Vierter Gesang.
Diplomatie und Jagd.

[80] Die Erscheinung in den Papilloten weckt Thaddäus auf. – Der Irrthum wird erkannt, aber zu spät. – Die Schenke. – Der Emissär. – Gewandtes Gebrauchen der Tabaksdose bringt die Discussion immer wieder auf's eigentliche Thema. – Das Urgeheg. – Der Bär. – Thaddäus und der Graf in Gefahr. – Drei Schüsse. – Streit zwischen der Sagalasflinte und dem Sanguszkogewehr, zu Gunsten er einläufigen Horeszkoflinte entschieden. – Der Bigos. – Des Wojski Erzählung vom Duell des Domejko und Dowejko, durch eine Hasenhatz unterbrochen. – Schluß der Erzählung von Domejko und Dowejko.


Die ihr die Großfürsten des Lithauervolkes gesehen:

Bäume von Bialowieza, von den Ponarenhöhen,

Ihr, deren Schatten einst die Herrscherhäupter bedeckt

Mindowe's, des Großen, und Witenes', der die Völker geschreckt,

Giedymin's auch, da er einstmals auf dem Ponarer Berg

Auf's Bärenfell gestreckt, ausruhend vom Waidmannswerk,

Des weisen Lizdejko Liedern am Jägerfeuer lauschte –

Und wie ihn die Wilia ansah, und ihn die Wilejka umrauschte,

Wiegt' es ihn ein, und er träumte von einem Wolf aus Eisen;1

Und aufgewacht, erbaut' er, wie ihn die Götter weisen,

Wilno, die Stadt, die mitten in den Wäldern thront,

Als wie ein Wolf unter Bären, Uren und Ebern wohnt;

Wilno, dem, gleich jener römischen Wölfin, entsproß

Kiejstut und Olgierd, und Olgierd's Geschlecht, so kühn und groß,

Als Jäger berühmt, als Ritter nicht minder, – ob's nun galt,

Den Feind im Feld zu jagen oder das Wild im Wald.[81]

Der Traum des Jägers mag uns der Zukunft Geheimniß weisen,

Was Lithauen immer Noth thut: die Wälder und das Eisen.


O Forste! ihr saht den Letzten durch eure Reviere jagen,

Den letzten König, der Witold's Kolpak stolz getragen,2

Den letzten der Jagellonen, der siegreich Schlachten schlug,

Den letzten Jäger in Lithauen, der eine Krone trug!

Ihr Bäume meiner Heimat, wenn ein gütig Geschick

Mich je, ihr alten Freunde, führt zu euch zurück:

Werd' ich euch dann noch finden? seid ihr am Leben noch?

Wißt ihr noch, wie ich als Kind um eure Stämme kroch?

Lebt noch der große Baublis,3 vor Alter so ausgehöhlt,

Daß in dem Riesenraume zwölf Menschen, wohlgezählt,

Zu Tisch sich setzen konnten, wie in bequemem Zimmer?

Und Mendog's Hain beim Kirchlein,4 blüht er wohl noch immer?

Und dort auf der Ukraine steht noch, wie sie stand,

Vor'm Haus der Holowinski, an der Rossa Rand,

Die Linde, so riesenhaft, daß sie mit ihren Zweigen

Hundert Paare beschattet von Burschen und Mädchen im Reigen?


Denkmale unsres Volks! An euch frißt Jahr um Jahr

Die gierige Axt des Kaufmanns oder Moskaus Czar!

Wie bald – und kein Asyl mehr ist euren Sängern geblieben,

Den Vögeln und den Dichtern, die euch, wie Vögel, lieben!

Hat doch der Schwarzwaldlinde die Stimme Johannes', die weiche,

So viele Weisen entlockt!5 singt jene geschwätzige Eiche6

In's Herz des Kosakensängers doch so viel Wunder hinein!


Und ich, wie soll ich euch danken, ihr theuern Bäume mein!

So oft ich, ein elender Schütz, um eines Fehlschusses willen

Dem Spott der Genossen entfloh: was hab' ich bei euch, ihr Stillen,

An Dichterträumen erbeutet, – wenn ich, der Jagd vergessen,

Inmitten öder Wildniß so auf dem Werder gesessen,

Ringsum vom Graubart Moos der Boden wie silberbesetzt,

Das Silber vom Granatroth zerquetschter Schwarzbeer benetzt, –

Und dort die Haidekrauthügel, die röthlich herüberglänzen,

Mit Preißelbeeren geziert, wie mit Korallenkränzen.[82]

Ringsum war's dunkel; der Zweige verflochtenes Gebälk,

Hing droben, wie grünes, dichtes, niedriges Gewölk, –

Dort irgendwo raste der Sturmwind über dem starren Dach,

Ein Stöhnen, ein Sausen, ein Heulen, ein Knattern, ein Donnergekrach,

Ein seltsam betäubender Lärm! Mir war, als hört' ich droben,

Hoch über meinem Haupte, ein hangendes Meer ertoben!


Und unten, wie Städteruinen: hier entwurzelter Eichen

Aufragende Stümpfe, mächtigen Balken zu vergleichen –

Wie Trümmer von Wänden und Säulen, steh'n darüber geneigt,

Hier halbvermoderte Stämme, dort Klötze weitverzweigt,

Ringsum ein Zaun von Buschwerk. Doch wer sah ohne Grausen

In's Innere des Wusts hinein, wo die Hausherrn des Waldes hausen,

Die Eber, die Bären, die Wölfe, – am Eingang, halbzernagt,

Liegen die Knochen von Gästen, die einzukehren gewagt.

Zuweilen schießt's durch's Grün, wie zwei Fontänen, auf:

Das ist ein Hirschgeweih – und schon, in eiligem Lauf,

Ist es, ein gelblicher Streifen, im Dunkel vorbeigeblinkt,

Wie wenn ein Strahl in's Dickicht hineinbricht und versinkt.


Nun wieder Stille drunten. Auf dem Tannenbaum

Pocht leis' ein Specht – fliegt weiter, verschwindet im dunkeln Raum.

Er hat sich versteckt, der Schnabel pocht aber unausgesetzt,

Wie sich ein Kind verbirgt und ruft: Nun, such' mich jetzt!

Da sitzt ein Eichhörnchen, hält eine Nuß in den Fängen,

Und nagt; das Schweifchen läßt es über die Augen hängen,

Wie über den Kürassierhelm die buschige Feder weht –

Obwohl nun so verschleiert, blickt's doch herum und späht;

Zeigt sich was Fremdes, so springt des Waldes Tänzerin

Von Wipfel zu Wipfel fort, blinkt wie ein Blitz dahin,

Bis sie in einen Baumspalt, – der Blick bemerkt ihn kaum, –

Versinkt, wie eine Dryade in den heimischen Baum.

Und wieder still.

Da bewegt sich einer von den Zweigen –

Und wie sich die Vogelbeeren auseinander neigen,

Erscheinen zwei Wangen, prächtiger, als die rothe Frucht:

Ein Mägdlein ist's, das Nüsse oder Beeren sucht.
[83]

Ein Büchschen aus einfacher Rinde füllt sie mit ihrem Fund,

Mit frischen Preißelbeeren, so roth, als wie ihr Mund,

Ein Bursch geht neben ihr her, der ihr die Haseln zubiegt,

Flugs hascht das Mädchen die Nuß, die ihr hellblinkend zufliegt.

Da haben sie Hundegebell und der Hörner Echo vernommen,

Sie merken, daß die Jäger nah' und näher kommen,

Da faßt sie ein Bangen, und in der Äste dichtem Bereich

Sind sie plötzlich entschwunden, Göttern des Waldes gleich.


Welch Treiben in Soplicowo! Doch weder der Wagen Knarren,

Noch auch der Hunde Lärm, der Rosse Wiehern und Scharren,

Noch auch die Hörnerrufe, die ringsum wiederhallen,

Vermochten Thaddäus zu wecken. Er war in's Bett gefallen,

Unausgekleidet – und schläft wie ein Murmelthier in der Grube.

Keinem der Burschen fällt's ein, zu suchen ihn auf der Stube;

Jeder denkt nur an sich und rennt, wohin man ihn schickt,

Des Freundes vergißt man ganz, den tiefer Schlaf umstrickt.


Er schnarcht. Durch's herzförmige Loch im Laden bricht

Die Sonne in's dunkle Gemach, dem Schläfer in's Gesicht,

Daß ihm die Feuersäule g'rad' auf der Stirne glüht.

Er will noch schlafen und dreht sich im Kreisel, stets bemüht,

Dem Glanz zu entweichen. Da hört' er's pochen – er erwacht:

Wie ihm die Morgensonne heut' so fröhlich lacht!

Er fühlt sich frisch, wie ein Vöglein, leicht hebt sich seine Brust,

Er lächelt sich selber zu, glücklich und froh-bewußt;

Und denkt er an Alles, was sich gestern zugetragen,

Erröthet er, seufzt auf, fühlt's laut im Busen schlagen.

Da blickt er in's Fenster; o Wunder! In jenem Strahlenschein,

In jenem Herzen leuchten zwei klare Äugelein,

Breit aufgeschlossen, wie eben das Aug' sich öffnet weit,

Wenn es aus Tageshelle blickt in die Dunkelheit.

Er sah auch ein kleines Händchen, seitwärts vor's Gesicht

Wie ein Fächer gehalten, zum Schutz vor'm Sonnenlicht.

Die Fingerchen erschienen im rosigen Morgenglanz,[84]

Wie schimmernde Rubine, roth durchleuchtet ganz;

Er sieht auch ein lauschendes Mündlein, halboffen; darin zwei Reih'n

Zähne, wie, zwischen Korallen, schimmernder Perlen Schein.

Die Wangen, zwar vor'm Licht verdeckt mit der rosigen Hand,

Erglühen doch selber und prangen in rosenfarbnem Brand.


Thaddäus lag unten am Fenster; vom Schatten ganz verdeckt,

Liegt er am Rücken und staunt, welch Wundergebild ihn weckt –

Da hat er es dicht über sich, beinah' auf dem Gesicht.

Ist das ein Traum? ist's Wahrheit? Er staunt, er weiß es nicht:

Eins jener Kindergesichtchen, jener hellen, lieben,

Die aus den Träumen der Unschuld uns im Sinn geblieben!

Das Antlitz neigt sich hernieder, er sieht's, er faßt sich kaum

Vor Schrecken, vor Lust, – o weh! er sieht's, es ist kein Traum;

Es ist dasselbe, – das Haar, so kurz, und hell, wie Gold,

In Papilloten, in kleine, weiße, eingerollt,

Ein Kranz von silbernen Schötchen, der in der Sonne strahlt,

Dem Lichtschein gleich, den man um Heiligenstirnen malt.


Auffährt er, – die Erscheinung entschwand sofort dem Blick,

Von der Bewegung erschreckt; er wartet, – sie kehrt nicht zurück!

Nur dreimal klopfen hört er's, und wie's die Worte sagt:

»Steht auf! ihr habt verschlafen! es ist Zeit zur Jagd!«

Aufspringt er, stößt den Laden auf mit beiden Händen,

Daß er kracht in den Angeln und an beiden Wänden

Lautklirrend anschlägt; hurtig springt er hinaus und schickt

Die Blicke umher, verwirrt, erstaunt; – doch wie er blickt:

Nichts ist zu seh'n, nicht eine Spur ist zu erschau'n.

Unweit vom Fenster war der Obstgartenzaun,

Dort schwanken die blumigen Kränze und die Hopfenranken –

Hat sie ein leichtes Händchen berührt, daß sie so schwanken?

War es der Wind? Hinstarrt er und kann sich nicht getrau'n,

Den Garten zu betreten; lehnt sich nur an den Zaun,

Blickt aufwärts, und den Finger an den Mund gelegt,

Mahnt er sich selbst zum Schweigen, daß nicht, hastig bewegt,

Ein Ton die Stille störe; dann schlägt er sich an die Stirn,

Als pocht' er Erinnerungen wach in seinem Hirn,[85]

Zuletzt zerbiß er sich die Finger bis auf's Blut,

Und schrie, was er konnte: »Recht so! so geschieht mir gut!«


Das Haus, wo's noch vor Kurzem so viel Lärm gegeben,

War jetzt, als wie ein Kirchhof, stumm und ohne Leben.

Alles war ausmarschirt. Thaddäus spitzt das Ohr

Hält beiderseits die Hände, wie Trompeten, vor

Und lauscht, – bis ihm, vom Wind der Wildniß hergetragen,

Die Hörner herüberschallen und das lärmende Jagen.

Längst harrt sein Pferd im Stall, gesattelt und gezäumt;

So nimmt denn er die Flinte, sitzt auf, und ungesäumt

Sprengt er, wie toll, zu den Schenken hin bei der Kapelle:

Gemäß der gestrigen Weisung, der Jäger Versammlungsstelle.


Zwei Schenken hocken hier zu beiden Seiten der Straße,

Die Fenster drohen einander, wie Feinde in grimmem Hasse:

Die alte gehört zu des Gutsherrn Schloß, von Rechtes wegen, –

Soplica befahl, ihm zum Trutz, die neue anzulegen.

Dort führt, wie in seinem Besitzthum, das Regiment Gervasius,

Hier nimmt den Ehrenplatz am Tische ein Protasius.


Die neue Schenke war keine Sehenswürdigkeit.

Die alte aber zeigte den Styl vergangner Zeit,

Den einst die Zimmerleute von Tyrus ausgedacht

Und späterhin die Juden in alle Welt gebracht.

Ein Baustyl, fremden Meistern gänzlich unbekannt,

Bei uns verbreiten ihn die Juden jetzt im Land.


Vorn gleicht sie einer Arche und hinten einem Tempel,

Die Arche, von Noah's Viereck ein ganz genaues Exempel,

Wird heutzutage bei uns auch schlechtweg Scheune genannt;

Dort giebt es Pferde, Kühe, Ochsen und sonst allerhand

Gethier, auch bärtige Ziegen; dann oben Vögel in Schaaren,

Insekten auch und Würmer, wenigstens zu Paaren.

Der hintere Theil, gebaut wie ein seltsam Gotteshaus,

Sieht ungefähr wie der Tempel des Königs Salomo aus,

Den Hiram's Zimmerleute, – die ersten, die in der Welt

Das Bauhandwerk verstanden, – auf Zion aufgestellt.
[86]

Die Judenschulen stellen noch jetzt dies Muster dar,

An Schenken aber und Scheunen sieht man den Grundriß klar.

Das Dach aus Stroh und Latten ist spitz hinaufgezogen,

Als wie ein Judenkolpak rissig, krummgebogen.

Am Giebel entspringen die Ränder des Gangs, auf eine lange

Holzsäulenreihe gestützt; die Säulen an diesem Gange

Sind für die Architekten ein wahres Wunder der Welt, –

Sie halten fest und sind doch halbfaul und krumm gestellt,

Wie am Thurm von Pisa, nicht nach griechischen Modellen,

Weil ohne Kapitäle und ohne Unterstellen.

Über den Säulen laufen, auch aus Holz gemacht,

Halbrunde Bogen hin, im gothischen Styl gedacht.

Vorn künstlicher Zierrath, – nicht gemeißelt, nicht gestochen,

Nur mit dem Zimmermannsbeil hübsch in den Stein gebrochen,

Wie Sabbathleuchterarme gekrümmt, in kleine Köpfchen

Auslaufend, – diese ähneln jenen baumelnden Knöpfchen,

Die sich die Juden beim Beten über die Köpfe schlagen,

Und die in ihrem Jargon den Namen Zitzes tragen.

Kurz, von der Ferne erscheint die krumme, wacklige Bude,

So ungefähr wie ein beim Beten wackelnder Jude;

Das Dach sei die Kappe, das struppige Stroh der Bart genannt,

Die rauchigen, schmutzigen Wände das schwarze Obergewand,

Und vorn das Schnitzwerk, wie Zitzes an der Stirne Saum.


Wie in der Judenschule, theilt ein Verschlag den Raum;

Ein Theil ist ganz voll enger, länglicher Kämmerlein,

Da kehren ausschließlich Damen und fremde Herren ein;

Der and're ein mächtiger Raum: ringsum, die Wände entlang,

Zieht sich ein hölzerner Tisch, vielfüßig schmal und lang,

Dran reihen sich Sessel, nied'rer, aber ähnlich dem Tisch,

Wie Kinder dem Vater.

Hier saßen heut' und tranken frisch,

Bauern und Bäuerinnen, dabei auch kleine Schlachcicen,

Reih'weis, – der Ökonom nur liebt's, allein zu sitzen.

Sonntag ist's; nachdem man die Frühmesse gehört,

Wird hier, beim Jankiel, geplaudert und ein Glas geleert.

Vor Jedem steht ein Pokälchen, es perlt der Schnaps darin,[87]

Ob allen läuft mit der Flasche die Wirthin her und hin.

Wirth Jankiel inmitten: im Hauskleid, mit langen, wallenden Falten

Bis an den Boden, von Hefteln aus Silber zusammengehalten;

Die Linke hat er bequem in den seidenen Gurt gebettet,

Indeß die Rechte würdig den grauen Vollbart glättet;

Rings späht er umher, um üb'rall Befehle zu ertheilen,

Empfängt die Kommenden, stellt sich zu denen am Tisch zuweilen,

Knüpft ein Gespräch an, – zankt man, so greift er begütigend ein,

Doch Keinen bedient er: er spaziert nur durch die Reih'n.

Ein alter Jude, bekannt durch seine Redlichkeit,

Besaß er den Pacht der Schenke seit langer, langer Zeit,

Und weder Bauer noch Schlachcic klagte je über ihn.

Warum auch? Er stellt dem Gast nichts Schlechtes zum Trinken hin,

Rechnet zwar mit Vorsicht, doch ohne zu betrügen,

Duldet keine Besoff'nen, stört aber nie ein Vergnügen,

Liebt alle Kurzweil sehr, – Tauffeste, Hochzeitsfeste

Begeht man bei ihm; und Sonntags läßt er, zur Lust der Gäste,

Die ganze Musik vom Dorf zu sich in's Wirthshaus bringen,

Baßgeigen und Dudelsäcke hört man da lustig klingen.


Er selbst war musikalisch, sogar ein berühmtes Talent,

Einst war er mit der Cymbal, dem jüdischen Instrument,

Von Hof zu Hof gezogen, und bewundert viel

War sein geschulter Gesang, wie sein geübtes Spiel.

Zwar Jude, sprach er doch polnisch recht rein, – allein vor allen

Erweckten die Volkslieder sein höchstes Wohlgefallen

Er bracht' eine Menge, so oft er über den Niemen fuhr,

Kolomyjken aus Halicz,7 aus Warschau manchen Masur;

Es hieß, ich weiß es nicht sicher, im Umkreis weit und breit,

Er habe von jenseits der Grenze zuerst in jener Zeit

Das Lied gebracht und verbreitet in der ganzen Runde,

Das Lied, das heutzutage lebt in Aller Munde,

Und das zum ersten Mal im Lande der Ausonen8

Die Welschen blasen gehört von polnischen Legionen.

Der Gabe des Sängers sind die Lithauer sehr hold,

Sie wird mit Liebe vergolten, mit Ruhm und auch mit Gold;

Jankiel erwarb ein Vermögen, erwarb auch Ruhmes viel,[88]

Nun hängte er an die Wand das tönende Saitenspiel,

Setzte sich fest mit den Kindern, des Geldes und Lobes satt,

Ward Schankwirth, Unterrabiner zugleich in der nahen Stadt,

Als Gast und Rath des Hauses überall gern gesehen.

Man muß auf dem Land ein wenig Getreidehandel versteh'n,

Den Flußboothandel9 besonders: was Jankiel wohl verstand.

Er war auch als guter Pole gerühmt und allbekannt.


Er war der Erste, der dem Krieg ein Ende gemacht

Zwischen den beiden Schenken: er nahm sie beide in Pacht.

Die alte Partei der Horeszko verehrte ihn gar sehr,

Des würdigen Richters Gesinde ertheilt' ihm gleiche Ehr'.

Nur er allein vermochte zugleich beim wüthigen Alten,

Dem Schließer, und beim Gerichtsfrohn sich in Respekt zu halten.

Vor Jankiel hielten sie ein in ihrem grimmigen Schwunge,

Nämlich Gervasius' Hand und Protasius' Zunge.


Gervasius war nicht da; er war auf die Jagd gegangen;

Er wollte bei einem so großen und schwierigen Unterfangen

Den Grafen allein nicht lassen, so jung und unerfahren, –

So ging er mit ihm, mit Rath und That ihn zu bewahren.


Gervasius' Stelle, ein Plätzchen inmitten zweier Bänke,

Am weitesten von der Thür, ganz in der Ecke der Schenke,

(Pokucie genannt10), nimmt heute der Pater Robak ein.

Jankiel wies sie ihm an. Viel Ehre angedeih'n

Ließ er fürwahr dem Mönch: denn wie er nur ersah,

Daß sein Gläschen nicht voll war, hurtig war er da

Und ließ ihm Julimeth eingießen bis zum Rand.

Man sagt, es hätten sich Beide in jungen Jahren gekannt,

Irgendwo in der Fremde. Robak kam oft bei Nacht

Zu Jankiel, und manche Stunde ward da heimlich verbracht

In wichtiger Berathung; vom Mönch ging das Gerücht,

Er treibe Schmuggel; doch Glauben verdient die Verläumdung nicht.


Auf den Tisch gestützt, trug Robak dem Kreise vor,

Halblaut; die Schlachta umgiebt ihn und richtet die Ohren empor,[89]

Die Nasen aber zur Dose des Paters hinab; man priest

Mehrmals aus ihr, daß Alles, wie aus Mörsern, niest.


»Reverendissimi,« – sprach Skoluba nach einigem Niesen,

»Das nenn' ich Tabak, das fühlt man bis zum Schopfe schießen!

Seit ich sie trage,« hier streicht er die Nase, groß und mächtig,

»Fand meine Nase kein Kraut,« hier niest er wieder, »so prächtig!

Ein rechtes Pfaffenkräutlein, gewiß aus Kowno gebürtig,

Die Stadt ist an Meth und Tabak den besten ebenbürtig –

Dort war ich« – Der Mönch unterbrach ihn: »Zu bestem Nutz und Frommen

Den Herrschaften allen, mög' es den Herren wohlbekommen!

Betreffs des Tabaks, je nun, der hat die Reise gemacht

Von ferner her als unser verehrter Skoluba gedacht.

Er kommt vom Klarenberge. Die Pauliner bereiten

Dies Kraut in Czenstochau,11 wo seit uralten Zeiten

Das Wunderbild der Jungfrau auf dem Gnadenthrone,

Der Muttergottes, prangt, der Königin der Krone

Von Polen – auch Fürstin von Lithau'n heißt sie noch bis jetzt,

Die Königskrone bewahrt sie bis jetzt noch unverletzt –

Doch herrscht hier nun das Schisma,12 soweit nur Lithauen reicht!«

»Aus Czenstochau?« sprach Wilbik, »dort war ich in der Beicht',

Wie ich zum Ablaß hinkam, es sind schon dreißig Jahr!

Nun wirthschaftet dort der Franzmann? und ist das wirklich wahr:

Sie wollen die Kirche zertrümmern und seine Schätze rauben?«

So sagt der »Courier von Lithau'n.« – »Nichts, – schenkt dem keinen Glauben«,

Erwidert der Priester, »ist doch Seine Majestät,

Napoleon, ein Katholik, wie er im Buche steht.

Der Papst hat ihn ja gesalbt, lebt mit ihm ungestört

In Frieden, es werden von ihnen auch die Franzosen bekehrt,

Die sich ein wenig verderbt. Aus Czenstochau, das ist richtig,

Gab man zum Nationalschatz viel Silber, steuerte tüchtig

Für's Land, für Polen – als wenn nicht auch Gottes Wille so wäre!

Ein Schatzhaus des Vaterlands sind immer seine Altäre.

Im Herzogthum Warschau haben wir ja ein polnisches Heer[90]

Von hunderttausend Mann, in Kurzem vielleicht noch mehr –

Und wer bezahlt's? Ihr Lithauer? zahlt wohl ihr den Sold?

Ihr leget euren Groschen nur zum russischen Gold!«

»Der Henker gäb's,« schrie Wilbik, »sie schleppen's gewaltsam fort!«

»Ach, gnädiger Herr«, nimmt kleinlaut ein Bäuerlein das Wort

Und kratzt sich den Kopf und neigt sich vor dem Almosenier, –

»Die Schlachta hat nur die halbe Plackerei, – doch wir!

Wir werden auf's Blut geschunden!« – »Cham!« schrie Skoluba, »hast' s besser,

Als wir, du Tölpel! bist, wie ein Aal, gewöhnt an's Messer!

Doch wir von Geburt, wir Edlen, wir hochmögende Herrn,

An goldne Freiheit gewohnt! Ach, Brüder, wie ist sie so fern,

Die selige Zeit, da noch der Schlachcic auf seinem Boden« –

»Ja! ja!« schrie'n Alle, »gleich war einem Wojewoden!«

»Heut' wird uns der Adel bestritten, – man frägt nach Documenten!

Wir sollen den Adel beweisen aus allerlei Pergamenten!«

»Nun«, rief Juraha, »bei euch hat's weniger zu bedeuten,

Ihr stammt von Bauern, der Adel ist aus jüngern Zeiten, –

Doch ich von Fürsten! Mich nach meinem Patent zu fragen,

Wann ich ein Schlachcic geworden! Das soll der Herrgott sagen!

Ob wohl der Moskowite die Eiche im Walde fragt,

Nach welchem Patent sie über alle Gesträucher ragt!«

»Schneidet vor Andern auf, Herr Fürst!« rief Zagiel aus,

»Hier findet Ihr Fürstenhüte wohl in manchem Haus!«

»Das Kreuz,« versetzt Podhajski, »in Eurem Wappen, – seht,

Man weiß doch, daß es die Herkunft von Convertiten verräth!13«

»Falsch!« rief da Birbasz, »das Blut tatarischer Grafen quillt

In mir, und hab' doch Kreuze über'm Schiff im Schild!«

»Ein Poraj14«, schrie Mickiewicz, »nebst Hut im goldnen Feld

Ist Fürstenwappen, Stryjkowski hat das klargestellt!«


Nun hört man in der Schenke nichts, als Zanken und Keifen,

Der Bernhardiner muß wieder zu seiner Dose greifen;

Die Redner alle traktirt er; gleich wird's still im Saal,

Aus Artigkeit schnupft Jeder und niest dann einige Mal.

Robak benützte die Pause, indem er wieder begann:

»O, von dem Tabak nieste schon mancher große Mann![91]

Glaubt ihr's wohl, meine Herrn, daß der Herr General

Dombrowski aus dieser Dose Prisen nahm vier Mal?«

»Dombrowski?« hieß es – »Ja! ja! er selbst! ihr mögt es wissen,

Ich war im Lager, als er den Deutschen Danzig entrissen;

Er mußte was schreiben, wollt' sich wach erhalten und schnupfte

Und nieste, worauf er mir zweimal auf die Schulter tupfte«

Und sprach: »Freund Robak,« sprach er, »Freund Bernhardiner, wißt,

Wir sehen uns in Lithauen noch vor Jahresfrist,

Sie sollen mich dort erwarten mit Czenstochauer Prisen,

Ich nehme keinen Tabak von anderswo, nur diesen.«


Des Priesters Worte erweckten solch ein Staunen ringsum

Und solche Freude, daß Alles eine Weile stumm

Dasaß, dann hört man halblaut die Worte wiederholen:

»Tabak aus Czenstochau? Dombrowski? Tabak aus Polen?

Dombrowski? aus Italien?« bis auf Einmal zuletzt

Wie Sinn mit Sinn, so Wort mit Wort sich trifft – und jetzt,

Wie auf ein Losungszeichen, schrei'n Alle, wie Ein Mann:

»Auf, das Dombrowskilied!« und Alles stimmt nun an, –

Alles umarmt sich: Kreuz und Fürstenhut, wie sich's traf,

Schiff, Greif und Poraj, Bauer und tatarischer Graf,

Vergessen ist Alles, selbst Robak; sie singen nur und schrei'n,

Und jauchzend tönt's dazwischen: »Schnaps her! Meth her! Wein!«


Lang hörte der Bernhardiner der Weise zu; am Ende

Wollt' er doch wieder Ruhe; so nahm er in beide Hände

Die Dose und nieste laut, den Takt zu unterbrechen,

Und ehe sie wieder stimmen, beeilt er sich zu sprechen:

»Hochmögende Herrn, ihr findet meinen Tabak gut,

Nun seht auch, was sich im Innern der Tabaksdose thut.«

Drauf macht er mit dem Sacktuch den staubigen Deckel rein,

Und zeigt dort eine gemalte Armee, ganz winzig klein,

Wie Fliegenschwärme; inmitten hoch zu Roß ein Mann,

Maikäfergroß; der führt gewiß die Heerschaar an.

Er spornt das Pferd, als wollt' er in den Himmel rasen,

Die eine Hand am Zügel, die andre an der Nasen.

»Seht die Gestalt,« sagt Robak, »voll drohender Gewalt, –[92]

Wer, glaubt ihr, ist's?« Begierig schaut Alles auf die Gestalt.

»Das ist ein großer Mann, der Kaiser – doch nicht der Czar,

Die Czaren von Moskau hassen den Tabak ganz und gar.«

»Ein großer Mann,« rief Cydzik, »der die Capote trägt?

Ich dachte, große Männer sei'n immer mit Gold belegt,

Denn jeder General in Rußland, schlecht wie recht,

Blitzt so von lauter Gold, wie im Safran der Hecht.«

»Ei was!« rief Rymsza, »als Bursch, 's sind viele Jahre schon,

Sah ich Kosciuszko, den Führer unserer Nation;

Ein großer Mann, und ging im Krakauer Tuchrock einher,

In der Czamarka!« »Czamarka?« sagt Wilbik, »bitte sehr,

Das hieß Taratatka!« – »Nur, daß jene Fransen hat,«

Schrie nun Mickiewicz, »diese aber ist ganz glatt.«

Da fängt denn Alles an, zu lärmen und zu streiten

Um Taratatka, Czamarka und ihre Verschiedenheiten.


Der kluge Robak, der das Gespräch nach allen Winden

Zerstieben sieht, sucht's wieder an seinen Brennpunkt zu binden,

An seine Dose; er reicht sie herum, das Niesen geht an,

Sie rufen »Helfgott!« – und er spinnt weiter, was er begann:

»Wenn Ein um's andere Mal Napoleon in der Schlacht

Tabak schnupft, das ist ein Zeichen, der Sieg sei ausgemacht.

Zum Beispiel bei Austerlitz: das Heer des Kaisers stand

Mit schwerem Geschütz, die Russen kamen im Sturm gerannt.

Der Kaiser schaute und schwieg. Sowie die Franzosen schießen,

Mäht's ganze Regimenter von Russen zu ihren Füßen.

Eins sprengt heran ums andere, und fällt, wie Heu auf der Wiese, –

Und wie Eins hin ist, nimmt der Kaiser eine Prise.

Bis endlich Alexander nebst Brüderlein Konstantin

Und Franz, der deutsche Kaiser, aus besten Kräften flieh'n;

Und nun die Schlacht beendet, sieht ihnen ihr Bezwinger

Noch einmal nach, lacht auf und schüttelt den Staub vom Finger.

Also, sollt' Einer der Herrn, die hier Gehör mir schenken,

Im Heer des Kaisers dienen, so mög' er daran denken.«


»Ach,« rief Skoluba, »Hochwürden, wann wird das gescheh'n?

Seht nur, so viele Feste im Kalender steh'n,[93]

So kündigt man für jedes uns die Franzosen an;

Man schaut, man schaut, daß Einem das Aug' zufallen kann:

Und wie uns Moskau beim Schopf hielt, so hält's uns noch zur Stunde,

Ja, ehe das Gras nachwächst, geht das Pferd zu Grunde.«


»Mein Bester,« sagte Robak, »nur alte Weiber klagen,

Und Juden nur steh'n, die Hände übereinandergeschlagen,

Bis Einer zur Schenke hereinfährt und an die Thüre pocht.

Den Feind mit Napoleon schlagen, so was hat Mancher vermocht.

Den Schwaben hat er freilich tüchtig das Fell gerieben,

Das Preußenvolk zertreten, England zurückgetrieben

Weit über's Meer – den Russen wird's nicht besser geh'n.

Doch weiß auch Euer Liebden, was darnach wird gescheh'n?

Ei nun, die Lithauer Schlachta setzt sich zu Roß erst dann,

Wenn's keinen Feind mehr giebt, mit dem man schlagen kann.«

Dann hat Napoleon alles selbst gethan und spricht

Zu guter Letzt: »Wer seid ihr? ich bedarf euch nicht!«

Also den Gast zu erwarten, zu bitten ihn zu Tisch,

Genügt nicht – das Gesinde, heißt es, sammeln frisch!

Die Tafel bereiten, das Haus auch säubern vor dem Schmaus,

Ja, säubert das Haus, – »ich sag's euch, Kinder, säubert das Haus!«


Still ward's; dann hört man Stimmen durcheinander fragen:

»Säubert das Haus – was heißt das? was will Hochwürden sagen?

Wir sind ja zu Allem bereit, thun Alles nach seinen Lehren,

Nur wolle der geistliche Herr sich deutlicher erklären.«


Der Mönch hielt ein und sah durch's Fenster – vor dem Haus

Bannt etwas seinen Blick, er steckt den Kopf hinaus,

Erhebt sich dann bald und sagt: »Heut' haben wir keine Zeit,

Wir sprechen davon ein Weit'res bei nächster Gelegenheit;

Muß morgen in Geschäften in der Kreisstadt sein,

Kehr' auch am Weg bei euch mit meiner Büchse ein.«


»Käm',« sagte der Ökonom, »Hochwürden doch zur Nacht

Nach Niehrymow; dem Fähnrich wär' große Freude gemacht.[94]

Ihr wißt ja, ein altes Sprichwort giebt's zu Lande hier:

Glückselig, wie in Niehrymow ein Almosenier!«

»Bei uns auch,« sagt Zubkowski, »kehret freundlichst ein,

Ein halb Stück Leinwand find't sich, ein Butterfässelein,

Ein Kühlein oder ein Schöps – wie man ja sagen hört:

Er traf's, wie wenn ein Mönch in Zubkow eingekehrt.«

»Zu uns!« hört man Skoluba, »Zu uns!« Terajewicz bitten,

»In Pucewicze hat kein Mönch noch Hunger gelitten.«

Mit Bitten und Versprechen begleitet ihn so durch's Haus

Die ganze Schlachta. – Er war schon zur Thür hinaus.


Er hatte schon früher Thaddäus bemerkt, der voller Wuth

Über den Fahrweg sprengte, im Galopp, ohne Hut,

Gesenkten Haupts, – sein Antlitz war bleich und schwermuthvoll,

Und unaufhörlich peitscht' er und spornt' das Pferd, wie toll.

Der Anblick hatte den Mönch ganz aus der Fassung gebracht,

Bald hat er hinter dem Jüngling sich auf den Weg gemacht,

Zur großen Wildniß, die, soweit das Auge sieht,

Den ganzen Horizont mit schwarzem Rand umzieht.


Urwälder Lithauen's, eure bodenlose Ferne

Wer sah ihr je bis in's Herz, bis zu des Dickichts Kerne?

Den Meergrund sieht der Fischer kaum an dem Küstensaum:

So kreist der Lithauer Jäger um's Bett der Wildniß kaum,

Kennt wohl ihr Äuß'res, ihre Gestalt, ihr Angesicht, –

Doch kennt er ihres Herzens geheime Wunder nicht.

Nur Märchen und Sage wissen, was in ihm geschieht.

Denn hinter dem Dickicht der Forste und hinter der Föhren Gebiet,

Empfängt dich ein ragender Wall von Stämmen, Wurzeln und Klötzen,

Von Moor umschlossen, bewachsen mit dichten Unkrautnetzen,

Mit tausend Bächen bedeckt, mit Ameishaufen behangen,

Mit Wespen- und Hornißnestern und Knäueln giftiger Schlangen.

Und könntest du, überkühn, auch diese Schanzen bezwingen,

Der weit're Weg wird dir noch größre Schreckniß bringen.

Dort lauern, auf Schritt und Tritt, wie Wolfsgruben versteckt,

Ganz kleine Seen, zur Hälfte von Gräsern überdeckt,[95]

So tief, die Menschen messen die Tiefe gar nicht aus;

Man sagt gewiß mit Recht, dort wären Teufel zu Haus.

Das Wasser flimmert, fortwährend kommt aus dem Innern ein Rauch,

Blutrother Rost schwimmt oben, aufsteigt ein stinkender Hauch

Von dem ringsum den Bäumen Laub und Rinde verdorren;

Kahl, zu Zwergen verwachsen, krank, wurmig, mit hängenden Knorren,

Mit moosigen Weichselzöpfen, bucklig verkrümmten Stämmen, –

Wie mit abscheulichen Bärten, behängt mit häßlichen Schwämmen:

Also hocken sie alle rings am dampfenden Teiche,

Wie Hexen sich wärmen am Kessel beim Kochen einer Leiche.


Doch hinter die Wasser, da ist's – nicht etwa blos zu gehen, –

Nein, da ist's selbst unmöglich, auch nur hinzu sehen;

Denn dort umhüllt schon Alles der Nebel, der aus dem Moor

Dem rauchenden, fort und fort steigt in die Lüft' empor.

Doch endlich, erzählt die Sage, hinter dem Nebelflor,

Beginnt ein Gebiet, ein holdes, ein frucht- und segenreiches:

Die königliche Hauptstadt des Thier- und Pflanzenreiches;

Die hegt in sich die Samen aller Kräuter und Bäume,

Draus die Geschlechter wachsen durch alle Weltenräume;

Wie in der Arche Noah's wird in ihr bewahrt

Zum wenigsten Ein Paar jedweder Thieresart.

Ganz in der Mitte sollen die Herrscher der Wildniß, die alten,

Der Wiesent, der Bär, der Büffel ihre Höfe halten,

Von den Ministern bewacht, den Hütern ihrer Kronen,

Dem Vielfraß und dem Luchs, die auf den Bäumen wohnen.

Als mächt'ge Vasallen hausen weiter in ihren Sitzen

Die Wölfe, die Eber, die Elenn, des Reiches starke Stützen, –

Haben zu Häupten die Falken und wilden Adler schweben,

Die höfischen Schranzen, die vom Tisch der Herren leben.

Die Patriarchenpaare des Thierreichs, die, so fern

Der Welt entrückt, hier hausen in der Wildniß Kern,

Senden dann ihre Kinder als Colonien aus

Jenseits des Walds; sie selber pflegen der Ruh' zu Haus.

Sie gehen nie zu Grunde durch Schuß, durch Hieb, durch Stoß, –

Sie altern nur und erfüllen zuletzt der Sterblichen Loos.

Sie haben auch ihren Friedhof; Vierfüßer legen da nieder[96]

Ihr Haar, sobald der Tod naht, und Vögel ihr Gefieder;

Wenn die zermorschten Zähne dem Bären das Kauen versagen,

Wenn den verfallenen Hirsch die Beine nicht mehr tragen,

Wenn dem Hasen vor Alter das Blut in den Adern gerinnt,

Wenn der Rabe weiß wird, und der Falke blind,

Wenn sich dem Adler der Schnabel schon so zugekrümmt,15

Daß er, verschlossen auf ewig, kein Mahl mehr zu sich nimmt:

Dann geh'n sie auf den Friedhof; selbst Kleinere, krank oder wund,

Laufen dahin, zu sterben auf väterlichem Grund.

An jenen Stellen, zu denen der Mensch gelangen kann,

Trifft man drum niemals Knochen gestorbner Thiere an.16


Es soll auch in der Hauptstadt, unter diesen Thieren,

Sehr wohlgesittet zugeh'n, weil sie sich selbst regieren;

Sie sind an der menschlichen Cultur noch nicht erkrankt,

Sie kennen kein Eigenthumsrecht, um das die Welt sich zankt;

Sie kennen nicht Krieg noch Zweikampf; wie in uralter Zeit

Die Väter im Eden gelebt, so leben die Enkel noch heut',

Wilde und zahme zusammen, durch keinen Zwist geschieden,

Sie stoßen, sie beißen sich niemals; dort herrscht ewiger Frieden.

Ja, geriethe ein Mensch hin, wenn auch unbewehrt,

Er schritte durch die Mitte der Bestien unversehrt;

Sie schauten ihn an, wie einst mit still-verwundertem Blick

Am sechsten Schöpfungstag, im paradiesischen Glück

Ihre Väter geschaut auf Adam, den ersten Mann,

Eh' zwischen ihm und ihnen der lange Zwist begann.

Zum Glück verirrt der Mensch sich nicht zu diesem Orte,

Denn Mühsal, Furcht und Tod bewachen seine Pforte.


Nur manchmal geschieht's, daß Hunde, in wilder Hatz verrannt,

Hineingerathen in's Moos und Moor und Grubenland:

Dann fliehen sie voll Entsetzen vor jener Schreckniß zurück,

Winselnd, von Angst geschüttelt, mit scheuem, irrem Blick –

Und liegen noch, wenn sie schon lang gestreichelt des Herren Hand,

Zitternd zu seinen Füßen, von Grausen übermannt.

Ein solcher Abgrund der Wildniß, wohin nicht Weg, noch Steg,

Führt in der Sprache der Jäger den Namen: Urgeheg.
[97]

O Bär, du Dummkopf! Bliebst du im Urgeheg versteckt,

So wärst von dem Wojski noch heute unentdeckt.

Doch, sei's, daß dich der Duft des Bienengartens verführt,

Sei's, daß du einige Neigung zum reifen Hafer verspürt:

Du gingst an den Saum der Wildniß, wo die Lichtung beginnt.

Und gleich bekam der Förster von deinem Dasein Wind,

Und schickt' über dich Spione voll böser, tückischer List,

Zu forschen, wo du Fraß suchst, wo du zur Nachtzeit bist.

Der Wojski und seine Treiber umstellten dir schon den Weg,

Nun bist du abgeschnitten von deinem Urgeheg!


Wie nun Thaddäus erfährt, sind es schon viele Stunden

Seitdem die jagenden Rüden im Waldesdickicht verschwunden.

Still' ist's. Vergebens strengen die Jäger die Ohren an –

Vergebens lauscht, wie der fesselndsten Rede, Jedermann

Dem Schweigen – auf seinem Platze harrend, regungslos:

Die ferne Musik nur hört man aus der Wildniß Schooß.

Die Meute durchwühlt die Wildniß, wie Taucher die Meeresflut –

Die Schützen zielen zum Wald hin – ihr Auge aber ruht

Auf dem Wojski: Der kniet, sein Ohr befragt die Erde;

Wie Freunde in des Arztes Antlitz und Geberde

Nach Leben und Tod des theuren Kranken späh'n, so schauen

Die Schützen, die den Künsten des Wojski ganz vertrauen,

Sorgend, hoffend auf ihn, und spannen Blick und Ohr.

»Er ist's! Er ist's!« erklärt er halblaut, und springt empor.

Er hört's, sie horchen noch – doch ja, sie hören's jetzt:

Ein Hund schlug an, dann zwei, dann zwanzig, nun zuletzt

Hört man sie alle – die Rüden, wild durcheinander gestoben,

Sie haschen, sie halten die Fährte, sie kläffen, sie beißen, sie toben;

Nicht so, wie Hunde langsam pflegen anzuschlagen,

Wenn sie ein Reh, ein Häslein oder Füchslein jagen, –

Nein, ein fortwährend Heulen, kurz, abgerissen, verbissen;

Nicht so, wie wenn sie die Fährte nur aus der Ferne wissen –

Sie sehen's, das Wild! Da plötzlich – die Hatz hat aufgehört,

Sie haben' s – Geheul, Gewinsel, – das Thier hat sich gewehrt,

Wohl blutig dreingeschlagen, – durch der Meute Gedröhn,

Dringt's oft und immer öfter, wie sterbender Hunde Gestöhn.
[98]

Dasteh'n die Schützen und Jeder biegt sich vor, wie ein Bogen,

Schußfertig, – den Kopf in den Wald, wie magisch hineingezogen;

Sie halten sich nicht länger! Seinen Posten verläßt

Sacht Einer nach dem Andern und drängt sich durch's Geäst,

Dem Thier zuerst zu begegnen. – Was hilft des Wojski Verbot?

Was hilft es, daß er, die Posten umreitend, schreit und droht:

Ob Junker oder Bauer, wer sich vom Platze rührt,

Geb' Acht, daß er den Riemen nicht auf dem Rücken spürt!?

Nichts hilft's. Sie laufen trotzdem Alle in den Wald.

Drei Flinten feuern auf Einmal. Nun aber kracht und knallt

Fortwährend Schuß auf Schuß, bis endlich gewaltig brüllend

Alles der Bär übertönt, den Wald mit dem Echo erfüllend:

Ein furchtbar Gebrüll der Verzweiflung, des Schmerzes, der Raserei!

Drauf wieder Gebell – Hornklang der Jäger, der Schützen Geschrei,

So donnert's heraus aus der Wildniß. Die rennen zum Wald hinein,

Die spannen den Hahn – und Alles jubelt. Der Wojski allein

Steht da und jammert laut: es sei ja verfehlt, das Thier!

Denn Schützen und Jäger sind alle zwischen Jagdrevier

Und Wildniß versammelt, dem Bären den Rückzug zu verlegen, –

Doch der, geschreckt von den Haufen, läuft auf ganz andern Wegen,

Zu jenen Feldern zurück, die jetzt fast unbewacht,

Seit sich die Posten der Schützen allesammt fortgemacht,

Und Wenige nur geblieben, auf die das Wild nun traf,

Der Wojski mit einigen Treibern, Thaddäus und der Graf.


Hier lichtet der Wald sich. Es brüllt, es kracht aus der Tiefe empor –

Da stürzt, wie ein Donner aus Wolken, der Bär aus dem Dickicht hervor,

Rings hetzen die Hunde, – er stellt sich auf die Hinterbeine

Blickt brüllend umher, und reißt bald theerige Klötze, bald Steine

Zwischen Baumwurzeln aus mit den Vordertatzen – und schmeißt

Auf Meuten und Menschen, bis er den Baum aus dem Boden reißt.

Nach rechts, nach links, wie eine Keule, dreht er ihn, –

Und g'radaus stürzt er auf die letzten Posten hin,

Den Grafen und Thaddäus. Sie halten furchtlos Stand,

Richten die Mündungen auf's Thier mit fester Hand,

Als wie zwei Blitzableiter in dunkles Wolkenbereich –[99]

So stehen sie da – nun spannen die Hähne Beide zugleich,

Die Unerfahr'nen! zugleich kracht es aus Beider Gewehr –

Gefehlt! Der Bär springt los – sie greifen nach einem Speer,

Der neben ihnen steckt, auf Einmal mit vier Händen,

Sie reißen sich ihn aus den Armen. Nun, wie sie zum Wild sich wenden:

Sieh' da, im Rachen, im großen, rothen, schrecklich zu schauen,

Zwei Reihen glänzender Hauer, – die Tatze mit den Klauen

Senkt sich schon auf sie nieder – entsetzlich! sie erbleichen –

Sie springen zurück, versuchen in die Lichtung zu weichen.

Nachreckt sich der Bär, hackt schon die Klauen ein im Lauf,

Verfehlt, rennt näher, stemmt sich wieder mit Macht hinauf,

Und hascht mit der schwarzen Tatze des Grafen blonden Schopf,

Die Schale vom Hirn zu reißen, wie einen Hut vom Kopf!

Da springen von beiden Seiten Notar und Assessor heran,

Vorn, hundert Schritt weit, läuft Gervasius, was er kann,

Neben ihm Robak, der ohne Gewehr zu Hilfe rennt, –

Und, wie auf Commando, schießen Drei in Einem Moment!

Aufspringt der Bär, wie ein Hase, wenn die Meute naht,

Stürzt mit dem Kopf nach unten, kehrt sich dann, wie ein Rad,

Mit den vier Tatzen herum – und dicht vor den Grafen schmeißt

Die blutige Masse sich hin, daß es ihn niederreißt.

Noch brüllt er, will noch aufsteh'n, da stürzen sich auf ihn

Sprawnik, der Unhold, und Strapczyna, die Würgerin.


Da faßt der Wojski sein Horn, am Gürtel fest gebunden,

Sein Büffelhorn, sein langes, gesprenkelt und gewunden,

Wie eine Boa – das hält er mit beiden Händen zum Mund,

Bläst auf zum Kürbis die Backen, Blut glänzt ihm im Augengrund,

Halb schiebt er die Lider herab, zieht ein zur Hälfte den Bauch

Und treibt in die Lungen, was er nur hat an Athemhauch –

Und bläst. – Gleich einem Sturmwind, trägt das Horn den Schall

Im Wirbel in die Wildniß, verdoppelt im Wiederhall.

Die Schützen verstummen, die Jäger steh'n voll Verwunderung

Ob dieser Töne Wohlklang, Reinheit, Kraft und Schwung.

All' seine Kunst, die einst ihm erworben Ruhm und Preis,

Entwickelt der Greis noch einmal vor seiner Schützen Kreis:

Bald weckt er die Eichen, erfüllt die Forste weit in der Runde,[100]

Als hätt' er ein Jagen begonnen, als hetzten rings die Hunde.

Denn das ist die Jagd, – gedrängt in Tönen dargestellt:

Erst schmettert es hell in die Welt: das ist der Ruf in's Feld, –

Dann winselt Gestöhn auf Gestöhn: das ist der Rüden Getön, –

Dumpf donnert's da und dort: das ist der Schüsse Gedröhn.


Hier hält er, senkt aber nicht das Horn; da meinen sie All',

Der Wojski spiele noch immer, – doch war's der Wiederhall.


Er bläst auf's Neue. Das Horn scheint immerwährend verwandelt:

Bald dicker, bald dünner, wie es des Wojski Mund behandelt;

Thierstimmen ahmt es nach; zum Wolfsschlund ausgereckt,

Heult's jetzt so lang, so schaurig, daß es das Herz erschreckt –

Zum Bärenrachen erweitert, entsendet es lautes Gebrüll,

Dann, wie des Uren Gemecker, zerreißt's die Lüfte schrill.


Hier hält er, senkt aber nicht das Horn; da meinen sie All',

Der Wojski spiele noch immer, – doch war's der Wiederhall.

Es hören, es wiederholen das Kunststück ohne Gleichen

Die Buchen den Buchen hinüber, hinüber die Eichen den Eichen.


Er bläst auf's Neue – als wären hundert Hörner im Horn,

So hört man wirr durcheinander die Hatz, die Angst, den Zorn

Der Schützen, der Meute, der Beute – nun hält er es hoch erhoben,

Und des Triumphs Fanfare schlägt an die Wolken droben.


Hier hält er, senkt aber nicht das Horn; da meinen sie All',

Der Wojski spiele noch immer, – doch war's der Wiederhall.

So viele Hörner tönen, als Bäume sind im Raum,

Als wie von Chor zu Chor, so fliegt's von Baum zu Baum,

Und breiter immer und weiter wallen dahin die Töne

Und leiser immer, in immer reinerer, zarterer Schöne:

Bis sie dort irgendwo, fern, an des Himmels Schwelle verwehen!


Mit ausgebreiteten Armen bleibt der Wojski stehen, –

Das Horn, das auf den Riemengürtel niederfällt,

Schwingt hin und her. Sein Antlitz ist geschwellt, erhellt,[101]

Und wie begeisterungstrunken blicken die Augen empor,

Die letzten verklingenden Töne hascht noch voll Lust sein Ohr –

Indessen tausendfältiger Beifall rings erklingt

Und Alles Vivat und Glückwunsch dem greisen Meister bringt.


Allmählig wird es still, und Aller Blicke kehren

Sich hin zum mächt'gen Leichnam des erlegten Bären.

Da lag er blutbespritzt, von Kugeln ganz zersprengt,

Die Brust in's dichte Gras verflochten und eingezwängt,

Die Vordertatzen in Kreuzform weit auseinandergezogen;

Noch röchelt er, durch die Nüstern strömen ihm blutige Wogen;

Noch öffnet er die Augen, doch rührt er den Kopf nicht mehr,

Die Blutegel des Kämm'rers sind furchtbar über ihn her –

Links packt ihn Strapczyna am Hals, rechts hängt sich an ihn voll Wuth

Sprawnik, würgt ihm die Gurgel und saugt sein schwarzes Blut.


Nun wird auf des Wojski Weisung den Hunden, die sich verbissen,

Mit einem eisernen Stab der Rachen aufgerissen,

Dann wird der Leichnam mit Kolben auf den Rücken gelegt, –

Und wieder ein dreifach Vivat, das bis an die Wolken schlägt!


»Nun?« schrie der Assessor und schwenkte seinen Flintenlauf,

»Was sagt ihr zu meinem Büchslein? Sind wir nun obenauf?

Was sagt ihr zu meinem Büchslein? Groß ist das Vöglein nicht,17

Und wie steht's da? Ja, freilich, das ist eine alte Geschicht',

Das ist ein Büchslein, das keine verschossene Ladung kennt.

Ich hab's aber auch vom Fürsten Sanguszko zum Präsent.«

Hier zeigt er ein Flintchen, winzig, aber wunderbar

An Arbeit, und stellt der Reih' nach all' seine Tugenden dar.

»Ich«, versetzt der Notar und wischt sich den Schweiß, »ich lief

Dicht hinter dem Bären her, als plötzlich der Wojski rief:

Halt! halt! – Wer mag da halten? Dort seh' ich den Bären rasen,

Spornstreichs in's Feld, stets weiter, weiter, gleich einem Hasen;

Der Athem verging mir, wer mocht' ihn zu erreichen hoffen?

Nun schau' ich rechts: da rennt er, wo der Wald schon offen, –

Ich nehm' ihn denn auch auf's Korn. – Wart', Brummer, bleibst mir stehen!«[102]

Denk' ich – und basta! da lag er! und Alles war geschehen!

Ein tüchtig Gewehr, echt Sagalas – die Inschrift hier beweist es:

»Sagalas London á Balabanowka«, seht, so heißt es.

»Dort war ein berühmter Schlosser, ein Pole, der fabricirte

Polnische Flinten, nur daß er sie englisch ausstaffirte.«


»Wie?« schnaubt der Assessor, »Potz tausend Bären, was wollt Ihr sagen?

Das nenn' ich schwätzen! So hättet wohl Ihr das Vieh erschlagen?«

»Mein Bester«, versetzte der Notar, »hier sind wir nicht zu Gericht,

Hier ist Treibjagd – hier sagen's Euch Alle in's Gesicht –«


Ein wüthendes Zanken beginnt nun unter der Jägerschaar,

Die sind für den Assessor, die für den Notar.

Kein Mensch denkt an Gervasius; Alle kamen ja

Von der Seite und sah'n gar nicht, was vorn geschah.

Der Wojski beginnt: »Jetzt weiß man doch wenigstens, wofür:

Jetzt ist's kein schäbiger Hase, meine Herrn, wie früh'r,

Jetzt ist's ein Bär: da lohnt sich's schon, Revanche zu holen,

Sei's mit der Serpentine und sei's selbst mit Pistolen.

Schwer ist's den Streit zu schlichten; nach alter Gepflogenheit

Sind wir denn in den Zweikampf zu willigen bereit.

Ich denk' noch, zu meinen Zeiten, da lebten zwei Nachbarsleute,

Von ur-uraltem Adel, Beide ehrliche Häute;

Sie wohnten zu beiden Seiten an der Wilejka Strand,

Der Eine war Domejko, der Andre Dowejko genannt.

Auf eine Bärin schossen Beide in Einem Moment:

Wer hat sie erlegt? Gott weiß es: ein schrecklicher Streit entbrennt,

Dann schwören sie, sich zu schießen über ein Bärenfell –

Fast Lauf an Lauf – Was sagt ihr? das ist doch ein adlig Duell?

Die Kunde davon ist damals auch weit und breit gedrungen,

Es wurden von diesem Zweikampf Lieder genug gesungen.

Ich war der Sekundant; doch hört die ganze Geschichte,

Wie ich sie euch getreulich von Anfang an berichte.«


Eh' er begann, entschied Gervasius den Streit.

Aufmerksam prüfend umschritt er den Bären einige Zeit,

Dann zog er das Messer, zerhieb die Schnauze in der Mitten,[103]

Und fand im Hinterkopf, nachdem er das Hirn durchschnitten,

Die Kugel; er holt sie, säubert sie mit dem Rock zuvor,

Mißt sie dann an der Ladung, legt sie an's Flintenrohr,

Dann hebt er die Hand auf, nebst der Kugel auf ihr, und spricht:

»Ihr Herrn, die Kugel kam aus euren Flinten nicht,

Gekommen ist sie aus dieser Horeszkobüchse Lauf, –«

Hier hob er ein altes, mit Schnüren umwundenes Einrohr auf –

»Doch hab' nicht ich sie geschossen. O! 's war ein Unterfangen!

Mir graut's noch in der Erinn'rung, mir ist das Sehen vergangen:

Wie g'rade gegen mich zu die beiden Junker floh'n,

Und hinten der Bär, schon packend – am Kopf des Grafen schon,

Des letzten der Horeszko! – wenn auch von Mutterseite.

Jesus, Maria! schrie ich: da kam der Sieger im Streite,

Von himmlischen Engeln gesendet, der Bernhardiner, heran;

Er hat uns Alle beschämt! O wackrer Gottesmann!

Ich zittere, kann mich nicht die Waffe zu heben entschließen, –

Er reißt mir sie weg, und Eins war: wegreißen – zielen – und schießen!

So schießen! zwischen zwei Köpfe! und treffen! auf hundert Schritte!

Die Zähn' ihm herauszuschlagen! g'rad' in des Rachens Mitte! –

Hört, ich bin ein alter Mann, doch hab' ich nur Einen gekannt,

Der so etwas von Schuß zu leisten war im Stand,

Nur jenem einst so berühmten Raufbold traut' ich's zu,

Jenem, der den Frauen den Absatz schoß vom Schuh,

Dem Schurken aller Schurken, für ewige Zeiten bekannt,

Dem Jacek, vulgo Schnauzbart, (sein Name sei nicht genannt);

Doch Bären jagt er jetzt wohl nicht, der Lumpengeselle,

Bis über den Schnauzbart sitzt er ganz sicher in der Hölle.

Dem Priester Lob! Zwei Menschen rettete er das Leben,

Vielleicht auch drei'n; Gervasius will sich nicht erheben:

Doch wär' das letzte Kind aus der Horeszko Haus

Der Bestie Opfer geworden, so wär' es mit mir aus –

Dann hätte der Bär auch meine alten Knochen verzehrt;

Kommt, Pater, auf Euer Wohl sei nun ein Glas geleert!«


Vergebens sucht man den Mönch; sie können nur so viel sagen,

Er sei auf ein Weilchen erschienen, nachdem das Wild erschlagen,[104]

Sei auf den Grafen und Thaddäus losgesprungen,

Und als er Beide heil sah und Alles wohl gelungen,

Hab' er die Augen erhoben, still ein Gebet gesagt,

Und sei dann in's Feld gelaufen, wie von Feinden gejagt.


Indeß wird auf Wojski's Befehl aus Bündeln Haidekraut,

Trockenem Reisig und Klötzen ein Holzstoß aufgebaut;

Aufflammt's, anwächst der Rauch, ein grauer Fichtenbaum,

Und wie ein Baldachin, dehnt er sich hoch im Raum.

An's Feuer legt man die Speere in Pyramiden zu Hauf,

Bauchige Kessel hängt man an den Spitzen auf,

Bringt von den Wagen Gemüse und Bratenstücke zum Mahl

Und Mehl und Brot.

Der Richter öffnet ein Futteral,

Drin ragen weiße Köpfe von Fläschchen in langen Reih'n;

Er wählt das größte, aus Krystall gefertigt fein, –

Vom Pater Robak bekam's der Richter zum Geschenk:

Ein Danziger Schnaps, in Polen ein beliebtes Getränk.

»Hoch Danzig!« rief der Richter und schwang die Flasche empor,

»Hoch Danzig, einstmals unser, bald unser, wie zuvor!«

Und füllt mit dem silbernen Naß rings alle Gläser an,

Bis, in der Sonne glitzernd, das Gold zu tropfen begann.18


In Kesseln kocht man Bigos. Wie aber stellt man dar,

Wie Bigos schmeckt und aussieht und duftet wunderbar?

Es hört den Klang der Worte, der Reime im Gedicht,

Doch ihren Inhalt faßt der städtische Magen nicht.

Um Lithauer Lieder und Speisen zu würd'gen, dazu gehören

Drei Dinge: Landluft, – Gesundsein und von der Jagd Heimkehren.


Doch ohne die Würzen ist Bigos auch so verächtlich nicht,

Ist ein aus guten Gemüsen gar künstlich gebildet Gericht;

Es wird dazu gehacktes Sauerkraut genommen,

Das, laut dem Sprichwort, von selbst kommt in den Mund geschwommen;

Im Kessel verschlossen, bedeckt's mit seinem feuchten Schooß

Die besten Stücke von Fleisch, das selbst schon tadellos.

Man prägelt es, bis die Glut, was es an Säften besitzt,[105]

Auspreßt, daß über die Ränder das siedende Wasser spritzt,

Und rings herum in die Lüfte sich der Duft ergießt.


Der Bigos ist gar, – von den Schützen mit dreifachem Vivat begrüßt.

Sie kommen mit Löffeln und stoßen hinein, das Erz klirrt hell,

Der Dampf wallt auf; der Bigos, wie Kampfer, verfliegt er schnell, –

Verschwunden ist er, verflogen; nur aus der Kessel Gründen

Dampft's noch herauf, wie aus erloschnen Kraterschlünden.


Nachdem man Geschirr und Gläser nach Herzenslust geleert,

Lädt man das Thier auf den Wagen, Alles setzt sich zu Pferd,

Gesprächig und froh, nur nicht Assessor und Notar:

Ihr Streit von heute ist grimmer, als der von gestern war;

Sie streiten um ihrer Flinten Tugenden und Ehr',

Der um die Sagalasbüchse, der um's Sanguszkogewehr.

Thaddäus und der Graf sind auch nicht eben froh,

Ein Jeder schämt sich, daß er gefehlt und daß er floh, –

Denn wenn Einem in Lithauen so ein Wild entwischt,

Hat er sich lang zu plagen, bis er die Scharte verwischt.


Der Graf behauptet, er sei zuerst zum Speer gesprungen:

Thaddäus stört' ihn, daß er auf's Wild nicht eingedrungen, –

Thaddäus sagt, er wollte, da er der Stärkere wär'

Und der Geschicktere auch, für einen so schweren Speer,

Einspringen für den Grafen, – so reden sie und streiten

Dann und wann mit einander, unter den lärmenden Leuten.


Der Wojski ritt in der Mitte; besonders gesprächig und heiter

War heut' der würdige Alte; er hätte gern die Streiter

Zerstreut, wo möglich versöhnt; so knüpft er wiederum an,

Was er vorhin von Domejko und Dowejko begann:

»Assessor, wenn ich den Zweikampf vorschlug, meint drum nicht,

Ich wär', behüte Gott, auf Menschenblut erpicht;

Ich wollt' euch unterhalten, wollt' zu eurem Ergetzen

Nur einen alten Schwank nochmals in Scene setzen,

Den ich vor vierzig Jahren ersonnen: – ein Meisterstück!

Ihr seid noch jung, ihr denket nicht so weit zurück;[106]

Doch einst hat von dem Stücklein die Kunde wiedergehallt

Von der Lithauer Wildniß bis zum Podlachischen Wald.


Domejko's und Dowejko's sämmtliche Händel kamen,

Verwunderlicher Weise, von ihren ähnlichen Namen.

Es war sehr unbequem. Wenn in der Kreistagszeit19

Dowejko's Freunde ihm Stimmen warben voll Emsigkeit,

Was half's? Man flüstert dem Schlachcic: du, stimme für Dowejko, –

Und er versteht es falsch und stimmt dann für Domejko.

Toastirte beim Mahle der Marschall Rupejko:

Vivat Dowejko! – so schrei'n die Andern: Domejko!

Und wer in der Mitte saß, der kannte sich gar nicht aus,

Zumal man nicht so deutlich spricht bei solchem Schmaus.


Es kam noch ärger. In Wilno schlug ein besoff'ner Gesell

Sich mit Domejko, bekam auch zwei Wunden, im Säbelduell;

Und wie er dann aus Wilno wieder nach Hause schifft,

Fügt sich's, daß er Dowejko an der Fähre trifft.

Während er nun mit Diesem auf der Wilejka fährt,

Frägt er ihn, wer er sei – und kaum er ›Dowejko‹« hört:

Stracks, zieht er sein Rappier – er glaubt, es sei Domejko, –

Bims, bums, und statt Domejko kriegt's um's Maul Dowejko.

Zuletzt, das Maß zu vollenden, muß es noch gescheh'n,

Daß beide Namensvettern einst neben einander steh'n

Bei einer Jagd, und Beide in einem Augenblick

Auf eine Bärin schießen. Seltsames Mißgeschick!

Freilich, nach ihrem Schusse fiel sie auf der Stell',

Doch hatte sie zehn Kugeln von früher schon im Fell,

Flinten von einem Kaliber mochten sich viele finden, –

Wer hat sie erlegt? Jetzt such'! Wie soll man das ergründen?


Da schrie'n sie: »Genug, nun muß es enden zwischen uns Beiden!

Verband uns Gott oder Teufel: wir müssen für immer scheiden!

Wir zwei sind, wie zwei Sonnen, zu viel in dieser Welt!

Also zum Säbel gegriffen und in Distanz gestellt.

Zwei würdige Männer, und hauen so auf einander los!

Je mehr die Schlachta beschwichtigt, je grimmer folgt Stoß auf Stoß.[107]

Sie wechseln die Waffen, vom Säbel geht's zum Schießgewehr,

Sie steh'n, – wir schreien: Ihr kürzt ja die Distanz zu sehr! –

Sie schwören zum Trotz, sich zu schießen über ein Bärenfell:

Fast Lauf an Lauf! das ist ja ein Morden und kein Duell!

Sie schossen Beide vortrefflich. – Hreczecha, sekundir'!

Gut, sag' ich – grabe der Küster sogleich die Grube hier,

Das kann nicht harmlos ausgeh'n. Doch wollt nur Eins beachten:

Ihr sollt euch adlig schlagen, nicht metzgermäßig schlachten,

Genug an der kurzen Distanz; Kerle (ich weiß das zu schätzen)

Seid ihr, – doch wollt ihr die Flinten euch auf die Bäuche setzen?

Das duld' ich nicht. Pistolen? Gut, ich stimme bei –

Doch daß die Distanz nicht länger und auch nicht kürzer sei,

Als über ein Bärenfell. Ich selbst, als Sekundant,

Breit' aus das Fell am Boden mit meiner eignen Hand,

Ich selber stell' euch auch in richtige Distanz,

Ihr kommt an's End' der Schnauze, und Ihr kommt an den Schwanz.

Gut! – schrie'n sie; Zeitpunkt? – Morgen! Ort? – Uszaschenke der Ort! –

Sie schieden. Ich aber mach' mich an den Virgil so fort.«


Da unterbricht's ihn: »Hussah!« – Hervorschlüpft zwischen den Rossen

Ein Hase; schon ist Mutz, schon Falk ihm nachgeschossen;

Man hatte sie mitgenommen, weil's doch leicht geschieht,

Daß man im Feld ein Häslein vorüberhuschen sieht;

Sie liefen ohne Koppel, – wie sie den Hasen erblicken,

Rennen sie hurtig nach, noch ehe die Herrn sie schicken.

Auch Notar und Assessor wollten nachgaloppiren,

Da schrie der Wojski: »Halt! nicht von der Stelle rühren!

Hier seh'n wir Alle gut – bleibt stehen und paßt auf:

Dort ist der Hase, – nimmt jetzt querfeldein den Lauf.«

So war's; er fühlt den Feind im Rücken und rennt in's Feld;

Die beiden Löffel wie zwei Rehhörnchen aufgestellt,

Er selbst, wie ein grauer Streif, lang über's Feld gestreckt,

Die Läufe gleich vier Stöckchen und wie in die Erde gesteckt,

Als regt' er sie nicht und glitte nur über den Boden hin,

Wie eine Schwalbe die Flut küßt im Vorüberflieh'n.

Staub folgt ihm, hinter dem Staub die Hunde, – von Ferne scheint[108]

Staub, Hase und Hundepaar zu einem Körper vereint,

Als käme eine Natter durch's Feld dahergewunden,

Der Hase ihr Kopf, der Staub zum bläulichen Hals verbunden,

Als wedelnder Doppelschwanz auslaufend in den Hunden.


Mit offenem Mund, kaum athmend, schau'n auf das Hundepaar

Die beiden Herrn. Da – – blaß wird, wie ein Tuch, der Notar,

Bleich wird auch der Assessor: o welch' ein Mißgeschick!

Die Natter wird immer länger, je ferner sie dem Blick,

Schon reißt sie entzwei, schon sieht man den staubigen Hals verschwinden,

Der Kopf ist schon beim Wald, die Schwänze, weiß Gott wo hinten –

Der Kopf verschwindet, noch einmal winkt's wie ein buschiger Streif –

Der Kopf versinkt, am Walde reißt ab der Doppelschweif.


Die Hunde laufen am Wald hin, wie auf's Hirn geschlagen,

Bald scheinen sie sich zu berathen, bald sich anzuklagen, –

Endlich kehren sie um und kommen langsam gesprungen,

Mit hängenden Ohren, die Schwänze zwischen die Beine geschlungen;

Angelangt, wagen die Ärmsten vor Scham kaum aufzuseh'n,

Und statt zu den Herrn zu gehen, bleiben sie seitwärts steh'n.


Niedersenkt der Notar die Stirne, gramumhüllt, –

Umherblickt der Assessor, doch nicht von Freud' erfüllt;

Dann fangen sie beide an, den Hörern auszuführen,

»Wie wenig die Hunde gewohnt, sich ohne Koppel zu rühren,

Wie plötzlich der Hase hervorkam, wie schlecht er gehetzt war im Feld,

Wo Alles mit scharfen Steinen und Kieseln so vollgestellt, –

Die Hunde müßten dort nur förmlich Stiefel tragen –«


Recht klug ist, was die beiden erfahrenen Jäger sagen;

Die Andern hätten sollen zuhören und begreifen,

Sie hätten viel profitirt. Doch die beginnen zu pfeifen,

Die laut zu lachen, die denken noch an die Jagd von heute,

Und plaudern über die Treibjagd und die erlegte Beute.

Der Wojski schenkte dem Hasen kaum einen flücht'gen Blick,

Wie er ihn dann entwischt sieht, dreht er sich kalt zurück

Und schließt die Märe: »Also, wie weit bin ich gekommen?«[109]

Ja, richtig, wie ich die Beiden damals beim Wort genommen,

Sich über ein Bärenfell zu schießen; – da schrie im Chor

Die Schlachta: Unfehlbarer Tod! Beinahe Rohr an Rohr!

Ich lachte. Kannt' ich doch sehr wohl Freund Maro's Lehr',

Ein Thierfell sei kein Maß, wie andre Maße mehr.

Die Herren wissen, wie einst nach Libyen im Boot

Die Königin Dido kam und mit genauer Noth

Sich von den Leuten ein solches Fleckchen Land erstand,

Als man mit einem Ochsenfelle überspannt.20

Auf diesem Fleckchen erhob sich Karthago's Macht und Pracht, –

Das also überdacht' ich mir sorgsam in der Nacht.


Kaum tagt's, als hier am Ufer vom Roß Domejko springt,

Und drüben eine Kalesche den Dowejko bringt;

Sie schau'n – da, durch den Fluß, liegt eine zottige Brücke,

Ein Riemen aus Bärenfell, zerschnitten in kleine Stücke;

An beiden Ufern stellt' ich die Beiden in Distanz,

Domejko an die Schnauze, Dowejko an den Schwanz.

»Jetzt,« rief ich, »knallt, und wär's, bis euer Leben endigt,

Ich lasse euch nicht los, als bis ihr euch verständigt!«

Sie wüthen – und die Schlachta kugelt sich vor Lachen;

Ich und ein Priester beginnen Vorstellungen zu machen,

Citiren die Schrift, das Gesetz: ich ließ mich's nicht verdrießen,

Was wollten sie thun? sie lachten und mußten Frieden schließen.


In Freundschaft bis zum Tod verwandelte sich ihr Streit,

Dowejko hat bald nachher Domejko's Schwester gefreit,

Während Domejko die Schwester Schwager Dowejko's nahm;

Sie theilten ihr Hab' und Gut, daß Jeder die Hälfte bekam, –

Und dort, wo sich ereignet das wundersame Märlein,

Erbauten sie eine Schenke und nannten sie: das Bärlein.

1

Nach der Sage träumte Gedymin, Großfürst von Lithauen auf dem Ponarer Berge von einem eisernen Wolf, und erbaute dann auf den Rath des Wajdeloten Lizdejko die Stadt Wilno. (Gedymin [reg. von 1315 bis 1341]), wie seine Söhne Kiejstut und Olgierd führten jene riesenhaften Kämpfe gegen den deutschen Ritterorden in Preußen, die Jahrzehnte lang Lithauen und das Ordensgebiet beinahe zu einem einzigen großen Schlachtfeld machten. Witold, der Sohn des Kiejstut, und namentlich Jagiello, Olgierd's Sohn, der von 1386 an zugleich König von Polen war, setzten den Krieg fort, der schließlich mit der entsetzlichen Niederlage der Ordensritter bei Tannenberg (1410) endigte. d.Ü.)

2

Siegmund August, König von Polen (1548-1572), wurde nach altem Brauch auf den Thron des Großfürstenthums Lithauen erhoben: er umgürtete sich mit dem Schwert und krönte sich mit dem Kolpak. Er war ein eifriger Waidmann.

3

Im Rosieny'er Kreis stand auf dem Besitzthum des »Landesschreibers« (vgl. Schluß) Paszkiewicz eine unter dem Namen Baublis bekannte Eiche, die einstmals, in den heidnischen Zeiten, als Heiligthum verehrt worden war. Im Innern dieser vermoderten Riesin legte Paszkiewicz ein Cabinet lithauischer Alterthümer an.

4

Unweit der Pfarrkirche von Nowogrodek ragten uralte Linden, die im J. 1812 zum großen Theil umgehauen wurden.

5

Der Dichter Johannes Kochanowski (1530-1584), vornehmlich durch seine ergreifenden Elegieen (»Treny«) berühmt, wohnte auf seinem Gute Czarnolas (»Schwarzwald«), in glücklicher Abgeschiedenheit. Selbst den Bemühungen des Königs Stefan Bathory gelang es nicht, ihn von seinem trauten Heim hinweg und an den Hof zu ziehen. (d.Ü.)

6

Bezieht sich auf eine Stelle in Seweryn Goszczynski's Dichtung: »Das Schloß von Kaniow«:

»Raunt dem Kosaken jener geschwätzigen Eiche Wehen

Ein traurig Lied vom Jammer, den dieses Land gesehen?«

Goszczynski's Dichtung ist übrigens nach Inhalt und Charakter ein wahres Kosakenlied, voll des düster-prächtigen Geistes der Steppe. (d. Ü).

7

Kolomyjken, ruthenische Lieder in der Art der polnischen »Mazuren« oder, wie sie im Deutschen genannt werden, »Mazurka's«.

8

Ausonen, die alte Bevölkerung des südwestl. Theils von Italien, namentlich Campaniens. Hier überhaupt »Italien« gemeint. Das Lied ist der »Dombrowskimarsch«. (d.Ü.)

9

Vgl.

10

Der Ehrenplatz, wo früher die Hausgötter zu stehen pflegten, wo die Russen noch bis zum heutigen Tage ihre Bilder hinhängen. Der Lithauer Bauer weist dem Gast, den er ehren will, an dieser Stelle seinen Sitz an.

11

Czenstochau lag im Herzogthum Warschau, also in jenem polnischen Gebiet, das man um diese Zeit (1811) als den Kern eines bald wiederherzustellenden Polenreiches ansah. Vgl. zum ganzen Abschnitt die (d.Ü.)

12

Die russische Kirche; – d.h. eben: Lithauen ist unter russischer Herrschaft. (d.Ü.)

13

Convertiten pflegten oft, um ihre Anhänglichkeit an den neuen Glauben zu documentiren, ein Kreuz in's Familienwappen aufzunehmen. (d.Ü.)

14

Poraj, eine Art Wappenzeichen. (d.Ü.)

15

Die Schnabel der großen Raubvögel verkrümmen sich im Alter immer mehr, und endlich biegt sich der Obertheil so weit ein, daß er den Schnabel versperrt und der Vogel Hungers sterben muß. Es ist die eine Volksmeinung, die auch einige Ornithologen angenommen haben.

16

In der That giebt's kein Beispiel, daß man das Skelett eines verendeten Thieres da gefunden hätte.

17

»Vöglein« (»Ptaszynki«) nennt man im Polnischen gewisse Flinten kleinen Kalibers, die mit einer winzigen Kugel geladen werden. Gute Schützen treffen damit einen Vogel im Flug.

18

In den Danziger Schnapsbouteillen liegen kleine Goldblättchen auf dem Boden der Flasche.

19

Kreistage oder Landschaftstage, Landschaftsversammlungen (Sejmiki) wurden im ganzen Gebiete Polens und Lithauens abgehalten, und bildeten zumeist den eigentlichen Kernpunkt des Verfassungslebens. Jede Landschaftsversammlung (wie auch jede Conföderation, die oft viele Landschaften umfaßte) wählte ihren Marschall. Zu den Hauptaufgaben dieser Versammlungen gehörte die Wahl der Landboten für den Reichstag, das Ertheilen von Instructionen an dieselben und die Entgegennahme ihrer »Relationen« oder Rechenschaftsberichte. An die Instructionen der »Sejmiki« mußten sich die Deputirten streng halten. (d.Ü.)

20

Die Königin Dido ließ eine Ochsenhaut in Riemen zerschneiden und umschloß auf diese Weise mit dem Fell eine weite Ebene, auf der sie hernach Karthago gründete. – Der Wojski hatte die Beschreibung dieses Ereignisses wahrscheinlich nicht in der Aeneide des Virgil, sondern in den Kommentaren der Scholiasten gelesen.

NB. Einige Stellen im 4. Gesang sind von Stefan Witwicki.

Quelle:
Mickiewicz, Adam: Herr Thaddäus oder der letzte Einritt in Lithauen. In: Poetische Werke, Leipzig 1882, Band 1, S. 80-110.
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