Mein Abschied von Hartknopf, als er aus Erfurt gieng.

[2] Da saßen wir auf der großen Treppe vor dem Dom, und sprachen von Ribbeckenau, wie weit es sey, und wie bald und wie oft ich ihn dort besuchen könnte? und von der Verschiedenheit der Rettiche, die in Erfurt vorzüglich gut sind, und eine von Hartknopfs Lieblingsspeisen waren, wobei er gewissermaßen mit Leib und Seele genoß, wenn er die geheimnißvollen Salzkörner, auf die runden Scheiben streute, und dann auf seiner Zunge das innere Wesen dieser edlen Bestandtheile in ihrer feinsten Auflösung schmeckte.

Seine Gedanken beschäftigten sich in diesem Augenblicke ganz mit der Anpflanzung von Erfurter Rettichen in Ribbeckenau, und ich versprach ihm heilig Rettigsaamen aus Erfurt zu schicken.

Wir giengen alsdann noch auf der Kirschlache spatziren, wo wir uns eine ganze[3] Weile an ein Geländer stellten, und ins Wasser sahen.

Ich begleitete ihn vors Thor hinaus, wo wir in einem Wirthshause einkehrten, hier setzte er sich mir gegenüber und sagte: Ich gehe nun nach Ribbeckenau (bei dem Nahmen erhielt seine Mine einen sehr verdrießlichen Zug) um das Evangelium zu predigen, und du bleibst in Erfurt, um das Evangelium noch eine Zeitlang predigen zu lernen. Du weißt nun den Hörsaal, wo man das lernt; und kennst den Mann, welcher diesen erhabenen Lehrstuhl bekleidet – halte dich fest an ihn, und übe dich im fertigen Nachschreiben, suche ihm die Worte aus dem Munde zu stehlen, noch ehe er sie ausgesprochen hat, und bediene dich der Abbreviaturen, die deiner Hand und deinem Gedächtnisse geläufig sind. – Schreibe auch die unterlaufenden Späße mit auf, denn sie stehen nie am unrechten Orte – und werden dir eine angenehme Erinnerung seyn, wenn du die Vorlesung zum zweytenmale hören solltest – hüte dich sehr Backelaureus oder Magister der Weltweisheit zu werden – und wenn du dich im Predigen übest, so stelle dich an einen rauschenden[4] Wasserfall, wo keines Menschen Ohr den Laut deiner Worte vernimmt – fahre fort, fleißig Kirchengeschichte zu studiren, und nun laß uns noch einen Rettich zusammen essen.

Der Rettig wurde auf einem Teller gebracht – Mit einer feierlichen Mine schälte Hartknopf ihn ab, schnitt runde Scheiben davon, und indem er langsam und nachdenkend die Salzkörner darauf streuete, und die erste Scheibe mir darreichte, blickte er mich ernsthaft an, und sagte: so oft ihr solches thut, so thuts zu meinem Gedächtniß!

Als wir nun hinausgiengen, gab ich ihm noch folgende Verse, die ich auf seinen Abschied gemacht hatte:


Du gehst nach Ribbeckenau

In Erfurt bleibt Dein Freund;

Die Ferne dämmert grau ...

Das trübe Auge weint ...


Doch ist nun über mir

Der Himmel wieder blau,

Denk ich, er lächelt. Dir

Doch auch in Ribbeckenau.


Als ich diese Verse noch an Hartknopf übergeben hatte, steckte er sie, ohne sie zu lesen in die Tasche,[5] und sagte: ich möchte den Rettigsaamen nicht vergessen, er wünsche mir wohl zu leben, und ich möchte ihm nun die Liebe thun, und nach Erfurt zurückkehren, welches ich dann that, und weil wir auf einer Anhöhe Abschied genommen hatten, ihn sogleich aus dem Gesichte verlohr.

Quelle:
Karl Philipp Moritz: Andreas Hartkopf. Prediger Jahre, Berlin: Johann Friedrich Unger, 1790. , S. 2-6.
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