut,

Blickt sie herum. Drum sagt im Ärger der Notar,

Sie suche auf den Bäumen die Schwämme offenbar.

Boshafter aber war noch des Assessors Wort:

Er sagt': »Als Weibchen sucht sie für's Brutnest einen Ort«.


Und Einsamkeit und Stille sucht sie in der That.

Sie zog sich sacht zurück und ging auf dem Waldespfad

Zu einem Hügelabhang – es war ein schattiger Raum,

Denn dichter, als sonst im Wäldchen, wuchs hier Baum an Baum.

Grau lag ein Stein inmitten; schäumend in wildem Lauf

Braust unten ein Bach hervor – und birgt sich gleich darauf,

Als wenn er Schatten suchte, im hohen dichten Grün,

Das, von der Fluth getränkt, rings wuchert in üppigem Blüh'n.

Dort flüstert er dann, der Wildfang, auf's Blätterbett gelegt,

Eingewickelt in's Gras, ganz still und unbewegt, –

Unsichtbar, unhörbar fast, – wie, leise eingewiegt,

Ein kleiner Schreihals schlummernd im Schaukelbettchen liegt;

Die Mutter schloß die grünen Vorhängchen leise zu

Und streute Blätter des Mohns auf's Kissen. – In tiefer Ruh'

Liebt hier Frau Telimene sich stillem Sinnen zu weihen

Und nennt die holde Stelle: Tempel der Träumereien.


Jetzt warf sie von der Schulter, sobald sie am Bache stand,

Das rothe Tuch, das wallende, auf den grünen Strand

Und wie eine Schwimmerin, die sich zum Bade neigt,

Zum kalten – eh' sie's wagt und in die Wellen steigt,

So kniet sie hin und neigt sich langsam seitwärts gebogen, –

Zuletzt, wie fortgerissen von den korallenen Wogen,

Fällt sie und liegt auf dem Shawl behaglich ausgedehnt,

Die Ellbogen auf's Gras, die Stirn auf die Hand gelehnt,

Den Kopf zum Boden geneigt; im Grase blinkt vor ihr

Eines französischen Buches feines Velinpapier,

Und rosenrothe Bänder und schwarze Locken gleiten

Hinwallend auf des Buches Alabasterseiten.[66]

So auf des Shawls Karneol, des Grüns smaragdner Fülle

Und in des langen Kleides korallenrother Hülle,

Von der das Haar sich abhob an dem einen Ende,

Der schwarze Schuh am andern; zur Seite die weißen Hände –

Des Strumpfs, des Taschentüchleins, der Wangen heller Schein:

So mochte sie aus der Ferne anzusehen sein,

Wie eine bunte Raupe auf einem Erlenblatt.


O weh, daß solch ein Schauspiel gar keine Zeugen hat!

Alle die herrlichen Reize bemerkt kein sterblich Wesen!

So stark und ganz beschäftigt sie alle das Pilzelesen.

Thaddäus nur schielt seitwärts, denn er beachtet's sehr,

Wagt sich nicht g'rad heran und rückt im Bogen her –

Wie im beweglichen Schuppen unter dem ästigen Dach

Der Jäger auf zwei Rädern den Trappen allgemach

Nah'rückt – oder auch Schnepfen nachgeht mit listiger Finte:

Am Roß verbirgt er sich, im Sattel liegt die Flinte,

Auch wohl am Hals des Pferds – er wahrt geschickt den Schein,

Als führt' er nur die Egge oder durchzöge den Rain, –

Und nähert sich immer den Vögeln: so schleicht sich durch den Hain

Thaddäus heran.

Der Richter verdirbt ihm aber das Spiel,

Kreuzt ihm den Weg und eilt zu unseres Jünglings Ziel.

Das große Sacktuch im Gürtel und der weiße Schooß

Des Pudermantels spielen im Winde leicht und los, –

Und wie ein Weg'richblatt, so wackelt beim schnellen Geh'n

Der untergebundene Strohhut nach des Windes Weh'n,

Indem er bald auf die Achseln, bald auf die Augen fällt;

Gewaltig ist der Rohrstock, den in der Hand er hält:

So schreitet der Richter. Nun wäscht er im Bach die Hände rein,

Setzt sich vor Telimene auf den großen Stein,

Stützt beide Hände auf den elfenbeinernen Knopf

Des Rohrstocks und beginnt:


»Seht, Liebe, mir ist der Kopf

Von nicht geringer Sorge fortwährend eingenommen,

Seit unser lieber Thaddäus im Hause angekommen.[67]

Ich habe keine Kinder, bin alt; der brave Knabe

Ist ja die einzige Freude, die ich auf Erden habe,

Er erbt mein kleines Vermögen – ich kann ihm, Gottlob, geben,

Was ausreicht, um als Schlachcic nicht allzumager zu leben;

Auch wär's schon Zeit für ihn, Beruf und Bestimmung zu wählen, –

Nun aber, Liebe, seht, was mich für Sorgen quälen!

Ihr wißt, Herr Jacek, mein Bruder, der Vater dieses Jungen,

(Ein eigner Mensch, deß Pläne noch selten wer durchdrungen)

Will nicht in's Land zurück – mag sich weiß Gott wo treiben,

Nicht einmal, daß er lebt, will er dem Sohne schreiben,

Und schaltet doch immer mit ihm. Erst wollt' er ihn lange Zeit

Als Legionär entsenden, – zu meinem bittersten Leid.

Dann ließ er's endlich geschehen, daß er zu Hause bleibe

Und heirathe. Nun mangelt's ja nicht an einem Weibe –

Ich fand schon eine Partie: es kommt in unsrem Bereich

An Namen und Familie Niemand dem Kämmerer gleich;

Die Anna, seine Älteste, soll sich gerade vermählen:

Ein hübsches Mädchen, – an Mitgift wird's ihr auch nicht fehlen;

Einfädeln wollt' ich's.« – Hier wird Telimena bleich,

Legt rasch das Buch weg, erhebt sich und setzt sich dann sogleich.


»Nun,« sagt sie, »meiner Treu, Herr Bruder, seid Ihr klug?

Habt Ihr denn Gott im Herzen? ist das wohl Recht und Fug?

Thaddäus Wohlthäter habt Ihr zu werden gedacht,

Wenn Ihr den jungen Burschen zum Krautjunker macht?

Ihr sperrt ihm die Welt; ja, glaubt mir, er wird Euch einst verfluchen, –

Ein solches Talent zu vergraben zwischen Kohl und Buchen!

Glaubt mir, so viel ich sah, ist es ein fähiges Kind,

Werth, daß es in der Welt den rechten Schliff gewinnt, –

Er soll in die Hauptstadt, Bruder, das wird das Beste sein, –

Etwa nach Warschau? Oder, wißt Ihr, da fällt mir ein:

Nach Petersburg? Ich geh' sicher, eines Processes wegen,

In diesem Winter hin; wir wollen vereint überlegen,

Was mit Thaddäus zu machen; dort kenn' ich viele Leute,

Hab' Einfluß, – zur Carrière das beste Mittel heute.

Mit meiner Hilfe steh'n ihm die ersten Häuser offen,

Und ist er mit mächtigen Leuten erst zusammengetroffen,[68]

Bekommt er ein Amt, einen Orden; dann mag er, wenn's ihm gefällt,

Den Dienst verlassen, und kehre aus der großen Welt

In Würd' und Anseh'n heim, gereift und wohlerfahren.

Was denkt Ihr dazu, Bruder?« – »Ei nun, in jungen Jahren,«

Sprach er, »da kann es nicht schaden, ein wenig die Welt zu durchstreifen,

Sich unter den Menschen durchzulüften und abzuschleifen;

Wie ich noch jung war, reist' ich auch so manches Mal,

Ich war in Piotrkow, in Dubno – sei's beim Tribunal

Als Anwalt, sei's auch, wenn ich eigene Sachen geführt;

Ich kam sogar nach Warschau – man hat was profitirt!

Den Neffen so reisen zu lassen, – da wär' ja nichts einzuwenden!

Ich möcht' ihn, einfach als Wand'rer, unter die Leute senden,

Wie einen Handwerksburschen, der seine Lehrzeit macht,

Daß ihm ein wenig der Sinn für Welt und Menschen erwacht!

Nicht aber um Würden und Orden! Bitte unterthänig:

Ein russisches Amt! Ein Orden! Das gilt ja doch wohl wenig!

Wer von den frühern Herrn, ja von den heutigen Leuten,

Die in der Schlachta im Kreis nur irgend was bedeuten,

Scheert sich um derlei Krimskrams? – Doch sind sie ästimirt –

Geschlecht und Name wird an ihnen respectirt, –

Ein Amt auch, – doch ein Landamt, durch Wahl von freien Männern

Ertheilt, doch nicht erschlichen weiß Gott von was für Gönnern.«


Telimene versetzte: »Wenn es Euch so gefällt,

Nun, um so besser, so schickt ihn als Voyageur in die Welt.«


Der Richter kratzt sich den Kopf. »Ja, seht, ich möchte sehr –

Doch andre Hindernisse machen's wieder so schwer;

Herr Jacek bewacht den Sohn immer und unausgesetzt,

Hat mir drum auch von jenseits der Weichsel eben jetzt

Den Bernhardiner Robak auf den Hals gesandt, –

Der ist sein Freund, mit allen seinen Plänen bekannt;

So haben sie auch Thaddäus' Zukunft schon bestimmt:

Sie wollen, daß er die kleine Soschja zum Weibe nimmt,

Euere Pflegetochter. Zu meinem kleinen Vermögen,

Das sie bekommen, will Jacek noch eine Mitgift legen

In baarem Kapital; Ihr wißt ja, er hat Geld,[69]

Und seiner Güte verdank' ich fast ganz mein Haus und Feld;

So darf er denn auch schalten. Nun, Liebe, wollt bedenken,

Wie wir das möglichst leicht zum guten Abschluß lenken.

Sie müssen sich kennen lernen. Jung sind sie zwar noch sehr,

Besonders Soschja ist klein – doch wiegt das nicht so schwer.

'S ist hohe Zeit, das Mägdlein aus der Haft zu entlassen, –

Die Kinderschuhe dürften ihr wohl nicht mehr passen.«


Verwundert und fast erschreckt, erhob sich wieder und wieder

Indeß Frau Telimene, – kniet' auf dem Tuche nieder;

Erst hörte sie eifrig zu; dann aber schüttelt sie kräftig

Über's Ohr mit der Hand, – die Worte rasch und heftig

Als wie ein lästig Insekt fortjagend mitten im Lauf

Zurück in den Mund des Redners –


»Ah! Ah!« braust sie dann auf, –

»Das ist was Neues! – Ob's nun zu Thaddäus Schaden,

Ob nicht, darüber, Herr Bruder, richte Euer Gnaden!

Mich geht Thaddäus nichts an; da redet Ihr darein

Macht ihn zum Landwirth, setzt ihn in eine Schenke hinein,

Er mag kredenzen – Jagdwild im Wald zusammenraffen –

Macht, was Ihr wollt! Doch Soschja? was habt Ihr mit der zu schaffen?

Ich, ich allein verfüge über ihre Hand!

Daß Jacek einiges Geld an ihre Erziehung gewandt,

Ein kleines Jahresgehältchen ihr ausgesetzt und verhieß,

Ihr später mehr zu geben: ei nun, um Alles dies

Hat er sie noch nicht gekauft! Übrigens, pocht nur auf's Geld!

Die Herrschaften wissen wohl – und heute noch weiß es die Welt,

Daß sie nicht ohne Grund sei, die freigebige Huld, –

Ein wenig sind die Soplica in der Horeszko Schuld.«

Mit unbegreiflicher Trauer und Bestürzung erfüllen

Den Richter die letzten Worte, – mit sichtlichem Widerwillen,

Als fürchtete er den Rest, neigt er das Haupt zur Erde

Mit brennenden Wangen und traurig bejahender Gebärde.


»Ich,« schloß nun Telimene, »war ihre Pflegerin,

Bin ihre Verwandte, Soschja's einzige Schützerin;

Nur ich, und Niemand andrer denke an ihr Glück«.[70]

»Doch wenn sie,« sprach der Richter und erhob den Blick,

»Der Ehebund glücklich machte? Wenn ihr Thaddäus gefällt?«

– »Gefällt! – Ei, Feigen am Dornbusch! Seht doch, in aller Welt!

Gefällt! Mißfällt! Nun wahrlich, das wär' was von Gewicht!

Zwar Soschja ist keine reiche Partie – doch ist sie nicht

Die Erste Beste vom Land, kein Fräulein, wie andre sind,

Sie stammt von Erlauchten ab, – ein Wojewodenkind!

Von einer Horeszko geboren! wird einen Gemahl bekommen!

Was haben wir uns für Mühe bei ihrer Erziehung genommen;

Sie müßte denn hier verwildern.« Er hört ihr eifrig zu

Und blickt ihr in's Aug'. Nun, scheint's, gelangt' er wieder zur Ruh',

Denn er versetzt recht heiter: »Ei nun, das läßt sich nicht zwingen.

Gott weiß, ich wollte die Sache in Treuen zu Stande bringen!

Nur ohne Zorn, Verehrte! Stimmt Ihr nicht überein,

Ihr habt das Recht – 's ist traurig – doch laßt das Zürnen sein!

Der Bruder befahl, so rieth ich's – das war meine Pflicht;

Doch giebt es keinen Zwang. Wollt Ihr Thaddäus nicht:

So schreib' ich Jacek, es habe nicht an mir gefehlt,

Wenn sich unser Thaddäus mit Soschja nicht vermählt.

Jetzt rath' ich mir selbst. Beim Kämm'rer dürft' es wohl gelingen,

Die Werbung einzuleiten und Alles zu Stand' zu bringen.«


Indessen kühlte sich ihr Feuer nach und nach:

»Ich lehne gar nichts ab! Nein, Brüderlein, gemach!

Sie sind ja noch zu jung, das mußt du selber sagen,

So warten wir, halten wir Umschau, – das kann ja nichts verschlagen.

Wir bringen die Beiden zusammen; an uns ist's, aufzupassen;

Man kann ja nicht And'rer Glück dem Ungefähr überlassen!

Nur warn' ich bei Zeiten, Bruder, nicht in Thaddäus zu dringen,

Ihn nicht zur Liebe für Soschja etwa gar zu zwingen, –

Ist doch das Herz kein Sklave, mag keinen Herrn ertragen,

Und nimmer läßt's gewaltsam sich in Ketten schlagen.«


Hier stand der Richter auf, nachdenklich ging er fort.

Von drüben nähert sich Thaddäus nun dem Ort,

Er thut, als lockten da ihn welche Schwämme an, –

In gleicher Richtung schiebt sich sacht der Graf heran.[71]

Der Graf war während des Streits des Richters mit Telimene

Stets hinter den Bäumen gestanden, verwundert ob der Scene.

Er hatte aus der Tasche Stift und Papier gezogen, –

Das trug er immer bei sich – und, über den Stamm gebogen,

Ein Blättchen ausgespannt und offenbar skizzirt.

Dabei sprach er zu sich: »Als wie mit Absicht gruppirt!

Der auf dem Stein, die im Gras – wie das zum Bilde paßt!

Charakteristische Köpfe! – und dieser Züge Contrast!«


Nun rückt er an – hält inne – säubert die Lorgnette,

Weht mit dem Tuch um's Auge, guckt immer nach der Stätte:

»Wird dieses wundervolle, reizende Bild verschwinden, –

Werd' ich, wenn ich mich nähere, Alles verwandelt finden,

In Mohn und Rübenkohl vielleicht dies sammt'ne Grün,

Und dort die holde Nymphe in eine Wirthschafterin?«


Frau Telimenen hatt' er in des Richters Haus

Schon oft geseh'n – er ging da häufig ein und aus –

Doch hatt' er sie wenig beachtet; da staunt er einen Moment,

Wie er nun seines Bildes Modell in ihr erkennt.

Der schöne Ort, die Stellung, das reizende Gewand

Hatten sie ganz verwandelt; man hätte sie kaum erkannt.

Noch brennt im Aug' der Zorn, der langsam nur verlischt, –

Das Antlitz, von des Windes Wehen aufgefrischt,

Vom Streit und von der jungen Leute jähem Kommen,

Ist nun in ungewohntem, stärkerem Roth erglommen.


»O Herrin,« sprach der Graf, »vergebt mein kühnes Wagen,

Ich komme, Verzeihung zu bitten, – ich komme, Dank zu sagen.

Verzeihung, daß ich es wagte, heimlich nachzugeh'n –

Und Dank, daß ich Euch durft' in Eurem Träumem seh'n.

Wie hab' ich mich versündigt! – wer Euch danken könnte!

Ich störte den süßen Moment – und selbst gewann ich Momente

Der Wonne, der Begeist'rung! – Der Mensch ist schuldbeladen:

Verdammt ihn – doch der Künstler harrt Eurer Huld und Gnaden!

Viel wagt' ich, mehr noch wag' ich – Herrin, seid Richterin!«

Hier kniet er nieder und reicht ihr seine Landschaft hin.[72]

Frau Telimene gab ihr Urtheil über die Proben

Als Weltdame, doch zugleich als Kennerin; – karg im Loben,

Doch durchaus nicht mit Worten der Ermunterung geizend.

»Bravo! Ich gratulire! schönes Talent! ganz reizend!

Nur bitt' ich es zu pflegen. Besonders die schöne Natur,

Die braucht es. – O Italiens seliger Azur!

Ros'ge Cäsarengärten! Du, klassische Cascade

Von Tibur! Und ihr schrecklichen Felsenhöhlenpfade

Des Posilipp! O Land, so mild, so sonnenwarm,

Du bist des Malers Heimat! – Bei uns, daß Gott erbarm'!

Ein Musenkind, das man hier der Amme überlassen,

Kommt sicher um. – Dies, Graf, lass' ich in Rahmen fassen,

Oder ich leg's in's Album, ja, da paßt es g'rade –

Zur Skizzensammlung, die ich gehäuft in meiner Lade.«


Nun fingen sie an, zu plaudern von würziger Winde Wehen,

Von Himmelsbläue und Meeresgebraus und Felsenhöhen;

Und wie so Gereiste pflegen, mengten sie allerhand

Spott und Gelächter dazwischen über ihr Heimatland. –

Und lagen doch Lithauens Wälder vor ihnen weit und breit,

So ehrwürdig, so voller Reiz und Herrlichkeit!

Die Ahlbeer, rings umflochten von wilder Hopfen Kranz,

Die Eberesche in frischer Hirtenröthe Glanz, –

Die Hasel, eine Mänade, mit grünen Sceptern prangend

Und, wie voll Trauben, prächtig voll Perlennüsse hangend,

Und unten die Jugend: Hollunder, die Hagebutte umstrickend,

Brombeer, den Mund, den schwarzen, an die Himbeer drückend, –

Und mit den Blättern schließen sich Bäume und Sträucher zum Kranz,

Sie halten sich an den Händen, wie Burschen und Mädchen zum Tanz

Rings um ein Brautpaar steh'n. Und mitten in der Schaar

Erhebt sich, an Wuchs und Farbe unerreicht, das Paar,

Hoch über Alle ragend im weiten laubigen Saal:

Die weiße Birke, das Liebchen, – der Jochbaum, ihr Gemahl.

Und weiter, gleich wie Greise auf Kinder und Enkel schauen,

In Schweigen sitzend, so hier: die Buchen, die altersgrauen,

Die Pappeln dort, die Matronen, – und drüben, mächtig ragend

Die Eiche, auf höckrigem Rücken fünf Menschenalter tragend,[73]

Gestützt, wie auf zerbroch'ne Grabsäulen, auf der Eichen,

Der altehrwürdigen Ahnen, längstversteinerte Leichen.


Thaddäus dreht sich umher in großer Langeweil'

Beim langen Gespräch; für ihn war ja daran kein Theil, –

Bis man zuletzt gar hoch die Wälder der Fremde pries

Und alle Arten Bäume aufmarschiren ließ:

Cypressen, Pomeranzen, Oliven und Mandeln

Kaktus und Aloe, Mahagony und Sandeln,

Citronen, wälsche Nüsse, Epheu, ja selbst Feigen, –

Wuchs, Blumen, Stengel anfing verherrlichend aufzuzeigen:

Da hörte Thaddäus nicht auf zu schnauben und zu zucken, –

Zuletzt konnt' er den Grimm nicht mehr hinunterschlucken.


Schlicht war sein Sinn, doch wirkte Natur auf ihn sehr tief, –

Jetzt sah er in seine Wälder begeistert hin und rief:

»Im botanischen Garten zu Wilna, da hab' ich sie geseh'n,

Jene berühmten Bäume, die fern im Osten steh'n

Oder im Süden, in Italien's holden Reichen:

Ja, welcher von ihnen läßt sich mit unsren Bäumen vergleichen?

Die Aloe mit den langen Blitzableiterschröpfen?

Die Zwergin, die Citrone, mit den goldenen Knöpfen?

Mit den lakirten Blättern, kurz und bauchig zugleich, –

Ein kleines Weibsbild, winzig und häßlich, aber reich?

Die hochgelobte Cypresse, der lange, hagere Pfeil,

Fürwahr, kein Baum der Wehmuth, sondern der Langeweil'?

Man sagt, daß sie auf Gräbern ein Bild der Trauer sei, –

Ja, wie in der Hoftrauer etwa ein deutscher Lakai,

Der sich nicht traut, den Kopf zu dreh'n, die Hand zu heben,

Um ja der Etiquette keinen Anstoß zu geben.


Wem unsre wack're Birke da nicht schöner scheint!

Wie die Bäu'rin den Sohn, die Wittwe den Mann beweint,

Also ringt sie die Hände mit klagender Gebärde

Und über die Schulter fließt ihr ein Flechtenstrom zur Erde!

Stumm vor Schmerz – und die Haltung, wie schluchzt sie so beredt!

Warum, Herr Graf, wenn Euch die Kunst so nahe geht,[74]

Malt Ihr nicht unsre Bäume? Ihr sitzt ja zwischen ihnen?

Fürwahr, es wird den Nachbarn zum Gespötte dienen,

Wenn Ihr da wohnt, in Lithauens fruchtgesegneten Thalen,

Um Gott weiß was für Felsen und Wüsteneien zu malen!«


»Freund,« sagt der Graf, »Natur muß Grund und Inhalt geben

Und Form – doch die Begeist'rung, die ist Seele und Leben:

Begeist'rung, die da aufschwebt, durch Phantasie beflügelt,

Geläutert durch Geschmack, durch Regeln wohlgezügelt.

Natur und Feuer sind viel, doch sind sie nicht genug:

In's Reich des Ideals gehe des Künstlers Flug!

Nicht Alles, was da schön ist, hat für den Maler Werth, –

Das alles wird Euch in Büchern seinerzeit erklärt –

Betreffs der Malerei: so gehört zu einem Bild

Gesichtspunkt, Gruppen, Ensemble – ein Himmel, rein und mild:

Italiens Himmel! Italien ist darum und war

Der Landschaftsmaler Heimat und bleibt's auch immerdar.

Drum außer Breughel (dem Meister der Landschaftsmalerei,

Nicht Höllenbreughel natürlich, denn Breughel gibt es zwei),

Und außer Ruisdael, – wo ist im ganzen Norden

Ein Landschaftsmaler ersten Ranges geboren worden?

Der Himmel, der Himmel fehlt!« – »Unsres Orlowski Genie,2«

Sprach Telimene, »krankte an der Soplicamanie.

Denn darin, muß man wissen, sind alle Soplica's geschlagen,

Daß ihnen, außer der Heimat, gar nichts will behagen.

Orlowski lebte am Hof, beim Czaren in höchster Gnade, –

Ein Maler von Rang: ich habe Skizzen von ihm in der Lade –

Er wohnte in Petersburg, als wie im Paradies:

Und glaubt Ihr, wie ihn das Heimweh niemals ruhen ließ?

Er dachte nur immer der Jugend, – und wenn es Polen galt,

Da pflegte er Alles zu rühmen: Erde, Himmel, Wald.«


»Und er verstand es!« fiel Thaddäus feurig ein;

»Euer italischer Himmel, wie es heißt, so rein,

So blau – fürwahr, das ist ja gefrorenes Gewässer!

Ist Sturm und Ungewitter nicht hundertmal schöner und besser?

Wenn man bei uns nur aufschaut, wie sieht man da so viel![75]

Wie viele Scenen und Bilder im bloßen Wolkenspiel!

Denn jede Wolke ist anders: die herbstliche Wolke mächtig,

Schildkrötenartig schleichend, regenfluthenträchtig –

Schickt lange Streifen vom Himmel bis zur Erdenfläche,

Wie aufgewickelte Zöpfe: das sind die Regenbäche.

Die Hagelwolke fliegt mit dem Wind, wie ein Ballon,

Rund, dunkelbau, in der Mitte ein glänzend gelber Ton, –

Ringsum ein mächtig Brausen. – Ja selbst die Alltagswölkchen,

Seht, dort die weißen Streifen: welch' wandelreiches Völkchen!

Erst tauchen sie, wie Schwäne, wie wilde Gänse, auf,

Und hinten, wie ein Falke, treibt sie der Wind zu Hauf;

Sie drängen sich, schwellen, wachsen – nun seht und staunet wieder!

Gekrümmte Nacken bekommen sie – lassen Mähnen hernieder –

Fußreihen strecken sie aus – und fliegen am Himmelsgezelt,

Wie eine Truppe Rappen über das Steppenfeld:

Und alle silberweiß; da mengten sie sich – nun seht!

Die Nacken zu Masten verzaubert, die Mähnen zu Segeln gebläht!

Der Haufe wird zum Schiff – und in gemess'nem Gleiten

Hinzieht es majestätisch durch die blauen Weiten!«


Der Graf und Telimene sahen mit ihm nach oben;

Thaddäus hielt eine Hand zur Wolke emporgehoben,

Die andre drückte leise die Hand der Telimene.

Ein paar Minuten währte so die stille Scene;

Schon breitet der Graf ein Blatt auf seinem Strohhut aus,

Und zieht den Bleistift hervor. Da tönt nun, drüben vom Haus,

Recht unerwünscht dem Ohr, die Glocke – und alsobald

Füllt mit Geschrei und Lärmen sich der stille Wald.


Da nickt der Graf mit dem Kopf und sagt bedeutungsvoll:

»So ist's bestimmt, daß Alles die Glocke enden soll!

Was Phantasie geplant, was Geisteskraft ersonnen,

Der Unschuld holde Spiele, der Freundschaft zarte Wonnen,

Ergüsse weicher Herzen – erdröhnt der eherne Ton:

So mischt sich Alles, bricht ab, trübt sich und ist entfloh'n!«

Hier richtet er gefühlvoll auf Telimene den Blick:

»Was aber bleibt?« – »Erinn'rung!« gab sie ihm zurück,[76]

Und, seine Trauer zu mildern, reicht sie, während sie spricht,

Dem Grafen vom nahen Strauchwerk ein zart Vergißmeinnicht.


Er küßt's und heftet es sich an die Brust. Zugleich

Theilt auf der andern Seite Thaddäus das Gesträuch, –

Denn etwas Weißes, sieht er, windet sich ganz leis'

Zu ihm durch's Grün – es war ein Händchen lilienweiß.

Er faßt es, küßt's – und still versinkt darein sein Mund,

Als wie die Biene in des Lilienkelches Grund.

Kalt fühlt' er's an den Lippen – fand einen Schlüssel – ein Blättchen,

Trompetenförmig gerollt; es war ein kleines Billetchen.

Er packt's und steckt's in die Tasche; den Schlüssel versteht er nicht,

Doch hat er ja das Blättchen, das ihm Auskunft verspricht.


Fortwährend läutet die Glocke – und mächtig wiederhallt

Ein tausendstimmiges Lärmen aus dem stillen Wald.

Die suchenden, rufenden Leute machen dort dies Getöse:

Das Zeichen, daß für heute geschlossen die Pilzenlese.

Ein Echo – gar nicht, wie's dem Grafen vorkam, bang

Und grabliedmäßig – vielmehr ein Mittagessenklang.

So hört man's jeden Mittag aus dem Söller läuten,

Das soll für Gesind und Gäste die Speisestunde bedeuten.

In vielen Höfen war das früher Sitte gewesen,

Und blieb's im Haus des Richters. Nun strömt vom Pilzelesen

Die Schaar aus dem Wald zurück, mit Schachteln in den Händen,

Mit kleinen Körben, gebunden an des Sacktuchs Enden,

Voll Schwämme; in der Rechten der jungen Damen prangen,

Wie zugefaltete Fächer, die Herrenpilze, die langen,

In der andern tragen sie Blätterschwämme nach Haus,

Mit bunten Baumschwämmen verbunden zu Einem Strauß.

Der Wojski hat den Fliegenschwamm. Doch leer und arm

Kommt Telimene; ihr folgt der jungen Herren Schwarm.


Eintraten Alle in Ordnung und stellten sich sodann

Ringsum im Kreise auf; der Kämmerer obenan.

Seinem Alter und Amt ertheilt man die Ehre gern; –

Im Gehen grüßt er die Damen, die ältern und jüngern Herrn.[77]

Daneben der Almosenier, bei dem der Richter steht:

Der Priester spricht ein kurzes lateinisches Gebet;

Man reicht den Männern Branntwein; dann setzen sich Alle in Ruh',

Und sprechen der Lithauersuppe schweigend und tapfer zu.


Stiller als sonst nimmt heute das Essen seinen Verlauf;

Keiner will sprechen; der Hausherr fordert vergebens auf.

Die beiden Parteien in der großen Hundefrage

Beschäftigt die heutige Wette, der Kampf am morgigen Tage, –

Und wer was Großes denkt, der redet gewöhnlich nicht,

Telimene, die stets zu Herrn Thaddäus spricht,

Muß sich von Zeit zu Zeit auch an den Grafen wenden,

Ja, manchmal einen Blick selbst dem Assessor senden;

So blickt der Vogelsteller zugleich in die Stieglitzschlinge

Und in die Spatzenklappe. Thaddäus ist guter Dinge,

Der Graf nicht minder; Beide, so selbstzufrieden, so warm, –

Beide sind voller Hoffnung, also an Worten arm.

Der Graf blickt stolz auf's Blümchen, das seinen Busen schmückt,

Während Thaddäus heimlich in seine Tasche blickt,

Ob jener Schlüssel noch dort ist? Oft greift er gar mit der Hand

Und dreht das Billet, deß Inhalt ihm noch nicht bekannt.

Der Richter füllt dem Kämmerer fleißig den Pokal

Mit Champagner und Ungar, drückt ihn viele Mal

Am Knie, – allein zum Sprechen ist er nicht aufgelegt,

Man sieht, daß er drückende Sorgen verschlossen im Herzen hegt.

So folgen denn aufeinander im Stillen Teller und Gänge; –

Da endlich unterbricht des Essens fade Länge

Ein unverhoffter Gast. Der Forstmann stürzt herein, –

Selbst, daß man eben bei Tische, fällt ihm gar nicht ein;

Er eilt zum Herrn; man sieht aus Haltung und Gesicht:

Er bringe was Ungewohntes und etwas von Gewicht.

So richten sich denn auf ihn die Blicke rings umher –

Er athmet ein wenig auf und ruft: »O Herr, ein Bär!«

Den Rest errathen Alle – er kommt aus dem Urgeheg3,

Nimmt in die Wildniß jenseits des Niemen seinen Weg:

Die Jagd muß allsogleich sein – sofort ist's Allen klar,

Wiewohl nicht Rath, nicht Sinnen vorhergegangen war.
[78]

Den Einen Gedanken entnimmt man den abgeriss'nen Worten,

Den lebhaften Gebärden, den Weisungen aller Orten,

Es drängt sich zahllos, auf Einmal aus so Vieler Munde, –

Und geht nach Einem Ziele und kommt aus Einem Grunde.


»In's Dorf!« rief nun der Richter, »zu Pferd! den Führer bestellt!

Treiber für morgen früh, sobald sich der Himmel erhellt!

Doch nur, wer will; – wer mit der Pike zu kommen gedenkt,

Dem werden zwei Mal Scharwerk und fünf Tag Robot geschenkt!«


»Auf! hurtig!« schrie der Kämmerer, »den Schimmel aufgezäumt!

Und in mein Schloß galoppirt! – Und bringt mir ungesäumt

Die beiden Bulldogs – ihr Ruhm ist ja in Aller Mund:

Strapczyna heißt die Hündin und Sprawnik heißt der Hund;4

Man soll sie knebeln, gebunden in einen Sack dann legen

Und rasch zur Stelle schaffen, zu Pferd, der Eile wegen.«

»Wanka!« rief der Assessor auf Russisch zum Burschen hin,5

»Flink mein Sanguszkomesser über den Schleifstein zieh'n!

Mein Jagdmesser, du weißt, das mir der Fürst verehrt!

Und sieh', ob Alles im Gurt geladen, wie sich gehört!«

»Flinten bereit!« schreit Alles, und der Assessor: »Blei!

Ich hab' die Form im Tornister! Nur Blei, nur Blei herbei!«

»Man soll,« bemerkt der Richter, »den Pfarrer verständigen, – morgen

Früh in der Waldkapelle für eine Messe zu sorgen;

Ein winziges Offertorium nur, wie sonst, bestellen –

Die St. Hubertusmesse für die Jagdgesellen.«


Nachdem die Befehle ertheilt, ward Alles still und stumm.

Man sann nur vor sich hin und sah sich im Kreise um,

Als suchte man Wen. Des Wojski würdig' Antlitz zieht

Sacht alle Blicke auf sich und einigt sie. – Man sieht,

Sie suchen einen Führer für das kommende Jagen,

Und der Marschallstab wird dem Wojski übertragen.

Der Wojski hat den Willen seiner Gefährten erkannt,

Erhob sich, schlug auf den Tisch gewichtig mit der Hand,

Und zog dann aus dem Busen eine goldige Schnur:

Dran hing, wie eine Birne, eine plumpe Uhr;[79]

»Morgen,« rief er, »halb fünf, sind bei der Waldkapelle

Die Brüder Schützen und das Treibervolk zur Stelle.«

Er sprach's und brach vom Tisch auf – vom Forsthüter begleitet;

Von ihnen wird die Jagd bedacht und vorbereitet.


So ist's, wenn die Schlacht für morgen angesagt dem Heer:

Die Truppen im Lager essen, putzen ihr Gewehr,

Schlafen auf Sätteln und Mänteln sorglos bis zum Morgen, –

Indessen im stillen Zelt die Feldherrn sinnen und sorgen.


Das Mahl war unterbrochen; nun werden die Pferde beschlagen,

Die Hunde gefüttert, die Waffen geputzt, zusammengetragen –

Und so wird's Abend. Da setzt kaum Einer sich zum Essen;

Sogar der Streit um Falk und Mutz scheint nun vergessen;

Assessor und Notar bilden nur Eine Partei,

Sie schlingen sich Arm in Arm und suchen zusammen Blei;

Indeß die Andern, ermüdet, zeitig schlafen geh'n.

Um morgen beim Hahnenkrähen pünktlich aufzusteh'n.


Thaddäus bekam sein Zimmer im Wohnhaus. Kaum darin,

Schließt er die Thüre, stellt das Licht in den Kamin,

Als schlief' er schon, wiewohl er nicht ein Auge schließt:

Er harrt der Nacht, unmuthig, wie träg die Zeit verfließt.

Vor einer Öffnung im Fenster steht er da und späht,

Wie unter'm Thor der Wächter auf und nieder geht; –

Der ist nun fern: da springt er hinaus mit Einem Satz,

Macht dann das Fenster zu – und schleicht geduckt vom Platz,

Verstohlen wie ein Spürhund. Wohin er weiter ging,

Verbarg die dunkle Herbstnacht, die ihn dicht umfing.

1

Es giebt in Lithauen ein bekanntes Volkslied von den Schwämmen, die unter Führung des »Herrenpilzes« in den Krieg ziehen. In diesem Lied sind die Eigenschaften der eßbaren Pilze beschrieben.

2

Orlowski, ein bekannter Portraitmaler. Einige Jahre vor seinem Tode wandte er sich der Landschaftsmalerei zu. Er starb vor Kurzem in Petersburg. (Also etwa um 1830. d.Ü.)

3

Das unzugänglichste Dickicht der Wildnis. Vgl. 4. Gesang. S. 97. (d.Ü.)

4

(Bulldoggs, poln. Pijawki, »Blutegel«. (d.Ü.) »Blutegel« nennt man eine Art kleiner, kräftiger englischer Hunde, deren man sich zur hohen Jagd, vornehmlich zur Bärenhatz, bedient.

Sprawnik oder Hauptmann Sprawnik heißt der Chef der Landespolizei; der Strapczy eine Art Regierungsprokurator. Diese Beamten, die oft genug Gelegenheit haben, ihre Gewalt zu mißbrauchen, sind bei den Einwohnern ungemein verhaßt. (Das Femininum von Strapczy würde poln. Strapczyna heißen. d.Ü.)

5

Hier dürfte nicht das eigentliche Russisch, vielmehr das Reussische, Rusinische, Klein-Russische gemeint sein. (d.Ü.)

Quelle:
Mickiewicz, Adam: Herr Thaddäus oder der letzte Einritt in Lithauen. In: Poetische Werke, Leipzig 1882, Band 1, S. 56-80.
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