VI.

[187] Wir verließen die kreisrunde Allee, auf die andere Wege, die alle nach einem gemeinsamen Mittelpunkt führen, münden; sie ist von einer Uferböschung umrahmt, die mit einer großen Menge seltener und werthvoller Sträucher bepflanzt ist. Wir schlugen einen kleinen Saumpfad ein, der durch eine Terrainniederung hindurch geraden Weges zu der Glocke führt. Fußpfade und Alleen waren mit pulverisirtem Ziegelstein bestreut, was dem Grün der Wiesen und des Laubwerkes eine außerordentliche Intensität und ein smaragdartiges Leuchten verleiht. Rechter Hand dehnten sich blumenerfüllte Grasplätze, linker Hand dichtes Gesträuch. Rosige Nadelbäume mit bleichen Silberstreifen, die mit lebhafter Gold-Bronze und rothen Kupferflecken bedeckt schienen, Mahonien, deren zerrissene Lederblätter die Blüthen von Kokospalmen haben, Eleagnen, die mit vielfarbigem Lack bemalt zu sein schienen, Papyros mit Mica bestreut, Lorbeerbäume, auf denen tausend Glanzflächen irisirten, Kristalle sich spiegelten und zitterten, Caladiums, deren Geäder von alter Goldfarbe aus großgestickten Seidenstoffen und rosigen Spitzen hervorzugehen scheint, blaue Thuyas, sowie auch malvenfarbene und silberne, mit krankhaftem Gelb vermengte giftige Orangenbäume,[188] hellgelbe Tamarinden, grüne Tamarinden, rothe Tamarinden, deren Äste in der Luft flattern und sich wiegend bewegen, gleich winzigen Alguen im Meere, Seidenbäume, deren Blüthenwedel ständig wegfliegen und ohne Unterlaß durch die Luft gleiten, Salizien und der fröhliche Schwarm ihres beflügelten Samens, Clerodendrons, die hier ihre weiten Schirme von Blättern aufspannten ... Zwischen diesem Gesträuch mischten sich an dem besonnten Theile Anemonen, Renunculaceen, Heucheras mit der Rasenfläche. Auf den beschatteten Partien zeigten sich seltsame Cryptogamen, Moosturf, der mit winzigen weißen Blümchen bedeckt war und Flechten, die Polypenhäufungen glichen. Es war ein ständiges Wunderbild.

Und von dieser entzückenden Flora hoben sich Schaffote, Kreuzigungsbalken, Galgen, die in schreienden Farben gemalt waren, schwarze Schandsäulen, an deren Gipfel scheußliche Dämonenmasken grinsten, hohe Pranger für die einfache Erwürgung, niedrigere kunstvoll eingerichtete Galgen zur Zerstückelung der Leiber. Auf dem Gestell dieser Qualsäulen befand sich ein Blüthenmeer von Ipomeen und Daurien, von Lophospermen, von Coloquinten, die mit teuflischem Raffinement zwischen Clematiten und Atragenen an gebracht waren ... Und die Vögel sangen hier ihre Liebeslieder.

Am Fuße eines dieser Galgen, dessen Umgebung gleich einer Gartenterrasse mit Blumen bepflanzt war, saß ein Henker, sein Besteck von Marterwerkzeugen zwischen den Beinen, und reinigte seine Stahlinstrumente mit Seidenfetzen; sein Kleid war mit geronnenem Blut befleckt, die Hände schienen förmlich rothe Handschuhe zu tragen. Rund um ihn schwirrten und summten, ganz wie um ein Aas, Fliegenschwärme ... Aber in dieser Umgebung von Blumen und Wohlgerüchen war das weder widerwärtig noch schrecklich. Man hätte sagen können, daß auf sein Kleid[189] ein Regen von Blüthen von dem benachbarten Quittenbaum niedergegangen sei. Übrigens hatte er einen friedlichen, faulen Bauch. Sein Gesicht drückte in dem ruhigen Zustande, in dem er sich befand, freundliche Ehrbarkeit, sogar Jovialität aus, die Jovialität eines Chirurgen, der eine schwierige Operation glücklich ausgeführt hat. Als wir dicht an ihm vorüberkamen, blickte er auf und grüßte uns höflich.

Clara redete ihn in englischer Sprache an.

– Es ist zu bedauern, daß Sie nicht vor einer Stunde gekommen sind, sagte der gute Mann, da hätten Sie einen sehr schönen Vorgang zu sehen bekommen, den man nicht alle Tage vor Augen hat ... Eine außergewöhnliche Leistung, Mylady! ... Ich habe einen Menschen umgestaltet vom Kopf bis zum Fuße ... nachdem ich ihm die ganze Haut vom Leibe gezogen hatte ... Er war so schlecht gebaut ... Hahaha! ...

Sein Bauch, der von dem Lachen geschüttelt wurde, schwoll an und leerte sich wieder mit einem dumpfen Geräusch von Blähungen. Ein nervöses Zucken verzog ihm die Mundwinkel bis zum Wangenbein, gleichzeitig wurden durch dieselbe Bewegung die Augenlider herabgezogen bis zu den Lippen, fast zwischen die dicken Falten der Haut. Es war eine Grimasse – eine Summe von Grimassen – die seinem Gesicht einen Ausdruck komischer und gespenstischer Grausamkeit gaben. Clara fragte:

– Also war er es ohne Zweifel, dem wir, soeben begegneten?

– Ach! Sie sind ihm begegnet? rief der gute Kerl geschmeichelt ... Na also! Was sagen Sie dazu? ...

– Es war schauderhaft! rief Clara mit ruhiger Stimme, die dem Abscheu ihrer Äußerung widersprach.

Darauf setzte der Henker uns auseinander:[190]

– Es war nur ein elendiglicher Kuli des Hafens ... ein Nichts, Mylady ... Sicherlich verdiente er nicht die Ehre, die man ihm mit einer so schönen Arbeit anthut ... Er hatte einen Sack Reis, glaube ich, Engländern gestohlen ... unsern lieben guten Freunden, den Engländern ... Als ich ihm die Haut vom Leibe gezogen hatte und sie nur noch durch zwei kleine Knöpfchen an den Schultern festgehalten wurde, zwang ich ihn einige Schritte zu machen. Mylady! ... Hahaha! ... Das war wirklich eine vorzügliche Idee! ... Man konnte sich vor Lachen bei dem Anblick krümmen ... Es war, als ob er auf dem Leibe ... wie nennen Sie doch dieses Ding? ... ach ja richtig ... einen Mac-Ferlan trüge ... Nie war er so schön bekleidet gewesen, der Hund, noch durch einen kunstverständigeren Schneider ... aber seine Knochen waren so hart, daß ich einige Zähne meiner Säge ausgebrochen habe ... dieser hübschen, kleinen Säge, die Sie hier sehen.

Ein kleines, weißliches, fettiges Stück Fleisch war zwischen den Zähnen der Säge hängen geblieben ... Er schnellte es mit einem Schlage des Fingers nochmals weg, so daß es auf den Rasen mitten unter die Blümlein flog.

– Das war Hirn, Mylady! ... rief der lustige Biedermann ... Kostbar scheint es gerade nicht zu sein ...

Kopfschüttelnd fügte er hinzu:

– Man trifft überhaupt selten etwas Kostbares, denn wir arbeiten fast immer mit niedrigem Volke ...

Dann bemerkte er noch mit einem Ausdruck ruhiger Befriedigung:

– Gestern lieferte ich, meiner Treu, eine recht merkwürdige Arbeit ... Ich habe aus einem Manne ein Weib gemacht ... Hehehe! ... Jeder hätte sich bei dem Anblick täuschen können ... Und ich habe mich versuchshalber getäuscht ... Wenn die Genien es mir gestatten wollen,[191] diese hohe Gnade, daß ich morgen am Richtplatze eine Frau finde, so würde ich daraus einen Mann machen ... Das ist schon schwieriger! ... Hahaha! ...

Bei der Anstrengung eines neuen Lachens zitterten sein dreifaches Kinn, die Falten seines Nackens und der Bauch wie Gelatine; eine einzige rothe, gebogene Linie verband da die linken Mundwinkel mit dem Ende seine geraden Augenwimpern, inmitten von tausend Runzelchen und Narben, durch die in winzigen Streifen Schweiß und Thränen, die er vor Lachen vergoß, herabrannen.

Er steckte die gereinigte Säge, die nun hell leuchtete, in den Kasten und verschloß ihn. Dieses Behältnis war herrlich in wundervollem, lackirtem Holz ausgeführt. Eine der Abbildungen darauf stellte einen Flug von Wildgänsen oberhalb eines nächtlichen Sumpfes, dessen Lotusblumen und Schwertlilien der Mond silbern beleuchtete, dar.

In diesem Augenblick warf der Schatten des Galgens auf den Leib des Henkers einen bläulichen, senkrechten Strich.

– Glauben Sie, Mylady, fuhr der geschwätzige Biedermann fort, unser Beruf verliert gleich unseren schönen Töpfereien, unseren herrlichen Seidenstickereien und unseren schönen Bildern immer mehr ... Wir wissen heute fast nicht mehr, was eine wirkliche Qual ist ... Obwohl ich mir alle Mühe gebe, die ehrwürdigen Überlieferungen aufrecht zu erhalten, so bin ich trotzdem machtlos und kann doch nicht ganz allein den Niedergang aufhalten. Was soll ich thun? Die Henker werden heutzutage Gott weiß wo rekrutirt, es gibt keine Examen, keinen Wettbewerb mehr ... nur Protektion und Begünstigungswesen entscheidet über die Auswahl ... Natürlich fällt die Auswahl darnach aus, wie Sie sich denken können. Es ist wirklich eine Schande! Früher betraute man diese bedeutenden Machtbefugnisse nur erklärten Männern der Wissenschaft an, verdienten Leuten, die zur[192] Vollendung die Anatomie des menschlichen Körpers kannten, die Diplome besaßen, Erfahrung oder natürliches Genie. Heute ist das alles zum Teufel gegangen. Der letzte Schuhflicker bildet sich ein, diese ehrwürdige und schwierige Stellung ausfüllen zu können. Es gibt weder Hierarchie noch Überlieferungen mehr! Alles vergeht ... Wir leben in einem Zeitraum des Niederganges ... Ja, Mylady, es gibt in China eine Art Fäulniß, es ist etwas faul im Staate China ...

Er seufzte tief, wies auf seine tiefrothen Hände, dann auf das Behältniß, das am Rasen glänzte, und fuhr fort:

– Dennoch suche ich so gut wie ich kann, mich zu bethätigen und wie Sie sahen, unseren verlorenen Ruhm wieder auf die alte Höhe zu heben. Denn ich bin ein richtiger konservativer, ein national gesinnter Mann, der sich nicht vom rechten Wege abbringen läßt. Mich widern alle diese Machenschaften, alle diese neuen Moden an, die uns unter dem Vorwande der Civilisation von den Europäern und insbesondere von den Engländern herbeigebracht werden. Oh! Ich will den Engländern sonst nichts Schlimmes nachsagen, Mylady, es sind ehrenwerthe Leute, die die höchste Achtung verdienen. Doch muß ich zugestehen, daß ihr Einfluß auf unsere Sitten jammervolle Folgen hatte. Tagtäglich nehmen sie unserem China etwas von seinem außergewöhnlichen Charakter fort ... Nur was den Gesichtspunkt der Qualen allein betrifft, Mylady, so haben sie uns bereits unendlich viel geschadet ... unendlich viel ... Das ist sehr, sehr schade! ...

– Sie verstehen sich jedoch auch darauf, unterbrach ihn Clara, die dieser Vorwurf in ihrer Vaterlandsliebe und nationalen Eitelkeit verletzt hatte. Denn es beliebte ihr wohl, sich selbst sehr hart gegen ihre Landsleute, die sie im Grunde verabscheute, auszusprechen, aber sie wollte, daß andere sie durchaus achteten.[193]

Der Henker zuckte die Achseln und kam durch sein nervöses Gesichtszucken dazu, auf seinem Gesichte die bestimmt komischeste Grimasse zu Stande zu bringen, die wohl je auf einem menschlichen Antlitz zu erblicken war; und während wir nur mit großer Mühe einen Ausbruch von Lachen zurückhielten, erklärte er in autoritären Tone:

– Nein, Mylady, darauf verstehen sie sich absolut nicht. In dieser Hinsicht sind sie wirklich zurückgebliebene Wilde ... Sehen Sie mal an, zum Beispiel in Indien – und wir wollen nur von Indien sprechen – was für eine grobe, kunstlose Arbeit ist dort geliefert worden! ... Und wie thöricht, ja wie thöricht hat man dort mit dem Tode Verschwendung getrieben! ...

Er faltete seine blutigen Hände wie zu einem Gebet, hob die Augen gen Himmel und fuhr mit einer Stimme, in der eine ganze Summe von Bedauern und Weinen zu liegen schien, fort:

– Wenn man bedenkt, Mylady, was für bewundernswerthe Leistungen da drüben auszuführen waren, an die man sich gar nicht herangewagt hat und die auch nie geliefert werden können ... das ist unverzeihlich ...

– Ach was! widersprach Clara, ... Sie wissen ja nicht was Sie sagen ...

– Die Genien sollen mich zur Hölle tragen, wenn ich lüge! rief der dicke Biedermann aus ...

Und mit langsamer Stimme, mit lehrreichen Bewegungen begleitet, fuhr er in seinem Colleg fort:

– Im Punkte der Qualen, wie in jeder anderen Hinsicht sind die Engländer keine Künstler. Alle Fähigkeiten, die nur möglich sind, Mylady, sind ihnen eigen, aber kein Kunstverständniß! ... Nein! Dreimal nein! ...

– Ach, gehen Sie doch! Sie haben die ganze Menschheit zum Weinen gebracht! ...[194]

– Aber sehr schlecht, Mylady, sehr schlecht ... berichtete der Henker ... Die Kunst besteht nicht nur darin, viel zu töten, zu erwürgen, zu massacriren, niederzumachen, im Block, so massenhaft, mit einem Schlage ein ganzes Menschenmaterial ... Nein, wahrhaftig! Das ist zu einfach! ... Die Kunst, Mylady, besteht darin, daß man zu töten versteht und zwar nach den Riten der Schönheit, deren göttliches Geheimnis wir Chinesen allein kennen ... Zu töten verstehen! ... Nichts ist seltener und alles ist darin enthalten ... Zu töten verstehen! ... Ich will damit sagen, menschliches Fleisch zu bearbeiten, wie ein Bildhauer seinen Thon oder ein Stückchen Elfenbein, daraus die ganze Summe, die ganze Wunderwelt von Leiden herauszuholen, die sich im Grunde seiner Schatten und Geheimnisse verbirgt ... Das ist es! ... Und dazu ist Wissenschaft, Abwechselung, Eleganz und Erfindungsgeist nöthig, kurz Genie ... Aber all das geht heutzutage verloren ... Das westliche Geckenthum überfluthet uns, die Panzerschiffe, die Schnellfeuerkanonen, die weittragenden Gewehre, die Elektricität, die Sprengstoffe ... was weiß ich?.. Alles das macht den Tod allgemein. Es führt ihn im Verwaltungswege, im Subalterndienst herbei. Kurz, alle die Schmutzereien Eures Fortschrittes verderben nach und nach unsere schönen Überlieferungen aus der Vergangenheit ... Nur noch in diesem Garten werden sie schlecht und recht bewahrt, wo wir sie wenigstens einigermaßen am Leben zu erhalten suchen. Aber mit welchen Schwierigkeiten! Wie viel Hindernisse sind zu überwinden! Was für einen ständigen Kampf gibt es! Davon haben Sie keinen Begriff! Leider fühle ich, daß es überhaupt nicht mehr lange gehen wird. Wir sind durch die Mittelmäßigkeit besiegt, der spießbürgerliche Geist triumphirt allenthalben.

Seine Physiognomie nahm einen eigenartigen Ausdruck[195] von Melancholie und Stolz an, indem zu gleicher Zeit seine Bewegungen tiefe Mattigkeit verriethen.

– Und dennoch, sagte er, bin ich, der ich jetzt mit Ihnen spreche, Mylady, durchaus nicht der erste Beste. Ich kann mich wohl rühmen, mein ganzes Leben hindurch uneigennützig am Ruhme unseres großen Kaiserreiches gearbeitet zu haben. Ich bin stets als der erste und zwar aus zahlreichen Wettbewerben in Fragen von Qualen und Martern hervorgegangen, glauben Sie mir, ich habe wirklich entzückende Sachen erfunden! Wunderbare Foltern, die zu anderer Zeit und unter einer anderen Dynastie nur Vermögen und Unsterblichkeit gesichert hätten. Ja, aber unter den heutigen Verhältnißen beachtet man mich kaum ... Ich bin unverstanden ... Nennen wir das Kind beim richtigen Worte ... man verachtet mich! ... Was soll ich thun? Heutzutage zählt das Genie nicht mehr. Kein Mensch sieht darin auch nur das geringste Verdienst. So etwas wirkt entmuthigend, versichere ich Ihnen ... Armes China, das einst so künstlerisch, so wundersam glorreich war ... Ach! Ich glaube wohl, daß es für die Eroberung reif ist ...

Durch eine pessimistische, entmuthigte Bewegung nahm er Clara zum Zeugen dieses Niederganges und seine Grimassen enthielten einen nicht wiederzugebenden Ausdruck.

– Kurz, sehen Sie, Mylady, könnte man nicht Thränen darüber vergießen? Ich war es, der »die Qual der Ratte« erfunden hat. Die Genien sollen mir die Leber verzehren und die Hoden zerfleischen, wenn ich es nicht war. Ach, Mylady, ich schwöre Ihnen, dies ist eine außergewöhnliche Qual. Originalität, pittoreskes Aeußere, psychologische Wissenschaft der Schmerzes ... alles sprach dafür und zu guterletzt war es noch außerordentlich komisch. Es schien vom Geiste der alten chinesischen Lustigkeit, die in unseren Tagen so sehr vergessen worden ist. Ach! Wie würde es den[196] lustigen Sinn aller Welt von neuem geweckt haben. Was für ein Quell für Unterhaltungen wäre es geworden! ... Nun also! Und sie haben darauf verzichtet! Besser gesagt, sie haben es nicht zulassen wollen; und trotzdem erlangten die drei Versuche, die wir vor den Richtern anstellten, einen ungeheuren Erfolg.

Da wir nicht Miene machten, ihn zu beklagen und es ihm schien, daß seine Nörgeleien eines alten Staatsbeamten uns vielmehr langweilten, wiederholte der Henker, großen Nachdruck auf die Worte legend: einen ungeheuren ... ungeheuren Erfolg!

– Was hat das für eine Bewandtnis mit dieser »Qual der Ratte«? fragte meine Freundin. Wie kommt es, daß ich davon noch nichts erfahren habe?

– Es ist ein Meisterwerk, Mylady, ein reines Meisterwerk! sagte mit schallender Stimme der dicke Kerl nachdrücklich, indem sein gewichtiger Körper förmlich im Grase einsank.

– Das höre ich wohl, aber was weiter?

– In Wahrheit ein Meisterwerk ... Und sehen Sie, Sie kennen es nicht ... Kein Mensch kennt es ... Wie jammerschade ist es! Soll ich dadurch nicht wirklich gekränkt sein?

– Können Sie uns nicht eine Beschreibung davon liefern?

– Ob ich das kann! ... Aber selbstverständlich kann ich es ... Ich werde Ihnen den Fall auseinandersetzen und Sie werden mir Ihre Ansicht mittheilen ... Folgen Sie, bitte, wohl meinem Gedankengange ...

Und der dicke Kerl fuhr mit genauen Begleitbewegungen, die in der Luft die einzelnen gedachten Formen zeichneten, fort ... Sie nehmen einen Sträfling, reizende Mylady, einen zum Tode verurtheilten Sträfling ... oder[197] irgend eine andere Person – denn es ist keineswegs erforderlich für den Erfolg meiner Qual, daß der Sträfling zu irgend etwas verurtheilt sei ... Sie nehmen einen Mann, der, wenn irgend möglich, jung und stark ist und dessen Muskel einen gehörigen Widerstand leisten ... Zu Ehren des Principes, daß, je mehr Kraft, je mehr Kampf – je mehr Kampf, je mehr Schmerz vorhanden ist ... Schön! ... Sie kleiden ihn aus ... Nun und wenn er ganz nackt ist ... nicht wahr, Mylady ... dann lassen Sie ihn mit gekrümmtem Rücken auf der Erde niederknieen, wo Sie ihn durch Ketten festhalten, durch Ketten, die an Ringen befestigt sind, die ihm den Nacken, die Fäuste, die Knöchel und die Kniee umgürten ... Schön! ... Ich weiß nicht, ob ich mich Ihnen recht begreiflich zu machen verstehe ... Dann nehmen Sie einen großen Blumentopf, der wie gewöhnlich am Boden ein kleines Loch hat ... Einen gewöhnlichen Blumentopf! Mylady ... In diesen Topf setzen Sie eine recht große Ratte, die man zwei Tage lang, um ihre Wildheit zu steigern, hungern ließ ... und diesen von der Ratte bewohnten Topf bringen sie hermetisch verschlossen, gleich einem riesigen Blasebalg auf den Hinterbacken des Sträflings an, durch Ringe und Lederstreifen befestigt ... Sehen Sie, ich zeichne Ihnen das in der Luft ...

Er sah uns boshaft mit einem verstohlenen Blicke an, um die Wirkung, die seine Worte bei uns hervorbrachten, zu konstatiren.

– Nun und weiter? sagte Clara einfach.

– Dann Mylady, führen Sie in das kleine Loch des Topfes etwas ein ... Wissen Sie was? ...

– Ich habe keine Ahnung!

Der Biedermann rieb sich die Hände, lächelte in fürchterlicher Weise und begann von neuem:

– Sie führen einen Eisenstift in das Loch ein, der[198] an einem Ende im Schmiedefeuer rothglühend gemacht worden ist ... am Feuer einer kleinen tragbaren Schmiede, die Sie neben sich aufgestellt haben ... und was mag nun vorgehen, wenn der Eisenstift eingeführt wird? Hahaha! ... Stellen Sie sich doch einmal selbst vor, was dann geschieht, Mylady! ...

– Aber so sprechen Sie doch, Sie alter Schwätzer! befahl meine Freundin, deren ärgerliche Füßchen ungeduldig auf den Sand der Allee stampften.

– Nun! Aber! ... beruhigte sie der fürchterliche Henker ... ein wenig Geduld, Mylady! Gehen wir, bitte, methodisch vor ... Sie führen also in das Loch des Blumentopfes einen Eisenstift, der am Schmiedefeuer rothglühend gemacht worden ist, ein. Die Ratte will sich nicht von dem Stift verbrennen lassen und scheut auch seinen strahlenden Glanz. Sie geräth außer sich, springt herum und tanzt und läuft unter dem Topfe auf und ab; sie galoppirt auf den Backen des Mannes hin und her, die sie zuerst kitzelt und dann mit ihren Pfötchen zerreißt und mit ihren spitzen Zähnen zerbeißt, indem sie durch das zerwühlte blutige Fleisch einen Ausgang sucht ... Aber es giebt keinen Ausgang oder wenigstens findet die Ratte in den ersten Minuten der Bestürzung keinen Ausgang ... Und der Eisenstift, der langsam und geschickt bewegt wird, nähert sich der Ratte immer mehr. Er bedroht sie und versengt ihr das Fell ... Was sagen Sie zu diesem Vorspiel?

Er schöpfte einen Augenblick lang Athem und belehrte uns dann, mit Würde posirend, weiter.

– Das große Verdienst dabei ist, daß man diese anfängliche Operation so lange wie nur irgend möglich auszudehnen wissen muß, denn die Gesetze der Physiologie lehren uns, daß es nichts Fürchterlicheres giebt, als auf menschlichem Leibe Kitzeln und Bisse gleichzeitig zu verbinden.[199] Es mag sich sogar zuweilen ereignen, daß der Patient wahnsinnig darüber wird. Er heult und verliert den Verstand. Sein Leib, der, soweit dies die Ketten und Ringe erlauben, frei geblieben ist, zittert und schwankt, krümmt sich und wird von schmerzlichen Schauern geschüttelt. Aber die Glieder sind ja fest genug angekettet, vor allem der Blumentopf. Und die Bewegungen des Verurtheilten vermehren nur noch die Wuth der Ratte, die auch noch durch das Blut in einer kleinen Weile völlig berauscht wird ... Das ist herrlich, Mylady! ...

– Und was geschieht zum Schluß? rief in kurzem, leichtzitterndem Tone Clara, die etwas bleich geworden war ...

Der Henker schnalzte mit der Zunge und fuhr fort:

– Schließlich ... denn ich sehe ja, daß Sie es eilig haben, den Ausgang dieser wunderbaren, jovialen Geschichte zu erfahren ... schließlich findet unter der Bedrohung der rothglühenden Eisenstange und gereizt durch einige Brandwunden die Ratte einen Ausgang ... einen natürlichen Ausgang, Mylady! ... aber einen niedrigen, gemeinen ... Hahaha! ...

– Das ist fürchterlich! schrie Clara ...

– Ja sehen Sie ... ich will Ihnen das nicht deutlicher beschreiben, aber ich bin stolz für das Interesse, das Sie an meiner Qual nehmen ... Also bitte, warten Sie noch einen Augenblick ... Die Ratte dringt, Sie wissen auf welchem Wege, in dem Körper des Mannes ein, indem sie den Kanal durch ihre Pfoten und Zähne vergrößert ... Den Kanal ... Den Kanal.. in den sie ... hahaha! ... wie ein Dachshund vordringt, der die Erde mit den Füßen herauskratzt ... Und schließlich krepirt sie, erstickt, gleichzeitig mit dem Patienten, der nach unendlichen Qualen, nach unvergleichlichen Foltern, schließlich auch einer Verstopfung unterliegt, falls dies nicht bereits durch das Schmerzgefühl bewirkt worden ist oder durch den Zwang plötzlich ausbrechenden,[200] niederschmetternden Wahnsinns ... Auf jeden Fall, Mylady, und wie auch der schließliche Ausgang seines Todes geartet sei ... glauben Sie mir, es ist entzückend schön! ...

Befriedigt, mit dem Ausdruck triumphirenden Stolzes schloß er:

– Sicher ist das doch außerordentlich schön, Mylady! Sehen Sie nicht auch darin auf jeden Fall eine wundervolle Erfindung, ein staunenswerthes Meisterwerk, das einen geradezu klassischen Charakter hat und zu dem Sie vergebens in der Vergangenheit ein Gegenstück suchen würden? Ich will nicht unbescheiden erscheinen, aber Sie werden zugeben, Mylady, daß die Dämonen, die einst die Forste von Yamen unsicher machten, nie ein gleiches Wunderwerk erdacht haben ... Nun schön! ... Die Richter haben es also nicht gemocht. Ich brachte ihnen, wie Sie mit mir fühlen werden, eine ungemein ruhmreiche Sache, die ganz einzig in ihrer Art ist, die keinen Vergleich scheut und die die Eingebung unserer größten Künstler entflammen kann ... Sie haben sie nicht gemocht ... sie mögen jetzt überhaupt garnichts mehr. Die Rückkehr zu der klassischen Überlieferung erschreckt sie, ohne auch alle die Arten moralischer Einflüsse, die dazwischen treten, zu zählen, was doch auch sehr peinlich festzustellen ist, die Intrigue, der Wettbewerb, die Käuflichkeit, die Verachtung der Rechte, der Abscheu vor dem Schönen ... ich weiß es nicht. Sie denken sich wenigstens, dessen bin ich sicher, daß ich für einen solchen Dienst zur Würde eines Mandarinen erhoben worden bin? ... Ach nein: Mylady! Man hat mir nichts dafür gegeben. Sehen Sie, das sind charakteristische Symptome unseres Niederganges. Ja, wir sind ein Volk, das sein Ende erreicht hat ... ein todtes Volk ... Die Japaner können kommen, wir sind nicht mehr im Stande, ihnen Widerstand zu leisten ... Leb wohl, China! ...[201]

Er schwieg ... Die Sonne wandte sich nach Westen und der Schatten des Galgens, der dem Sonnenlauf folgte, verlängerte sich nun auf dem Grase. Die Wiesen nahmen ein noch lebhafteres Grün an, eine Art rosiggoldener Dunst stieg über den befeuchteten Dickichten auf und die Blumen erschlossen sich noch leuchtender, gleich kleinen vielfarbenen Sternen in diesem großen Firmament. Ein gelber Vogel, der in seinem Schnabel ein langes Zweiglein trug, flog nach dem Neste, in der Tiefe des Laubwerkes, das den oberen Theil der Martersäule verzierte, an deren Fuße der Henker saß.

Dieser war nun in Nachdenken versunken, während sein Gesicht einen friedlichen Ausdruck angenommen hatte, in dessen ruhigerem Zügen nunmehr Melancholie die Grausamkeit ersetzte ...

– Das geht gerade so wie mit den Blumen! ... flüsterte er nach einer Pause ...

Eine Katze, die von den Dickichten herkam, schlich mit gebogenem Rückgrat und wedelndem Schwänzchen auf ihn zu und rieb sich schnurrend an seinem Bein. Er streichelte sie behutsam. Da hatte die Katze einen Käfer bemerkt, streckte sich hinter einem Sträuchlein aus, lauschte, die Ohren zurückgelegt, mit glänzenden Augensternen und folgte aufmerksam dem phantastischen Fluge des Insektes in der Luft. Der Henker, den die Ankunft der Katze in seinen patriotischen Klagen unterbrochen hatte, schüttelte den Kopf und begann von neuem:

– Das geht gerade so wie mit dem Blumen! ... Wir haben auch den Sinn für Blumen verloren, denn alles geht den gleichen Weg. Wir wissen nicht einmal mehr, was Blumen sind. Glauben Sie, daß bei uns jetzt schon welche aus Europa importirt werden, daß man uns, die wir die außergewöhnlichste und mannigfaltigste Flora des Erdthals besitzen,[202] Blumen zuschickt .... Und was schickt man uns heute überhaupt nicht alles zu? ... Kappen, Velos, Möbel, Kaffeemühlen, Wein und Blumen ... Und wenn sie die stumpfen Dummheiten, die sentimentalen Ärgerlichkeiten, die decadenten Wahnsinnsideen kennen würden, in denen sich unsere Dichter über die Blumen ergehen ... Es ist entsetzlich! ... Es giebt schon Leute darunter, die behaupten, daß die Blumen pervers sind! ... Pervers, die Blumen! ... Wahrhaftig, man weiß nicht mehr, was man eigentlich sich ausdenken soll ... Können Sie sich einen solchen Unsinn vorstellen, Mylady und eine solche Schandthat? ... Die Blumen sind leidenschaftlich, grausam, furchtbar und herrlich ... ganz wie die Liebe! ...

Er pflückte eine Renunculacäe, die neben ihm, oberhalb des Grases weich ihr goldenes Köpfchen wiegte und drehte sie mit unendlicher Zartheit langsam, liebevoll zwischen seinen dicken rothen Fingern, von denen das getrocknete Blut stellenweise abbröckelte.

– Ist so etwas nicht anbetungswürdig? ... wiederholte er, indem er die Blume betrachtete ... Sie ist klein und gebrechlich und dabei doch die ganze Natur, die ganze Schönheit und die ganze Stärke der Natur ... So etwas schließt eine Welt in sich ein ... Es ist nur ein kleiner herzloser Organismus, der sein Verlangen doch auf die Spitze zu treiben weiß ... Ach, die Blumen sind nicht sentimental, Mylady ... sie fröhnen der Liebe, nur der Liebe und sie fröhnen ihr die ganze Zeit hindurch und an allen Stellen ... sie haben keinen anderen Gedanken ... Und wie sehr haben sie recht, wenn sie dies thun! ... Pervers? ... weil sie dem einzigen Gesetz des Lebens gehorchen, weil sie der einzigen Nothwendigkeit des Lebens, die doch nur die Liebe ist, genügen ... Aber sehen Sie doch nur die Blume an! ... Sie ist nichts als ein Geschlechtstheil, Mylady! ...[203] Was gibt es gesünderes, stärkeres, schöneres als ein Geschlecht? ... Diese bewundernswürdigen Pedalen, diese Seide, dieser Sammt, diese weichen, leichten, liebkosenden Stoffe sind die Vorhänge des heimlichen Kämmerleins, der Schmuck des Brautzimmers, das duftende Bett, in dem sich die Geschlechter vereinen, in der sie ihr vergängliches und unsterbliches Leben damit verbringen, in Liebe zu vergehen. Was für ein wundervolles Vorbild bieten sie uns nicht!

Er bog die Blätter der Blume zur Seite und zählte die mit Pollenkörnern überladenen Blüthendolden und sagte noch, indem seine Augen förmlich von burlesker Extase getränkt waren:

– Sehen Sie nur einmal, Mylady! ... Eins ... zwei ... fünf ... zehn ... zwanzig ... Sehen Sie nur, wie sie zittern! ... Sehen Sie! ... Manchmal vereinen sich zwanzig Männchen in dem Wonneschauer eines einzigen Weibchens! ... Hehehe! ... Manchmal ist auch das Umgekehrte der Fall! ...

Er riß langsam die Blumenblätter eins nach dem andern ab:

– Und wenn sie mit Liebe bis zum Halse gefüllt sind, dann zerreissen die Vorhänge des Bettes und der Wandschmuck des Zimmers zerstreut sich und fällt ab ... Und die Blumen sterben, weil sie wissen, daß sie nichts mehr zu thun haben ... sie sterben, um später wieder geboren zu werden und zu erneutem Male für die Liebe! ...

Indem er die entblößte Ranunculacäe wegwarf, rief er:

– Fröhnen Sie der Liebe! Mylady! ... Fröhnen Sie der Liebe gleich den Blumen! ...

Dann nahm er mit rascher Bewegung sein Packet auf und erhob sich, wobei ihm der Zopf nach der andern Seite hing, grüßte uns und ging seiner Wege über die Wiesen,[204] indem er mit seinem schweren Körper, der sich wiegte, den blumenbedeckten Rasen zertrat.

Clara folgte ihm einige Augenblicke lang mit den Blicken und als wir uns wieder in Bewegung setzten, um die Glocke aufzusuchen, meinte sie:

– Ist er nicht komisch, der dicke Patapuff! Er sieht so gutmüthig aus ...

Ich rief thöricht:

– Wie können Sie sich nur so etwas ausdenken, meine liebe Clara! Er ist ja ein Scheusal! Der pure Gedanke, daß ein solches Scheusal irgendwo unter Menschen existirt, scheint mir entsetzlich. Ich fühle, daß ich gleich Alpdrücken von nun an stets dies schändliche Phantom vor mir haben werde ... und das Entsetzen seiner Worte ... Sie bereiten mir wirklich Kummer, das kann ich Ihnen versichern ...

Clara entgegnete lebhaft:

– Du auch, Du machst mir auch Kummer ... Weshalb behauptest Du, daß der dicke Patapuff ein Scheusal sei? Du weißt doch nichts davon. Ist es nicht komisch und ärgerlich, daß Du Dir nun absolut nicht klar machen willst, daß wir uns in China befinden und Gott sei Dank nicht im Hyde-Park oder in der Bodinière9 inmitten der ekelhaften Spießbürger, die Du vergötterst? Nach Deinem Geschmack müßten die Sitten in allen Ländern die gleichen sein ... Und was für Sitten! ... Der Gedanke allein erschreckt mich! Fühlst Du denn nicht, daß man an dieser Einförmigkeit sterben würde und man alle Lust verlöre, Reisen anzutreten?

Und plötzlich fuhr sie im Tone noch heftigeren Vorwurfs fort:

– Du bist wahrhaftig nicht nett, keinen Augenblick lang streckt Dein Egoismus die Waffen, selbst nicht vor einem[205] winzigen Vergnügen, das ich von Dir verlange. In Deiner Gesellschaft kann man sich wirklich nicht unterhalten. Du bist aber auch nie mit etwas zufrieden. Du verletzest mich stets in Allem was mir lieb und werth ist, ganz davon abgesehen, daß wir vielleicht durch Deine Schuld das Schönste versäumt haben.

Sie seufzte traurig:

– Das ist eben wieder ein verlorener Tag ... ja, ich habe kein Glück ...

Ich versuchte mich zu vertheidigen und sie zu beruhigen:

– Nein! ... Nein! ... bestand Clara weiter in ihren Gedanken. Das ist sehr schändlich. Du bist kein Mann ... Zu Annies Zeit war es genau die gleiche Geschichte. Du verdirbst uns stets unser Vergnügen mit Deinem Ohnmächtigwerden eines kleinen Pensionsmädchens oder einer schwangeren Frau. Wenn man wie Du geartet ist, bleibt man hübsch zu Hause. Das ist doch wahrhaftig zu dumm. Man bricht lustig, glücklich auf, um sich niedlich zu unterhalten, herrliche Schauspiele zu sehen und sich an außerordentlichen Gefühlen zu begeistern. Und dann plötzlich wird man traurig und es ist zu Ende. Nein, nein, das ist zu dumm, das ist zu dumm!

Sie hing sich schwerer an meinen Arm und schmollte. Es ist ein Schmollen des Ärgers und der Zärtlichkeit, das mir so reizend erschien, daß in meinen Adern ein Schauer des Verlangens zu entstehen begann.

– Und dabei thue ich alles was Du willst, wie ein armer Hund! ... seufzte sie.

Dann:

– Ich bin überzeugt, daß Du mich für ein schlechtes Wesen hältst, weil ich mich beim Anblick von Dingen unterhalte, die Dich erbleichen und zittern lassen. Du hältst mich für schlecht und herzlos nicht wahr?

Ohne meine Antwort abzuwarten, behauptete sie:[206]

– Aber ich ... ich erbleiche ja auch ... auch mich faßt ein nervöses Zittern ... Wenn das nicht geschieht, würde ich mich ja gar nicht unterhalten. Weshalb hältst Du mich denn darum für eine schlechte Person? ...

– Nein, liebe Clara, Du bist nicht schlecht, Du bist ... Sie unterbrach mich lebhaft und reichte mir ihre Lippen.

– Ich bin nicht schlecht. Ich will nicht, daß Du mich für schlecht hältst. Ich bin nur eine kleine, niedliche und neugierige Frau, gleich allen Frauen. Und Du bist nur ein Jammerhühnchen ... Ich liebe Sie überhaupt nicht mehr ... Küssen Sie doch Ihre Mama, mein Herz ... Küssen Sie sie tüchtig ... viel stärker ... recht stärker ... Nein, ich liebe Sie nicht mehr ... Sie kleines Fetzchen ... Ja, sehen Sie, das ist es. Sie sind eben nur ein Liebling voll einem ganz kleinen unbedeutenden Fetzchen.

Lustig und doch ernst, lächelnd und dabei die Stirn von finsteren Falten durchzogen, wie dies stets in Augenblicken des Zornes und der Wollust der Fall war, fügte sie hinzu:

– Wenn man bedenkt, daß ich doch nur ein Weib bin, ein ganz kleines Weib, so zart und gebrechlich wie eine Bambusblüthe und daß unter uns beiden Du der Mann bist und daß ich zehn Männer gleich Dir werth bin.

Und das Verlangen, das in mir ihr Leib erweckte, vermengte sich mit ungeheurem Erbarmen für ihre verlorene, wahnwitzige Seele.

Sie sagte noch mit einem leichten Pfeifen des Verachtens diesen Satz, der häufig von ihren Lippen kam:

– Ach, die Männer! Sie wissen ja gar nicht mehr was Liebe ist, auch nicht was der Tod ist, der doch viel schöner als die Liebe erscheint. Die wissen überhaupt nichts, die sind jetzt traurig und weinen und werden ohne Ursache, für ein Nichts ohnmächtig ... Ach ja![207]

Ihre Ideen gleich einem Blumenkäfer wechselnd, fragte sie mich plötzlich:

– Ist all das wahr, was uns soeben der dicke Patapuff erzählt hat?

– Was denn, liebe Clara? Was kann Ihnen der dicke Patapuff ausmachen?

– Vorhin erzählte der dicke Patapuff, daß bei den Blumen manchmal zwanzig Männchen sich zum Wollustleben eines einzigen Weibchens vereinigen. Ist das wahr?

– Aber gewiß! ...

– Ist das wirklich, wirklich wahr?

– Ja zweifellos!

Hat uns der dicke Patapuff nicht vielleicht zum Besten gehalten? Bist Du Deiner Sache sicher?

– Sei doch nicht so komisch ... weshalb fragst Du mich darum? ... Weshalb siehst Du mich mit einem so seltsamen Blicke an? ... Es ist wirklich wahr!

– Ach nein, wahrhaftig!

Sie blieb eine Zeit lang in Gedanken versunken, mit geschlossenen Augenlidern, ihr Athem ging kürzer. Ihre Brust wogte stürmisch auf und ab ... Und dann flüsterte sie ganz leise, indem sie ihren Kopf an meine Brust lehnte:

– Ich möchte eine Blume sein ... Ich möchte ... ich möchte ... alles sein ...

– Clara! ... beschwor ich ... meine kleine Clara ... Ich hielt sie fest in meinem Arm umschlossen ... Ich hielt sie fest und wiegte sie in meinen Armen ...

– Das willst Du doch nicht ... das kannst Du nicht wollen ... Ja, Dir ist es viel lieber, Dein ganzes Leben ein weiches Fetzchen zu bleiben ... So ein schlimmer Mensch!

Nach einer kurzen Pause, während der wir lauter unter schwerlastenden Tritten den Sand der Allee aufkreischen[208] hörten, begann sie wieder mit einem singenden Tone in der Stimme:

– Und ich möchte auch, wenn ich einmal todt bin ... ja dann soll man in meinen Sarg recht starke Wohlgerüche thun ... Wiesenrauten, Blumen, schöne Abbildungen von Sünden, leidenschaftlich und nackt, gleich denen, die die Matten meines Schlafzimmers verzieren ... Oder ich möchte auch begraben werden ohne Kleid und ohne Schweißtuch, in den Crypten des Tempels von Elephanta, zugleich mit allen jenen seltsamen Bachanten, die sich liebkosen und gegenseitig zerreissen ... in so furchtbarer Wollustübung ... Ach, mein Liebling! ... ich möchte ... ich möchte am liebsten schon todt sein!

Und unvermittelt:

– Sag mal, berühren die Füße das Holz des Sarges, wenn man gestorben ist? ...

– Clara! beschwor ich, weshalb sprichst Du mir vom Tode? Dann willst Du, daß ich nicht traurig sein soll. Ich bitte Dich doch darum ... mach mich nicht vollends wahnsinnig ... gib diese schrecklichen Gedanken, die mich foltern, auf, und kehren wir heim. Erbarme Dich, meine liebe Clara, kehren wir heim.

Sie hörte nicht auf meine Bitte und fuhr in einem merkwürdigem Klagegesangstone fort, der, ich wußte nicht eigentlich was, vielleicht eine Folge der Aufregung oder auch nur eine ironische Äußerung war, in dem man zugleich nervöses Weinen und grinsendes Lachen hören konnte.

– Wenn Du dicht bei mir bist ... dann, wenn ich sterbe ... mein liebes Herzchen, höre wohl zu ... dann wirst Du, nicht wahr, ein hübsches gelbes Seidenkissen zwischen meine armen Füßchen und das Holz des Sarges legen ... Und dann ... dann wirst Du meinen schönen Hund aus Laos töten und wirst ihn, über und über blutend an[209] mir ausstrecken, wie er selbst zu thun pflegt ... weißt Du, eine Pfote auf meinen Hüften und die andere auf meinen Busen ... Und dann ... dann wirst Du mich lange küssen, liebes Herz, auf die Zähne ... und ins Haar ... und Du wirst mir viele Dinge erzählen ... sehr hübsche Dinge ... die einen wiegen und verbrennen, ganz wie Du es thust, wenn Du mich liebst ... Nicht wahr? Das wirst Du thun mein Liebling, Du versprichst es mir? ... Nun also, mach jetzt nicht mehr dieses Begräbnisgesicht ... Es ist ja nicht traurig zu sterben, sondern zu leben, wenn man nicht glücklich ist ... Schwöre! Schwöre, daß Du mir es versprichst! ...

– Clara! Clara! Ich flehe Dich an, schweige! ...

Ich war zweifellos am Ende meiner Nervenkraft angelangt. Eine Flut von Thränen ergoß sich aus meinen Augen. Ich hätte keinen Grund für diese Thränen angeben können, die nicht schmerzlich waren und in denen ich im Gegentheil eine Art Erleichterung, eine Art Abspannung empfand ... Und Clara täuschte sich bei diesem Anblick, indem sie die Thränen auf sich bezog. Und doch weinte ich nicht über sie, noch über ihre Sünden, noch über das Mitleid, das mir ihre arme kranke Seele einflößte, noch über das Gedankenbild, das sie mir in Bezug auf ihren Tod vor Augen gehalten hatte. Vielleicht weinte ich nur über mich allein, über meine Gegenwart in diesem Garten, über diese verfluchte Liebe, bei der ich fühlte, daß alles, was einst von edleren Regungen, von hohem Streben, von edlen Wünschen in mir gelegen hatte, sich bei dem unreinen Hauch dieser Küsse, deren ich mich schämte und nach denen ich trotzdem dürstete, profanirte ... Nun also, nein! Weshalb sollte ich mir selbst etwas vorlügen? Es waren nichts als rein physische Thränen, Thränen der Schwäche, der Ermüdung und des Fiebers, Thränen der Nervosität angesichts dieser all zu harten Schauspiele, die meine Gefühlsreizbarkeit erschlafft[210] hatten gegenüber diesen für meinen Geruchssinn all zu starken Düften, gegenüber diesem ständigen Springen von der Ohnmacht zur Entrüstung, von meinen fleischlichen Begierden zu ... kurz, Weiberthränen, Thränen, die nichts zu bedeuten haben ...

Sie jedoch war überzeugt, daß es ihrethalben geschah, ihres Todes halber, des Gedankens, daß sie so lange im Sarge daläge, worüber ich weinte. Und glücklich über ihre Macht, die sie auf mich ausgeübt hatte, wurde Clara entzückend zärtlich und liebenswürdig.

– Mein armes Schätzchen, seufzte sie, Du weinst! ... Nun also, dann sage sofort, daß der dicke Patapuff ein gutmüthiges Aussehen hatte ... Sage es doch, um mir ein Vergnügen zu machen ... Dann werde ich schweigen und werde nie wieder vom Tode zu Dir sprechen ... Nie wieder ... Also ... aber sogleich ... sage es doch ... Du kleines Schweinchen ...

Feige, aber auch um ein für allemal diesen Todtentanzgedanken los zu werden, that ich was sie von mir verlangte.

Mit einem geräuschvollen Freudenausbruch fiel sie mir um den Hals, küßte mich auf die Lippen und trocknete mir die Augen, indem sie rief:

– Oh! Wie nett Du bist! Du bist ein reizendes Baby, ein wahrer Liebling von einem Baby! Mein theures Herzchen! ... Und ich, ich bin nur ein schändliches Weib, ein sehr böses Weibchen, das Dich ärgert die ganze Zeit hindurch und Dich zum Weinen bringt ... Und dann, der dicke Patapuff ist ein Scheusal ... er widert mich an ... und dann will ich nicht, daß Du meinen schönen Hund aus Laos schlachtest ... und dann will ich auch nicht sterben ... und dann vergöttere ich Dich ... und dann ... und dann ... ach, ich habe das ja alles nur gesagt, um einen Spaß zu machen, versteh mich doch nur ... Weine nicht länger ...[211] Ach, weine nicht länger ... Lache jetzt freundlich, lache mit Deinen guten Augen ... und Deinem Munde, der so zärtliche Sachen zu sagen weiß ... Gib mir Deine Lippen.. Deine Lippen ... und gehen wir rascher vorwärts. Ich gehe so gerne rasch an Deinem Arm spazieren! ...

Und ihr Sonnenschirm flatterte leicht oberhalb unserer. Köpfe, die sich berührten, strahlend und toll, gleich einem großen Schmetterling.

9

Ein Pariser Salon-Theater.

Quelle:
Octave Mirbeau: Der Garten der Qualen. Budapest 1901, S. 187-212.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Garten der Qualen
Der Garten der Qualen.
Der Garten der Qualen (Die erotische Biblothek)
Der Garten der Qualen

Buchempfehlung

Pascal, Blaise

Gedanken über die Religion

Gedanken über die Religion

Als Blaise Pascal stirbt hinterlässt er rund 1000 ungeordnete Zettel, die er in den letzten Jahren vor seinem frühen Tode als Skizze für ein großes Werk zur Verteidigung des christlichen Glaubens angelegt hatte. In akribischer Feinarbeit wurde aus den nachgelassenen Fragmenten 1670 die sogenannte Port-Royal-Ausgabe, die 1710 erstmalig ins Deutsche übersetzt wurde. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Karl Adolf Blech von 1840.

246 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon