An die Grafen Christian und Friedrich Leopold zu Stolberg

[246] Den 1. Mai 1774.


Du süße Himmelshoffnung, fleuch,

Mit allen Wonnescenen!

Ihr Freudenthränen, wandelt euch

In bittre Trauerthränen!

Ihr Edeln, blicket eurem Freund

Voll Hoffnung nicht entgegen!

Er wendet einsam sich, und weint

Auf freudelosen Wegen.[246]


Ach Gott! auf der verlaßnen Bahn,

Von keinem Freund beschirmet,

Nimm du dich eines Jünglings an,

Den wilder Gram umstürmet!

Hilf meines Jammers Schwere mir,

Du Gott der Liebe, tragen!

Ihr Engel Gottes, stillet ihr,

Durch Mitleid, meine Klagen!


Die Nacht ist dunkel. Ach, sie schloß

Den Tag der Freudenlieder;

Auf seinem Morgenschimmer floß

Der Hoffnung Strahl hernieder.

In heller Ferne ließ er euch,

Ihr Edeln, mich erblicken;

Mich schon, in süßer Täuschung, euch

An meinen Busen drücken.


O weint! Die Abendsonne wich

Im Wetterschwall von dannen!

Erzürnte Stürm' erhuben sich,

Von euch mich weg zu bannen.

O Nacht! Erhelle dich, o Nacht,

Den Hügel mir zu zeigen,

Wo bald, von Engeln angelacht,

Des Lebens Thränen schweigen!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50, Stuttgart [o.J.], S. 246-247.
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