Vierter Auftritt.

[41] Die Vorigen. Therese.


THERESE ohne die am Tische Sitzenden gleich zu bemerken. Ich habe mir's doch überlegt, wie kindisch Christinens Besorgnis ist – sie ließ sich nicht zurückhalten, aber ich dachte, wenn doch vielleicht – Gäste –

BOMBARDON auf den Tisch schlagend. He! Wirtschaft! Ist denn da alles ausgestorben?

THERESE eilig vorkommend und knicksend. Da bin ich schon, meine Herren, Ihnen zu dienen!

BOMBARDON aufstehend. Schau, schau, eine solche Dienerin ist wohl wert, daß man dreimal klopft! Sappristi! Sie sind die Wirtin, Madame?

THERESE. Noch nicht Wirtin, noch nicht Madame, aber heute –

BOMBARDON. Heut? Sacrebleu! Und wer ist der glückliche Eroberer?

THERESE. Colas, der Herr des Gasthauses und der Mühle, Ihnen zu dienen, Herr Sergeant.[41]

BOMBARDON. Nun, damit dient er mir eben nicht – Mademoiselle – für sich sie ist wirklich – Bombenelement!

THERESE. Sie befehlen – Herr Sergeant?

BOMBARDON. Wein und zwei Becher, aber der Wein muß so lieblich sein wie – Er will sie umfassen.

THERESE windet sich los und läuft ab ins Gasthaus. Ihnen zu dienen!

BOMBARDON. Kamerad – aber – sacrénom – da sitzt er und schaut in den Tisch statt auf das bildsaubere Mädel – da muß ich sagen, ich bin doch trotz meiner Vierzig ein anderer Kerl und hab' auch immer Glück bei den Frauen gehabt. Im Regiment nannte man mich den »Stürmer«, Schanzen und Mädchen – einerlei – da ist sie – rechts geschaut, Kamerad!

THERESE ist mit Wein aufgetreten, bedient. Ihnen zu dienen, meine Herren – sagen Sie, Herr Sergeant –

BOMBARDON sitzend. Was, mein kleiner Engel?

THERESE. Was führt Sie – wenn ich fragen darf –

BOMBARDON. Hierher? Der Ruf des Kaisers! In Melun wird ein Bataillon rekrutiert, es geht gegen Rußland, und trotz meiner doppelten Kapitulation habe ich mich enrollieren lassen.

THERESE. Großer Gott! Also doch – und gegen Rußland?

BOMBARDON. Ja, Mademoiselle, und um das Eis besser zu passieren, erwärmt man sich mit einem Glase Wein und an dem Feuer solcher funkelnden Augen – Er will sie umarmen.

THERESE sich loswindend. Herr Sergeant, hier wird nicht im Feuer exerziert. – Sie geht hinüber. Und Sie, junger Herr, Sie müssen auch mit nach Rußland?

GONTRAN. Gleichviel wohin! Ich erwarte hier die Post nach dem Rhein.

THERESE. Die geht um acht Uhr frühe ab –

GONTRAN. So warte ich bis morgen.

THERESE. Hier bei uns?

GONTRAN. Haben Sie kein Plätzchen für mich?

THERESE. Im Hause ist heute Hochzeit – wenn sie mir nicht meinen Colas –

GONTRAN. So gehe ich weiter –

THERESE. Außer wenn Sie sich mit der Eremitage begnügen[42] wollten, und wer weiß, ob mit der Hochzeit – Sie weint.

GONTRAN. Was bewegt Sie so sehr?

THERESE. Nichts – fragen Sie nicht – o mein Colas, und nach Rußland – Herr Sergeant, muß denn alles nach Rußland gehen?

BOMBARDON. Alles, was zwanzig Jahre alt ist und keine Schürze trägt (mit Ausnahme der Mädchen.)

THERESE. Und sonst wird keine Ausnahme gemacht?

BOMBARDON. Wer einen Ersatzmann stellt – freilich – aber wo findet man jetzt einen solchen? Ich möchte gleich bei Ihnen als Ersatzmann einstehen, Mademoiselle.

THERESE. O pfui, Sie scherzen, wo zwei armen Mädchen das Herz zerbrochen wird. Sie geht weinend links ab, ins Gasthaus.

BOMBARDON geht wieder zum Tisch, setzt sich, schenkt ein und will mit Gontran anstoßen. Zweien? Sacrebleu! hat der Wirt zwei Bräute? Aber unser Wein wird warm! Eingeschenkt, Kamerad! Ein scharmantes Demoisellchen! Angestoßen! Hoch! Es leben die schönen Frauen!

Gontran stößt nicht an, wendet sich.


BOMBARDON. Wie? Ihr stoßt nicht an – Mordelement! Ihr haßt die schönen Frauen?

GONTRAN. Hassen? Ich verachte sie, alle, alle; geht, laßt mich; warum in der Wunde wühlen, die Euer guter Humor eben notdürftig geheilt.

BOMBARDON. Nun, ruhig Blut, Kamerad; warum habt Ihr mir nicht gesagt, was Euch quält – kommt, angestoßen, Freundschaft und Vertrauen! Nun, heraus damit, Ihr habt bittre Erfahrungen gemacht?

GONTRAN. Erfahrungen? Eine, aber die genügt, das ganze Geschlecht verachten zu lernen. Ein Mädchen, das ich für einen Engel hielt, das ich von Kindheit an liebte, für dessen Treue ich meine Seligkeit verschworen hätte – ich Tor – ein Jahr rief mich fort nach dem Süden wo meine einzige teure Schwester erkrankt war, und als ich zurückkehrte nach Paris – fand ich sie als die Gattin eines anderen.

BOMBARDON. Desertiert – pfui – aber noch besser vor als nach der Hochzeit.[43]

GONTRAN. Ich wollte mir eine Kugel vor den Kopf –

BOMBARDON. Unsinn, die spart man für andere auf.

GONTRAN. Oder ihm, dem Rivalen, aber was konnte er dafür. Ich sah sie beide, sie waren glücklich, unglücklich ich allein. Da beschloß ich, Paris, Frankreich zu fliehen und in der Ferne Zerstreuung und Vergessenheit zu suchen!

BOMBARDON. Und ein andres, treueres Herz!

GONTRAN. Es gibt kein treues Frauenherz auf Erden, diese Überzeugung ist's, die mich unglücklich macht.

Nr. 3. Romanze.


Was ist Leben ohne Liebe,

Ohne Treue und Vertraun?

Nur ein herzloses Getriebe!

Öd und schal ist mir die Welt.

Ja, ich hasse alle Frauen;

Konnte eine mich betrügen,

Kenn' ich alle, weiß, sie lügen,

Weiß, daß keine Treue hält.

Jugendglück, Jugendtraum,

Träume voller Wonnen!

:|: Ach, wie zerronnen! :|:

:|: Fahrt wohl, fahrt wohl! :|:


Darum treibt's mich, zu entfliehen

Dieser Stätte meiner Schmerzen;

In die Ferne will ich ziehen

Und vergessen, was ich litt.

Doch ich fühl's im tiefsten Herzen:

Der Erinnerung heiße Tränen

Und des Heimwehs bittres Sehnen

Trag' ich in die Fremde mit.

Heimatland, Heimatland,

Du siehst mich scheiden.

:|: Grab meiner Freuden, :|:

:|: Fahr wohl, fahr wohl! :|:


Er geht ab in die Eremitage.
[44]

BOMBARDON. Jetzt steh' ich, wie einst der große Sergeant Herkules, am Scheidewege. Soll ich den Bräutigam über die verlorene Braut trösten, oder den Schnurrbart drehend die schöne Braut über den Verlust des Bräutigams zu trösten versuchen? – Pfui! – Bombardon! Wie kannst du dich besinnen? Der Kamerad hat den Vorrang! Er geht ab in die Eremitage, nimmt aber sein Gewehr sowie Stock und Ränzel des Gontran mit.


Quelle:
Ignaz Brüll: Das goldene Kreuz, nach dem Französischen von H.S. von Mosenthal, Leipzig [o. J.], S. 41-45.
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