Der schwüle Tag.

[113] Zwei Tage waren im süßen Taumel leicht und frölich dahin geflohen, der dritte war schwül und schwer. –

Schwarze Gewitterwolken lagerten sich am Horizonte, und eins drückende Hitze lähmte die Glieder. –

Sophie war in diesen Stunden ganz glücklich in ihrer Stube und an ihrem Tischchen, Hartknöpfen aber ward die Stube zu enge, und er gieng allein aus.

Nicht unzärtlich – sein scheidender Blick voll Liebe versenkte Sophien in eine süße Ruhe, worinn die Momente ihr unbemerkt vorüberflohen – sie hatte nun keine Wünsche mehr, und fühlte doch keine Leere, – der schöne Umkreis ihres Daseyns war nun ausgefüllt.

Ihr droheten die Gewitterwolken nicht, und ihre Brust athmete sanft unter der drückenden Luft. –[114]

Als Hartknopf nun aus dem Hause trat, begegneten ihm ein paar hämische Bauern, die sich gerade über seine Jubelpredigt, und den herabgestürzten Engel mit einander unterhielten.

Sie grüßten ihn, und sprachen dann wieder leise und hohnlächelnd zusammen. –

Hartknopf eilte, daß er aus dem Dorfe kam, da begegnete ihm beym Ausgehen aus dem Dorfe der Küster Ehrenpreiß, der ihm aus einer Art von höhnendem Respekte immer eine tiefe Verbeugung machte, die Hartknopfen ärgern sollte.

Hartknopf ärgerte sich zwar darüber nicht, aber es war ihm doch fatal, daß er mit diesen Menschen nun leben mußte.

Er gieng über einen schmalen Damm nach dem Krainberge zu, der schwarz und öde vor ihm da lag.

Auf der braunen Fläche der Heide ruhte die Nacht des umwölkten Himmels. –

Hin und wieder stand einsam ein gekrümmter Baum, welcher dem dürren Boden mühselig entwachsen war.

Und zwischen dem öden Heidekraut, stieg Hartknopf den sandigten Pfad hinauf.[115]

Als er nun oben war, und in das Thal auf das Torfmoor hinunterblickte, so sähe er die beiden spitzen Thürme von Ribbeckenau und Ribbeckenäuchen in fürchterlicher Nähe vor sich nebeneinander stehen.

In diesem Bezirke lag nun sein Leben, seine Reisen, sein Wirkungskreiß – hier endigte sich seine Laufbahn, und war wie auf einer Landcharte ihm vorgezeichnet.

Immer näher zog das Dunkel, immer schwüler wurde die Luft, und immer gepreßter sein Athemzug. –

Der alte Superintendent Tanatos reichte ihm wieder die knöcherne Hand – das Hochzeitkarmen mit der bangen Wehklage tönte wieder in sein Ohr. –

Der dunkelumwölkte Himmel ruhte wie eine schwarze Decke über der Erde, und die kleine Thurmspitze von Ribbeckenau schien sich in dem niedrigen Gewölke zu verlieren. –

Einsam trauerten ein Paar dürre Baumstämme auf der Heide. – Das niederbückende Alter hatte sie beschlichen. –[116]

Mit schnellen Schritten wandelte Hartknopf die Anhöhe wieder herab – denn der Tag hatte sich geneiget; und so wie er hinunterstieg, zog sich immer enger und enger sein Horizont um ihn zusammen. –

Wie ein Traum waren vierzig Jahre verschwunden, und er gieng auf eben diesem Flecke gebückt am Stabe und immer noch wanderte ihm zur Seite der Küster Ehrenpreiß mit ihm über das Torfmoor, dann schloß sich die Laufbahn auf immer. –

Alles lief nun in einem fürchterlichen Punkte, in einer traurigen Spitze aus. –

Unaufhaltsam lief der Sand im Stundenglase, und das Ziel war da, nichts war dazwischen als die einförmige Wiederkehr dessen, was schon da war. – Schrecklich eröfnete sich der Abgrund dicht vor den Füßen des Wanderers. –

Das enge Grab war nun da – die Erde scholl dumpf auf den Sarg – keine Aussicht, kein Gedanke an die Zukunft mehr. –

Alles verbauet, verschlossen, und gehemmt – zwischen öden Mauren, die des Tages Glanz verdeckten. –[117]

So wie nun Hartknopf über den kleinen Dorfkirchhof zu Hause kehrte, erleuchtete ein Blitz, strahl die goldene Schrift an den Kreutzen auf den Grabhügeln – sie flammte einen Augenblick, und verlosch wieder in schwarze Nacht. –

Die Kirchhofsmauer lief so enge zu, die Grabhügel waren so dicht aneinander gedrängt. –

Auf einmahl sähe sich Hartknopf vor der Thüre seines Hauses, sein liebend Weib empfing ihn mit ausgestreckten Armen, und er erwachte wie aus einem schweren Traume. –

Quelle:
Karl Philipp Moritz: Andreas Hartkopf. Prediger Jahre, Berlin: Johann Friedrich Unger, 1790. , S. 113-118.
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