Hartknopfs Unterredung mit seinem alten Lehrer unter dem Galgen von Gellenhausen.

[61] Der Emeritus. Ich glaubte dich hier zu finden, mein lieber Andreas, und ich sehe, daß ich mich nicht geirrt habe – mit Entzücken lese ich heute noch wie gestern, in deinem Auge, in deinen blühenden Wangen, auf deiner heitern Stirn, daß unser Bund der Weißheit und der Tugend noch fest steht, und daß er fest stehen wird, wenn diese meine morsche Hütte längst zerfallen ist – Sonnen sind aufgegangen und Sonnen sind untergegangen, seit ich dich nicht gesehen habe, Menschen sind in Staub gesunken, und Menschen sind geworden, der Schnee hat oft diese Hügel and diese Thäler bedeckt, und ist wieder von den Strahlen der Sonne hinweggeschmolzen, seit ich dich nicht gesehen habe – dennoch ist der Faden, womit sich meine Gedanken an die deinigen knüpften, nicht abgerissen – wir sprachen, da wir vor ein und zwanzig Jahren zuletzt auf diesem Hügel voneinander[62] Abschied nahmen – von meiner alten messingnen Studierlampe mit dem grünen Schirm – da wollen wir also wieder anfangen: – wie doch so ein Ding ausdauren kann – die Lampe steht dir noch unversehrt auf dem Schrank hinter der Thüre, und meine alte Haushälterinn scheuert sie alle acht Tage so blank, daß sie wie ein Spiegel glänzt, und doch ist sie noch wenig oder gar nichts abgenutzt – wie manchen Abend hat sie uns beiden, Weißheit und Wahrheit durch das Auge in die Seele geleuchtet, und der grüne wohlthätige Schirm milderte ihren Schein, daß unser Auge nicht ermüdete – Du hast nachher wohl bei mancherlei Lampen gesessen – aber ich bin dieser einen getreu geblieben – Du sollst sie auch wieder sehen! – Lieber Andreas, was ist diese Hülle von Staub? Dieser hinfällige Körper, den eine alte Studierlampe überlebt – Es ist doch Schade, daß dieser kunstreiche Bau des Auges, durch welches Licht und Wahrheit in die Seele strömt, eher wieder in Staub versinken soll, als die Lampe, die ihm leuchtete – Diese Hand ließ es ihr nie an Oehl und Tacht gebrechen, und in kurzem wird sie verweßt seyn – was wären wir,[63] lieber Andreas, wenn das, was wir unsre Hülle nennen, unser ganzes Ich wäre? – Aber es kann nicht so seyn, und es ist nicht so – du sollst mich auf meinem Todtbette beobachten, wenn meine Augen brechen, und meine Lebensgeister hinsinken, und indem meine Brust zu athmen aufhört, werd ich dir noch einen Druck mit der Hand geben – der soll dir sagen, daß ich noch bin, in dem Augenblick, da ich aufhöre zu leben. (Er gab drauf Hartknopfen die Hand auf die Art, wie er sie ihm auf dem Todbette geben wollte – und Hartknopf vergoß keine Thräne, da er den Emeritus so reden hörte, sondern es leuchtete vielmehr eine himmlische Heiterkeit und Zuversicht aus seinem Auge hervor – Der Händedruck hatte etwas Erhabenes, Nerven- und Seelenerschütterndes, und eine überzeugende Kraft, die mehr als der bündigste Syllogismus wirkte.)

Hartknopf. O mein Elias! – dieß war sein Taufnahme, und da sie den Bund schlossen, hatte der Rektor Hartknopfen, ihn immer so zu nennen befohlen – laß deinen Geist zwiefach auf mir deinem Jünger ruhn, wenn du auffährest! – Ich will dir nachblicken, so weit ich kann,[64] aber laß auch deine Gedanken mit meinen sich zusammen finden! – wenn du noch bist, so muß das geschehen, – wenn ich dich nicht mehr höre und nicht mehr sehe, so muß doch mein Geist mit deinem Geiste noch Umgang pflegen – wenn ich rede, mußt du mir antworten, wenn ich dich rufe, mußt du nicht ferne seyn – –

Der Emeritus. Ja, um wieder auf die Lampe zu kommen, weißt du auch, wie wir einmal beim Shakespear saßen – der schönen Shakespearabende hast du dich gewiß oft erinnert – wir lasen den Othello. – Wir sahen eine Welt von Leidenschaften vor unsrer Seele aufsteigen – und unsre Erwartung der schrecklichen Katastrophe war aufs höchste gespannt, als plötzlich die Lampe verlosch – und wir konnten sie nicht wieder anzünden – das ganze erhabne Zauberwerk war verschwunden, bloß weil eine armseelige Lampe verlosch – wir legten uns mißvergnügt zu Bette. – Und wenn nun das Oehl in dieser Lebenslampe versiegt, und der Tocht vertrocknet ist, und die leuchtenden Sterne dieser Augen auf immer verloschen sind – dann ist auf einmal der sonst feste Zusammenhang[65] so vieler Dinge für uns abgeschnitten – wir legten uns damals mißvergnügt zu Bette, als die Lampe verloschen war – weil wir den Zusammenhang einer bloßen Phantasie, einer Schöpfung der Einbildungskraft nicht weiter verfolgen konnten. – O mein Freund, wie gut ist es, sich nicht zu tief in den Lebenstext hereinzulesen – immer auf der Warte zu stehn – um bereit zu seyn, sobald die Ordre zum Aufbruch gegeben, und das große Feldsignal aufgesteckt wird, daß wir kennen. –

Ist es dir nicht oft im Traume gewesen, mein lieber Andreas, als ob du das Erwachen fürchtetest; und wenn du erwachtest, wünschtest du denn nicht manchmal wieder einzuschlafen, um nur den Faden von dem abgerißnen Traume wieder anzuknüpfen – aber wenn du recht erwacht, und deiner selbst dich völlig wieder bewußt warest, mußtest du da nicht über dein Beginnen lächeln?

Sieh, so lange, bis wir erst recht und vollkommen von diesem Lebensschlaf erwacht sind, werden wir auch noch immer wünschen den schönen Traum wieder anzuknüpfen, der durch den[66] Tod unterbrochen wird – aber wenn uns erst die Schlummerkörner aus den Augen gewischt sind – dann werden wir ins Freie schauen – dann werden wir uns in der Wahrheitswelt erst wieder zu orientieren suchen, so wie wir beim Erwachen aus dem Schlafe nach irgend einem Fenster oder einer Thüre fest hinblicken, und uns die Gegenstände rund um uns her merken, um uns zu überzeugen, daß wir nicht mehr träumen sondern wachen – dann wird der Zusammenhang der Dinge, den wir durchschauen, den gegenwärtigen eben so sehr übertreffen, als wie der Tag die Nacht an Klarheit übertrift. –

Warum sollte diese Stufenfolge nicht statt finden, mein Lieber? – mir hat oft geträumet, daß ich aus einem Traume erwacht sey, und ich habe im Traume über meinen gehabten Traum nachgedacht – und beim Erwachen konnt' ich über beides nachdenken. – Der Traum war wegen seiner größern Deutlichkeit eine Art von Erwachen gegen den ersten – dieß anscheinende Erwachen aber war doch wieder nur ein Traum gegen das ordentliche Erwachen – und dieß ordentliche Erwachen, wer sagt uns, daß es gegen[67] eine noch deutlichere Einsicht in den Zusammenhang der Dinge, uns nicht wieder wie ein Traum dereinst vorkommen wird. –

Jemehr Zusammenhang, jemehr Wahrheit – jemehr Ordnung, jemehr Licht. – Wie vieles ist uns hier noch dunkel und verwirrt – es kann unmöglich das rechte Wachen seyn. – –

Indem der Emeritus noch so sprach, wurde auf einmal sein Auge starr, und seine Lippen bewegten sich nicht mehr – Hartknopf erschrak – allein der entzückte Greis kam bald wieder zu sich, drückte Hartknopfen die Hand, und sagte:

Das war eine sonderbare Empfindung – indem ich eben itzt so lebhaft dachte, daß dieß unmöglich das rechte Wachen seyn könnte – so war es mir gerade als wenn einem im Traume einfällt, daß man träumt; man pflegt denn zu erwachen – mir däucht, ich war itzt auf dem Wege zu erwachen, aber well ich dich vor mir sahe, so war mir der Traum zu süß; ich mochte ihn noch nicht fahren lassen, und der Faden, welcher zu zerreissen drohte, ist noch einmal wieder angeknüpft – – Ich gab dir aber doch die[68] Hand, wenn er etwa reissen sollte – bald wird er reissen, das fühl' ich wohl, mein Lieber!

Hartknopf vergoß wiederum keine Thräne, da er dieß hörte, sondern sein Antlitz schien sich bei diesen Gesprächen zu verklären, so wie das Antlitz seines Lehrers und Meisters –

Hier war wohl ein rechtes Tabor – obgleich ein Galgen die höchste Spitze des Berges schmückte; so hätte man doch wohl sagen können, hier ist gut seyn, hier lasset uns Hütten bauen – denn das Verweßliche war hier im Begriff anzuziehen das Unverweßliche – und der unsterbliche Geist durchbrach hier seine Hülle, und strahlte aus Auge und Stirn hervor – Der Emeritus schwieg, und Hartknopf hub mir halb gedämpfter Stimme an zu singen:


Wenn ich einst aus jenem Schlummer,

Welcher Tod heißt aufersteh,

Und von dieses Lebens Kummer

Frei, den schönern Morgen seh –

O, dann wach' ich anders auf,

Schon am Ziel ist dann mein Lauf,

Träume sind des Pilgers Sorgen,

Großer Tag, an deinem Morgen![69]


Dieß war schon seit einiger Zeit Hartknopfs Morgenlied gewesen – und dieß Lied war nun gleichsam die Musik zu dem großen Text, den der Emeritus so eben abgehandelt hatte. Darum schlug es in dessen Seele Feuer – er ließ es sich zu dreienmalen von Hartknopfen wieder vorsingen – da war es seinem Gedächtniß eingeprägt, das lange schon Neues zu fassen aufgehört hatte, um nur das Alte noch mühsam zusammen zu halten. –

Die erhabne Melodie zu diesem Gesange scheint wie das Feuer des Prometheus einer andern höhern Sphäre entwandt zu seyn, mit solchen unbekannten Empfindungen füllt sie die Seele, und macht das Herz zerschmelzen. –

Erst hebt sie sich sanft und stuffenweise, bis sie sich bald in höhern Regionen zu verlieren scheint, aus denen sie nun beruhigt, gestärkt, und getröstet mit festem Tritt wieder herabsteigt, um sich aufs neue im höhern Fluge mit Jauchzen emporzuschwingen – sanft hinwegzugleiten über diese niedre Welt – mit Lächeln herabzuschauen auf die Sorgen und mühevollen Arbeiten der Bewohner dieser Erde – und dann in einem[70] einzigen großen Gefühl der erweiterten Ichheit allen Kummer des Lebens mit einemmal zu versenken.

O es liegt ein großes Geheimniß in dem Fall dieser melodischen Töne, die, so wie sie auf und absteigen, die Sprache der Empfindungen reden, welche Worte nicht auszudrücken vermögen – Welch ein weitläuftiges Gebiet von Ideen liegt hier außer den Grenzen der Sprache: wo ist der neue Kolumbus, der diesen bisher noch leeren und unbeschriebnen Raum auf der großen Charte der menschlichen Kenntnisse, durch neue Entdeckungen ausfüllt? – –

Quelle:
Karl Philipp Moritz: Andreas Hartkopf. Eine Allegorie, Berlin 1786, S. 61-71.
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