Fünfter Gesang.
Der Streit.

[110] Telimene's Jagdpläne. – Die Gärtnerin soll in die große Welt und läßt sich von ihrer Beschützerin belehren. – Heimkehr der Schützen. – Thaddäus' großes Erstaunen. – Zweite Begegnung im Tempel der Träumereien und Friedensschluß vermittelst der Ameisen. – Besprechung der Jagd bei Tische. – Des Wojski Erzählung von Rejtan und dem Herzog von Nassau, – unterbrochen. – Friedenspräliminarien zwischen den Parteien, ebenfalls unterbrochen. – Die Erscheinung mit dem Schlüssel. – Der Streit. – Der Graf und Gervasius halten Kriegsrath.


Heimkehrt der Wojski vom Jagen, nachdem der Sieg gewonnen;

Indeß wird im einsamen Hof ein andres Jagen begonnen:

Hier sitzt Frau Telimene, – wohl ruhig, unbewegt,

Die beiden Arme kreuzweis über die Brust gelegt,

Im Geiste aber jagt sie ein zwiefach Wild, und sinnt,

Wie man Beide umspinnt und Beide zugleich gewinnt:

Den Grafen und Thaddäus. Der Graf, so vornehm und reich,

Erb' eines großen Hauses, jung und hübsch zugleich,

Schon etwas verliebt – doch: ist auch auf seine Treue zu zählen?

Und dann: liebt er auch wahrhaft? will er sich auch vermählen?

Nimmt er ein Weib, das älter als er, – mit wenig Geld?

Erlaubt es die Familie? Was sagt dazu die Welt?


Aufsteht sie vom Sopha, hebt sich auf den Zehen empor,

Wer jetzt sie säh', dem käm' sie, wie plötzlich gewachsen, vor,

Den Busen entblößt sie ein wenig, neigt sich zur Seite zurück,

Und betrachtet sich selbst mit aufmerksamem Blick,[111]

Und wieder tritt sie zum Spiegel und frägt um Rath ihn wieder,

Ein Weilchen – dann senkt sie den Blick, seufzt auf und setzt sich nieder.


Der Graf ist ein vornehmer Herr: die Reichen sind flatterhaft;

Ist blond: die Blonden haben nicht allzuviel Leidenschaft; –

Thaddäus? Eine Einfalt, ein ehrlicher Bursch, ein Kind,

Das jetzt zum ersten Mal sich zu verlieben beginnt!

Behütet, dürft' er kaum den Fesseln sich entwinden,

Zumal ihn schon Herzenspflichten an Telimenen binden; –

Jünglinge sind im Fühlen, wenn auch im Denken nicht,

Beständiger, als die Alten, aus Gewissenspflicht.

Schlicht, jungfräulich, gedenkt gar lang, voll innigen Dankes,

Ein Jünglingsherz des ersten süßen Liebestrankes!

Es freut sich der kommenden Wonne, freut sich noch, wenn sie enteilt,

Wie einer schlichten Mahlzeit, mit einem Freund getheilt;

Den alten Säufer nur, dem schon die Därme verzehrt,

Ekelt der Becher an, den er zu oft geleert.

Das alles war Telimenen ganz genau bekannt,

Besaß sie doch reiche Erfahrung und einen scharfen Verstand.


Aber die Welt? Ei nun, der kann man ja entflieh'n,

In andre Gegend, in einen stillen Winkel zieh'n,

Noch besser: gänzlich fortgeh'n aus den ländlichen Kreisen,

Etwa, ein wenig in die Residenzstadt reisen,

Dem Burschen die Welt erschließen, auf allen seinen Wegen

Ihn leiten, stützen, berathen, sein Herz auch bilden und pflegen,

Als Freunde, als Geschwister sich an einander schließen, –

Zuletzt: die Freuden genießen, so lang die Freuden sprießen!


So sinnend geht sie mehrmals im Zimmer auf und nieder,

Kühn, froh; – – nach einer Weile senkt sie die Stirne wieder.


Was aber wird aus dem Grafen? Der wär' dann frei geblieben:

Ging' es nicht an, ihm etwa Soschja unterzuschieben?

Reich ist sie nicht, doch, gleich dem Grafen, edelgeboren,

Ein Standesherrenkind, – stammt ab von Senatoren:

Brächte Telimene das zum erwünschten Ziel,[112]

Sie hätt' im gräflichen Hause in Zukunft ein Asyl;

Brautwerberin des Grafen, mit Soschja gar verwandt,

Gälte sie Beiden als Mutter im jungen Ehestand.


Nachdem sie sich so berathen und zum Entschluß gekräftigt,

Ruft sie durch's Fenster Soschja, die sich im Garten beschäftigt.


Dort stand das Mägdlein barhaupt im weißen Morgengewand,

Ein kleines Siebchen erhoben in der rechten Hand,

Rings von Geflügel umflattert; da wackeln struppige Hennen

Im Knäuel heran; dort sieht man schopfige Hähnchen rennen,

Die ihre korallenen Helme hin und her bewegen,

Mit breiten Flügeln rudern zwischen Gesträuchen und Stegen,

Die scharfgespornten Füße weit auseinander gebreitet,

Während der Truthahn langsam, aufgeblasen schreitet, –

Ärgerlich gröhlt er über seine keifende Frau –

Dort steuern mit langen Schweifen, wie Flöße, über die Au,

Die Pfauen – und hie und da fällt aus der Höhe hernieder,

Schneeflocken gleich, ein Täubchen mit silbernem Gefieder.

Mitten im Kreise des Rasens drängt sich zusammen der Kreis

Der Vögel, schreiend, beweglich; ringsum, glänzend weiß,

Die Tauben in weitem Gürtel, wie ein heller Reifen,

Inmitten bunt gefärbt mit Sternen, Tüpfeln und Streifen.

Dem Dickicht der Federn enttauchen, wie Fische aus der Welle,

Hier Schöpfchen wie Korallen, dort Schnäbel, bernsteinhelle,

Aufringeln sich Hälse, wallen sanftschaukelnd her und hin,

Wie Wassertulpen, – und lieblich blinken zur Pflegerin

Empor die tausend Augen, tausend Sternen gleich.


Sie steht, erhoben, mitten in ihrem Bogelreich,

Weiß und von weißem Kleid umflossen, geschäftig bewegt,

Wie mitten aus Blumen empor ein heller Springbrunn schlägt;

Sie schöpft aus dem Sieb und schüttet mit perlenweißer Hand

Auf Köpfe und Gefieder den weißen Perlensand

Der Gerstengraupen: die stünden den besten Tischen an,

Sie werden auch in Lithauen in die Suppe gethan, –

Soschja nimmt sie heimlich der Wirthschaftsfrau aus der Lade,

Die Vögel können sich freuen; die Küche trifft der Schade.[113]

Da ruft es: »Soschja!« – Die Tante! Hurtig schüttet sie

Den Rest der Leckereien auf das Federvieh, –

Und wie eine Tänzerin ihr Tambourin, so schwingt sie

Ihr Sieb und klimpert im Takt und ausgelassen springt sie

Durch's Heer der Pfauen und Tauben und Hennen, daß alle die Schaaren,

Wirr durcheinander schwirrend in die Höhe fahren;

Soschja, die kaum den Boden berührt mit ihren Tritten,

Scheint am höchsten von allen zu schweben in der Mitten,

Die weißen Tauben fliegen ihr, aufgescheucht, voran,

Gleich wie der Liebesgöttin glänzendes Gespann.


Laut jauchzend stürzt sie durch's Fenster in's Zimmer – athemlos

Setzt sie sich dann der harrenden Tante auf den Schooß.

Frau Telimene küßt sie und streichelt sie um's Kinn,

Froh über des Kindes Liebreiz und aufgeweckten Sinn, –

Denn ihrem Pflegling war sie aufrichtig zugethan.

Bald aber nahm sie wieder ernste Mienen an,

Stand auf, durchschritt die Stube der Läng' und Breite nach,

Dann legte sie den Finger an den Mund und sprach:


»Lieb Kind, an deinen Stand vergißt du ja ganz und gar,

Vergißt dein Alter auch, – heut' wirst du vierzehn Jahr!

Du bist nun mit Hennen und Puten, denk' ich, genug bekannt,

Fi! welche Unterhaltung für ein Fräulein von Stand!

Mit rußigen Bauernkindern wär' auch genug geherzt;

Wenn ich das sehe, Soschja, weißt du, daß mich das schmerzt?

Wie hast du den Teint verbrannt! Die reine Ziegeunerin!

Bewegungen und Gang wie eine Kleinstädterin!

Das alles muß anders werden, und zwar von heute schon;

Ich führ' dich heut' in die Welt, zu den Gästen, in den Salon:

Wir haben Gäste in Menge, – nun Soschja, gieb mir Acht,

Daß mir nur dein Benehmen keine Schande macht.«


Soschja springt vom Platz auf, klatscht in die Hände vor Lust

Hängt sich mit beiden Armen an der Tante Brust

Und lacht und weint abwechselnd vor Seligkeit, und spricht:[114]

»Ach, Tantchen, Gäste sah' ich schon so lange nicht!

Seit ich hier leb', mit den Vögeln, sah ich keinen fast,

Nur eine wilde Taube – das war der einzige Gast.

So stets im Zimmer, das ist mir schon ein Bischen fade,

Herr Richter meint sogar, daß es dem Körper schade!«


»Der Richter,« versetzt die Tante, »lag mir immer im Ohr,

Dich in die Welt zu führen, – brummte mir immer vor,

Du wärst schon erwachsen; was schwätzt er! das kann er nicht versteh'n,

Der Alte hat selber nie die große Welt geseh'n,

Das weiß ich besser, was vorher einem Fräulein vonnöthen,

Um später mit Effect in die Gesellschaft zu treten;

Kind, wisse, Verstand und Schönheit können da wenig taugen:

Effect macht Niemand, der aufwuchs vor der Leute Augen;

Man kennt ihn von Kindesbeinen, er ist nichts Neues mehr.

Doch lass' ein gebildetes Fräulein, plötzlich, man weiß nicht woher,

Aufleuchten in der Welt, dann sieh' nur die Neubegier,

Mit der sich nun auf Einmal Alles drängt zu ihr,

Wie man da aufpaßt, wie sie blickt und sich bewegt,

Wie man da jedes Wort behorcht und weiter trägt.

Und ist so ein junges Wesen erst Mode in der Welt,

Dann muß sie Jeder loben, auch wenn sie ihm nicht gefällt.

Du kannst dich benehmen, hoff' ich, – bist in der Hauptstadt erzogen,

Und Petersburg ist dir wohl noch nicht ganz verflogen,

In den zwei Jahren hier. Es wäre Schand' und Schade!

Nun, Soschja, mach' Toilette; du findest dort in der Lade

Alles bereit, doch eil' dich, denn jeden Augenblick

Erwarten wir die Gesellschaft von der Jagd zurück.« –

Nun ruft man Zofe und Dienstmagd, leert dann ein Kännelein

Wasser in's silberne Becken, und Soschja taucht sich darein,

Wetzt in der Welle umher, als wie ein Spatz im Sand,

Und wäscht, mit Hilfe der Dienstmagd, Antlitz, Hals und Hand.

Frau Telimene öffnet die Petersburger Lade,

Zieht Fläschchen Parfum heraus und Näpfchen mit Pomade,

Träuft den Parfum rundum auf Soschja – wunderbar

Durchströmt der Duft das Zimmer, – dann salbt sie ihr das Haar.

Soschja zieht weiße à jour gewirkte Strümpfe an,[115]

Darüber Warschauer Schuhe, aus weißem Saffian;

Indessen hat ihr die Zofe das Mieder zugeschnürt,

Dann wird ihr ein Pudermantel rings um den Hals geführt,

Und die gebrannten Papilloten aufgebunden;

Die Locken, weil sie zu kurz sind, in zwei Flechten gewunden,

Auf Stirn und Schläfen aber bleiben die Haare glatt.

Ein Kränzlein, das sie aus frischen Kornblumen gebunden hat,

Reicht nun das Kammermädchen Frau Telimenen dar,

Die steckt es Soschja kunstvoll, von rechts nach links, in's Haar;

Und schön war's, wie sich von der Haare mildem Glanz,

Wie von Getreidehalmen, abhob der Blumenkranz!

Man nimmt den Mantel ab; das Werk, es war gethan.

Soschja zieht über den Kopf ein weißes Kleidchen an,

Rollt in der Hand ein Batisttuch zusammen, weiß und weich,

Und ist nun selber einer weißen Lilie gleich.


Nochmals wird Haar und Anzug gerichtet und besehen,

Dann muß sie der Länge und Breit' nach durch das Zimmer gehen.

Mit Kennerblicken folgt ihr die Tante, – voll Verdruß

Und Zorn die Stirne runzelnd, – bis sie nun, zum Schluß,

Bei Soschja's Knixen ausbricht in den Verzweiflungsschrei:

»Ich Unglückselige! siehst du, das kommt heraus dabei,

Beim Umgang mit Gans und Viehhirt! Wie breit du die Beine bewegst,

Ganz wie ein Bub, – mit den Blicken rechts- und linkshin schlägst, –

Wie eine Geschiedene! – Knixe! – Wie linkisch! wie ungeübt!«

»Ach Tantchen, was kann ich dafür?« erwidert Soschja betrübt;

»Du schloßest mich ein! So fad' war's! Mit wem hätt' ich tanzen sollen?

So konnt' ich nur Vögel weiden, mit Kindern kosen und tollen;

Doch wart' nur, erlaub' mir ein Bischen mit Leuten umzugeh'n

Dann will ich mich schon bessern, Tantchen, du sollst seh'n.«


»Zwei Übel!« – sagte die Tante, »da war's noch so das Beste:

Lieber das Federvieh, als unsere bisherigen Gäste!

Der Auswurf! weißt noch? Der Pfarrer mit seiner Beterei

Oder dem Damenbrett, und die Juristenkanzlei

Mit ihren Pfeifen! Ein wahrer Ausbund von Cavalieren!

Von solchen Leuten lernt man vortreffliche Manieren![116]

Jetzt giebt's doch Jemand, vor dem man sich zeigen kann, im Haus, –

Jetzt haben wir hier Gesellschaft, die sieht doch nach etwas aus.

Mädchen, pass' auf, du wirst mit dem jungen Grafen bekannt:

Ein wohlerzogener Herr, dem Wojewoden verwandt,

Sei gegen ihn artig, hörst du?«


Da hört man Roßgewieh'r

Und Jägergeschrei; schon tönt's am Thor! – »Sie sind schon hier!«

Soschja am Arme, läuft sie rasch in den Saal hinein;

Die Jäger traten noch nicht in die Gemächer ein,

Sie kleiden sich um, sie wollen ja nicht im Jagdgewand,

Im Spencer, vor Damen erscheinen. Erst kommt die Jugend gerannt,

Der Graf und Thaddäus, in rasch gewechselter Toilette.


Frau Telimene versieht die Pflichten der Etiquette,

Empfängt, macht die Honneurs, placirt und unterhält;

Die Nichte wird der Reihe nach Allen vorgestellt,

Herrn Thaddäus zuerst, wegen der nahen Verwandtschaft.

Sie knixt schön artig, er neigt sich tief vor der neuen Bekanntschaft,

Will etwas zu ihr sagen, hat den Mund schon offen; –

Da blickt er Soschja in's Auge: Himmel, wie wird er betroffen!

Stumm steht er vor ihr, bald bleich, bald roth im ganzen Gesicht –

Was geht nur in ihm vor? er selbst begreift es nicht.

Wie elend ist ihm! Er kennt sie – ja, er sah sie schon!

Es sind die hellen Haare, der Wuchs, der Stimme Ton!

Dies Köpfchen, diese Gestalt hatt' er im Garten geseh'n!

Die klangvolle Stimme mahnt' ihn heute, aufzusteh'n! –

Da reißt ihn der Wojski heraus: er sieht ihn wanken und beben,

Und räth ihm, sich zur Ruh' auf's Zimmer zu begeben;

Thaddäus stellt sich einsam in einen Winkel hin,

Er spricht kein Wort; nur still gelehnt an den Kamin,

Weit offenen, irren Blicks, mit starrem Angesichte

Schaut er bald auf die Tante, bald wieder auf die Nichte.

Die Tante erräth nicht Alles, hat aber wohl drauf Acht,

Welch einen großen Eindruck Soschja auf ihn gemacht;

Zerstreut erfüllt sie weiter ihre Hausfraupflicht,

Doch läßt sie dabei den Jüngling nie aus dem Gesicht.
[117]

In einem freien Moment läuft sie dann zu ihm hin:

Er sei doch wohl? und so traurig? Sie frägt, sie dringt in ihn,

Führt ihn auf Soschja, neckt ihn – er erwidert kein Wort,

Gestemmt auf den Ellenbogen, starrt er fort und fort,

Die Brauen gefurcht, die Lippen unmuthvoll verkrümmt:

Die Tante wird immer mehr verwundert und verstimmt.


Da ändert sie rasch den Ton, erhebt sich zornig vom Sitz,

Und überschüttet ihn mit Worten, scharf und spitz,

Vorwürfen, Stichelreden – da fährt auch er empor,

Wie von der Tarantel gestochen: er bringt kein Wort hervor,

Finstern Blickes sieht er auf, dann spuckt er aus,

Stößt mit dem Fuß den Stuhl weg und stürzt zum Zimmer hinaus,

Die Thüre wild zuschlagend. Zum Glück hat diese Scene

Keiner der Gäste bemerkt, nur einzig Telimene.


Er rennt durch's Thor – g'radaus in's Feld, in voller Eil',

Wie wenn ein Hecht, durchstochen von dem Fischerpfeil,

Plätschert und untertaucht, im Wahne zu entflieh'n,

Und schleppt doch Schnur und Eisen mit sich überallhin:

Also auch Thaddäus, der überallhin den Jammer bringt,

Ob er durch Gräben dringt, ob er durch Zäune springt;–

Ziellos und richtungslos irrt er so lange Zeit,

Dann trat er ein in tiefe Waldeseinsamkeit, –

War's Absicht nun, war's Zufall, daß er am Hügel stand,

Der gestern sein Glück gesehen, wo jenes Liebespfand,

Jenes Billet ihm zukam, – am Ort der stillen Weihen,

Wir wissen ja, wie er genannt war: Tempel der Träumereien.


Wie er im Kreis sich umschaut, da – da erblickt er sie!

Frau Telimene, sinnend, in stiller Melancholie; –

Der Anzug, die Haltung: wie anders, als gestern, sie erscheint:

Im weißen Kleid, auf dem Stein, sie selber wie versteint;

Das Antlitz in die Hände gepreßt; – das Ohr vernimmt.

Ihr Schluchzen nicht, doch sieht man, daß sie in Thränen schwimmt.


Umsonst wehrt sich sein Herz, es muß ihn doch erbarmen;

Er fühlt es, Rührung faßt ihn und Mitleid mit der Armen;[118]

Still, hinter dem Baum versteckt, betrachtet er lang das Bild,

Bis er endlich aufseufzt und sich selber schilt:

»Daß ich mich geirrt, was kann denn sie dafür, – ich Thor!«

Dann steckt er hinter dem Baum langsam den Kopf hervor –

Als sie auf Einmal auffährt, und schüttelt sich und schwingt

Nach rechts, nach links, und mitten durch das Bächlein springt –

Mit ausgestreckten Armen, bleich, mit flatternden Haaren

Sieht er sie in den Wald flieh'n, in die Höhe fahren,

Hinknieen, fallen, – zum Aufsteh'n hat sie die Kraft nicht mehr:

Wie gräßlich muß sie leiden! sie wälzt sich hin und her,

Packt sich am Busen, am Halse, an den Füßen, am Knie,

Thaddäus springt auf sie zu, er hält's für Epilepsie

Oder gar für Verrücktheit. Doch anders ganz und gar

Erklärten sich diese Gebärden.


Beim Birkenwäldchen war

Ein großer Ameisenhaufen. Den Rasen rings bedeckten

In schwarzen wimmelnden Schaaren die emsigen Insekten.

Man weiß nicht, war es Bedürfniß, war es Wohlgefallen:

Den Tempel der Träumereien liebten sie vor Allen.

Vom Hügel, ihrem Hauptort, bis an die Quelle hinab

Traten sie sich den Weg aus und krochen da auf und ab.

Sie hat sich zum Unglück g'rad' in der Linie niedergelassen;

Gelockt durch's weiße Strümpfchen, kamen in ganzen Massen

Die Thierchen herbei, begannen zu kitzeln, zu beißen, zu nagen:

Sie war genöthigt, zu fliehen, die Ameisen abzujagen,

Zuletzt sich niederzusetzen und die Insekten zu fangen.


Wie wär' ihr nun Thaddäus nicht an die Hand gegangen!

Er säubert ihr Kleidchen, neigt sich dabei bis zu den Füßen, –

Berührt ihr mit den Lippen die Stirn – und in der süßen

Liebreichen Stellung sprach man zwar nichts von jenem Verdruß

Von heute morgen, – und dennoch kam's zum Friedensschluß.

Die Zwiesprach hätte sich noch, wer weiß wie lang, erstreckt,

Hätte sie nicht die Glocke aus Soplicowo erweckt:

Das Zeichen zum Nachtmahl –[119]

Nun heißt's: zurückgeh'n zu den Gästen;

Auch hört man in einiger Ferne ein Knarren in den Ästen:

Man sucht sie vielleicht? Auf daß man sie nicht beisammen sehe,

Schleicht Telimene sich rechtshin in des Gartens Nähe,

Thaddäus beeilt sich rasch, links auf den Fahrweg zu kommen.

Sie waren bei diesem Rückzug beide ein wenig beklommen:

Ihr ist's, als wollte sich einmal hinter den Gezweigen

Robak's kapuzenvermummtes hageres Antlitz zeigen,

Und links bemerkt Thaddäus, wie ein um's andre Mal

Ein weißer langer Schatten sich durch's Gebüsche stahl –

Er wußt' nicht wer; doch flüstert ihm eine Ahnung zu,

Es sei der Graf im langen englischen Surtout.


Man nachtmahlt wieder im Schloß. Dickschädel Protasius

Ist wieder, gegen des Richters ausgesprochnen Beschluß,

Hinter dem Rücken der Herrschaft im Sturm in's Schloß marschirt

Und hat die Kredenz dorthin, wie er sagt, intromittirt. –

Eintraten die Gäste in Ordnung und stellten sich sodann

Ringsum im Kreise auf; der Kämmerer obenan.

Seinem Alter und Amt ertheilt man die Ehre gern;

Im Gehen grüßt er die Damen, die ältern und jüngern Herrn.

Der Mönch ist nicht bei Tisch; an seinem Platz sitzt heute

Die Kämm'rerin, zur Rechten an ihres Mannes Seite.

Als nun der Richter gehörig geordnet alle Reih'n,

Spricht er über die Tafel ein Tischgebet auf Latein;

Den Männern giebt man Schnaps; dann setzen sich Alle in Ruh'

Und sprechen der Lithauersuppe schweigend und tapfer zu.


Dann kommen Krebse, Hühner und Spargel: herrlich blinkt

Malaga und Ungarwein im Glas: man ißt, man trinkt –

Doch redet Keiner ein Wort. Man kann sich kaum entsinnen

Seitdem sie aufgeführt sind, des Schloßes hohe Zinnen,

Das so viel edle Brüder pflegte zu bewirthen,

Wo so viel Vivat's tönten, so viele Gläser klirrten,

Daß je ein Mahl so trist verlaufen in seinen Hallen.

Nur das Geklirr der Teller und der Pfröpfe Knallen

Hallt wieder im weiten, öden Raum, – es ist, als preßte

Ein böser Geist zusammen die Lippen aller Gäste.
[120]

Das Schweigen hat viele Gründe. Vom großen Bärenzug

Kamen die Jäger recht heiter und gesprächig genug;

Doch als sie sich abgekühlt, die Treibjagd überdacht,

Da fanden sie, daß sie ihnen nicht gar viel Ruhm gebracht;

Was? eine Popenkapuze, weiß Gott wo hergeschneit,

Wie Philipp aus Konopie,1 die mußte – o Schmach! o Leid! –

Sämmtliche Schützen des Kreises so zu Schanden schlagen?

Was werden die Oszmianer, was die Lidaer sagen,

Die ja dem hiesigen Sprengel die Palme im Schützenfache

Seit Menschengedenken bestreiten? Man denkt drum über die Sache.


Notar und Assessor haben, außer dem alten Zwist,

Die jüngste Blamage der Hunde, die ihnen am Herzen frißt.

Sie seh'n ihn, den schändlichen Hasen, – wie er die Läufe streckt,

Vom Waldsaum her mit dem Schwänzchen höhnisch nickt und neckt,

Dem Schwänzchen, das über die Herzen, wie eine Peitsche, fährt:

Stumm sitzen sie da, das Antlitz zur Schüssel hinabgekehrt.

Für den Assessor kommen dazu noch neue Qualen,

So oft er auf Telimene blickt und seine Rivalen.

Jene sitzt neben Thaddäus, seitwärts von ihm gewendet, –

Verwirrt; kaum daß sie sich traut und einen Blick ihm sendet,

Sie müht sich den verdüsterten Grafen aufzumischen,

Zu flotterem Reden zu bringen, die Laune ihm aufzufrischen,

Denn vom Spaziergang kam der Graf ganz seltsam sauer,

Oder vielmehr (so denkt Thaddäus) von der Lauer. –

Während sie spricht, erhebt er die Stirn in stolzem Groll,

Furcht die Brauen, sein Blick ist fast verachtungsvoll;

Dann setzt er sich zu Soschja, so nah' er irgend kann,

Bringt ihr die Teller herbei, füllt ihr das Gläschen an,

Sagt tausend Complimente, verneigt sich mit lächelndem Mund,

Zuweilen verdreht er die Augen und seufzt von Herzensgrund.

Doch sieht man, – er mag die Verstellung noch so gut versteh'n, –

Es sei nur auf Telimene's Ärger abgeseh'n,

Denn, wie von ungefähr, kehrt er sich immer zurück

Und schleudert auf Telimene einen drohenden Blick.


Sie sieht's, kann's nicht begreifen und wundert sich im Stillen;

Zuletzt zuckt sie die Achseln und denkt sich: es sind Grillen![121]

Die neue Liebschaft ist schließlich doch nach ihrem Sinn,

So wendet sie sich denn zum andern Nachbar hin.


Thaddäus ist auch verdüstert, berührt nicht Mahl noch Wein,

Scheint den Gesprächen zu lauschen, glotzt in den Teller hinein,

Sie füllt ihm das Glas, ihn ärgert die zudringliche Manier;

Sie frägt nach seinem Befinden, ein Gähnen erwidert ihr.

Er nimmt es übel, – so jäh verwandelt ist sein Sinn, –

Daß sie in Liebeleien ein gar zu leichter Gewinn;

Ihr Kleid ist so ausgeschnitten, tiefer, als sich schickt, –

Und nun erst, wie er aufsieht: wie er da erschrickt!

Jetzt sehen die Augen schärfer, da sie zu sehen verlangen:

Kaum wirft er einen Blick auf ihre rosigen Wangen,

Da ist ihm ein großes Geheimniß, ein schreckliches, aufgegangen:

Herrgott, sie ist geschminkt!


War nun die Schminke nicht fein,

Mochte sie nun zufällig weggerieben sein:

Ein gröberer Teint enthüllt sich darunter hie und da –

Kam ihr im »Tempel der Träume« Thaddäus selbst zu nah'?

Und streifte den Karmin weg, der ja so leichter Art,

Der Staub der Schmetterlinge ist nicht so fein und zart –

Sie mußte aus dem Wald so rasch nach Hause geh'n

Und hatte keine Zeit mehr, nach ihren Farben zu seh'n:

Besonders um den Mund sah man die Sommerflecken,

Eins ist entdeckt – nun prüfen, um Weit'res zu entdecken,

Thaddäus' Blicke, wie schlaue Spione, Zug um Zug

Die Reize all' – und üb'rall ergründen sie Betrug:

Zwei Zähne fehlen im Mund – durch Schläfen und Stirne hin

Ziehen sich Runzeln – tausend Runzeln unter'm Kinn!


Weh! er fühlt, wie wenig es fromme, allzukleinlich

Das Schöne zu zergliedern, – wie schmählich das, wie peinlich,

Spion der Geliebten zu sein, – ja, Herz und Geschmack zu wandeln,

Wie häßlich! Aber läßt das Herz mit sich verhandeln?

Die fehlende Liebe möcht' er mit seinem Pflichtgefühle

Ersetzen, an ihrem Blick erwärmen des Herzens Kühle –[122]

Vergebens! Gleich des Mondes kaltem Lichte kreist

Ihr Blick ob seiner Seele, die bis in den Grund vereist; –

In inn'rem Vorwurf lag er so mit sich selbst im Krieg,

Bückte den Kopf in den Teller, zerbiß sich die Lippen und schwieg.


Indeß wird er vom Satan mit neuer Versuchung geplagt:

Es lockt ihn, zu behorchen, was Soschja dem Grafen sagt;

Das Mädchen, eingenommen von all' der Galanterie,

Senkt erst erröthend die Blicke – dann lachen er und sie –

Beginnen schließlich zu plaudern von irgend einem plötzlichen

Zusammentreffen im Garten, von irgend einem ergötzlichen

Schreiten durch Unkraut und Beete – Thaddäus hört jeden Laut,

Die Ohren streckt er aus, so weit er kann, und kaut

An all' den bitt'ren Worten, die er dann schwer verdaut.

Ein schreckliches Mahl! Wie mit des Doppelstachels Kraft

Die Natter im Garten einsaugt giftigen Krautes Saft,

Dann ballt sie sich zum Knäuel und liegt am Wege träg,

Den Fuß bedrohend, der achtlos schreitet über den Weg:

So saß Thaddäus, scheinbar kalt in sich versunken,

Und barst vor Wuth, vom Gift der Eifersucht wie trunken!


Laß, selbst im fröhlichsten Kreis, nur Einige ärgerlich sein,

Gleich wirkt ihre Verstimmung auch auf die Übrigen ein.

Die Jäger waren schon still – nun steckt Thaddäus' Galle

Den andern Zirkel auch an, und bald schweigen Alle.


Selbst der Humor des Kämm'rer's ist heut' ein herzlich schlechter:

Er war nicht zum Sprechen gelaunt, wenn er so seine Töchter, –

Reich, in der Blüthe der Jahre, Beide von hübscher Erscheinung,

Die ersten Partien im Sprengel nach allgemeiner Meinung, –

Stumm, von der schweigsamen Jugend vernachlässigt, sitzen sah!

Dem gastfreundlichen Richter geht das nicht minder nah',

Der Wojski aber sagt, bei dieser Stille im Saal,

Das sei kein polnisches, vielmehr ein wölfisches Mahl.


Für's Schweigen war sein Gehör gar zartempfindend und fein,

Selber ein Schwätzer, liebt er das Schwätzen ungemein.[123]

Kein Wunder! Sein Leben verbracht' er mit Jagden, Condescenzen,

Festmahlen inmitten der Schlachta, Congressen und Conferenzen,

Etwas trommelt ihm immer im Ohr – selbst wenn er schweigt

Oder mit seiner Klappe nach einer Fliege schleicht,

Oder geschloss'nen Augs sich träumend niedersetzt;

Tags sucht er Gespräche, Nachts wird er mit Märchen ergetzt,

Oder mit Rosenkränzen – so ist's auch zu begreifen,

Daß er ein abgesagter Feind ist aller Pfeifen.

Uns zu verdeutschen, meint er, sind sie von Deutschen erdacht,

Denn: Polen stummgemacht, heißt: Polen umgebracht.

Das Leben hat er verschwätzt, und ruh'n im Schwätzen wollt' er,

Das Schweigen weckt ihn – wie der Müller, durch's Rädergepolter

Eingeschläfert, sogleich erwacht mit bangem Schrei,

Wie nur die Speichen stillsteh'n – und ruft: Gott steh' mir bei!


Mit einer Verbeugung giebt er den Wunsch dem Kämm'rer kund,

Dem Richter winkt er leichthin mit der Hand vom Mund:

Er bittet um's Wort. Das Zeichen erwidern beide Herrn,

Indem sie sich auch verbeugen – das heißt: Wir hören gern.

Darauf beginnt er:


»Ich möchte die jungen Herren bitten,

Sie mögen beim Mahl doch sprechen nach unsern alten Sitten,

Nicht schweigen und kauen. Wollt ihr wie Kapuziner sitzen?

Wer schweigt im Kreis der Schlachta, fürwahr, der gleicht dem Schützen,

Der seine Flintenladung rosten läßt im Eisen –

Drum möcht' ich unsrer Väter gesprächig Wesen preisen:

Vom Jagen ging's zu Tische, nicht bloß um zu zechen,

Nein, um sich gegenseitig Alles vom Herzen zu sprechen!

Was kam da nicht auf's Tapet! Jagdbeute, Schüsse, Hunde –

Schützen und Treiber besprach man mit beredtem Munde,

Ertheilte Lob und Tadel, – ein Lärm entstand; – behagt

Hat das dem Ohr der Jäger, wie eine zweite Jagd.

Ich weiß ja, weiß, was euch drückt. Die Wolke von schwarzem Gram

Stieg auf aus Robak's Kapuze – nicht wahr? Ihr fühlet Scham

Ob eurer Böcke? Mög's euch nicht gar so nahe geh'n!

Ich kannte weit bessere Jäger – und hab' sie fehlen geseh'n!
[124]

Treffen, verfehlen, gutmachen – ist Schützenlebens Lauf!

Ich selbst, ich schlepp' die Flinte von Kindesbeinen auf,

Und fehlt' oft; es fehlte Tuloszczyk, der große Jägersmann,

Ja, selbst der selige Rejtan fehlte dann und wann.

Des seligen Rejtan Geschichte sei später noch besprochen.

Daß aber heute das Treibwild aus dem Garn gebrochen,

Das ihm die beiden Junker, obzwar mit dem Spieß bewehrt,

Nicht ordentlich Stand gehalten, ist zwar nicht Lobens werth,

Doch Tadelns auch nicht. Mit voller Ladung auszureißen,

Das haben wohl unsre Alten erzmemmenhaft geheißen;

Aber auch blindlings schießen – wie's oft pflegt vorzukommen –

Eh' noch das Wild herankam, eh' man's auf's Korn genommen,

Ist eine schmähliche Sache. Hingegen als Regel gilt:

Wer gut gezielt, und gehörig herangelassen das Wild,

Der kann sich in Ehren zurückzieh'n, wenn er mißlang, der Schuß –

Er kann auch den Spieß gebrauchen; aber das ist kein Muß,

Nur freier Wille; nämlich dem Schützen ist der Speer

Nicht zum Angriff gegeben, nur zur Gegenwehr.

So war es alter Brauch. Drum glaubt mir, was ich gesagt,

Und seid ob eurem Rückzug nicht gar so sehr verzagt,

Mein lieber Thaddäus und Ihr, mein hochgeborner Graf; –

Doch solltet ihr euch erinnern, was euch heute traf,

So nehmt vom alten Waidmann die Lehre auf den Weg mit,

Daß nie in Zukunft Einer dem Andren in den Weg tritt, –

Nie soll man zu Zweien schießen auf ein und dasselbe Waidwild.«


Kaum hatte man das Wort vernommen, dieses: Waidwild,

So murmelt der Assessor zwischen den Lippen: Weibsbild;

Gleich ruft die Jugend: Bravo!, man lärmt, man lacht in der Runde,

Die Warnung des alten Wojski geht von Mund zu Munde,

Besonders das letzte Wort, die Einen rufen: »Waidwild«

Und unter lautem Gelächter schrei'n die Andren: »Weibsbild!«

»Ja,« brummt der Notar: »nicht gut ist's: zu zweien an einer Kette!«

Er spricht's, und der Assessor flüstert gleich: »Kokette!«

Und durchbohrt Telimenen mit Blicken, wie Stilete.


Der Wojski hatte weder anzuspielen gedacht,

Noch gab er auf die heimlich geflüsterten Worte Acht;[125]

Froh, daß er die Damen erheitert und die jungen Herrn,

Wendet er sich zu den Jägern, – auch diese ergetzte er gern –

So fängt er an und füllt dabei sein Glas mit Wein:


»Wo mag nur heut' der Pater Bernhardiner sein?

Gern erzählt' ich ihm eine curiose Begebenheit,

Sie hat mit der heutigen Treibjagd viele Ähnlichkeit.

Der Schließer sagt, er habe nur einen Menschen gekannt,

Der aus der Ferne, wie Robak, zu treffen war im Stand:

Ich kannte noch Einen – es hat sich vor meinen Augen begeben:

Mit gleichem Meisterschusse rettet' er Zweien das Leben.

Es war, als der Herzog von Nassau mit Rejtan, dem Deputirten,

In's Naliboker Gehölz zum Jagen ausmarschirten.

Neidlos erkannten die Herrn den Ruhm des Schlachcic an,

Ihr erstes Vivat bei Tische galt dem wackern Mann,

Beschenkten ihn überreichlich und gaben ihm noch zum Schluß

Das Fell des erlegten Ebers. Von diesem Eber und Schuß

Sollt ihr durch mich, als einen Augenzeugen, erfahren:

Denn das war ein ähnlicher Fall, wie heute – und es waren

Die ersten Jäger der Zeit, denen er arrivirte,

Nämlich der Herzog von Nassau und Rejtan, der Deputirte.«


Da hebt der Richter an und gießt sein Gläschen voll:

»Stoßt an, mein lieber Wojski, ich trinke auf Robak's Wohl!

Können wir ihn auch nicht bereichern mit kostbaren Gaben,

Umsonst soll er sein Pulver doch nicht verschossen haben:

Wir bürgen, daß der Bär, den heute wir erbeutet,

Zwei Jahr' lang den Bedarf der Klosterküche bestreitet.

Das Fell doch geb' ich ihm nicht, – das wird ihm gewaltsam genommen,

Oder wir müssen's von ihm, aus christlicher Demut, bekommen,

Oder ich kauf's, und wenn es um zehn Stück Zobel wär!

Über das Fell verfügen wir nun nach unsrem Begehr:

Den ersten Ruhmespreis trug schon der Priester davon:

Wer sich nächst ihm hervorthat, bekommt das Fell zum Lohn –

Wir wollen dem gnädigen Kämm'rer hiebei die Wahl vertrauen.«


Der Kämm'rer zieht die Stirn herab, zuckt mit den Brauen:

Die Schützen murmeln – Jeder hat was von sich zu sagen,[126]

Der fand das Wild, der hat ihm eine Wunde geschlagen,

Der trieb's in's Garn zurück, der rief die Rüdenschaar, –

Auf's Neue zanken sich Assessor und Notar,

Der Eine pries nach Kräften sein Sanguszkostück,

Der Andre seine Flinte aus Sagalas' Fabrik.


»Nachbar Richter,« hat endlich der Kammerherr begonnen,

»Den ersten Preis hat billig der Diener Gottes gewonnen;

Doch wer den zweiten verdient, das sagt sich nicht so leicht:

Mir scheint, daß Jeder Jedem hier an Verdiensten gleicht;

An Muth, Geschick, Gewandtheit sind Alle gleich zu loben.

Zwei aber hat die Gefahr heut' doch hervorgehoben:

Nach zweien griff er zunächst, der zottige Gesell:

Thaddäus und dem Grafen, – ihnen gebührt das Fell.

Als Jüng'rer und Neffe des Hausherrn, daran zweifl' ich nicht,

Leistet Herr Thaddäus gewiß darauf Verzicht;

So wollt denn, gnädiger Graf, die spolia opima empfangen,

Möge die Beute als Schmuck in Eurem Jagdsaal prangen;

Sie sei Euch ein Angedenken der heutigen Affaire,

Sinnbild des Jägerglückes, Sporn zu künft'ger Ehre!«


Froh schwieg er still – er dachte, erfreut hätt' er den Grafen,

Er wußte nicht, wie schmerzlich ihn die Worte trafen.

Unwillkürlich hatte der Graf die Blicke erhoben,

Als er vom Jagdsaal sprach: und die Hirschköpfe droben,

Die ästigen Geweihe, wie Lorbeern, aller Enden –

Den Söhnen zu Kränzen gepflanzt von ihrer Väter Händen,

Diese ragenden Pfeiler, mit Bilderreihen geschmückt,

Das Wappen, der alte Halbbock, der von der Wölbung blickt:

Wie der Vergangenheit Stimmen, so hat ihn das alles erfaßt.

Aus seinen Träumen erwacht er, es mahnt ihn, bei wem er zu Gast –

Der Erbe der Horeszko ein Gast im eig'nen Schloß,

Des Erbfeinds, der Soplica, gelad'ner Tischgenoß! –

Dazu die Eifersucht, die er im Herzen nährt,

Die gegen die Soplica's den Groll noch stärkt und mehrt!


Drum sagt er bitter lächelnd: »Mein Haus ist viel zu klein,

Drin dürft' kein würdiger Platz für solche Gaben sein;[127]

Hier bei den Geweihen bleibe der Bär auch, bis zum Tag,

An dem mir ihn sammt dem Schloß der Richter geben mag.«


Der Kämmerer, der schon merkt, was auf's Tapet gelangt,

Klopft auf die Dose, – das heißt, daß er das Wort verlangt.


»Mein Nachbar Graf,« beginnt er, »Ihr seid sehr lobenswerth,

Daß Ihr sogar beim Mahl Euch mit Geschäften beschwert,

Nicht – wie die Modejunker in Eurem Alter pflegen, –

Ohne zu rechnen hinlebt. Ich will die Hoffnung hegen,

Daß mir's gelingt, in Güte zu schlichten allen Streit.

Bis nun ist der Fundus des Hauses die einzige Schwierigkeit,

Ich habe schon einen Tauschplan, um Euch zu entschädigen

Durch Grund und Boden – möcht' es in folgender Art entledigen.«

Und ordentlich, wie immer, beginnt er's darzulegen;

Schon war er mitten im Vortrag – als plötzlich ein lebhaftes Regen

Am Ende der Tafel entsteht: die zeigen mit der Hand

Auf etwas hin, die haben die Blicke dahingewandt;

Zuletzt hat, gleich wie Ähren, vom Wind zurückgebeugt,

Nach der Gegenseite Alles den Kopf geneigt,

Zum Winkel hinüber. –


Dort, wo das Bild des Truchseß hing,

Mit dem einst der Horeszko Mannesstamm unterging,

Dort aus dem kleinen Thürchen zwischen den Säulenreih'n,

Schwebt leise, wie ein Traumbild, eine Gestalt herein:

Gervasius, – die Gestalt, das Haupt, das gelbe Gewand,

Der Spencer mit silbernen Halbböcken ist gleich erkannt.

Gerade, wie eine Säule, stumm, finster geht er dahin,

Ohne das Haupt zu neigen, ohne die Mütze zu zieh'n,

Hält in der Hand einen Schlüssel, wie einen Dolch, – er geht,

Und öffnet einen Schrank, in dem er dann etwas dreht.


In zwei Winkeln der Halle, an den Pfeilern, standen

Zwei niedere Schränke, in denen Spieluhren sich befanden:

Alte Sonderlinge, längst mit der Sonne entzweit,

Sie zeigten oft auf Mittag gerade um Abendzeit.[128]

Der Schließer mochte sich nicht mit Reparaturen befassen,

Aber er wollte sie doch nicht unaufgezogen lassen.

Abend für Abend quält sie sein Schlüssel, – eben schlägt

Die Stunde, zu der er sie immer aufzuziehen pflegt;

Der Kämm'rer entwickelt den Plan, den Streit der Parteien zu schlichten,

Aufmerksam hören sie zu: er zieht an den Gewichten;

Die schartigen Zähne der rostigen Räder knirschen schrill, –

Der Kämmerer zuckt zusammen und hält inmitten still.

»Freund, laß jetzt die dringliche Arbeit,« sagt er und eilt zum Schluß –

Allein der Schließer zieht, dem Redner zum Verdruß,

Noch stärker am zweiten Gewicht. Und alsogleich bewegt

Der Gimpel auf der Uhr sein Flügelpaar und schlägt

Gellend des Spielwerks Töne: ein Kunstwerk war es freilich,

Aber leider verdorben – bleibt stecken und pfeift abscheulich,

Je länger, desto toller; alle Gäste lachen,

Der Kämm'rer muß schon wieder einen Abschnitt machen –

»Hört,« schrie er, »Schließer Rembajle oder vielmehr Frau Eule,2

Wenn Euer Schnabel Euch lieb ist, genug an dem Geheule!«


Doch der wird durch die Drohung nicht im Geringsten bewegt,

Die Rechte hat er gewichtig auf die Uhr gelegt,

Die Linke in die Seite gestemmt – »Mein Kämm'rerlein,«

Ruft er, »Ihr witzelt wohlfeil! Der Sperling ist zwar klein,

Doch in dem eig'nen Neste hat er kühnern Muth,

Als die große Eule, die hockt auf fremdem Gut.

Rembajlo ist keine Eule, – wer Nachts in fremdes Haus

Einschleicht, der ist die Eule – und ich scheuch' ihn hinaus.«


»Hinaus mit ihm!« schrie der Kämm'rer.

»Seht,« rief Gervas, »Herr Graf,

Seht doch, was hier vorgeht! Weckt's Euch nicht aus dem Schlaf?

Ist denn Eure Ehre noch nicht genug verletzt,

Wenn Ihr mit diesen Soplica's Euch zu Tische setzt?

Muß man noch mich, Gervasius, mich alten Schloßbeamten,

Den Schließer der Horeszko, im Haus der angestammten

Schloßherrn beleidigen? Und Ihr – Ihr gebt das zu?«

Da rief Protasius dreimal: »Platz da! Haltet Ruh'![129]

Ich, Protasius Balthasar Brzechalski genannt,

Zweier Namen, einst Tribunalsgeneral im Land,

Vulgo: der Gerichtsfrohn – vollziehe die Obduction

Des Thatbestands und halte formale Revision,

Nehm' hier zum Zeugen jeden freigeborenen Mann,

Und trage beim Herrn Assessor auf Untersuchung an,

In Sachen des Richters Soplica, wohl- und edelgeboren,

Von wegen Incursion: Eindringen zu den Thoren

Des Schlosses, als dessen Besitzer sich rechtlich der Richter erweist,

Wofür der klare Beweis ist, daß er im Schlosse speist!«

»Ha, Kläffer!« brüllt der Schließer, »ich schließe dir den Mund!«

Und zieht aus seinem Gürtel den eisernen Schlüsselbund,

Schwingt ihn um's Haupt und schmeißt ihn aus vollen Kräften los –

Fort, wie ein Stein aus der Schleuder, flog das Eisengeschoß!

Es hätte Protasius' Kopf gewiß in Stücke zerschmissen,

Hätt' er durch schleuniges Bücken sich nicht dem Tod entrissen.


Ein Augenblick tiefster Stille – Alles war aufgesprungen,

Da schrie der Richter: »Packt ihn, packt den Kerl, ihr Jungen!

Hollah, in den Stock mit ihm!« Die Dienerschaft wirft sich behende

In den engen Durchgang zwischen Bänke und Wände:

Als ihnen der Graf den Weg mit einem Sessel hemmt –

Auf diese schwache Schanze hält er den Fuß gestemmt,

Und ruft: »Herr Richter, halt! Es nehme sich Keiner heraus,

Den Diener mir anzugreifen in meinem eig'nen Haus!

Hat Einer was gegen den Alten, er bring's vor mein Gericht!«


Der Kämm'rer blickt dem Grafen schielend in's Gesicht:

»Das freche Schlachciclein kann ich schon selber strafen,

Ohn' Euren Beistand; – und gesagt sei's dem Herrn Grafen:

Noch ist das Schloß nicht Euer, noch sprach nicht das Gericht,

Nicht Ihr seid Herr da – Eure Gäste sind wir nicht.

Sitzt ruhig, wie Ihr gesessen; wenn Ihr schon nicht dem Greis

Die Ehre gebt, so gebt sie dem ersten Amt im Kreis!«


»Pah!« brummt der Graf, »genug! Was können die Possen mich scheeren?[130]

Langweilt andre Leute mit Euren Ehren und Lehren!

Ich war schon Thor genug, mich da zu Zeche und Schmaus

Mit Euch zu setzen, – das läuft dann gar auf Grobheit hinaus!

Ihr werdet mir Rechenschaft geben für angethane Schmach,

Auf Wiederseh'n, wenn Ihr ernüchtert! – Gervasius, mir nach!«


Nie hätte sich der Kämmerer solcher Antwort versehen,

Er goß sich eben sein Glas voll – nun aber bleibt er stehen,

Starr mit der Flasche am Glase, wie vom Blitz getroffen,

Den Kopf zur Seite gezogen und den Mund halb offen,

Die Augen weit aufgerissen, das Ohr noch horchend gespannt; –

Er schwieg, – aber so stark preßt' er das Glas in der Hand,

Daß es klirrend zersprang: in's Auge sprüht ihm die Flut;

Als flösse nun mit dem Wein in's Herz ihm feurige Glut,

So brennt ihm jetzt das Auge, so flammt sein Angesicht.

Aufrafft er sich, will reden; das Erste hört man nicht,

Im Mund zerknirscht er's, dann erst bricht's zwischen den Zähnen hervor:

»Tropf! Gräflein! Ich will dich –! Thomas, die Karabelle! – Ha, Thor –

Zum Henker mit dir! Ha, wart', ich will dich mores lehren!

Das zarte Öhrchen langweilen alle die Lehren und Ehren!

Hinaus, hinaus – zum Säbel! du sollst mir die Lehr' erhalten,

Ich will dir auf der Stelle die zarten Läppchen spalten!

Thomas, die Karabelle!«


Da eilen von allen Enden

Die Freunde zu ihm – der Richter ergreift ihn bei den Händen:

»Halt, das ist unsre Sache! Protas, den Pallasch her!

Ich wurde zuerst beleidigt – ich nehm' ihn in die Lehr':

Wie einen Bären am Stock, will ich ihn tanzen lassen.«

Thaddäus hält ihn zurück: »Kann es für Euch wohl passen,

Herr Ohm, verehrter Kämmerer, mit diesem eitlen Fant

Euch abzugeben! Sind das die Jüngern nicht im Stand?

Laßt mir das! Ich bestraf' ihn schon auf gehörige Weise! –

Doch Ihr, mein Held, so kühn im Angriff wider Greise,

Seh'n wir, ob Ihr ein gar so furchtbarer Kämpe seid, –[131]

Wir sprechen uns morgen, bestimmen Waffen, Ort und Zeit;

Heut' lauft, so lang ihr ganz seid!«


Der Rath mocht' hier wohl frommen:

Der Graf und der Schließer waren in arge Klemme gekommen;

Am obern Ende des Tisches lärmte man nur sehr,

Vom untern aber flogen schon die Bouteillen daher,

Dem Grafen um's Haupt. Die Weiber flehen und weinen im Chor –

»Weh!« ruft Frau Telimene – blickt klagevoll empor;

Erhebt sich und fällt in Ohnmacht, – im Arm des Grafen liegt sie,

Über seine Schulter den weißen Nacken schmiegt sie,

So daß ihr Schwanenbusen an seinem Herzen ruht –

Er hält, obzwar voll Ärger, doch ein in seiner Wuth,

Fängt an, sie zu wecken, zu reiben.


Aber im ärgsten Gewühle

Steht da der Schließer, inmitten der fliegenden Flaschen und Stühle,

Schon wankt er, das Gesinde hat schon die Fäuste geschürzt

Und wirft sich in Haufen auf ihn, – da, glücklicherweise, stürzt

Soschja herbei; der Alte weckt ihr innig Erbarmen,

Sie stellt sich vor ihn und schützt ihn mit ausgebreitete Armen.

Sie halten inne; langsam weicht der Schließer zurück;

Man sucht ihn unter dem Tisch, doch er entschwand dem Blick.

Da plötzlich kommt er von drüben, wie aus der Erde gesprungen,

Hat eine Bank gewaltig in die Höhe geschwungen,

Dreht sich windmühlenartig, säubert die Hälfte der Halle,

Und faßt den Grafen, – so weichen Beide hinter dem Walle

Der Bank zum Thürchen zurück; schon sind sie an der Schwelle:

Die Feinde musternd, verweilt der Schließer an der Stelle,

Sinnt eine Weil', ob's besser, bewaffnet zu retiriren,

Oder die neue Waffe zu neuem Kampf zu führen.

Er wählt das Zweite: schon hebt er die Bank mit starker Hand

Wie einen Sturmbock zum Angriff: die Brust nach vorn gespannt,

Den Kopf zur Seite gebogen, – da, als er den Fuß schon erhebt,

Um loszustürzen, erblickt er den Wojski und erbebt.


Halbgeschlossenen Auges war der Wojski indessen,

Scheinbar in Sinnen versunken, schweigend dagesessen.[132]

Erst als sich der Graf mit dem Kämm'rer entzweit, da weckt' es ihn;

Als Jener den Richter bedrohte, wandt' er den Kopf dahin,

Nahm zweimal Prisen und rieb sich die Lider mit der Hand.

Der Wojski war dem Richter nur entfernt verwandt,

Doch, eingewohnt im gastlichen Haus seit langer Zeit,

Theilt er mit sorgendem Herzen des Freundes Glück und Leid.

Drum folgt er mit den Blicken gespannt dem Kampfgebraus,

Streckt leichthin auf den Tisch die Hand und die Finger aus,

Legt drauf ein Messer – an den Zeigefinger den Stiel,

Das Eisen zum Ellenbogen gekehrt, – und wie zum Spiel

Schwenkt er dann die etwas zurückgewölbte Hand,

Betrachtet aber dabei den Grafen unverwandt. –

Die Kunst des Messerwerfens, schrecklich im Handgefecht,

Verstanden damals in Lithauen nur noch die Alten recht.

Bei Schenkenkrawallen kam's vor, daß sie der Schließer probirte,

Während der Wojski in ihr besonders excellirte.

Die Handbewegung verräth: es wird ein kräftiger Stoß –

Die Blicke aber: es ziele auf den Grafen los, –

Den Letzten der Horeszko, wenn auch von Mutterseite!

Die Jüngern, minder achtsam, wissen nicht, was das bedeute:

Der Schließer erbleicht, hält schützend die Bank dem Grafen vor,

Und weicht zur Thüre – »Packt ihn!« schreit der ganze Chor.


Gleich wie ein Wolf, den plötzlich beim Fraß die Meute umringt,

Blindlings in den Haufen der Störenfriede springt –

Die Hunde heulen: er hetzt sie, schon will er sie packen –

Da knackt ganz leise ein Hahn: der Wolf erkennt das Knacken!

Er späht – bis hinter der Meute er den Schützen erblickt:

Dort steht er, auf's Knie gestemmt, – dort dreht er, halb gebückt,

Das Rohr nach ihm, berührt schon das Zünglein: – wie er das sieht,

Läßt er die Ohren hängen, kneift ein den Schwanz und flieht –

Nachstürzt die Meute und heult und triumphiret laut,

Zupft ihn am Pelz, – er kehrt sich zuweilen um, und schaut,

Und klappert mit dem Gebiß – die weißen Zähne droh'n

Knirschend, – und heulend stiebt die Meute gleich davon:

So zog sich der Schließer zurück, in drohender Gestalt,[133]

Den Angriff wehrt die Bank ab und seiner Blicke Gewalt,

Bis er in dunkler Nische zugleich mit dem Grafen versank.


»Packt ihn!« heißt's wieder – die Freude dauerte nicht lang;

Denn über den Köpfen des Haufens trat jäh der Schließer hervor,

Hoch oben bei der alten Orgel auf dem Chor –

Und krachend hat er die bleiernen Pfeifen herausgerissen

Und schmeißt sie hinunter – er hätte die Feinde zu Schanden geschmissen,

Doch hatten sich schon die Gäste dem Ausgang zugewandt,

Die Menge strömte hinaus, die Dienerschaft hielt nicht Stand,

Im Fliehen suchen sie eilig noch die Gefäße zu fassen,

Tischzeug und vieles Geschirre wird gar liegen gelassen.


Wer achtet nicht Schläge, noch Drohen, ausdauernd bis zum Schluß,

Wer weicht als Letzter vom Schlachtfeld? Brzechalski Protasius.

Hinter dem Sessel des Richters stand er, wich nicht vom Ort,

Mit lauter Gerichtsfrohnstimme protestirt' er fort –

Bis er zu End' war, dann erst durft' er vom Kampfplatz weichen,

Wo jetzt nur Trümmer geblieben, Verwundete und Leichen.


An Menschen war kein Verlust. Aber die Bänke alle

Hatten verrenkte Beine; der Tisch lag in der Halle,

Lahm, ohne Tischtuch, aus weinbegossene Teller gestreckt, –

Gleich wie ein tapfrer Ritter auf Schilde blutbefleckt, –

Zwischen unzähligen Leichen von Hennen, Hühnern und Puten

In deren Herzen, noch roth vom Blut, die Gabeln ruhten.


Im öden Horeszkogebäude ist bald Alles wieder

Still, wie gewöhnlich. – Dichter sinken die Schatten hernieder;

Ringsum liegen der reichen Herrenmahlzeit Reste,

Gleich dem nächtlichen Mahl, zu dem am Todtenfeste

Vom Zauberruf beschworen, die Geister der Todten zieh'n.3

Vom Söller haben dreimal die Eulen schon geschrie'n,

Wie die Beschwörer – als hätten sie den Mond begrüßt,

Deß zitternd Bild durch's Fenster sich auf den Tisch ergießt,

Wie ein Geist des Fegefeuers; – wie der Verdammten Schatten,

Hüpfen aus dem Boden durch Löcher hervor die Ratten,

Knappern, schlürfen, – vergess'ne Champagnerflaschen springen

Zuweilen, wie um den Geistern einen Toast zu bringen.
[134]

Aber im zweiten Stockwerk, im alten Spiegelsaal, –

So hieß er noch, denn Spiegel zierten ihn einmal –

Stand der Graf im Kreuzgang gegen des Hauptthors Bogen,

Im kühlenden Wind – den Rock auf einen Arm gezogen,

Den andern Ärmel, die Schöße am Hals in Falten geschlungen,

Und malerisch um die Brust, wie einen Mantel, geschwungen.

Mit großen Schritten maß Gervasius das Gemach,

Tief sannen sie Beide, als Jeder so mit sich selber sprach:

»Pistolen,« sagte der Graf, »auch Säbel, – wie sie begehren.«

Der Schließer: »Schloß und Grundstück, Beides muß uns gehören.«

»Fordre den Onkel, den Neffen, die ganze Sippe zugleich!«

Sagte der Graf – »Nehmt Schloß und Dorf und Land an Euch,«

Rief der Schließer und wandte sich dem Grafen zu:

»Nehmet Alles nur an Euch, Herr Graf, dann habt Ihr Ruh' –

Herrlein, wozu Processe? die Sache ist sonnenklar,

Die Euern besaßen das Schloß, wohl an vierhundert Jahr';

Vom Boden ward ein Theil zur Zeit von Targowica,

Ihr wißt's ja, abgerissen, und kam an die Soplica;

Nicht dieser Theil nur – Alles ist ihnen abzusprechen,

Als Kosten des Processes und um den Raub zu rächen.

Ich hab's Euch immer gesagt: Nicht vor Gerichten streiten;

Ich hab's Euch immer gesagt: Einreiten, nur einreiten!

So hielt man's früher: das Grundstück besitzt, wer's occupirt;

Triumph im Feld, das heißt auch: beim Richter triumphirt.

Betreffs der älteren Händel mit den Soplica's, ist besser,

Als irgend ein Proceß, mein liebes Federmesser –

Und steht mir gar noch Matschek mit seinem Gertchen bei,

So schneiden wir sie zu Hecksel, diese Soplica's, – wir zwei!«


»Bravo!« ruft Jener, »dein Kriegsplan, dein gothisch- sarmatischer,

Ist schöner, als so ein Proceß, ein advokatischer!

Weißt was, ganz Lithauen soll von unsrem Feldzug klingen,

Wir wollen was Unerhörtes, was Großes zu Stande bringen –

Und wir amusiren uns! Da sitz' ich, zwei Jahre lang –

Was sah ich für Kampf? Mit Bauern einen Ackerzank!

Bei unsrem Feldzug kommt doch ein Blutvergießen heraus,

Auf meinen Reisen kämpft' ich einmal in solchem Strauß;[135]

Als ich mich in Sicilien bei einem Fürsten befand:

Sein Eidam fiel in den Bergen den Räubern in die Hand,

Sie forderten von der Familie frech ein Lösegeld,

Rasch stellt' ich meine Diener und Vasallen in's Feld,

Wir stürzten uns auf die Räuber, ich selber tödtete zwei,

Flog als der Erste in's Lager und machte den Ritter frei.

Ach, mein Gervasius, war das ein Heimzug dazumal,

Schön, im Triumphe strahlend, ritterlich-feudal!

Das Volk empfing uns mit Blumen; – befreit von schwerem Harme,

Fiel mir des Fürsten Tochter weinend in die Arme;

Dann kam ich nach Palermo: da las man meinen Namen

In den Journalen, mit Fingern wiesen auf mich die Damen;

Ja, das ganze Ereigniß erschien dann als Roman,

Wo ich mit Namen genannt bin und alles, was ich gethan:

Der Pole oder die Mysterien im Schloß

Birbante Rocca. – Giebt's hier, unter dem Erdgeschoß,

Verließe?« Der Schließer versetzt: »Ja, riesige Kellerei'n,

Doch leer, denn die Soplica's tranken allen Wein.«

»Bewaffne«, rief der Graf, »im Schloß die Jockeyschaar,

Mein Hauswart, und die Vasallen im Dorf!« – »Was? Gott bewahr'!

Lakaien?« rief der Schließer, – »sind das denn Lumpereien?

Wer machte je einen Einritt mit Bauern und Lakaien?

Mein Herr, auf's Einrittwesen versteht Ihr Euch gar schlecht!

Schnauzbart: das ist was Andres4 – Schnauzbärte kommen da recht;

Doch nicht vom Dorf – nein, aus den Weilern, aus Dobrzyn,

Nach Rzezikow, Cientycze, Rombanki sendet hin;

Dort ist uralter Adel, ein Ritterblut rein und ächt,

Alle von je befreundet Eurem edlen Geschlecht,

Spinnefeind den Soplica's alle durch die Reih'!

Von dort bring' ich dreihundert schnauzbärtige Mannen herbei,

Laßt mir das; kehret jetzt in den Palast zurück,

Und schlaft Euch aus; denn morgen giebt's ein schweres Stück;

Ihr schlaft gern lang, – 's ist spät, der Hahn hat zweimal gekräht; –

Ich hüte das Schloß hier, bis die Nacht zur Neige geht,

Und bin in Dobrzyn mit dem ersten Sonnenstrahl.«[136]

Der Graf verläßt den Kreuzgang, doch blickt er noch einmal

Vorher durch's Schießloch hinüber auf Soplica's Haus,

Er sieht es hell erleuchtet, und drohend ruft er aus:

»Illuminirt nur heute, morgen sollt Ihr's nicht!

Nacht ist es dann bei Euch und hier im Schlosse Licht!«


Gervas sitzt auf dem Boden, an die Mauer gedrückt,

Die Stirn gedankenvoll zur Brust hinab gebückt.

Das helle Mondlicht fällt ihm auf den Scheitel, den kahlen:

Er zeichnet über ihn Linien: in seinem Haupte malen

Sich schon gewiß die Pläne zum kommenden Krieg; – die Lider

Sinken ihm müd' und schwer und immer schwerer hernieder;

Willenlos schwankt sein Hals, er fühlt des Schlummers Nah'n,

Und fängt, nach seiner Gewohnheit, die Abendgebete an.

Doch zwischen Vater Unser und Ave Maria steh'n

Seltsame Schemen vor ihm, und drängen sich und dreh'n:

Er sieht die Herrn Horeszko, ihm so wohlbekannt,

Der trägt den Säbel, der den Kolben in der Hand,

Ein Jeder dreht sich den Schnurrbart und blickt gar drohend darein,

Schüttelt den mächtigen Kolben, dringt mit dem Säbel ein;

Zum Schlusse zittert vorüber ein Schatten voll stiller Trauer,

Ein blutiges Maal auf der Brust. Den Schließer faßt ein Schauer:

Den Truchseß erkennt er – beginnt rundum Kreuze zu schlagen;

Und um die schrecklichen Bilder rascher zu verjagen,

Spricht er für sie die Fegefeuer-Litanei.

Die Lider kleben ihm wieder, es summt ihm im Ohr: Geschrei

Berittener Schlachtascharen! die Säbel sprühen Blitze!

Einritt! Einritt! Korelicz und Rymsza an der Spitze!

Sich selber sieht er, wie er auf flinkem Schimmel sprengt,

Sein schreckliches Rappier hoch über'm Haupte schwenkt;

Es flattert weit im Wind, es saust die Taratatka,

Vom linken Ohr sinkt ihm zurück die Konfederatka, –

Fortsprengt er; Reiter, Fußvolk wirft er im Wege hin

Brennt endlich eine Scheun' an, mit Soplica darin; –

Da sinkt ihm, schwer von Träumen, das Haupt zur Brust hernieder:

Horeszko's letzter Schließer schließt die Augenlider.

1

Einst war der Landbote Philipp, Herr zu Konopie, in einer Rede auf dem Reichstage so weit vom Gegenstand der Debatte abgenommen, daß die ganze Kammer in Gelächter ausbrach. Daher das poln. Sprichwort: »Er kam hergeschneit, wie Philipp aus Konopie«.

2

Im Poln. ein Wortspiel oder vielmehr nur ein Binnenreim, das ich, so gut es ging, nachzubilden suchte. (d.Ü.)

3

»Dziady« (Todtenfest, Ahnenfeier) heißt ein altheidnisches Fest, das die Lithauer noch zu Mickiewicz's Zeiten feierten: die Geister der Abgeschiedenen werden vom »Todtenbeschwörer« (Guslarz) heraufgerufen und mit Speise und Trank bewirthet. – Dieses Fest bildet den Mittelpunkt der »Dziady« des Mickiewicz, einer der erhabensten Dichtungen des Meisters. (d.Ü.)

4

Zu einem richtigen und tüchtigen polnischen Schlachcic gehört bekanntlich ein mächtiger Schnurrbart. Das dem deutschen Schnauzbart entsprechende polnische Wort, das eben einen Schlachcic mit tüchtigem Schnurrbart bedeutet, bildet mit dem Ausdruck »Wasal« (Vasalle) ein nicht wiederzugebendes Wortspiel. Ich habe daher jenes »Mein Hauswart« eingefügt. Es handelt sich hier nur darum, daß Gervasius die fremdländischen und hochtrabenden Ausdrücke des Grafen mißversteht und verdreht. »Verließe« hält er für Kellereien, »Jockey's« für Lakaien. (d.Ü.)

Quelle:
Mickiewicz, Adam: Herr Thaddäus oder der letzte Einritt in Lithauen. In: Poetische Werke, Leipzig 1882, Band 1, S. 110-137.
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Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

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