Zehnter Gesang.
Die Emigration. Jarek.

[220] Berathung über die Sicherheit der Sieger. – Verhandlungen mit Rykow. – Abschied. – Wichtige Enthüllung. – Hoffnung.


Jene Dünste des Morgens, – erst, schwarzen Vögeln gleich,

Zerstreut, – sie ballen sich nun in höherem Himmelsbereich

Dicht und dichter. Die Sonne hat kaum den Mittag verlassen,

Und schon umlagert's die Hälfte des Himmels in dunklen Massen,

Als mächtige Wolke. Der Wind braust auf und jagt und drängt sie,

Die Wolke wird immer schwärzer, immer niederer hängt sie,

Bis sie, halbabgerissen vom Himmel, mit Einem Saum

Zur Erde niedergebeugt und hingebreitet im Raum,

Als weites Segel, das alle Winde in sich zieht,

Vom Süden her nach Westen über den Himmel flieht.


Und es war eine Weile des Schweigens, und es hangen

Lautlos und dumpf die Lüfte, wie verstummt vor Bangen;

Und das Getreide des Feldes, das früher, niederfallend

Und wieder mit goldenen Ähren in die Höhe wallend,

Wie Wogen gebraust: jetzt steht es regungslos im Feld,

Und mit gesträubten Halmen blickt's auf zum Himmelszelt.

Die Reihe der Pappeln und Weiden, die an den Wegen stand,

Die früher, wie Klagefrauen an offenen Grabes Rand,

Die Stirn an den Boden geschlagen, die langen Arme gerungen,

Die silberumsäumten Flechten weit durch die Lüfte geschwungen:[221]

Jetzt ragen sie leblos, – wie erstarrt in stummem Weh',

Gleich wie auf Sipylos die steinerne Niobe.

Das Espenlaub nur zittert, das graue, immerrege.


Die Heerde, während der Heimkehr sonst immer matt und träge,

Erwartet jetzt nicht den Hirten, es schaaren sich eilig die Haufen,

Um, der Weide nicht achtend, rasch nach Hause zu laufen.

Der Bulle scharrt mit den Klauen, wühlt mit dem Horn in der Erde,

Mit unheilkündendem Brüllen erschreckt er die ganze Heerde;

Die Kuh mit dem großen Aug' blickt wieder und wieder hinauf,

Öffnet verwundert das Maul und seufzt gen Himmel auf;

Dort, weiter, grunzt das Mastschwein, knirscht mit den Zähnen und schnaubt,

Und rafft sich Garben zusammen, die es zum Vorrath raubt.

Versteckt sind die Vögel: im Wald, im Söller, im hohen Feld, –

Nur Krähen haben sich schaarweis um die Teiche gestellt,

Wo sie gemessenen Schritts nun auf und nieder gehen,

Mit schwarzen Augen empor zum schwarzen Himmel spähen,

Aus trockenem Schlund die Zunge vorstrecken, in weitem Rad

Die Flügel entfalten – so warten sie auf das frische Bad:

Doch sehen auch sie das Wetter zu drohend näher zieh'n,

Und, wie eine Wolke emporschwebt, flieh'n sie zum Walde hin.

Nur noch die Schwalbe sieht man, den unvergleichlichen Schwingen

Übermüthig vertrauend, pfeilschnell die Wolken durchdringen, –

Dann fällt sie, wie eine Kugel, herab.


In dem Moment

War eben in Soplicowo der wüthende Kampf zu End',

Die Schlachta birgt sich schaarweis in die Häuser und Scheuern,

Das Feld verlassend, wo bald den Kampf, den ungeheuern,

Die Elemente beginnen.


Noch schwand im Westen nicht ganz

Das Licht von der Erde: ein düst'rer, gelblich-rother Glanz;

Die Wolke entrollt ihre Schatten, wie eines Netzes Maschen,

Fängt auf die Reste des Lichts, – und wie um die Sonne zu haschen,

Bevor sie versinkt, so fliegt sie ihr vor auf ihren Wegen.[222]

Schon hört man Wirbel um Wirbel pfeifend am Boden fegen,

Einer jagt den Andern und wirft aus dunklem Schooß

Tropfen, wie Hagelkörner, rund und hell und groß. –

Nun aber entbrennt der Ringkampf, die Wirbel reißen entzwei,

Die Winde schlagen sich, drehen sich, kreisen in brausender Reih'

Über den Teichen, trübend bis in die Gründe greift es, –

Jetzt stürzen sie auf die Auen, durch Sträucher und Gräser pfeift es,

Die Äste zerkrachen, – wie ausgeraufte Haare eilen

Grasschwaden und Garbenlocken vorüber. Die Winde heulen,

Werfen sich auf den Acker, balgen, wühlen, beißen,

Um endlich dem dritten Wirbel ein Thor durch die Schollen zu reißen,

Der aus dem Acker auffährt als schwarzschollige Säule,

Als fliegende Pyramide sich hinwälzt, – mit wildem Geheule,

Den Grund mit dem Kopf durchbohrt und in die himmlische Ferne

Sand aufwirft von den Füßen in die Augen der Sterne.

Er bläht sich, verbreitert sich – oben erschließt sich ein weiter Mund,

Und zum Gewitter trompetet des Riesenhornes Schlund!

Da stürzen die Winde mit all' dem Chaos von Flut und Staub,

Von ausgerissenem Grün, von Stroh und Ästen und Laub,

Hinein in den Wald und brüllen auf den pfadlosen Wegen,

Wie Bären, durch die Wildniß.


Und schon plätschert der Regen

Wie aus dichtem Sieb. Da donnert's in wuchtigen Schlägen!

Die Tropfen fließen zusammen, – bald wie gerade Saiten,

Himmel und Erde verfechtend durch die unendlichen Weiten,

Bald strömt es, wie aus Eimern, schichtweis, mit aller Macht.

Schon liegen Himmel und Erde wie in finst'rem Schacht,

Nacht deckt sie – und der Sturm, der schwärzer als die Nacht.

Manchmal zerbirst der Umkreis von einem zum andern Saum:

Der Engel des Sturms erstrahlt als Riesensonne im Raum –

Dann wirft er über's Antlitz das Grabtuch, wie zuvor,

Flieht in den Himmel und donnernd schließt er das Wolkenthor.

Und voller strömt es hernieder, laut und lauter pfeifen

Die Winde, – das Dunkel dicht und körperhaft, fast zum Greifen.

Nun plätschert es leiser; ein Weilchen schläft des Donners Wuth,

Wieder erwacht er, brüllt, – noch eine Regenflut;[223]

Bis Alles sich beruhigt. Nur der Regen rinnt

Murmelnd, – und die Bäume um's Haus durchrauscht der Wind.


Das kam heut' wohl erwünscht! Denn Wetter und Regenguß

Verhüllten das Schlachtfeld, zerstörten die Brücken über den Fluß,

Überschwemmten die Wege; so hat die Gewitternacht

Zur unzugänglichen Veste das ganze Vorwerk gemacht.

Heut' also konnte von dem, was sich mit der Schlachta begab,

Die Gegend noch nichts erfahren; Alles war still, wie das Grab:

Und eben vom Geheimniß hing ja ihr Schicksal ab. – –


Beim Richter ist große Berathung; – da liegt, auf's Bett gestreckt,

Der Bernhardiner, bleich, erschöpft und blutbefleckt,

Jedoch bei völlig gesunden Sinnen. Er ertheilt

Befehle, die der Richter rasch zu vollziehen eilt.

Er bittet den Kämm'rer hinein, läßt Rykow zu sich führen,

Ruft auch den Schließer dazu, dann versperrt man die Thüren.

Eine volle Stunde wird so geheim berathen.

Zuletzt wirft Hauptmann Rykow einen Beutel Dukaten

Auf den Tisch hin und fährt mit folgenden Worten darein:

»Das soll ja, ihr Herren Polen, bei euch ein Grundsatz sein,

Daß jeder Russe ein Dieb ist. Nun, fragt wer, sagt ihm dies:

Ihr hättet einen Russen gefunden, dieser hieß

Nikita Nikitycz Rykow, war Hauptmann – hatt' acht Medaillen,

Drei Kreuze, bitte zu merken, für verschied'ne Bataillen.

Diese Medaille für Oczakow, die für Ismailow,

Die für die Schlacht bei Novi, diese für Prejsiz-Ilow1,

Die: weil er an Korsakow's Rückzug von Zürich theilgenommen,

Hat auch einen Degen für Tapferkeit bekommen,

Ferner: vom Feldmarschall Anerkennungen dreimal,

Viermal Erwähnungen, vom Kaiser Belobungen zwei mal,

Alles schriftlich –«


»Aber, aber, Hauptmann, sag',«

Versetzt nun Robak, »was denn aus uns hier werden mag,

Wenn du dich jetzt nicht einigst! Gabst uns doch das Wort,

Die Sache zu begleichen!«
[224]

»Ich geb's auf's Neu, sofort.

Da habt ihr's! Will ich euch denn verderben, liebe Herrn?

Ich bin ein ehrlicher Mann, ich hab' euch Polen gern,

Denn ihr seid lustige Leute, mit euch ist gut zu saufen,

Und seid auch tapfere Leute, mit euch ist gut zu raufen.

Wir Russen haben ein Sprichwort: Fährt Einer auf dem Wagen,

Kommt er auch oft darunter; man schlägt, man wird geschlagen;

Heut' vorne, morgen hinten. Ei, was sollt's da geben,

Um bös zu sein? Das ist so bei uns Soldatenleben.

Bös sein um Verluste! wo nähm' man so viel Grimm

Und Galle her? – Der Tag von Oczakow war schlimm:

Bei Zürich vernichtete uns der Feind die Infanterie,

Bei Austerlitz verlor ich die ganze Compagnie,

Wie ich Sergeant war, fiel mein P'loton, bei Raclawice,

Von eures Kosciuszko Sensen; – was thut's? Bei Maciejowice

Hab' ich dann selbst zwei tücht'ge Schlachcicen niedergemacht,

Einer war Mokronowski, der am Tag der Schlacht

Vor der Front mit seiner Sense auf- und abschritt,

Und einem Kanonier die Hand sammt Lunte abschnitt. –

O! Ihr Polen, ihr! ja, Vaterland! meiner Seel'!

Ich fühl's! ich, Rykow, bedaur' euch: doch ist's des Czaren Befehl!

Was gehen die Polen uns an? Polen gehör' den Polen,

Rußland den Russen! – was hilft's! der Czar hat's anders befohlen!«


Darauf der Richter: »Herr Hauptmann! daß Ihr ein ehrlicher Mann,

Das wissen wir; Keiner von unsern Landsleuten zweifelt daran,

Bei denen Ihr seit so vielen Jahren einquartiert.

Freund, über diese Gabe seid nicht indignirt;

Wir haben Euch damit nicht zu verletzen geglaubt;

Wir wußten, Ihr seid nicht reich, – drum haben wir's uns erlaubt.«


»Ach!« rief Rykow, »die Jäger! die ganze Truppe vernichtet,

Meine Truppe! Der Plut hat Alles angerichtet!

Er ist der Commandant, – wird, was er angestellt,

Beim Czaren vertreten müssen! – Ihr aber, behaltet dies Geld;

An meinem Hauptmannssold ist wohl nicht viel Gewinn,

Doch für ein Pfeifchen Tabak, ein Pünschchen, reicht er hin.
[225]

Euch hab' ich gern, mit euch ess' ich und trink' gemüthlich,

Tolle und plaudere mich aus, und lebe mir so gütlich.

Also, ich schütz' euch. Nimmt es gerichtlichen Verlauf,

So zeuge ich für euch, mein Manneswort darauf!

Wir sagen, daß wir einfach zu Besuch gekommen:

Hätten getanzt, getrunken, uns etwas übernommen, –

Plut commandirte ›Feuer,‹ es fuhr ihm so aus dem Mund,

Ein Kampf, – und nun, da ging halt das Bataillon zu Grund.

Ihr, meine Herrn, ihr schmiert nur die Procedur mit Gold,

Wir schwindeln uns schon heraus. Nun, – was ich sagen wollt' –

Ich sagt' es schon dem Schlachcic, dem mit langem Rappier:

Ich war im Commando der zweite, Plut war über mir.

Plut blieb am Leben, und wenn er mit irgend einer Finte

Euch eintunkt: das ist ein Fuchs, – dann sitzt ihr in der Tinte!

Das Maul muß man ihm stopfen mit einem Bankpapier.

Nun, Ihr, Herr Schlachcic, Ihr dort mit dem langen Rappier,

Wart Ihr schon beim Plut, was habt Ihr abgemacht?«


Gervasius sieht sich um, streichelt die Glatze sacht,

Erwidert gar nichts, winkt nur mit der Hand leichthin,

Als hätt' er schon Alles besorgt. Doch Rykow dringt in ihn:

»Nun, wird er schweigen, hat er's bindend zugesagt?«

Ergrimmt, daß ihn der Hauptmann mit seinen Fragen plagt,

Biegt Gervas den Daumen gewichtig zum Boden hinab,

Winkt mit der Hand, als schnitt' er alles Weitere ab,

Und sagt: »Ich kann's bei meinem Federmesser beschwören:

Plut verräth nichts – Niemand wird je was von ihm hören.«

Läßt dann die Hände sinken, die Finger leis' erknattern,

Als ließ' er das ganze Geheimniß aus den Händen flattern.


Der dunklen Geberde braucht er nichts mehr hinzuzufügen:

Die Hörer verstehen: Jeder forscht in des Andern Zügen,

Nach langem düst'rem Schweigen sagt Rykow: »Der Wolf hat geraubt,

Nun fiel er selbst zum Raub«. Der Kämm'rer schüttelt das Haupt:

»Requiescat in pace!« sagt er vor sich hin.

»Nun,« schloß der Richter, »es ist ein Finger Gottes darin;

Ich bin des Blutes nicht schuldig, – ich wußt' nicht, was geschah.«[226]

Der Mönch fuhr auf vom Kissen und saß verdüstert da,

Dann sagt er und blickt den Schließer scharf an: »Die Sünd' ist groß!

Einen Gefangenen tödten, der wehr- und waffenlos!

Am Feind selbst Rache zu nehmen, hat Christus untersagt;

Gott wird Euch richten, Schließer, wenn Euch dies Blut verklagt;

War's dumme Rache, so kommt Euch nichts Milderndes zu Gute, –

Es mildert nur, wenn's gescheh'n pro publica salute.«

Der Schließer schüttelt Haupt und Hand mit leichtem Muthe,

Und blinzelnd wiederholt er: »Pro publica salute«.


Von Plut ward nichts mehr gesprochen; man sucht' ihn im ganzen Haus

Am nächsten Tag, – man setzte eine Belohnung aus

Für seine Leiche: vergebens! es wurde nichts gefunden,

Als wär' er in's Wasser gefallen, so war er spurlos verschwunden.

Was aus ihm geworden? so Manches erzählt die Mähr',

Doch wußte man nichts Bestimmtes, nicht damals, noch nachher.

Wenn man den Schließer quälte, wenn das Fragen nicht ruhte:

Er sagte nichts, als nur: Pro publica salute.

Der Wojski war im Geheimniß; doch schwieg der würdige Mann,

Durch's Ehrenwort gebunden, wie unter einem Bann.


Rykow verließ das Zimmer, da Alles beglichen war;

Auf Robak's Geheiß erscheint nun die tapfre Schlachtaschaar,

Und ernst beginnt der Kämm'rer: »Brüder! im heutigen Streite

Neigte der Segen Gottes den Sieg auf unsere Seite;

Aber, ihr Herrn, ich muß euch ohne Beschönigung sagen,

Die Kämpfe zur Unzeit können böse Früchte tragen.

Wir haben gefehlt, wir Alle; Robak hat gefehlt,

Weil er seine Berichte zu eifrig herumerzählt;

Der Schließer und die Schlachta verstanden sie wieder verkehrt:

Der Krieg mit Rußland ist noch lange nicht erklärt.

Denjenigen, die an dem Kampf am thätigsten theilgenommen,

Kann nun der Aufenthalt in Lithauen schlecht bekommen:

Ihr müßt in's Herzogthum, ihr Herrn, so rasch ihr könnt, –

Und namentlich Mathias, der sich den Täufer nennt.

Scheermesser, Kännchen, Thaddäus, eilt über den Niemen fort,

Die Heerschaar unseres Volkes erwartet die Brüder dort.
[227]

Wir geben die ganze Schuld euch Flüchtigen und Plut,

Und retten den Rest des Stammes vor des Feindes Wuth.

Lebt wohl, wir seh'n uns bald; – in sicherer Zuversicht

Erwarten wir für den Frühling der Freiheit erstes Licht,

Und Lithauen, das euch heute sieht in's Elend geh'n,

Als sieggekrönte Befreier wird's bald euch wiederseh'n!

Der Richter bereitet zur Reise Alles, was euch nöthig,

Auch ich bin gern nach Kräften mit Geld zu helfen erbötig.«


Klug ist des Kämmerers Rath, das muß sich die Schlachta sagen,

Denn wer mit dem russischen Czaren sich einmal zertragen,

Wird's nimmer mit ihm auf Erden zu wahrem Frieden bringen.

Er muß in Sibirien modern oder weiter ringen. –

Sie blicken einander an, und seufzen stumm-beklommen,

Dann nicken sie, zum Zeichen, daß sie's angenommen.


Der Pole, dem man ja nachrühmt, daß er mehr, als das Leben,

Sein Land liebt, ist doch immer bereit, es aufzugeben,

In die Fremde zu wandern, die Jahre dort hinzubringen,

Heimatlos und im Elend, mit Welt und Schicksal zu ringen,

So lang' ihm noch im Sturme und in des Glücks Ruinen

Die Eine Hoffnung leuchtet: dem Vaterland zu dienen.


Alle erklären, sofort zur Fahrt bereit zu sein;

Nur dem Herren Buchmann leuchtet das nicht ein:

Buchmann, ein kluger Mann, hielt sich vom Kampfe fern.

Doch zur Berathung kam er, abstimmen will er gern.

Der Antrag gefällt ihm, er will nur, daß man's anders mache,

Er will ihn entwickeln, tiefer eingeh'n in die Sache;

Möcht' aber vorher eine legale Commission

Um Ziele, Mittel, Arten der Emigration

Nebst vielem Andern gründlich zu ziehen in Betracht –


Schade, daß es die Kürze der Zeit unmöglich macht,

Den Vorschlag auszuführen, den Buchmann eingebracht.

Rasch nimmt die Schlachta Abschied und tritt die Reise an.


Der Richter aber hielt Thaddäns zurück, und begann

Also zum Priester: »Zeit ist's, daß du auch weißt fortan,[228]

Woran es für mich seit gestern keinen Zweifel giebt:

Daß nämlich unser Thaddäus Soschja wahrhaft liebt.

So halt' er um sie an, bevor er von dannen fährt;

Ich weiß von Telimene, daß sie es nicht mehr wehrt.

Auch Soschja ist mit unsrem Willen einverstanden.

Und können wir heut' das Paar noch nicht mit ewigen Banden

Vereinen, so möcht' ich sie doch verloben, vor der Reise.

Ein junges Wandererherz wird auf so manche Weise

Versucht; – doch sieht der Jüngling nur sein Ringlein an,

Und gemahnt es ihn, er sei schon Ehemann,

Da kühlt sich gleich das Fieber versuchender Leidenschaft.

Glaub' mir: ein solches Ringlein hat doch große Kraft.


Ich selbst, – vor dreißig Jahren – fühlt' mich sehr hingezogen

Zum Fräulein Martha, und auch sie war mir gewogen.

Wir wurden verlobt; dem Bunde gab Gott den Segen nicht,

Ließ mich auf Erden allein – und nahm in sein Glorienlicht

Des Wojski, meines Freundes, Kind, so traut und lieb.

Erinnerung war das Einz'ge, was mir hienieden blieb,

An ihre Tugend, an den Reiz, der sie umfing, –

Und hier an meinem Finger der goldne Ehering:

So oft ich ihn nur ansah, stand deutlich, wie im Leben,

Der Seligen Bild vor mir, und so hat's Gott gegeben,

Daß ich bis heute treu blieb der Braut, die ich erwählt:

So bin ich ein alter Wittwer, und war doch nie vermählt.

Wiewohl es im Haus des Wojski noch eine Tochter giebt,

Recht hübsch, und ihr recht ähnlich, die ich so sehr geliebt!«


So spricht er, wehmuthvoll blickt er auf's Ringlein nieder,

Wischt mit der umgewandten Hand die nassen Lider,

Dann schließt er: »Bruder, was meinst Du? Verloben wir die Zwei?

Er liebt sie – und Telimene und Soschja stimmen bei.«


Da tritt Thaddäus zu ihnen und nimmt mit Feuer das Wort:

»Wie dank' ich's je dem guten Oheim, der immerfort

Sich um mich müht und immer mein Glück im Aug' behält?

Ach, ich wär' der glücklichste Mensch in Gottes Welt,[229]

Mein guter Ohm, wenn Soschja heute meine Braut wird,

Und wenn sie mir in Zukunft als Gattin angetraut wird;

Dennoch sag' ich es offen: diesen Verlobungsbund

Können wir heut' nicht feiern; aus so manchem Grund.

Fragt mich nicht weiter. Wäre Soschja zu warten geneigt,

Vielleicht hab' ich in Kurzem mich würdiger, besser gezeigt,

Vielleicht werd' ich durch Treue ihrer Liebe werth,

Vielleicht ist meinem Namen ein Bischen Ruhm bescheert;

Vielleicht führt uns zur Heimat bald wieder ein gut Geschick,

Dann ruf' ich Euch dies Versprechen in's Gedächtniß zurück.

Auf den Knieen begrüß' ich mein theures Mädchen dann:

Und wenn sie dann noch frei ist, halt' ich um sie an.

Jetzt scheid' ich, vielleicht auf lange; inzwischen kann sich's finden,

Daß ihr ein Andrer gefällt; ich will sie jetzt nicht binden.

Jetzt, da ich's nicht verdient, nichts mir ein Recht verleiht:

Um Gegenliebe bitten – das wär' Nichtswürdigkeit.«

Während der junge Bursche innig die Worte spricht,

Entquellen zwei große Thränen, wie Perlen, rein und licht,

Den großen blauen Augen, und leuchten um seine Lider

Und über die rosigen Wangen rollen sie rasch hernieder.


Soschja aber hatte, im Alkoven versteckt,

Durch eine Ritze gelauscht: sie hört, wie er sich entdeckt,

Wie er geradezu, so kühnlich und bewußt,

Die Liebe bekennt – das Herz erbebt ihr in der Brust –

Sie hat die Thränen auch in seinen Augen geseh'n;

Seine dunklen Reden kann sie wohl nicht versteh'n:

Er liebt sie – warum? verläßt sie – weßhalb? wo reist er hin?

Sie faßt's nicht, aber die Reise betrübt sie tief im Sinn.

Sie ist geliebt – die große, die wundersame Kunde,

Sie hört sie zum ersten Mal, aus eines Jünglings Munde.

So läuft sie hin und nimmt vom kleinen Hausaltar

Ein Bildchen, es stellt die heil'ge Genovefa dar,

Dabei stand ein Reliquienschreinchen, mit dem Wamms

Des heiligen Joseph, des hochgelobten Bräutigams,

Patrones aller Verlobten – sie nahm denn Bild und Schrein,

Und mit den Heiligthümern tritt sie in's Zimmer ein:[230]

»Ihr reist so rasch? So nehmt die kleine Gabe hier

Mit auf den Weg, und nehmt die Mahnung auch von mir:

Reliquienschrein und Bildchen, dies mein kleines Geschenk,

Tragt immer bei Euch und seid auch Soschja's eingedenk.

Der liebe Gott geleit' Euch immer in Heil und Glück

Und führ' Euch baldigst wieder glücklich zu uns zurück.«

Verstummend senkt sie das Haupt, – die Augen, die blauen, hellen,

Schließt sie: als schon die Wimpern von Thränen überquellen,

So stand das Mägdlein, schweigend, festgeschlossen die Lider,

Und, wie Brillanten, rollen ihr die Thränen nieder.


Thaddäus nimmt die Geschenke, küßt ihr die Hand und spricht:

»Fräulein, ich muß nun scheiden – lebt' wohl, vergeßt mich nicht!

Lebt wohl – gedenket meiner – und betet für mich oft –

Soschja! –« Mehr kann er nicht sprechen –


Der Graf, der unverhofft

Inzwischen mit Telimenen eingetreten war,

Betrachtete gerührt das scheidende junge Paar

Und sagte dann, mit einem Blick auf Telimene:

»O wie viel Schönheit ist doch in dieser schlichten Scene!

Wenn sich der Schäferin Herz vom Herzen des Kriegers trennt,

Wie ein Nachen vom Schiff, im stürmenden Element!

Fürwahr! nichts macht so heiß das Innerste entbrennen,

Als wenn sich Seel' und Seele so von einander trennen.

Die Zeit ist wie der Wind: bläst aus die schwache Kerze,

Den Brand facht sie nur an! Ich fühl's, daß auch mein Herze

Aus der trennenden Ferne noch mächt'ger lieben kann! –

Herr Soplica! ich sah Euch als Rivalen an:

Der Irrthum war dann mit ein Grund zum leidigen Zank,

Der mich wider Euch das Schwert zu ziehen zwang:

Nun seh' ich's: Euer Seufzen galt dieser Schäferin,

Ich aber gab mein Herz der schönen Nymphe hin.

Mög' unser Groll im Blut des Feindes untergeh'n!

Wir wollen nicht mit dem Mordstahl gegen einander steh'n:

Nein, anders sei er entschieden, unser Liebeszwist:

Kämpfen wir, wer der Stärk're an treuer Liebe ist!
[231]

Wir Beide verlassen den theuern Gegenstand unsrer Gefühle:

Beide eilen wir fort in's Schwerter- und Lanzengewühle:

Wetteifern wir an Treue, an Leid und Liebesharm,

Und beugen wir unsre Feinde mit starkem Mannesarm!«

Hier blickt er auf Telimene, – sie weiß nicht, was zu sagen,

Schweigend steht sie da, von Staunen ganz geschlagen.


»Graf!« sagt der Richter, »warum wollt Ihr denn durchaus fort?

Bleibt doch auf Euren Gütern! Nichts bedroht Euch dort!

Die arme Schlachta kann die Regierung schinden und schlagen,

Ihr aber bleibt ja ganz: das könnt' Ihr Euch selber sagen.

Ihr kennt doch uns're Regierung, reich seid Ihr auch dabei; –

Die Hälfte Eurer Renten kauft Euch vom Kerker frei.«


»Das stimmt nicht mit meinem Charakter!« rief Jener, »ich muß in's Feld!

Liebhaber kann ich nicht sein: so werd' ich denn ein Held!

Den Tröster Ruhm, ihn ruf' ich in meinem Liebesharm!

Unselig ist mein Herz, – gewaltig sei mein Arm!«


Da fragt ihn Telimene: »Wer wehrt Euch wohl zu lieben

Und glücklich zu sein?« – »Ich bin von meinem Verhängniß getrieben,

Von namenloser Ahnung, die sich auf dunklem Pfad

Hindrängt zu fremden Landen, zu ungeheurer That!

Ja, ich gesteh's: heut' wollt' ich zu Telimene's Ehren

Die Flammen entzünden an Hymens heiligen Altären:

Da strahlte des Jünglings Beispiel mir vor in hehrem Glanz!

Freiwillig riß er vom Haupte seinen Hochzeitskranz,

Und eilt, an Kampf und Hemmniß die Seele zu erproben,

Im Wandel der Geschicke, in blutigem Kriegestoben!

Eine Epoche ersteht auch mir am heut'gen Tag!

Einst hallte Birbante-Rocca von meines Schwertes Schlag:

Töne der Wiederhall durch Polen in siegendem Lauf!«

Spricht's und schlägt voll Stolz an seinen Degenknauf.


»Nun,« sagt der Mönch, »wer tadelte wohl ein solch' Gelüsten,

Geht nur, nehmt Geld, Ihr könntet eine Truppe rüsten,

Wie Wladimir Potocki, der Frankreichs Staunen erregt hat,[232]

Der eine Million für unsern Schatz erlegt hat.

Dominik Radziwill verließ so Güter und Haus,

Und rüstete zwei Reiterregimenter aus.

Geht, geht und nehmt nur Geld mit, es fehlt in keiner Weise

An Händen, aber an Münze. Geht, Bester, glückliche Reise!«


Telimene sieht auf mit wehmuthvollem Blick:

»Weh'!« ruft sie aus, »ich sehe, Nichts hält dich zurück!

Mein Ritter, wenn du eintrittst in des Kampfes Schranken,

Blick' auf die Farbe der Dame, in liebevollem Gedanken« –

Hier reißt sie ein Band vom Kleid, macht eine Kokarde draus,

Und steckt sie ihm an die Brust – »durch der Geschütze Gebraus

Mög' dich die Farbe begleiten durch das Geklirr der Degen,

Durch das Blitzen der Speere, durch dampfenden Schwefelregen.

Und wenn du mit tapfern Thaten dir hehren Ruhm erringst,

Und mit unsterblichem Lorbeer die Sturmhaube umschlingst,

Die blutige, und den Helm, stolzragend im Siegerglück,

Wend' auch dann noch dein Auge zu dieser Kokarde zurück,

Gedenke, wessen Hand dir angesteckt dies Band!«

Der Graf kniet hin und küßt die dargereichte Hand:

Sie hat ihr Taschentuch an's linke Aug' erhoben,

Und mit dem rechten blickt sie nieder auf ihn, von oben, –

Der Graf nimmt Abschied, mächtig gerührt. – Sie seufzte zwar,

Aber sie zuckte die Achseln.


Der Richter tritt zum Paar:

»Geht nun, mein lieber Graf, eilt Euch, es ist schon spät.«

Und finster ruft der Mönch: »Genug denn, eilt Euch, geht!«

Robak's und des Richters gebieterisches Wort

Trennt so die Beiden und treibt sie aus dem Zimmer fort.


Indessen hat sich Thaddäus zum Onkel hingewandt,

Hielt ihn weinend umschlungen, dann küßt' er Robak die Hand.

Robak drückt die Stirn des Burschen an sein Herz,

Kreuzt die Hände über sein Haupt – und, himmelwärts

Das Aug' ausschlagend, sagt' er: »Geh' mit Gott, mein Sohn!«

Und weint laut auf. – Thaddäus war aus dem Zimmer schon.
[233]

»Wie,« fragt der Richter, »Bruder, so laßt Ihr ihn fort?

Ihr sagt ihm Nichts, der arme Bursch erfährt kein Wort,

Auch jetzt nicht, vor der Reise?« – »Nichts,« sprach der Priester fest,

Und weinte lang, das Antlitz in die Hände gepreßt,

»Was hilft's dem Armen, wenn er jetzt einen Vater entdeckt,

Der wie ein Schurke, ein Mörder, war vor der Welt versteckt.

Gott weiß, ich möcht' es gern! doch für mein sündiges Leben

Sei ihm auch dieser Trost als Opfer hingegeben.«


»Nun,« sagt der Richter, »ist's Zeit, den Blick auf dich zu lenken.

Alt und krank, wie du bist, das mußt du doch bedenken,

Kannst du nicht mit den Andern in die Verbannung zieh'n;

Du weißt ein Häuschen, sagst du, um dahin zu flieh'n;

Wo ist's? Die Pferde warten. Schnell! Lenken wir unsre Schritte

Nicht am besten zur Wildniß, in die Försterhütte?«


Robak schüttelt das Haupt. »Das hat noch gute Weile

Bis morgen früh. Jetzt schicke zum Pfarrer, in aller Eile,

Er komme, so bald wie möglich, mit dem Leib des Herrn.

Nun bleib' du hier, mit dem Schließer. Halt' alle Andern fern.

Schließe die Thür.«


Der Richter thut Alles, wie er will,

Und setzt sich zu ihm auf's Bett; Gervas steht sinnend und still,

Lehnt mit dem Ellenbogen am Degenknaufe fest,

Und hält die gesenkte Stirne auf die Hände gepreßt.


Robak richtet die Blicke, eh' er zu sprechen begann,

In langem geheimnisvollen Schweigen zum Schließer hinan;

Und wie der Chirurg, bevor er den Stoß mit dem Messer führt,

Zuerst mit weicher Hand die wunde Stelle berührt:

Also mildert Robak seinen durchdringenden Blick,

Schweift über des Schließers Antlitz hin und wieder zurück,

Bis er endlich die Augen in die Rechte barg,

Als wollt' er blind zustoßen, – und dann sagt' er stark:


»Ich bin Jacek Soplica« –[234]

Kaum ist ihm das Wort entflogen,

Erbleicht der Schließer, wankt, und halb vornüber gebogen,

Bleibt er erstarrend stehen, hangend auf Einem Bein,

Wie ein aus der Höhe geworf'ner, jäh aufgehaltner Stein.

Breit öffnet er den Mund, hell drohen die Zähne hervor,

Aufreißt er weit die Augen, sein Schnurrbart sträubt sich empor,

Den Degen, der ihm entsunken, hält er mit einem Ruck

Fest zwischen den Knie'n, – die Rechte stößt mit mächtigem Druck

Auf den Griff: der Degen, hinter ihm hingezogen,

Schwingt mit der langen schwarzen Spitze in zitterndem Bogen;

So stand er, wie ein verwundeter Luchs auf dem Baume steht,

Bevor er dem Schützen in's Aug' springt: zum Knäuel aufgebläht,

Knurrt er, in den Blicken erglüht ihm blutiger Glanz,

Unruhig zuckt das Schnauzhaar, wild schlägt er mit dem Schwanz.


»Herr Rembajlo,« sagt Robak, »schon ist mir ewig fern

Die Furcht vor Menschenzorn: ich fühle die Hand des Herrn.

Im Namen Deß, der für die Welt erlitt den Tod,

Der seine Mörder gesegnet in der Todesnoth,

Und Gnade dem Schächer verheißen: laßt jetzt vom Zürnen ab,

Und hört geduldig an, was ich zu sagen hab'!

Bekannt' ich's doch selbst. Ich muß, soll ich beruhigt sterben,

Vergebung von Euch erwerben, und wenigstens um sie werben;

Hört jetzt meine Beichte geduldig bis zu Ende,

Dann macht mit mir, was Ihr wollt.« Hier faltet er beide Hände,

Wie zum Gebet; der Schließer tritt achselzuckend zurück

Und schlägt sich vor die Stirn, mit hocherstauntem Blick.


Und Robak erzählt nun, wie er mit Horeszko verkehrt,

Und wie er für seine Tochter heiße Liebe genährt,

Wie er mit dem Truchseß darob gerieth in Fehde; –

Doch erzählt er verworren, mischt öfters in die Rede

Anklagen und Worte des Weh's; oft hält er mitten innen,

Als wär' er schon zu Ende, um dann auf's Neu' zu beginnen.


Der Schließer, genau vertraut mit der Horeszko Geschichte,

Ordnet im Geiste all' die verworrenen Berichte

Und kann sie leicht ergänzen. Der Richter weiß dagegen[235]

Sich Vieles von dem Erzählten gar nicht auszulegen.

Gesenkten Hauptes lauschen Beide auf jedes Wort, –

Und Jacek spricht in immer längern Pausen fort

Und bricht oft mitten ab:


»Du weißt's ja, liebster Schließer, wie oft mich der Truchseß in's Haus

Zum Mahle lud – da bracht' er meine Gesundheit aus,

Erhob das Glas – wie oft! – und rief mit allem Feuer:

Jacek Soplica sei ihm vor allen Freunden theuer!

Wie er mich an's Herz schloß! Alle, die das sah'n,

Meinten, er gäbe die Seele für mich hin! – O Wahn!

Er ein Freund? Er wußte, was zu jener Zeit

In meiner Seele vorging!


Indessen flüsterte davon schon Freund und Feind;

Der Erste Beste sagt mir: Ei, Herr Soplica, mir scheint,

Ihr concurrirt vergebens; es sitzt die Grafenkron'

Doch ein Wenig zu hoch für Jacek Mundschenksohn.

Ich lachte, that, als spottet' ich der Aristokraten

Und ihrer Töchter, und scheerte mich nicht um die Magnaten,

Nur aus Freundschaft gescheh' es, wenn ich mit ihnen verkehre,

Und wünschte mir ein Weib nur aus der eignen Sphäre. –

Und doch! die Späße hatten mich bis in's Herz getroffen,

Ich war ja jung und tapfer, die Welt stand mir ja offen:

In einem Lande, wo ein geborener Edelmann

Gleich dem ersten Magnaten, König werden kann!

Hat doch Tenczynski einst ein Königskind verlangt,

Und hat sie von dem König ohne Anstoß erlangt!

Und steh'n denn die Soplica's hinter Tenczynski zurück,

An Blut, an Wappen, an Treue im Dienst der Republik?


Wie leicht zerstört man And'rer Glück im Ubermuth

Eines Moments! Ein Leben macht's dann nicht wieder gut!

Ein Wort des Truchseß: wie glücklich ein Paar geworden wär'!

Wer weiß, wir lebten vielleicht noch jetzt – vielleicht auch Er –

Bei seiner schönen Eva, bei seinem glücklichen Kind,

Bei seinem dankbaren Eidam, wär' er so ruhig, so lind

Gealtert – hätte vielleicht die süßeste Augenweide,[236]

Hätt' Enkel gewiegt! – Und nun? Vernichtet hat er uns Beide!

Und sich –! Und diese Mordthat! Und Alles, was sie erzeugt,

Die Sünden, die ich begangen, das Elend, das mich gebeugt!

Ich hab' kein Recht, zu klagen – ich nahm ihm das Leben,

Ich hab' kein Recht, zu klagen – von Herzen sei ihm vergeben:

Aber auch Er –


Wär' er nur einmal offen abweisend aufgetreten!

Er wußte ja Alles – hätt' er sich meine Besuche verbeten!

Wer weiß, ob ich nicht fort wär' – ich hätt' es hart gefunden,

Hätte gezürnt, gescholten – schließlich den Grimm verwunden.

Doch er, voll schlauer Hoffart, ersann ein neues Spiel,

Gab sich den Anschein, daß er gar nicht darauf verfiel,

Als ob ich solch ein Bündniß mir setzen könnt' zum Ziel!

Er brauchte mich: ich hab' viel mit der Schlachta verkehrt,

Allen Landedelleuten war ich lieb und werth,

So that er denn, als merkt' er gar nichts von all' den Dingen,

Empfing mich weiter, wie sonst, ja, pflegt' in mich zu dringen,

Ich möchte öfter kommen; und so oft es geschah,

Daß ich mit ihm allein war, und so oft er sah

Mein Aug' von Thränen verdunkelt – die Brust, zu voll der Pein,

Schon nah' dem Ausbruch: kalt warf er sofort darein

Ein Wort von Jagden, Processen, Versammlungen –


Ach, wenn er so oft beim Becher, wenn er so erwarmte,

Seine Freundschaft betheuerte, mich so innig umarmte,

Weil er mein Schwert, meine Stimme für sich von Nutzen wußte,

Wenn ich aus Höflichkeit ihn wieder umarmen mußte:

Da kocht' es in mir, daß ich den Schaum im Mund zerbiß,

Und krampfhaft mit der Hand am Griff des Säbels riß,

Ausspeien wollt' ich auf solche Freundschaft, den Säbel zücken –

Doch, weiß Gott, wie: an meiner Haltung, an meinen Blicken

Sah Eva, was in mir vorging, – und sie errieth mich gleich:

Und flehend sah sie mich an, die Wangen wurden ihr bleich –

Und das war ein so schönes Täubchen! ach, so mild!

Und hatt' ein Aug', so freundlich, so sonnig, – ein himmlisch Bild!

Daß mir sogleich, ich weiß nicht, aller Muth gebrach,[237]

Sie zu erzürnen, zu ängstigen, – daß ich nichts mehr sprach.

Und ich, vor dem die größten Herren einst gebebt,

Der ich nicht einen Tag lang ohne Händel gelebt,

Ich, der berühmteste Raufbold, der ich – das sagt noch wenig:

Dem Truchseß nichts verzieh'n hätt' – nein, nicht einmal dem König,

Ich, dem beim kleinsten Zank gleich grimmig schwoll der Kamm,

Ich, damals voll Wuth, betrunken, – ich schwieg, als wie ein Lamm,

Als hätt' ich das Sanctissimum erblickt! –


Wie oft war ich bereit, ihm Alles zu gestehen,

Ja, selbst den Stolz zu verbeißen und ihn anzuflehen. –

Doch wenn ich ihm in's Aug' sah, in diesen eisigen Blick,

Da schämt' ich mich der Schwäche und wieder hielt ich's zurück!

Und möglichst kalt begann ich, wilde Glut im Herzen,

Von Jagden, Prozessen zu plaudern – ja, ich begann zu scherzen!

Stolz war's, ja wohl! – um meinem Namen nichts zu vergeben,

Um nicht vergebens die Hände zu einem Herrn zu erheben,

Um mich keiner beschämenden Abweisung auszusetzen;

Denn was hätte die Schlachta da gehabt zum Schwätzen,

Wenn ich – Jacek –


Daß ein Horeszko einen Soplica von sich wies,

Daß man mir, Jacek, die schwarze Suppe reichen ließ!


Schließlich, wie eben Einer, der keinen Ausweg kennt,

Beschloß ich, mit einem kleinen Schlachtaregiment

Die Heimat zu verlassen, für immer, – irgendwohin

Nach Rußland oder in die Tartarei zu zieh'n

Und Krieg zu beginnen. – Ich geh', ihm Lebewohl zu sagen,

Ich hoffe, wenn er Den sieht, der doch in allen Lagen

Zu ihm gehalten, wenn er den Freund, den altbewährten,

Ich darf ja sagen: Hausfreund, wenn er den treuen Gefährten,

Mit dem er so lang vereint war, beim Becher, wie im Feld,

Nun scheiden sieht und fortzieh'n in die weite Welt:

Daß es den Alten doch rührt, ein wenig zur Güte neigt,

Das er mir doch ein Bischen menschliches Fühlen zeigt,

Nur, wie die Schnecke das Fühlhorn!
[238]

Ach, wenn nur ein Fünkchen Liebe glimmt auf des Herzens Grunde

Für einen Freund, so ringt sich in der Scheidestunde

Bei seinem Lebewohl dies Fünkchen noch an's Licht,

Wie das letzte Flämmchen des Lebens aus sterbendem Auge bricht!

Beim letzten Kusse, auf des Freundes Stirn gepreßt,

Hat doch das kälteste Auge schon eine Thräne genäßt!


Die Arme – wie sie vernahm, ich scheide: ward sie bleich,

Bewußtlos sank sie hin, wär' fast gestorben gleich,

Sie brachte kein Wort heraus, nur aus dem Augenpaar

Strömten die Thränen – ich sah, wie theuer ich ihr war!


Da sind mir – zuerst, seit ich lebe – stromweis die Thränen geronnen,

Ich vergaß mich, ich raste, vor Jammer und vor Wonnen;

Schon wollt' ich niederfallen, mich winden um seine Knie,

Wie eine Schlange, – und rufen: Vater! Gieb mir sie!

Oder gieb mir den Tod! – Und siehe, der Truchseß begann,

Starr, höflich, kalt, wie eine Salzsäule – was fing er an?

Was? was? Von der Tochter Hochzeit! – O! hört – in dem Moment!

O Gervasius! Freund! – Ihr seid ein Mensch, Ihr kennt

Ein menschlich Fühlen!


Er sprach: ›Herr Soplica, bei mir

War eben des Castellanssohns Brautwerber; – nun, und Ihr,

Was meint Ihr? Ihr seid mein Freund: so sagt, wie dünkt das Euch?

Ihr wißt, ich habe eine Tochter, schön und reich,

Und der Cast'lan – von Witepsk! Das ist ja im Senat

Ein niedriger, hölzerner Sitz; Bruder, was ist dein Rath?‹

Was ich ihm drauf gesagt hab', ich weiß nichts mehr davon,

Wahrscheinlich nichts; – ich stieg zu Roß und war entfloh'n!«


»Jacek!« rief der Schließer, »du findest gar kluge Gründe:

Was hilft es? Sie vermindern doch nicht deine Sünde!

Hat man es doch auf Erden schon nicht selten erlebt,

Daß Einer nach einem Herrnkind, ja Königskind gestrebt,

Er sucht' es zu entführen, schleppt' es gewaltsam fort, –

Rächte sich offen: aber ein solcher Meuchelmord!

An einem Polen, in Polen – und mit den Russen im Bund!«[239]

»Nein – nicht im Bund!« sagt Jacek, aufklagend von Herzensgrund –

»Gewaltsam entführen? O wohl! Mich hätten nicht Riegel, noch Gitter

Von ihr getrennt! dies Schloß, zerschlagen hätt' ich's in Splitter!

Ich konnt' auf Dobrzyn, auf vier Edelweiler bauen:

Ach, wär' sie nur gewesen, wie unsre Edelfrauen,

So gesund und kräftig! Hätte nur Flucht und Jagen

Sie nicht geängstigt, hätte sie Waffengeklirr vertragen!

Aber, die Ärmste: die Eltern hatten vor jedem Stäubchen

Sie so behütet! Ein schwaches, furchtsames Schmetterlingsräupchen,

Ein Frühlingswürmchen! – und sie berühren mit eherner Hand,

Sie rauben – es hieß: sie tödten! Nein, ich war's nicht im Stand,

Ich konnte nicht – nein!

Mich offen rächen? Dies Schloß im Sturm in Trümmer zerbrechen?

Schmach! Der Verschmähte, hieß' es, wollt' für den Korb sich rächen!

O Schließer, redliche Seele! wißt Ihr denn und kennt,

Was im verwundeten Stolz für eine Hölle brennt?


Der Hochmuthsteufel begann mir bess're Gedanken zu wecken, –

Mich blutig zu rächen, aber der Rache Grund zu verdecken,

Das Schloß zu meiden, Eva dem Vergessen zu weihen,

Die Liebe auszurotten, eine Andre zu freien,

Und dann – dann irgend einen Vorwand vom Zaun zu brechen,

Dann mich zu rächen!


Und Anfangs schien mir, daß ich das Richtige erwählt,

Daß ich es schon verwunden, – und ich hab' mich vermählt,

Mit dem ersten armen Mädchen, das ich fand:

Ich that nicht gut, wie strenge strafte mich Gottes Hand!

Ich liebte sie nicht. Sie gab meinem Thaddäus das Leben,

Es war die redlichste Seele, mir so ganz ergeben!

Aber noch kochte der alte Groll, die alte Liebe!

Ich war wie rasend; ich warf mich in das Wirthschaftsgetriebe,

In weltlichen Geschäften wollt' ich mich selbst vergessen –

Vergebens, Alles vergebens! Vom Dämon der Rache besessen,

Aufbrausend, böse, konnt' ich nicht Trost, noch Frieden finden,

In Nichts in der Welt! Und so fiel ich von Sünden in Sünden,

Ergab mich dem Trunk –[240]

Bald starb mein Weib vor Jammer; vereinsamt blieb ich hier

Mit diesem Kind, – und die Verzweiflung fraß an mir!«


»Wie heiß, wie innig mußt' ich die Unselige lieben!

So viele Jahr'! – Wo hab' ich mich nicht herumgetrieben!

Und kann sie noch nicht vergessen, und immer noch, süß und mild,

Steht klar, wie ein Gemälde, vor mir das theure Bild!

Ich trank, doch die Erinn'rung konnt' ich nicht ertränken;

Ich reiste – nirgends, nirgends wollt mir's Ruhe schenken!

Jetzt – im Mönchskleid, – bin ja ein Diener Gottes, – und hier:

Auf dem Lager, im Blut – und sprach so lang von ihr!

In diesem Moment, dergleichen? Gott wird es verzeih'n,

Ihr müßt wissen, in welcher Verzweiflung, in welcher Pein

Ich es vollbracht –


Es war nach ihrer Verlobung. Man hörte zu jener Zeit

Von gar nichts Anderem sprechen. Es hieß auch weit und breit:

Als Eva vom Wojewoden das Ringlein hab' genommen,

Hätte sie eine Ohnmacht, ein Fieber überkommen,

Sie schluchze unaufhörlich, die Schwindsucht stelle sich ein;

Man fügte hinzu, es dürfte heimliche Liebe sein.

Aber der Truchseß, – wie immer, ruhig, gelaunt auf's Beste,

Lud seine Freunde auf's Schloß und gab da Bälle und Feste;

Mich lud er nicht mehr – wozu? Wer nützte mich jetzt aus?

Mein schändliches Laster, mein Elend, das Wirrsal in meinem Haus,

Sie gaben mich der Verachtung, dem Hohn der Menschen Preis!

Ich: einst – ich darf es sagen, – allmächtig im ganzen Kreis,

Ich, den Fürst Radziwill einst Herzbruder hieß,

Ich, den ein Hofstaat umgab, so oft ich den Weiler verließ,

Zahlreicher, als die Schranzen, die einen Fürsten umringen, –

Und wenn ich den Säbel zog, gleich blitzten tausend Klingen

Und schleuderten in die Schlösser der Herren Schreck und Graus:

Und nun, nun lachten mich die Bauernkinder aus!

So klein ward ich auf Einmal – ein dürres, morsches Holz:

Jacek Soplica! – Wer's fühlt, was das ist: der Stolz –«


Er spricht es, als er plötzlich matt zusammenbricht;

Ergriffen rief der Schließer: »O Gottes großes Gericht![241]

Wahr! wahr! Du also bist es? Jacek? Soplica du?

Du in der Kutte? du brachtest dein Leben als Bettler zu?

Du, den ich noch vor mir seh', so roth, gesund und jung!

Ein schöner, ein herrlicher Schlachcic: Der Männer Huldigung!

Der Frauen Raserei! – Schnauzbart! Daß Gott erbarm'!

Ist's denn so lang'? So wurdest du denn so alt vor Harm?

Wie hab' ich dich nur nicht an jenem Schuß erkannt,

Als du den Bären getroffen mit deiner Meisterhand?

Denn keinen Schützen kannte Lithauen neben dir,

Und warst ja auch, nach Matschek, der Erste im Rappier!

Ja! ja! Es sangen einst von dir die Edelfrauen:

Seht! Jacek dreht den Schnurrbart, da zittern alle Gauen,

Und wem er an seinem Schnurrbart will ein Knötchen dreh'n,

Wär's auch Fürst Radziwill, ihm wird der Muth vergeh'n.

Auch meinem Herren drehtest du so ein Knötchen zu, –

Unseliger! Also du bist es? In diesem Stande – du?

Jacek Schnauzbart ein Bettelmönch! – Gottes großes Gericht!

Aber auch jetzt, auch jetzt entgehst du der Strafe nicht!

Ich schwor's: wer einen Tropfen Horeszkoblut vergoß –«


Indessen setzte sich Robak im Bette auf und schloß:

»Ich ritt um die Burg. O welch ein Heer von Teufeln mich quälte,

Im Kopf, im Herzen, – wer sie nennte, wer sie zählte!

Der Truchseß bringt sein Kind um, mich hat er schon umgebracht,

Vernichtet! – Ich reite an's Thor, mich lockt des Satans Macht;

Sieh', wie er schwelgt! Im Schloß tagtäglich ein Gelage!

Wie braust die Musik in den Sälen! die Fenster hell, wie am Tage!

Und dieses Schloß: es stürzt ihm nicht über den kahlen Kopf?


Denk' nur an eine Unthat, gleich hat dich Satan beim Schopf.

Kaum daß ich an die Rache mir nur zu denken getraute,

So schickt' er mir die Russen. Erst stand ich da und schaute –

Du weißt, sie stürmten das Schloß –


Falsch ist es ganz und gar,

Daß ich mit den Russen im Einverständniß war –[242]

Ich schaute: Durch den Kopf schwirrte mir allerhand;

Erst sah ich's mit dummem Lachen, wie ein Kind einen Brand;

Dann aber fühlt' ich plötzlich mörderische Freude,

Ich warte – ha! es brennt bald! es kracht bald, dies Gebäude!

Das waren meine Gedanken – zuweilen fiel mir ein,

Hinzuspringen, sie zu retten, zu befrei'n,

Ja, selbst den Truchseß –


Ihr wehrtet euch tapfer, tüchtig, voll Umsicht, wie du weißt;

Ich staune: wie es die Russen ringsum zu Boden reißt!

Das Vieh, es schießt so schlecht! Ich sehe sie weichen, erliegen –

Da packt mich die Wuth: Der Truchseß! soll er nun wieder siegen!

Und so soll ihm denn Alles, Alles gelingen auf Erden?

Der schreckliche Überfall auch zum Triumph ihm werden? –

Fortritt ich voll Scham. Der Morgen dämmerte hell um' s Haus;

Da seh' ich ihn! erkenn' ihn! Er tritt auf den Gang hinaus,

Sein brillantner Hemdknopf blitzt im Sonnenschein,

Stolz dreht er sich den Schnurrbart, stolz blickt das Auge darein;

Da war mir, als säh' er mich, als gälte just mir sein Hohn,

Als streckt' er so die Hand aus, mich zu höhnen, – zu droh'n!

Jetzt reiß' ich einem Russen die Flinte weg, – an's Schloß

Leg' ich die Finger kaum, fast zielt' ich nicht – – es schoß!

Du weißt – –


Verfluchte Feuerwaffe! Wer mit dem Schwert erschlägt,

Legt sich doch aus, dringt ein, parirt doch, rührt sich und regt,

Er kann den Feind entwaffnen, einhalten mitten im Schwung; –

Doch diese Feuerwaffe! das Schloß nur berühren – ein Sprung

Des Fünkchens! – ein einz'ger Moment! –


Floh ich, als ich von oben dich auf mich zielen sah?

In deine beiden Läufe starrend, stand ich da,

Von Reue, von seltsamem Jammer, wie an den Boden gepfählt!

Warum, ach, lieber Gervasius, warum hast du damals gefehlt?

Ein Gnadenschuß wär's gewesen! – Aber mit höherem Preis

Sollt' ich büßen ...«
[243]

Hier geht ihm der Athem aus. »Gott weiß,«

Sagte der Schließer, »ich hätte dich gerne niedergeschossen!

Wie viel des Blutes hast du mit diesem Schuß vergossen!

Wie viel Elend auf uns und auf die Deinen gebracht!

Ach, Herr Jacek, das Alles, das hast du gemacht.

Und doch, als die Jäger den Grafen auf's Korn genommen heute,

Den letzten der Horeszko, wenn auch von Mutterseite,

Hast du ihn geschützt, und als die Russen mich bedroht,

Warfst du mich hin und rettetest so uns Beide vom Tod.

Bist du ein Ordenspriester, bist du's in Wirklichkeit,

So schützt vor'm Federmesser dich freilich das Ordenskleid.

Leb' wohl! Ich bleib' nicht länger bei euch – wir sind zu Ende;

Das Andere, – das legen wir in Gottes Hände.«


Jacek streckt die Hand aus – der Schließer schlägt nicht ein:

»Ich kann nicht«, sagt er, »ohne mein Wappen zu entweih'n,

Die Hand berühren, die sich befleckt mit solchem Blute,

Und zwar aus Rache, nicht pro publica salute.«


Und Jacek sinkt ermattend auf sein Lager zurück,

Wird immer bleicher – fragt mit unruhvollem Blick

Den Richter nach dem Pfarrer, und ruft: »Gervasius!

Bleibt, ich beschwör' Euch drum! ich komme bald zum Schluß!

Kaum hab' ich Kraft genug – ach, es ist bald vollbracht!

Herr Schließer, bleibt! ich sterbe noch in dieser Nacht!«


»Was, Bruder?« rief der Richter, »die Wunde sah ich ja,

Sie ist nicht groß! – Den Pfarrer? Bruder, was sagst du da?

Den Arzt vielmehr! kann sein, daß man sie schlecht versah –

Zur Apotheke –!« – Robak fällt ein: »Das braucht's nicht mehr!

Ich hatte dort einen ältern Schuß, von Jena her,

Schlecht verheilt und nun geritzt – ich kenn' das gut,

Der Brand ist eingetreten: seht her, das schwarze Blut!

Hier frommt kein Arzt! Doch wer wird um dergleichen sorgen?

Man stirbt nur Einmal – sei's nun heute oder morgen!


Herr Schließer! vergebt Ihr mir? ich muß zu Ende kommen –

Es ist ein Verdienst, am Lande nicht zum Missethäter[244]

Zu werden, wenn das Land dich ausschreit als Verräther!

Zumal, wen so, wie mich, der Stolz nicht ruhen läßt!


Der Name ›Verräther‹ klebte an mir, als wie die Pest.

Es wandten von mir ihr Antlitz die Edlen und die Herrn,

Die alten Freunde floh'n mich; die Furchtsamen grüßten von fern

Und wichen mir aus; der erste beste Bauer sogar,

Der erste beste Jude, er verbeugte sich zwar,

Doch abseits schlug er ein gell durchbohrend Gelächter auf.

›Verräther‹ klang mir's im Ohr – hallte in fliegendem Lauf

Im Haus, im Felde wieder; immer fort und fort,

Wie ein Stern im kranken Auge, tanzte vor mir dies Wort, –

Wohin ich mich wandte, – vom Morgen bis zum Abendlicht –

Und ein Verräther am Lande war ich ja dennoch nicht!


Die Russen betrachteten mich durchaus als Einen der Ihren.

Die Güter des seligen Truchseß ließ man confisciren,

Und einen großen Theil bekamen die Soplica;

Ein Staatsamt boten mir dann die Leute von Targowica.2

Hätt' ich mich damals vermoskaut – wie ja Satan es rieth:

Ich war schon reich und mächtig – aber als Convertit,

Wär' ich bei allen Magnaten ein vielgesuchter Gönner;

Selbst die Schlachta, das Volk, das seine eignen Männer

So leicht verkleinert, läßt's doch Jenen, die Moskau dienen,

Hingeh'n! Die Glücklicheren finden Verzeihung bei ihnen –

Ich sah's – und doch – ich konnt's nicht –


Ich floh aus dem Land, –

Wo bin ich nicht gewesen, was hab' ich nicht gelitten!


Bis mir Gottes Gnade die einzige Heilung wies:

Gutwerden, hieß es nun – und, in wie weit sich's ließ,

Gutmachen auch – –


Die Tochter des Truchseß und ihren Gemahl, den Wojewoden,

Verschickte man nach Sibirien; dort starb sie, auf fremdem Boden,

In jungen Jahren; ließ im Land hier Soschja, ihr Kind –

Ich ließ es erzieh'n –[245]

Mehr thörichter Stolz, als Liebe, trieb mich einst, zu morden –

Also: Demuth! hieß es – ich bin ein Mönch geworden;

Ich, einst ein Renommist, – der stolze Soplica, ich –

Ich senkte das Haupt, ein Bettelmönch! und ich nannte mich:

Robak, – Robak, der Wurm: daß, wie ein Wurm im Staub –


Das böse Beispiel für's Land, der Anreiz zum Verrath,

Er mußte durch gutes Beispiel gesühnt sein – durch die That,

Durch Blut und Aufopferung –


Ich kämpfte für' Land – wo? wie? verschweig' ich. Irdische Ehre

War's nicht, was mich getrieben in's Toben der Kugeln und Speere –

Lieber gedenk' ich – nicht der lauten, tapfern Thaten,

Nein – dessen, was mir im Stillen zu Andrer Heil gerathen,

Und der Leiden, die Niemand –


Nicht selten gelang es mir, in's Land mich durchzuschlagen,

Nachrichten zu gewinnen, Befehle herüberzutragen,

Verhandlungen zu führen. – Wohl ist dies Mönchsgewand

Auch den Galiziern – auch den Großpolen bekannt –

Auf preußischer Festung mußt' ich ein Jahr lang Steine tragen,

Russische Stöcke haben mir dreimal den Rücken zerschlagen,

Kam auch schon nach Sibirien – die Österreicher haben

Mich in die Löcher des Spielbergs zur Zwangsarbeit vergraben,

In's Carcer durum – und Gott hat mich mit Wunderarmen

Befreit, und hat in seinem ewigen Erbarmen

Inmitten meines Volks zu sterben mir vergönnt,

Mit seinem Sacrament –


Vielleicht, wer weiß? vielleicht versündigt' ich mich auch jetzt –

Hab' rascher, als mir befohlen, den Aufstand in's Werk gesetzt,

Daß zuerst die Soplica's in Waffen dasteh'n sollen,

Daß das Reiterbanner zuerst die Meinen entrollen,

Dieser Gedanke, – er scheint ja rein – –


Du wolltest Rache? du hast sie! Durch dich hat Gott mich gerichtet,

Durch dein Schwert meine Pläne zerhauen und vernichtet;[246]

Den Faden der Verschwörung, den ich so lange gesponnen,

Du hast ihn verwirrt! Das Ziel, darob ich mein Leben gesonnen,

Das große, das letzte Gefühl, das mich auf Erden bewegt,

Das, wie das liebste Kind, gehegt ich und gepflegt,

Vor des Vaters Augen hast du's erschlagen, du!

Und ich hab' dir verzieh'n –«


»Daß nur,« versetzt der Schließer, »der Himmel ein Gleiches thu'!

Mönch Jacek, – naht das Sanctissimum dir in der Todespein,

So bin ich kein Lutherischer, kein Schismatiker –, nein!

Wer Sterbende betrübt, ich weiß, versündigt sich.

Ich sag' dir etwas: sicher ist das ein Trost für dich.

Wie damals mein Herr getroffen hinsank neben mir,

Und ich mich über ihn beugte, und knieend mein Rappier

In seine Wunde tauchte und blutige Rache schwor:

Da schüttelte er das Haupt, und streckte die Hand zum Thor, –

Zu dir – und zeichnete ein Kreuz in die Lüfte hin –

Er konnt' nicht sprechen, doch hieß das: er habe dem Mörder verzieh'n.

Und ich verstand's; doch war ich so grimmig aufgebracht,

Daß ich des Kreuzes nie mit einem Wort gedacht.«


Hier machen die Schmerzen des Kranken dem Gespräch ein End'.

Ein langes, langes Schweigen. Man wartet auf's Sacrament.

Da hört man Hufe ertönen. Athemlos stürzt herein

Jankiel, ein Blatt in der Hand: er zeigt's nur Jacek allein.

Jacek giebt's dem Bruder, befiehlt, es laut zu lesen.

Ein Brief von Fischer, der damals Chef des Stabs gewesen

In Poniatowski's Armee. Das Schreiben aber bestellt,

Im Rath des Kaisers sei schon die Entscheidung gefällt:

Krieg! – Der Kaiser erklär' es schon der ganzen Welt.

Der große Reichstag sei nach Warschau bereits citirt,

Und, von den Masovischen Ständen feierlich proclamirt,

Erfolgt auch Lithauens Anschluß.


Wie Jacek es hört, da drückt er

An's Herz die geweihte Kerze, und leise betend blickt er

Zum Himmel auf – im Auge glänzt freudiger Hoffnung Licht,[247]

Die letzten Freudenthränen netzen sein Angesicht:

»Nun!« ruft er, »nimm in Frieden, Herr, deinen Knecht zu dir!«

Alle knieen nieder. Da hört man vor der Thür

Ein Glöcklein: es kam der Priester mit dem Leib des Herrn.


Die Nacht ging schon zur Neige, es schwinden Stern um Stern;

Und auf des Himmels weite milchweiße Fläche malen

Zarten, rosigen Glanz die ersten Sonnenstrahlen.

Brillantne Pfeile des Lichtes fallen durch's Fenster herein,

Das Bett, das Haupt des Kranken umkränzt ihr Widerschein,

Vergoldet Schläfen und Antlitz dem sterbenden Erdensohne,

Und, wie ein Heiliger, glänzt er in der Feuerkrone.

1

Wahrscheinlich Preußisch-Eylau.

2

Der Truchseß scheint um's J. 1791, während des ersten Krieges, erschlagen worden zu sein. (Vgl. )

Quelle:
Mickiewicz, Adam: Herr Thaddäus oder der letzte Einritt in Lithauen. In: Poetische Werke, Leipzig 1882, Band 1, S. 220-248.
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