Zweiter Gesang.
Das Schloß.

[31] Jagd mit Windspielen auf das aufgespürte Wild. – Der Gast im Schlosse.– Der letzte der Hofleute erzählt die Geschichte des letzten der Horeszko. – Ein Blick in den Obstgarten. – Das Mädchen in den Gurken. – Das Frühstück. – Frau Telimene's Petersburger Anekdote. – Neuer Ausbruch der Feindseligkeiten von wegen Mutz und Falk. – Robak's Intervention. – Vorschlag des Wojski. – Die Wette. – Auf in die Pilze!


Wer könnte der Zeit vergessen, da er, ein kleiner Held,

Die Flinte auf der Schulter, pfeifend schritt auf's Feld:

Da war kein Zaun, kein Bergwall, der dir Müh' gemacht,

Gingst über fremde Raine, sorglos und unbedacht!

Denn ein Jäger in Lithauen ist wie ein Schiff im Meer:

Wo und wohin du willst, da schweift er kreuz und quer!

Sei's, daß er in den Himmel blickt, wie ein Prophet –

Denn viele Zeichen giebt's dort, die er gar wohl versteht –

Sei's, daß er, wie ein Zaub'rer, mit der Erde spricht,

Die stumm ist für den Städter, doch für den Jäger nicht.


Willst du die Schnarre suchen, die dort im Gras geschrie'n?

Umsonst! der Hecht im Niemen schießt schneller nicht dahin!

Die Morgenglocke des Frühlings, hörst du wie sie dir rief?

Die Lerche ist's – die birgt sich im Blau nicht minder tief!

Horch, wie der breite Flügel des Adlers droben weht!

Die Spatzen schreckt er auf, wie Czaren ein Komet,[32]

Und hoch im Äther hangend, schlägt und schüttelt die Schwinge

Ein Habicht, wie an der Nadel gespießte Schmetterlinge;

Nun zeigt sich ein Vogel, ein Hase – drunten, im Thale fern:

Da stürzt er auf ihn nieder, wie ein fallender Stern.


Wann läßt der Herr das Ende der Irrfahrt uns erschau'n,

Daß wieder auf heimischer Erde wir uns're Hütte bau'n,

Und dort als Reiter fechten, wo's Hasen gilt zu schlagen,

Und dort im Fußvolk dienen, wo's Vögel gilt zu jagen –

Und Sens' und Sichel macht die ganze Rüstung aus,

Und keine andre Zeitung, als Rechnungen für's Haus!?


Ob Soplicowo ging die Sonne auf, – ihr Feuer

Strahlt schon auf's Dach und stiehlt sich durch Sparren in die Scheuer,

Und über die dunkelgrüne, duft'ge Lagerstatt,

Die sich das junge Volk aus Heu bereitet hat,

Ergießt sie goldne Streifen durch das offne Dach, –

Wie Bänder in schwarzen Flechten, so flimmert's durch's Gemach.

Der Schläfer Lippen kitzelt sie mit dem Strahl und neckt,

Wie ein Mädchen den Buhlen mit einem Kornhalm weckt.

Schon springen und singen die Spatzen, zum dritten Mal hat schon

Der Gänserich gegackert – auch haben in gleichem Ton

Truthähne und Enten erwidert in allgemeinem Chor,

Und ausgetriebener Heerden Gebrülle schlägt an's Ohr.


Aufsteh'n die jungen Leute; Thaddäus ist noch nicht erwacht;

Er war auch zuletzt entschlummert. Kam er doch diese Nacht

Vom Mahle so erregt, daß, als der Hahn schon krähte,

Er noch kein Aug' geschlossen, und nur sich wälzt' und drehte,

Bis er in's Heu, wie in Wasser, versank – und schlief recht hart.

Nun bläst ihm ein kalter Wind in's Aug' – die Thüre knarrt,

Geräuschvoll tritt in die Scheuer und ruft mit strengem Ton

Der Bernhardiner Robak: »Erhebe dich, mein Sohn!«

Und schwingt ihm über die Schulter zu einem derben Streich

Den langen Strick der Mönche – es traf nicht allzuweich.
[33]

Im Hofe hört man schon der Jäger lauten Chor,

Man führt die Pferde heraus, die Wagen fahren vor,

Der weite Raum des Hofes faßt kaum die Schaaren all',

Man öffnet die Hundeställe, es schmettert Hörnerschall;

Anstürzen die Hunde und winseln vor Lust, wie da erscheinen

Die Hetzer mit ihren Pferden, die Jäger mit den Leinen –

Die Rüden sind wie toll, sie wedeln, rennen, springen,

Dann kommen sie wieder und strecken die Hälse nach den Ringen.

Nach solchen Zeichen darf man sich gute Jagd versprechen;

Endlich giebt der Kämmerer die Ordre, aufzubrechen.

Sacht, Einer hinter dem Andern, reiten die Jäger hinaus;

In langer Reih' entwickeln sie sich erst vor dem Haus; –

In ihrer Mitte reiten Assessor und Notar:

Und sah es sich auch zuweilen mit Abscheu an, das Paar:

Doch sprach es freundschaftlich, – nach ritterlichem Gebot,

Wenn sich entscheiden soll ein Streit auf Leben und Tod.

Kein Wort verrieth an ihnen des Herzens Grimm und Trutz, –

Falk läuft mit dem Assessor und der Notar führt Mutz.

Die Damen folgen in Kutschen, die Jünglinge zur Seiten,

Die, mit den Damen plaudernd, dicht an den Rädern reiten.


Im Hof schritt Pater Robak langsam auf und nieder,

Sein Morgengebet beschließend; doch blickt er hin und wieder

Auf Herrn Thaddäus, erst finster – dann lächelt er ihn an

Und winkt ihm mit dem Finger. Thaddäus reitet heran:

Den Finger an der Nase, droht ihm der Priester still;

Doch wie auch Thaddäus forscht, was das bedeuten will,

Wie er auch bittet und fragt: Robak erwidert nicht,

Blickt ihn nicht an; schiebt seine Kapuze in's Gesicht,

Und endigt sein Gebet; – bis, da kein Bitten frommt,

Thaddäus weiter reitet und zu den Freunden kommt.


Die Jäger hielten eben ihre Meuten an,

Und still auf seinem Platz verharrte Jedermann;

Die Einen gaben den Andern das Zeichen tiefster Ruh'

Und Alle wandten die Blicke jenem Steine zu,

Auf dem der Richter stand. Er hat ein Wild erseh'n,[34]

Winkt mit der Hand Befehle herüber. Alle versteh'n.

Sie halten stille. Mitten im Kreise traben nur

Assessor und Notar gemessen über die Flur.

Thaddäus war Beiden voran, hält an des Richters Seite

Und seinen Blicken folgend, späht' er rings in's Weite.

Er hatte schon lange nicht gejagt; im grauen Thal

War's schwer, den Grauen zu seh'n, und im Gestein zumal, –

Der Richter zeigt ihm die Stelle. Lampe, der Ärmste, sitzt

Unter's Gestein geduckt, die beiden Löffel gespitzt,

Das rothe Auge sieht der Jäger spähenden Blick,

Und wie verzaubert, fühlend das eherne Geschick,

Kann er den Blick nicht wenden, vor lauter Angst und Schreck;

So sitzt er unter'm Stein versteinert auf dem Fleck.

Jetzt nähert sich der Staub, wächst immer mehr und mehr –:

Mutz jagt am Leitseil, Falk ist hurtig hinter ihm her –

Assessor und Notar schrei'n hinten im Verein:

»Hetz! Hetz!« und sammt den Hunden hüllt der Staub sie ein.


Indessen so die Meute den armen Hasen hetzt,

Erscheint denn auch am Schloßwald der junge Graf zuletzt.

Der Herr kommt nie – das weiß man in der ganzen Runde, –

Wann und wohin es sei, zur festgesetzten Stunde;

So hat er auch heut' verschlafen – die Diener büßten's dann –:

Wie er die Jäger gewahr wird, sprengt er rasch heran;

Der lange weiße Rock, nach englischer Mode geschnitten,

Spielt mit den Schößen im Wind; die Diener, die hinten ritten,

Waren mit weißen Hosen und Spencern angethan

Und streifigen Stiefeln; die Hütchen sah'n sich wie Schwämmchen an,

So klein und schwarz und glänzend; Bediente in solchem Gewand

Werden im Palaste des Grafen Jockey's genannt.

Flink sprengen seine Leute auf den Wiesenplan, –

Da sieht der Graf das Schloß und hält den Renner an:

Er hatt' es nie des Morgens geseh'n, – nun glaubt er kaum,

Das wären dieselben Mauern: so war der ganze Raum

Vom Morgenstrahl verschönt, mit neuem Glanz geschmückt, –

Der Graf betrachtet es verwundert und entzückt.

Der Thurm scheint zweimal höher, weil über den Nebel gestreckt,[35]

Das blecherne Dach vom Lichte mit hellem Gold bedeckt,

Der Rest der zerschlagenen Scheiben glitzert in den Gittern,

Wie die gebrochnen Strahlen buntfarbig sie durchzittern;

Die untern Stöcke sind vom Nebeldunst umwallt,

Dem Aug' verhüllt sich so jedweder Riß und Spalt;

Vom Winde getragen, hallt der Jäger Schreien und Tollen

Oft an den Mauern wieder: man hätte schwören sollen,

Es lärme so im Schlosse, – unter der Nebelhülle

Sei es auf's neu' erbaut und Leben dort in Fülle.


Der Graf liebt' alles, was neu war und außerordentlich:

Das nannte er romantisch. Er sagte oft von sich,

Er sei ein romantischer Kopf; und man muß wirklich sagen:

Er war ein eigener Kauz. Oft konnt' er im besten Jagen

Stillsteh'n und kläglich starren in den Himmelsraum,

Wie ein Kater nach Spatzen auf hohem Fichtenbaum.

Oft irrt' er ohne Hund und Flinte durch den Hain,

Wie ein entlaufener Rekrut; saß oft allein

Ganz steif am Bach und neigte über die Fluth sein Haupt,

Wie ein Reiher, der mit den Augen alle Fische raubt;

Das waren so seine Grillen. Man kam auch überein,

Bei ihm sei's nicht ganz richtig. Doch ehrt man ihn allgemein:

Ein reicher Herr mit ur-uraltem Wappenschild,

Leutselig gegen die Nachbarn, gegen die Bauern mild,

Ja, gegen die Juden sogar.


Jetzt trabte des Grafen Roß,

Vom Wege abgelenkt, geradehin zum Schloß.

Dort steht er einsam, seufzt, blickt zu den Mauern auf,

Zieht Stift und Papier heraus – und zeichnet Figuren drauf.

Da sieht er sich um: von ihm wohl zwanzig Schritt fern,

Steht da ein Mann – der sieht Dergleichen auch wohl gern –

Den Kopf emporgeworfen, in den Taschen die Hände,

Als zählt' er mit dem Blick die Steine dieser Wände.

Der Graf erkennt ihn gleich; doch eh' er nicht mehrmals schreit,

Hört ihn Gervasius nicht. Der war in früh'rer Zeit

Im Dienst der Herrn, die einst geherrscht auf diesem Schloß, –[36]

Ein Schlachcic, und der Letzte von Horeszko's Troß.

Ein hochgewachs'ner Greis, mit rauhen, verdüsterten Zügen,

Gesundem, frischem Antlitz, das zahllose Furchen durchpflügen.

Einst war er in der Schlachta der Lustigste von Allen, –

Doch seit dem Kampf, in dem der letzte Schloßherr gefallen,

Ist er wie ausgetauscht; es sind schon viele Jahr',

Seit er auf einer Hochzeit oder Kirchmeß war –

Kein heit'res Lächeln sah man um seinen Mund seither,

Die witzigen Späße vernahm man von seinen Lippen nicht mehr.

Horeszko's Liverei trug er, wie einst, so jetzt,

Den Spencer mit den Schößen, mit gelben Tressen besetzt, –

Wohl nur vergilbt und golden gewiß in früh'rer Zeit, –

Halbböcke waren aus Seide ringsum genäht auf's Kleid,

Horeszko's Wappen: der Alte hatt' auch aus diesem Grunde

Den Übernamen »Halbbock« in der ganzen Runde.

Vom Lieblingsworte, das er stets im Munde trägt,

Ward ihm auch oft der Name »Herrlein« beigelegt –

Auch »Schartenkopf«: voll Scharten hatt' er die ganze Platte;

Er aber hieß Rembajlo, – welch' Wappenschild er hatte,

Ist nicht bekannt. Er selbst hat stets sich titulirt:

Den Schließer, – weil er einst im Schloß dies Amt geführt.

Den Schlüsselbund im Gürtel trug er noch immerfort

Am Band mit der Silberquaste, am altgewohnten Ort;

Zwar gab's nichts mehr zu öffnen; das Schloßthor stand nun offen,

Doch hatt' er für sein Amt Anstalten schon getroffen.

Zwei Thüren fand er – die setzt' er auf eigene Kosten in Stand,

Und schloß sie auf und zu tagtäglich mit eigner Hand.

Eins von den öden Zimmern hatt' er zum Heim erwählt;

Das Gnadenbrot beim Grafen hätt' ihm zwar nicht gefehlt,

Doch nirgends duldet's ihn – und wohl wird ihm erst dann,

Wenn er die Luft des Schlosses wieder athmen kann.


Nun sieht er den Grafen – zieht die Mütze schon von fern

Und ehrt mit einem Bückling den Blutsfreund seiner Herrn;

Die große Glatze, die schimmernd von Weitem herüberscheint, –

Zerkerbt, wie eine Raspel, im Kampf mit manchem Feind, –

Neigt er und streichelt sie; so tritt er näher heran,[37]

Bückt sich noch einmal tief, dann fängt er traurig an:

»Herrlein, Junker – erlauchter Herr Graf – wollt mir's verzeih'n:

Nicht Mangel an Respekt, Gewohnheit ist's allein –

Herrlein: das Wörtchen war bei allen Horeszko's Brauch,

Mein Herr, der letzte Truchseß, liebte das Wörtchen auch –

Herrlein, Ihr processirt nicht? ist's wahr: Ihr spart das Geld

Und duldet, daß Soplica dieses Schloß behält?

Ich glaub's nicht – doch wird üb'rall im Kreis davon gesprochen.«

Hier blickt er zum Schloß empor und seufzt ununterbrochen.


»Was Wunder, – es kostet viel und langeweilt noch mehr!«

Rief Jener, »Ich will's enden. Nur steift er sich so sehr,

Der leidige Schlachcic. Er weiß: er nergelt mir's heraus –

Ich bin auch schon mürb' geworden, und halt' es länger nicht aus:

Vergleich' uns das Gericht, ich will dann gerne weichen.«

»Vergleichen!« schrie Gervasius, »mit den Soplica's vergleichen!

Herrlein, mit den Soplica's?« und während er so spricht,

Verzieht er den Mund, als faßt' er die eignen Worte nicht –

»Soplica und Vergleiche! Herrlein! ein Spaß, ein Witz, –

Nicht wahr, mein Junker? – Dies Schloß, Horeszko's Rittersitz,

Dies in Soplica's Händen? Beliebt nur abzusteigen –

Geh'n wir in's Schloß – ich bitte, laßt es Euch nur zeigen.

Ihr wißt nicht, was Ihr thut. Neigt gnädig Euren Sinn.

Sitzt ab, Herr!« spricht's und hält zugleich den Bügel hin.


Sie traten in's Schloß. Der Alte hielt vor der Thür der Halle.

»Hier,« sagt' er, »pflegten die Herrn und rings die Mannen alle

In früheren Zeiten zu sitzen, zur Nachmittagszeit,

Hier schlichtete der Herr den Bauern manchen Streit;

In guter Laune, erzählt' er Geschichten seinen Gästen,

Oft gaben wieder diese allerlei Schwänke zum Besten,

Indessen die jungen Leute dort in des Hofes Mitten

Mit Stöcken fochten oder des Herrn Bachmate beritten.«


Sie traten in die Halle, und Gervasius sprach:

»Nicht so viel Steine pflastern dies riesige Gemach,

Als Fäßchen Weines hier gesprungen dazumal. –[38]

Zum Kreistag oder Landtag versammelt in diesem Saal,

Wohl auch zu des Herrn Geburtstag oder zur Jagd berufen,

Zog hier die Schlachta mit Riemen aus dem Keller die Kufen;

Auf diesem Chor stand immer die Kapelle beim Mahl

Und spielte Orgel1 und Instrumente ohne Zahl, –

Und wenn dann toastirt ward, da brauste Hörnerklang,

Als wie am jüngsten Tag. In wohlgeordnetem Gang

Folgt Vivat auf Vivat: das erste wird dem König gebracht,

Drauf wird des Primas, drauf der Königin gedacht,

Der Schlachta und der ganzen Republik sodann –

Nun, nach dem fünften Glas, da stieß man fröhlich an:

›Lieben wir uns!‹ Nun: Vivat! Unaufhörlich dröhnt' es!

Bei Tage hatt' es begonnen, bis an den Morgen tönt' es!

Und da standen schon für alle die fröhlichen Schaaren

Fuhren und Kutschen bereit, um Jeden nach Haus zu fahren.«


So geh'n sie durch mehrere Stuben. Des Alten Auge blieb

Still haften hie und da; bald trüb und bald so lieb

Gemahnt ihn hier die Wölbung und dort die Mauerwände;

Zuweilen, als wollt' er sagen: »Nun ist ja Alles zu Ende!«

Schüttelt er kläglich das Haupt, abwehrend winkt die Hand,

Als wollt' er die Erinnerung, die hier ihm neu erstand,

Fortscheuchen – und mit ihr auch die erneute Qual.

Nun steh'n sie oben, im ehemaligen Spiegelsaal:

Jetzt sind die Spiegel zertrümmert, die Rahmen leer, – entlang

Der scheibenlosen Fenster zieht sich ein Bogengang.

Dem Thor gegenüber.


Der Alte hat sein Haupt geneigt,

Bedeckt sein Gesicht mit den Händen, – und wie er's wieder zeigt:

Liegt tiefes Weh und Verzweiflung darüber ausgebreitet.

Der Graf versteht wohl nicht, was alles dies bedeutet;

Doch wie er dies Antlitz sieht, da rührt es ihn so eigen.

Er drückt ihm die Hand. Ein Weilchen währte dieses Schweigen,

Dann bricht es der Greis und schüttelt die erhob'ne Rechte:

»Nein, Junker! Nein, kein Friede zwischen Horeszko's Geschlechte

Und diesen Soplica's! In Euch fließt ja Horeszko's Blut,[39]

Ihr seid dem Truchseß verwandt – ja, Herr, das weiß ich gut,

Von der Frau Jägermeist'rin, Eurer Mutter, her,

Sie war die zweite Tochter des Kastellans, und der

Ein Oheim meines Herrn. – Nun hört, was hier einmal

Euer Geschlecht erlebt hat, hier in diesem Saal.


Mein seliger Herr, der Truchseß, altadlig, stolzgesinnt,

Der Erste und Reichste im Kreis – der hatte ein einzig Kind,

Ein Mädchen, schön, wie ein Engel; viel Herrn werth und fein,

Umschwärmten denn gar eifrig des Truchseß Töchterlein.

Nun traf sich's, daß sich darunter ein Brausekopf befand,

Ein Raufbold, Jacek Soplica, – im Scherz Wojewode genannt,

Er galt in der Wojewodschaft auch wirklich nicht gering,

Weil Alles im Hause Soplica nach seinem Pfeifchen ging,

Ihre dreihundert Stimmen hielt er in der Hand,

Und hatte doch Nichts, als nur sein Stückchen Ackerland,

Den Säbel und einen Schnauzbart, von Ohr zu Ohr, so lang.

Der Blitzkerl fand beim Truchseß gar gnädigen Empfang;

Zumal wenn Kreistag war, lud er ihn in den Palast,

Um seine Familienpartei zu ködern, oft zu Gast.

Dem Schnauzbart stieg's zu Kopf – und wahrlich, er träumte schon,

Was glaubt ihr wohl, zu werden? des Schloßherrn Schwiegersohn.

Nun kam er ungebeten in's Schloß, so oft's ihn gelüstet,

Und hatte sich endlich bei uns ganz heimisch eingenistet.

Schon sollt' er sich erklären; da merkte man's bei Zeiten,

Und ließ ihm denn zu Tische die schwarze Suppe2 bereiten.

Das Töchterlein, so schien es, war ihm wohl geneigt,

Doch hat sie vor den Eltern nie was davon gezeigt.


Es war zu Kosciuszko's Zeiten; die Charte vom dritten Mai3

Wollt' unser Herr vertheidigen – und sammelte seine Partei,

Den Konföderirten ein Hilfsheer der Schlachta zuzubringen,

Als plötzlich russische Haufen Nachts unser Schloß umringen.

Wir hatten kaum noch Zeit, um zum Allarm zu schießen,

Die untern Thore zu sperren und mit Riegeln zu schließen.

Im Schloß war nur der Herr, die Frau, ich, ein Lakai,

Der Koch mitsammt zwei Jungen, besoffen alle drei,[40]

Der Propst und vier beherzte Haiducken: Nun zum Gewehr –

Und an die Fenster! Schon braust ein lautes Hurrah daher,

Auf die Terrasse stürmt ein Troß heran, vom Thor;

›Zurück!‹ so donnern wir ihm aus zehn Gewehren in's Ohr –

Nichts sah man; unten schoß fortwährend die Dienerschaft,

Vom Gange aus der Herr und ich aus voller Kraft.

Alles ging schön und recht, trotz großer Bangigkeit.

Hier auf dem Boden lagen zwanzig Flinten bereit,

Kaum hatten wir eine verschossen, reicht man die andre dar:

Ein Dienst, bei dem der Propst mit Eifer thätig war,

Ferner die Herrin, das Fräulein und die Damen all'.

Drei Schützen waren da, und doch ging's Knall auf Knall!

Während die Russenkerle von unten hageln und toben,

Schießen wir nur vereinzelt, doch sicherer, von oben.

Die Lümmel drangen drei Mal fast bis an die Thür,

Doch jedes Mal verreckten ihrer drei dafür.


Schon tagt's. Die Feinde flieh'n, zum Magazin gewandt.

Froh trat der Herr auf den Gang, die Flinte in der Hand,

Wie eine Russenschnauze sich um die Mauer stahl,

Stracks! gab er Feuer und traf ganz herrlich jedes Mal.

Ein schwarzer Tschako lag nach jedem Schuß im Grünen,

Nur selten Einer mocht' sich noch vorzugucken erkühnen.

Wie nun der Truchseß sieht, daß so die Feinde verzagen,

Greift er zum Säbel, will nun einen Ausfall wagen;

Vom Gang aus ruft er den Dienern Befehle in's Gemach

Und wendet sich dann zu mir: ›Gervasius, mir nach!‹

Da knallt es unter dem Thor: mein Herr fährt stöhnend empor,

Wird roth, dann bleich, will sprechen, Blut quillt aus dem Mund hervor –

Da sah ich, genau in der Brust, die Unglückskugel stecken,

Sah meinen wankenden Herrn zum Thor den Finger strecken –

Ich hab' ihn erkannt, den Schurken Soplica! Ich hab' ihn erkannt,

Am Wuchs, am Schnurrbart! Ja, es fiel von seiner Hand

Der Truchseß – ich hab's gesehen! Noch hielt er die Flinte empor!

Der Elende! noch sah ich's rauchen aus dem Rohr!

Ich zielte auf ihn, – versteinert stand der Bösewicht,[41]

Und zweimal gab ich Feuer und zweimal traf ich nicht –

Zielt' ich aus Wuth so schlecht? aus Schmerz und Herzensnoth? –

Ich hörte die Weiber schrei'n – sah hin: mein Herr war todt.«


Hier schwieg Gervasius, von Thränen übermannt;

Dann schloß er: »Schon wurden vom Feind die Thore eingerannt,

Denn als mein Herr gefallen, stand ich fassungslos da,

Daß ich von allem, was vorging, Nichts hörte und Nichts sah.

Zum Glück kam Parafianowicz mit zweihundert Mann,

Mit den Mickiewicz's aus Horbatowicze heran,

Ein zahlreiches Geschlecht von lauter tapfern Leuten,

Und Feinde der Soplica's seit unvordenklichen Zeiten.


So fiel ein solcher Herr, fromm, mächtig und gerecht;

Senatoren, Feldherrn, Ritter zierten sein Geschlecht;

Ein Vater der Bauern, ein Bruder der Schlachta – und kein Sohn

Schwur auf des Edlen Grabe dem Mörder seinen Lohn!

Doch hatte er treue Diener. Wie ich sein Blut sah fließen,

Drein taucht' ich mein Rappier, das sie Federmesser hießen –

Von meinem Federmesser vernahmt ihr sicher schon,

Jedweder Land- und Kreistag und Jahrmarkt spricht davon –

Auf der Soplica Nacken schwor ich es schartig zu schlagen,

Bei Einritten hetzt' ich sie, auf Land- und Jahrmarktstagen;

Zwei hab' ich im Streit zerhackt, zwei im Duell zersägt,

Noch Einem in einem Holzbau Feuer untergelegt,

Als wir in Korelicze mit Rymsza eingeritten:

Er schmorte, wie ein Bratfisch; die Ohren abgeschnitten

Hab' ich Gott weiß, wie vielen – nur ein Einziger blieb,

Dem ich noch gar kein Merkmal in den Nacken hieb:

Das erzleiblichste Brüderlein jenes Schnauzbarts lebt!

Lebt noch, bläht sich im Reichthum, und seine Feldmark strebt

An's Schloß der Horeszko heran – ja, er ist beim Gelichter

Im Kreis gar angesehen, hat ein Amt, ist Richter!

Und ihm dies Schloß? Sein Fuß, der niederträchtige, soll

Das edle Blut wegwischen, das hier zur Erde quoll?

Nein! Nein! So lang' Gervas für einen Heller Leben

Und Kraft hat, um mit dem kleinen Finger nur zu heben[42]

Das Federmesser, das noch bis nun hängt an der Wand:

Wird dieses Schloß Soplica's Eigen nicht genannt!«


»O!« rief der Graf und streckte die Hände hoch empor –

»Als mir die Mauern gefielen, da fühlt' ich's richtig vor!

Ahnt' ich auch nicht die Schätze, die in ihnen lagen,

So viele dramatische Scenen, so viele Mären und Sagen!

Bin ich erst Sieger – nenn' ich das Schloß der Väter mein:

Gervasius, fürwahr, du sollst mein Burggraf sein!

Was du erzählt, es hat mich so mächtig gefesselt, gerührt –

Nur schade, daß du mich des Nachts nicht hergeführt:

Auf Trümmern säß ich, den Mantel malerisch geschlungen,

Und du entrolltest blutige Erinnerungen.

Schad' auch, daß dir die wahre Darstellungsgabe fehlt,

Oft hört' ich und las von Dingen, wie du sie mir erzählt,

In England und Schottland waren alle Burgen der Lords,

In Deutschland die Schlösser der Grafen Schauplätze mannigen Mords;

Erzählt doch jedes alte, mächtige, edle Haus

Von irgend einem Frevel oder blutigen Graus;

Die Rache wird vom Erben als Erbstück überkommen;

In Polen ist dies der erste Fall, den ich vernommen,

Ja, ja, das Blut der Horeszko fühl' ich in mir nun recht,

Weiß, was ich der Ehre schulde und meinem edlen Geschlecht, –

Ja, mit Soplica ist alles Verhandeln abzubrechen,

Müßt' auch zuletzt die Kugel oder die Klinge sprechen!

Die Ehre will's!« Ausschritt er feierlich, wie er's sprach.

In tiefem Schweigen ging Gervasius ihm nach.

Der Graf hielt vor dem Thor – sprach mit sich selbst – auf's Schloß

Hinblickend schwingt er sich dann hurtig auf sein Roß,

Und endet in tiefem Sinnen den Monolog also:

»Ach, hätte der alte Soplica ein Weib – wie wär' ich froh!

Oder ein Töchterlein, – das hielte mich gefangen

Mit holdem Reiz: ich liebte, und könnt' sie nicht erlangen!

Was für Verwicklung gäbe das der Märe nicht!

Dort Ehre – hier das Herz! Hier Liebe, dort die Pflicht!«

So murmelnd drückt er dem Roß die Sporen in die Seite;[43]

Da reiten aus dem Walde drüben die Jägersleute;

Er jagt sehr gern, und kaum erblickt' er sie: im Nu

War Alles vergessen; er sprengt gerade auf sie zu,

Vorbei an Thor und Gärten und Zäunen – plötzlich fällt

Sein Blick auf einen Zaun, an dem er stille hält.

Da war ein Obstgarten.


In Reihen aufgestellt,

Beschatten die Fruchtbäume die Beete im weiten Feld.

Sieh', wie der Kohl da sitzt, den würdigen Kahlkopf senkt

Und des Gemüses irdisch Schicksal überdenkt;

Die schlanke Bohne dort betrachtet der Rübe Köpfchen

Mit tausend Augen, und flicht die Schoten ihr in's Zöpfchen;

Hier hebt der türkische Weizen den goldnen Busch empor,

Stellenweis streckt den Bauch ein dicker Kürbis vor,

Der sich von seinem Stengel gekollert hat in's Weite,

Ein Gast der rothen Rüben ganz auf der andern Seite. –

Die Beete durchschneiden Raine; da steh'n vor jedem Gebiet

Hanfstauden in den Gräben, zur Wacht in Reih' und Glied:

Cypressen des Gemüses, so still, gerad' und grün.

Mit Duft und Blättern schützen sie der Pflanzen Blüh'n,

Die Natter zieht sich zurück, wo nur ihr Blätterwerk droht,

Und Raupen und Insekten bringt ihr Duft den Tod. –

Und wo die weißlichen Stengel des Mohns sich aufwärts schlingen,

Ist's nicht, als sähest du dort ein Heer von Schmetterlingen

Die zarten Flügel schütteln? und prächtige Edelsteine

Erblinken dort in buntem Regenbogenscheine?

So prangt berückend der Mohn. Und unter den Blumen thront,

Wie unter den himmlischen Sternen der volle, große Mond,

Die runde Sonnenblume – und folgt mit brennender Wange

Von Ost nach Westen hin des Sonnengottes Gange.


Buschlos und baumlos zieh'n sich Hügel am Zaun dahin,

Ganz schmal: hier wachsen Gurken, die, schön emporgedieh'n,

Die mächtigen Blätter weithin über die Beete strecken

Und wie mit faltenreichem Teppich sie bedecken.

Inmitten wandelt ein Mädchen, schneeweiß angethan,[44]

Das Maiengrün umfließt sie bis an's Knie hinan, –

Sie beugt sich über die Furchen und scheint da kaum zu schreiten,

Vielmehr im Grün zu baden und über die Blätter zu gleiten.

Ein Strohhut bedeckt ihr Haupt; zwei rosenrothe Schleifen

Weh'n von der Stirn herab und einige Lockenstreifen

Der aufgewickelten Zöpfe, die hell im Lichte blinken.

So geht sie, gesenkten Blicks, ein Körbchen an der Linken,

Die rechte Hand erhoben, als wollt' sie etwas fangen,

Wie Mädchen, wenn sie im Bade flink nach den Fischlein langen,

Die ihnen um's Füßchen spielen, so bückt sie sich, während sie sucht,

Mit Korb und Händen von Weile zu Weile nach der Frucht,

Sobald ihr Fuß sie anstößt oder ihr Aug' sie erblickt.


Der Graf, vom wundersamen Anblick ganz entzückt,

Lauscht leise. Sein Gefolge trabt von fern heran;

Er winkt ihm stillzustehen, – sie halten die Pferde an.

Mit ausgerecktem Halse schaut der Graf und späht,

Dem Kranich gleich, der fern vom Schwarm zur Lauer steht,

Auf Einem Fuß sich haltend, mit wachsam off'nen Blicken,

Im anderen Fuß ein Steinchen, um nicht einzunicken.


Da weckt ihn etwas, das ihm um Kopf und Rücken saust:

Es war der Pater Robak; der schwang in seiner Faust

Den Knotenstrick und donnert ihm zu mit grimmem Blick:

»Kerl, wollt Ihr den Strick verdienen? da habt Ihr ihn, den Strick!

Das wächst da nicht für Euch, – laßt mir die Früchte liegen,

Packt Euch! Da könnt Ihr Nichts, als etwa Schläge, kriegen!«

Dann winkt er ihm drohend, schiebt die Kapuze zurecht und geht;

Der Graf bleibt eine Weile noch am Gartenbeet,

Und lacht und flucht zugleich, daß man ihn so gestört.

Doch wie er die Blicke wieder nach dem Garten kehrt,

Da war sie nicht mehr dort; es blinkt nur im Fensterlein

Ihr weißes Kleidchen und der Schleife rosiger Schein.

Noch sieht man an den Beeten den Weg, den sie durchflogen:

Die grünen Blätter, im Lauf vom Füßchen leicht gebogen,

Erheben sich, zittern ein Weilchen – bis Alles ruhig wird,

Wie Wellen, über die ein Vöglein hingeschwirrt.[45]

Das Weidenkörbchen, weggeworfen auf der Flucht,

Hing, mit dem Deckel nach unten und beraubt der Frucht,

Noch auf den Blättern dort, an jener trauten Stelle,

Und schaukelte sich leise auf der grünen Welle.


Bald herrschte tiefe Stille ringsum – und unverwandt

Blickt nach dem Haus der Graf und lauscht und horcht gespannt;

Und wie er so immer sinnt, steh'n immer unbewegt

Die Jäger hinter ihm. Bis es sich plötzlich regt

Im stillen, einsamen Haus, – dann folgt ein jauchzend Lärmen,

Wie wenn die Bienen summend in ihre Stöcke schwärmen,

Ein Zeichen, daß die Gäste heimgekehrt vom Jagen,

Und daß die Diener geschäftig für's Frühstück Sorge tragen.


Auch ging's gar rührig zu an jedem Eck und Fleck,

Man trug die Speisen auf, Bouteillen und Besteck,

Die Männer stecken noch alle im grünen Jagdgewand,

Die geh'n durch's Zimmer, Glas und Teller in der Hand,

Essen und trinken, – die steh'n am Fensterpfosten und schwätzen

Von Flinten, Hunden und Hasen; ruhig auf ihren Plätzen

Sitzen der Richter und die Kämm'rerschaft bei Tisch;

Die Damen flüstern im Winkel. Es war ein buntes Gemisch,

Wie es wohl niemals vorkommt beim Mittag- und Abendbrode:

In altpolnischem Hause eine neue Mode!

Beim Frühstück duldet der Richter, daß man dergleichen thut,

So schwer es ihm auch fällt, – doch heißt er's niemals gut.


Verschied'ne Speisen trug man für Herrn und Damen auf;

Hier bringt man Kaffeebretter mit allem Geschirr darauf,

Großmächtige Tassen, bemalt mit zierlichem Blumenflor;

Aus blechernen Kannen steigt ein duftiger Dampf empor;

Daneben goldige Schalen aus sächsischem Porcellane;

Bei jeder Schale steht ein winziges Töpfchen Sahne. –

Ein Kaffee, wie in Polen, findet sich nirgends mehr;

Dort hat man in besseren Häusern, von alten Zeiten her,

Ein Weib, das Nichts, als Kaffee, zu bereiten hat,[46]

Die Kaffeefrau genannt – die holt denn aus der Stadt

Oder vom Marktschiff4 Bohnen von feinster Qualität,

Die sie auch mit geheimen Künsten zu brau'n versteht.

Der Kaffee ist schwarz, wie Kohle, dabei wie Bernstein, klar,

Wie Honig dicht, und duftet, wie Mokka, wunderbar.

Was Rahm für den Kaffee bedeutet, weiß die ganze Welt:

Im Dorf ist's einfach; die Kanne wird zum Herd gestellt,

Dann geht die Kaffeefrau in die Milchkammer hinab,

Nimmt zart die frische Blüthe des Rahms von oben ab,

Und gießt sie für jede Schale in ein eignes Näpfchen,

Auf daß sein eignes Häutchen besitze jedes Töpfchen.


Die älteren Damen tranken ihren Kaffee bei Zeiten;

Sie waren früher auf, – nun sitzen sie und bereiten

Das zweite Gericht, zu dem man Warmbier und Sahne nimmt,

In welchem Gemisch noch Quarkkäs in kleinen Klümpchen schwimmt.

Die Männer haben zur Auswahl Spickgänse fein und zart,

Dann Schinken, Zungenscheiben, Rauchfleisch aller Art,

Vortrefflich Alles, Alles nach altem Hausmannsbrauch

Im Schornstein wohlgeräuchert bei Wachholderrauch;

Zum Schlusse kommen Klöpse; dann ist die Mahlzeit aus:

So frühstückt man gewöhnlich in des Richters Haus.


In zwei Stuben bilden sich zwei verschiedene Kreise:

Die Alten am Tischchen plaudern in gewohnter Weise

Von Wirthschaftssachen und manchem neuentdeckten Verfahren,

Von neuen, immer härteren Verordnungen des Czaren,

Der Kämm'rer bespricht die Bedeutung der neuen Kriegsgerüchte

Und schließt draus auf die nächste politische Geschichte.

Fräulein Hreczecha hat blaue Gläser aufgesetzt

Zum Kartenlegen, womit sie des Kämm'rers Frau ergetzt;

Die Jugend im zweiten Zimmer spricht immer noch vom Jagen,

Doch nicht so hitzig, wie sonst; warum, ist leicht zu sagen.

Assessor und Notar, Hauptredner alle zwei,

Die besten Schützen und ersten Kenner der Jägerei,

Die saßen gegen einander mürrisch und ärgerlich:

Sie hetzten beide so wacker! Jeder sah schon vor sich[47]

Seines Windspiels Triumph – da fand sich, mitten im Feld,

Ein Bauernacker, noch mit Sommersaat bestellt:

Hinschlüpfte der Hase; – sie sehen: schon greift ihn Falk, schon Mutz –

Da hält sie der Richter vom Fang zurück: der Saat zum Schutz!

Sie müssen gehorchen, wie sehr ihr Herz darob ergrimmt,

Die Hunde kamen – allein; und Niemand weiß bestimmt:

Entrann das Wild oder nicht? und Niemand kann errathen,

Ob es in Mutzens Rachen oder in Falk's gerathen,

Oder in beider zugleich – die Meinungen sind gespalten:

So bleibt des Zwistes Schlichtung der Zukunft vorbehalten.


Der alte Wojski geht von einem Zimmer zum andern,

Läßt seine Blicke schweifend nach allen Seiten wandern,

Mischt sich in kein Gespräch – ganz andre Dinge gehen

Ihm offenbar durch den Kopf; zuweilen bleibt er stehen –

Erhebt eine lederne Klappe, die er in Händen trägt:

Sinnt lange – bis er endlich eine Fliege erschlägt.


Thaddäus und Telimene nahmen die Schwelle ein

Zwischen den beiden Stuben und plauderten ganz allein;

Und weil das Paar nicht fern von läst'gen Zeugen stand,

So flüstert' es. Thaddäus erfuhr da allerhand:

Die Tante Telimene sei eine reiche Frau,

Die Blutsverwandtschaft binde sie gar nicht so genau,

Sie seien nicht kanonisch, vielleicht auch gar nicht verwandt;

Sie werde allerdings vom Oheim Schwester genannt,

Weil einmal ihre Eltern, der Jahre ungeachtet,

Die Beide sichtlich trennen, sie als Geschwister betrachtet.

Dann habe sie lange Zeit in Petersburg zugebracht

Und sich da um den Richter gar verdient gemacht,

Weshalb er sie hoch verehrte und gern geschehen ließ,

(Vielleicht aus Eitelkeit), daß er ihr Bruder hieß:

Was ihm Frau Telimene aus Freundschaft nicht verwehrt.

Thaddäus athmet auf, wie er das alles hört;

Auch giebt's noch manches And're, was man sich nun bekennt –

Und alles dies in Einem flüchtigen Moment.
[48]

Im Zimmer zur Rechten aber beginnt jetzt der Notar

Beiläufig, dem Assessor zum Ärger: »Nun, nicht wahr?

Jetzt gelingt kein Jagen; gestern sagt' ich's doch:

Es ist zu früh, – das Korn steht in den Halmen noch,

Die Sommersaat der Bauern noch selten wo geschnitten, –

Drum hat auch heut' der Graf gefehlt in unsrer Mitten,

Wiewohl man ihn geladen. Der kennt die Jägerei!

Sprach oft darüber, wann und wo zu jagen sei;

Er lebte lang' im Ausland, schon seit den Kinderjahren,

Und pflegt zu sagen, das kennzeichne die Barbaren:

Zu jagen, wie bei uns üb'rall und allezeit,

Um kein Gesetz bekümmert und keine Obrigkeit,

So ohne Wissen des Grundherrn, mißachtend Grenz' und Rain,

Auf fremdem Grund zu reiten, – so durch Feld und Hain

Im Frühling, im Sommer, zu schweifen, wie das Herz begehrt, –

Nicht selten den Fuchs zu tödten, wenn er sich eben härt,

Die trächtige Häsin im grünenden Winterfeld zu fassen,

Und eigentlich sie von Rüden zu Tode quälen zu lassen,

Zum großen Schaden des Wilds. Weshalb der Graf auch klagt,

Daß uns Rußland heute an Cultur überragt; –

Dort giebt es Jagdukase, Aufsicht der Polizei,

Und Strafe für die Schuld'gen: dort sündigt man nicht frei!«


»Ja«, sagte Telimene, zum linken Zimmer gewendet,

Während sie mit dem Battisttuch den Schultern Kühlung spendet:

»Ja, meiner Treu, der Graf hat Recht, wenn er so spricht;

Ich kenne Rußland wohl; Herrschaften glaubten's nicht,

Wenn ich so oft gesagt, daß aus gar manchen Gründen

Die strenge Aufsicht gut sei, die üb'rall dort zu finden.

Ich war in Petersburg, nicht Ein Mal oder zwei, –

Ach, holde Erinnerungen! Wie weilt sich's gern dabei!

Welch' eine Stadt! War keiner der Herren dort? Wie Schade!

Interessirt Sie der Plan? Ich hab' ihn in der Lade.

Im Sommer geht die Gesellschaft auf die Datschen, auf's Land, –

Bezieht die Villen – ein Dörfchen wird russisch ›Datscha‹ genannt.

Ich wohnt' in einem Palästchen, das lieblich heruntersah

Von einem eigens errichteten Hügelchen – nicht zu nah'[49]

Der Stadt und nicht zu weit – ganz dicht am Newagestade:

War das ein Häuschen! Ich hab' den Plan noch in der Lade.

Da führt mein Unstern einen kleinen Tschinownik heraus,

Zu einer Untersuchung; der miethet ein Nachbarhaus;

Er hielt sich einige Hunde – dahin nun Glück und Ruh'!

Ein kleiner Tschinownik als Nachbar und Hundeställe dazu!

Trat ich nur mit dem Buch in meinen Garten ein,

Zu laben mich am Abend oder am Mondenschein,

Gleich rannte auch der Hund herbei und spitzte die Ohren

Und wedelte, – recht, als hätt' er den Verstand verloren.

Oft ward mir bang. Mein Herz ließ mich nichts Gutes hoffen

Von diesem Hund – die Ahnung ist auch eingetroffen.

Denn einst, als ich im Garten den Morgen wollt' genießen,

Erwürgt mir dieser Windhund den Liebling zu meinen Füßen:

Mein Bologneserhündlein! Ach, war das ein wonniges Thier!

Ich hatt' es vom Fürsten Sukin geschenkt zum Souvenir, –

Eichhörnchenartig lebhaft, und klug im höchsten Grade!

Sein Bildchen hab' ich noch – ich will nur nicht zur Lade;

Wie ich es todtgewürgt sah, mir wollten die Sinne vergehen, –

Herzklopfen bekam ich, Krämpfe – Was konnte noch sonst geschehen!

Zum Glück besucht mich eben der Jägermeister des Czaren,

Kirylo Gawrylicz Kozodusin; frägt, was mir widerfahren –

Und läßt den Tschinownik holen, – bei den Ohren, und gleich!

Der kommt mehr todt, als lebendig, schlotternd und schreckensbleich –

Was? donnert Kirylo ihm zu, du konntest im Frühjahr wagen,

Unter der Nase des Czaren die trächtige Hirschkuh zu jagen?

Der arme Teufel schwor vergebens hoch und theuer,

Die Jagden hätten bei ihm noch nicht begonnen heuer,

Das Thier da sei kein Hirsch, – vielmehr, so viel er glaube,

Ein Hund: mit Seiner Gnaden gütigsten Verlaube.


Wie, – schrie Kirylo, – Hallunk', du unterstündest dich

Von Thierclassen und Jagd mehr zu versteh'n, als ich,

Der Jägermeister des Czaren? So mag denn zwischen uns Beiden

Der Polizeidirector allsogleich entscheiden! –

Man ruft den Polizeichef, der's untersuchen soll.

Ich, sagte Kozodusin, gebe zu Protokoll,[50]

Das Thier sei eine Hirschkuh; er faselt, es sei ein Hund.

Nun, wer versteht das besser? Thu die Entscheidung kund. –

Der Polizeichef kannte seine Amtspflicht gut,

Erstaunte über des Tschinowniks frechen Muth,

Und gab ihm dann bei Seite den freundschaftlichen Rath,

Durch reuiges Bekenntniß zu sühnen seine That.

Kirylo verspricht begütigt, bei seiner Majestät

Zu wirken, daß ein mild'rer Urtheilsspruch ergeht;

Das Ende ist: daß man die Hunde erdrosseln läßt

Und der Tschinownik brummt vier Wochen im Arrest.

Wir lachten den ganzen Abend; Tags drauf ward überall

Die Anekdote erzählt, wie meines Hündchens Fall

Dem Oberjägermeister derart zu thun gemacht,

Sogar, ich weiß es sicher, der Kaiser hat gelacht.«


Nun lacht die ganze Gesellschaft. Der Richter spielte eben

Mariage mit Pater Robak und sollte was Wicht'ges geben,

Grün war Trumpf – der Pater athmete fast nicht mehr, –

Als die Geschichte begann; die fesselte ihn so sehr,

Daß er die ganze Zeit, den Kopf hinaufgewandt,

Die Karte, zum Schlagen bereit, erhoben in der Hand,

Still saß – und Robak kam nicht aus der Angst heraus.

Nun da sie geendet, spielt' er den Eichelober aus,

Und sagte lachend: »Ei nun, wer will, der rühme nur

Am Deutschen die Cultur, am Russen die Dressur!

Man führ' in Großpolen5 die Schwabensitte ein,

Um Füchse zu processiren, und nach Gensdarmen zu schrei'n,

Wenn sich einmal ein Spürhund in fremdes Revier verrannt:

Die Sitte der Väter herrscht, Gottlob, im Lithauerland.

Wir haben Wild genug für uns und die Nachbarn auch,

Processe um Dergleichen, die werden bei uns nicht Brauch –

Auch an Getreide fehlt's nicht; wir werden nicht Hungers sterben,

Wenn uns einmal die Hunde einigen Kohl verderben;

Nur auf den Bauernhufen duld' ich den Jäger nimmer.«


»Ja, freilich!« rief der Verwalter aus dem linken Zimmer,

»Ihr zahlt auch, lieber Herr, recht theuer für solch ein Thier.

Die Bauern sind auch froh, wenn je in ihr Revier[51]

Ein Windhund rennt; zehn Halme, wenn er niedertritt:

Ihr zahlt dafür ein Schock – und seid noch immer nicht quitt.

Oft gebt Ihr einen Thaler dem Bauern obendrein, –

Glaubt, mit dem Volk wird's bald nicht auszuhalten sein,

Wenn –« Was der Herr Verwalter sonst für Belege bringt,

Vernimmt der Richter nicht mehr; denn dazwischen klingt

Spektakel, Spaßen, Erzählen auf zehn verschiedenen Seiten,

Ein Schwirren von Anekdoten – und endlich kommt's zum Streiten.


Thaddäus und Telimenen bemerkt man gar nicht mehr;

Sie aber denken an sich. Die Dame freut sich sehr,

Daß ihre Unterhaltung dem Jüngling so gefällt,

Wofür sie wieder von ihm viel Complimente erhält.

Immer langsamer, leiser spricht sie – Er nun thut,

Als hörte er im bunten Redegewirr nicht gut;

Und flüsternd tritt er näher, – nun fühlt er so ganz nah'

Der Stirne süßes Glüh'n! Beklommen steht er da,

Mit seinem Munde saugt er des Mundes Seufzer ein,

Mit seinem Blicke hascht er des Blickes Feuerschein.


Da flimmert zwischen die Lippen der Beiden jäh hinein

Erst eine Fliege, und Wojski's Klappe hinterdrein. –


In Lithauen giebt's viel Fliegen; darunter wohlbekannt

Eine besondere Art, Schlachcicenfliege genannt.

Nach Farbe und Gestalt nicht von den gemeinen zu trennen,

Nur an größerem Bauch und weiterer Brust zu erkennen.

Die saufen im Flug sehr laut – summen, kaum zum Ertragen,

Und sind so stark, daß sie ein Spinnennetz durchschlagen.

Bleibt aber eine hängen, so wird sie drei Tag schnaufen, –

Denn Leib an Leib vermag sie mit der Spinne zu raufen.

Das alles erforschte der Wojski und bewies noch mehr:

Nämlich, von ihnen stamme das kleinere Fliegenheer,

Sie seien im Fliegenreich, was Weiseln für die Bienen –

Vertilgte man sie, so stürben alle Insekten mit ihnen.

Zwar wagten sowohl der Pfarrer, als auch die Wirthschafterin

Die Theorien des Wojski stark in Zweifel zu zieh'n,

Und waren andrer Meinung über das Volk der Fliegen;[52]

Den Wojski und seine Gewohnheit konnte das nicht besiegen:

Kaum zeigt sich eine, geht er gleich mit der Klappe vor.

Jetzt summte ihm eben ein solcher Schlachcic über'm Ohr, –

Ein, zwei Mal schlug er, – erstaunte, sich heut' umsonst zu plagen,

Schlug nochmals – hätt' um ein Haar ein Fenster eingeschlagen, –

Bis daß die Fliege, vom Knallen betäubt, und am Entgeh'n

Gehindert von den Zweien, die auf der Schwelle steh'n,

Sich voll Verzweiflung zwischen die beiden Gesichter warf;

Und hurtig folgt ihr die Klappe. Der Schlag gerieth so scharf,

Daß gleich die beiden Köpfe von einander prallten,

Wie Hälften eines Baumes, den der Blitz gespalten.

Sie schlugen sich an den Pfosten recht stark, im raschen Schwung, –

Und hatten blaue Flecken zur Erinnerung.


Zum Glück blieb's unbemerkt. Denn unterhielt man sich

Bis nun zwar laut und lebhaft, doch ziemlich ordentlich,

So schloß man jetzt urplötzlich mit einem lauten Lärmen;

Wie Jäger, wenn sie zur Fuchsjagd durch die Wälder schwärmen,

Hier hört man Bäume krachen, dort Schüsse und Hundegebell, –

Da wird ein Eber plötzlich aufgejagt! Und schnell

Erhebt sich auf das Zeichen ein Lärm der Jäger und Hunde,

Als brausten alle Bäume der Wildniß in der Runde:

So ist es im Gespräch. Erst schleicht es ziemlich sacht:

Da wird ein großes Thema, ein Eber, aufgebracht. –

Den Eber bildete diesmal jenes berühmte Paar,

Um das sich grimmig bekriegten Assessor und Notar.

Kurz war's, doch thaten sie viel in einer kurzen Weile,

Denn so viel Injurien sagten auf einmal beide Theile,

Daß sie die drei Perioden des Zankens durchgenommen:

Das Sticheln, Wüthen und Fordern – und nun zum Raufen kommen.


Aus dem zweiten Zimmer stürzt denn Alles zur Stelle,

Wälzt sich durch die Thür, und wie eine wilde Welle

Trägt's unser Pärchen mit, das mitten in dem Brand,

Ein zweiköpfiger Janus, auf der Schwelle stand.


Noch ehe sich aber die Beiden ihr Haar zurecht gestrichen,

War der bedrohliche Handel schon glücklich ausgeglichen.[53]

In allen Reihen wird geflüstert und gelacht,

Der Bernhardiner hatte dem Zwist ein Ende gemacht:

Ein alter Mann, doch sehr breitschultrig und gewandt;

Schon war der Assessor auf den Juristen losgerannt,

Schon drohen einander die Kämpen, begierig dreinzuschlagen,

Da packt er Beide von hinten mit einem Ruck am Kragen,

Schlägt dann die harten Köpfe der beiden hitzigen Schreier

Ein- zweimal an einander, wie die Ostereier,

Und wirft, wie seine Arme sich von einander recken,

Mit einem Stoß die Beiden in zwei verschiedene Ecken.

Steht so ein wenig – einem Meilenzeiger gleich,

Und schreit: »Pax, pax vobiscum! Friede sei mit euch!«


Beide Parteien verwundern sich und lachen sogar, –

Allein aus Ehrfurcht vor dem geistlichen Talar

Wagt Niemand, den Mönch zu schelten. Es trägt auch Keiner Verlangen,

Mit ihm, nach solchen Proben, Händel anzufangen.

Doch war es ihm durchaus nicht um den Triumph zu thun.

Er schmählt und droht nicht weiter, nun da die Zänker ruh'n, –

Rückt die Kapuze zurecht, fährt dann mit beiden Händen

Still in den Gurt und geht.


Um Weiteres abzuwenden,

Setzt sich hierauf der Kämmerer zwischen die Parteien,

Der Richter neben ihn. – Doch, wie aus Träumereien

Erwacht, tritt nun der Wojski mit feierlichem Schritte

Und glühenden Aug's, die Reihen musternd, in die Mitte, –

Und wo ein leises Flüstern noch in's Ohr ihm dringt,

Dort schwingt er, wie der Priester den Weihewedel schwingt,

Die lederne Fliegenklatsche beschwichtigend auf und ab.

Zuletzt erhebt er würdig, wie einen Marschallstab,

Das Stielchen in die Höhe und gebietet Ruh':


»Still!« ruft er nochmals, »Freunde, erwägt doch, seht doch zu!

Die ihr im ganzen Kreis die ersten Jäger seid,

Wißt ihr's: was wird aus eurem immer ärgeren Streit?

Die Jugend, zu der das Land aufblickt so hoffnungsvoll,

Die unsere Waldreviere mit Ruhm bedecken soll,[54]

Die ach! auch so schon anfängt, die Jagd gering zu schätzen

Bestärkt's vielleicht auf's Neue, sie ganz hintanzusetzen, –

Da, die vorangeh'n sollten als Beispiel in allen Dingen,

Vom Waidwerk nichts als Hader und Zank nach Hause bringen!

Zollt auch gehörige Achtung meinen weißen Haaren!

Ich kannte größere Jäger, als ihr, in früheren Jahren, –

Und mußte oft als Schiedsmann über sie erkennen.

Wer konnt' in Lithauens Wäldern sich neben Rejtan nennen?

Und Georg Bialopiotrowicz, wer möcht' ihn heut' erreichen?

Im Angriff, in der Treibjagd, wo fänd' er seines Gleichen?

Wo steht wohl heut' ein Schütze, wie Schlachcic Zegota, auf,

Der mit der Pistolenkugel den Hasen traf im Lauf?

Ich kannte Terajewicz, der's niemals gelten ließ,

Zur Sauhatz etwas Andres zu nehmen, als den Spieß, –

Budrewicz, der es liebte, dem Bären zum Kampf zu steh'n –

Das waren Männer! das haben unsere Wälder geseh'n!

Und kam's zum Streit – nun wißt ihr, wie man's zu schlichten pflegte?

Indem man Richter erwählte und Pfänder hinterlegte:

So hat einmal Oginski hundert Hufen Wald

Um einen Wolf verspielt; dem Niesiolowski galt

Ein Dachs gar einige Dörfer, die er auch verlor;

So gingen euch die Alten mit gutem Beispiel vor.

Nun, meine Herren, macht's denn heut' nach ihrer Weise

Und schlichtet euren Zwist, sei's auch um kleinere Preise.

Das Wort ist Wind, beim Wortstreit wird man kein Ziel erjagen;

Wer wird um einen Hasen so lang' die Lunge plagen?

So wollet denn vor Allem Schiedsrichter euch bestellen,

Und fügt euch dann getreulich dem Urtheil, das sie fällen.

Ich will den Richter bitten, dem Spürmann nicht zu wehren,

Und sollt' er auch ein wenig das Weizenfeld verheeren, –

Und bürge, daß der Herr es gnädig geschehen läßt.«

Er spricht's, indem er den Richter leicht an den Knieen preßt.


»Ein Pferd, ein Pferd sammt Reitzeug,« rief nun der Notar,

»Das setz' ich ein – erkläre vor dem Landamt sogar,

Den Ring als Bürgschaft zu legen in des Richters Hand.«

»Ich« rief der Assessor »setze Halsbänder ein als Pfand,[55]

Goldne, mit goldenen Ringen, mit Schlangenfell belegt,

Dazu eine seid'ne Leine, die Aller Staunen erregt

Durch die gewirkte Arbeit und einen glänzenden Stein:

Das alles sollt' ein Erbtheil meiner Kinder sein,

Wenn ich heirathen sollte. Es schenkte mir's einmal

Fürst Dominik,6 als ich einst mit ihm, mit General

Mejan7 und mit dem Fürsten Marschall Sanguszko gejagt,

Und Alle mit meinen Hunden herauszufordern gewagt.

Es war auf der Au von Kupisko, wo das sich zugetragen;

Dort hab' ich, – unerhört ist's, seitdem nur Jäger jagen, –

Mit einer einfachen Füchsin sechs Stück Hasen erlegt.

Fürst Radziwill mußte vom Pferd, so tief war er bewegt, –

Und meine berühmte Hündin Kania umarmt' er entzückt;

Nachdem er ihr mitten auf's Köpfchen noch einen Kuß gedrückt,

Klatscht' er ihr auf die Schnauze dreimal mit der Hand

Und rief: ›Fortan sei Fürstin von Kupisko genannt!‹

Seinen Feldherrn giebt so Kaiser Napoleon

Von ihren Siegesstätten Fürstentitel zum Lohn.«


Telimena, gelangweilt von allen den Zänkerei'n,

Möcht' in den Hof hinaus, und ginge nicht gern allein.

Sie nimmt ein Körbchen vom Nagel: »Die Herren bleiben zu Haus,

So viel ich sehe: ich geh' in die Pilze hinaus!

Mir nach denn, wem's beliebt!« Und hüllt den Kopf sich ein

In's rothe Kachemirtuch, faßt dann das Töchterlein

Des Kämmerers mit der einen, und mit der anderen Hand

Schürzt sie hinauf, bis an die Knöchel, ihr Gewand. –

Still und eilig folgt Thaddäus ihren Wegen.


Dem Richter kam der Vorschlag ungemein gelegen;

Das zänkische Geschrei beendet er nur zu gern;

Drum ruft er: »Schwämmesuchen! In den Wald, ihr Herrn!

Wer mit dem schönsten Rothpilz zu Tische wiederkehrt,

Wird mit dem Platz beim schönsten Fräulein heut' beehrt;

Er selber wählt sich's. Hat ihn eine Dame errungen,

Nimmt sie sich selbst zum Nachbar den allerschönsten Jungen.«

1

In den alten Schlössern pflegte man auf dem Chor Orgeln anzubringen.

2

Wenn dem Junker, der sich um die Hand der Tochter des Hauses bewarb, bei Tische die schwarze Suppe gereicht wurde, so bedeutete das einen Korb.

3

Nach der ersten Theilung Polens arbeiteten die Patrioten, an ihrer Spitze Ignaz Potocki, mit dem Aufgebote aller Energie an der Reorganisation des Staates. Vor Allem galt es, die Hauptschäden der alten Verfassung zu beseitigen: das Wahlkönigthum, welches für das Reich eine Quelle unbeschreiblicher Zerrüttung geworden war, die gänzliche Machtlosigkeit der Krone, die Rechtlosigkeit der Bauern und den Druck, der auf den Städten lastete, das »liberum veto«, jenes berüchtigte Recht eines jeden einzelnen Edelmannes, durch seinen Einspruch den Reichstag zu »sprengen«, d.h. alle legislatorische Thätigkeit zu Nichte zu machen, u.s.w. Auf dem sog. langen Reichstag (1788-1792) kam endlich die große Reform zu Stande. Am dritten Mai 1791 wurde eine Verfassung beschlossen, welche alle genannten Schäden im Wesentlichen beseitigte. Das Wahlkönigthum wurde in ein Erbkönigthum verwandelt, das »liberum veto« abgeschafft, die Bedeutung der Städte erhöht, eine Besserung des Loses der Bauern angebahnt, und im Ganzen eine Constitution geschaffen, die sehr wohl den Selbstauflösungsproceß des Staates hätte aufhalten und seine Wiedergeburt wenigstens vorbereiten können. Der König, mitgerissen vom Enthusiasmus der Patrioten, beschwor die Verfassung und schloß so »Frieden mit seinem Volke.« Die Begeisterung im Lande war unbeschreiblich; in Warschau feierte man Freudenfeste, Alles schien einem neuen Leben entgegenzugehen. Aber das Schicksal Polens vollzog sich unerbittlich. Die Kaiserin Katharina von Rußland, die wohl sah, daß Polen jetzt den Weg der Festigung und Erstarkung betreten habe, war entschlossen, die neue Verfassung nicht lebendig werden zu lassen. Mit ihr verbanden sich alle die Ehrgeizigen und Verblendeten, die gegen die Patriotenpartei conspirirten, alle die Schwärmer für jene »altpolnische Freiheit«, die den Staat an den Rand des Abgrunds gebracht hatte, alle Niederträchtigen, die mit russischem Golde zu erkaufen waren. So bildete sich eine Liga gegen die Reform vom dritten Mai, die Conföderation von Targowica, die die russische Autokratie zum Schutze der »Freiheit«, die Urheberin der ersten Theilung zur Rettung Polens in's Land rief. Eine russische Armee überschritt die Grenzen; mit der verrätherischen Conföderation vereint, erhob sie die Waffen gegen die Patrioten, an deren Spitze jetzt der aus dem amerikanischen Freiheitskampfe heimgekehrte Kosciuszko trat. Der schwache König wurde durch die Drohungen Katharina's bewogen, seinen Eid zu brechen und der Liga von Targowica beizutreten (Juli 1792). Da eine Conföderation erst dann zur vollen autoritären Gewalt im Lande wird, wenn ihr der König beigetreten ist, so verhalf Stanislaw August durch seinen verhängnißvollen Schritt den Targowicanern erst recht zum vollen Siege. Kosciuszko mußte das Schwert niederlegen, und die Beschützerin Katharina vollzog hierauf die zweite Theilung des Reiches (1793).

Hier ist also der Kampf der Conföderirten unter Kosciuszko (und Joseph Poniatowski) gegen jene landesverrätherische Conföderation von Targowica und die mit ihr verbündeten Russen gemeint. (d.Ü.)

4

(Marktschiff, Flußboot, poln. Wicina, auch zuweilen im Deutschen »Witinne«.) Witinnen sind jene großen Boote auf dem Niemen, die die Lithauer im Handelsverkehr mit Preußen gebrauchen; sie schaffen zu Wasser Getreide hin und tauschen dafür Colonialwaaren ein.

5

Großpolen, der westliche Theil des ehem. Königreichs, der auch die heutige preuß. Provinz Posen einschließt. (d.Ü.)

6

Fürst Dominik Radziwill, ein großer Jagdliebhaber, emigrirte in das Herzogthum Warschau und rüstete auf eigene Kosten ein Reiterregiment aus, das er auch anführte. Er starb in Frankreich. Mit ihm erlosch die männliche Linie der Fürsten zu Olyka und Nieswiez, des mächtigsten Geschlechts in Polen und gewiß auch in ganz Europa.

7

Mejen zeichnete sich im nationalen Kampfe unter Kosciuszko aus. Noch jetzt zeigt man bei Wilno die Mejen'schen Schanzen.

Quelle:
Mickiewicz, Adam: Herr Thaddäus oder der letzte Einritt in Lithauen. In: Poetische Werke, Leipzig 1882, Band 1, S. 31-56.
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