Dritter Auftritt.

[62] Christine. Gontran. Später Therese, Colas und eine Dienerin.


CHRISTINE. Ich habe vergebens gewartet, der Zug der Heimkehrenden trifft erst spät abends ein. Sie will ins Haus. Ha, Gontran!

GONTRAN. Sie erschrecken vor mir, Christine?

CHRISTINE. Weil ich überrascht bin, Sie im Freien zu sehen? Mein Pflegling hat ohne meine Einwilligung das Zimmer verlassen, Drohend. ist das erlaubt?

GONTRAN. Ich bin genesen, geheilt durch Ihre liebevolle Fürsorge, geheilt auch von den Wunden und Zweifeln, die ich, ohne daß Sie es ahnten, im Herzen trug![62]

CHRISTINE zurückweichend. Was wollen Sie mit. sagen, Herr Kapitän?

GONTRAN. O, hören Sie mich, teure Christine –

Therese und Colas aus dem Hause mit Speisen und Wein.

Eine Dienerin deckt schnell auf und entfernt sich wieder.

Nr. 11. Quartett.


THERESE.

Da ist sie! Zu Tische! Das Mahl ist bereit!

COLAS.

Zu Tische, zu Tische, ein Becher voll Wein!

THERESE zu Colas.

Verwirrt sind sie beide, sie waren allein –

Wir stören, wahrhaftig, das war nicht gescheit!

CHRISTINE.

Zu Tische, Herr Hauptmann – es wartet das Mahl!

Auf Eure Genesung füll' ich den Pokal!


Sie setzen sich.


GONTRAN.

Wie lieblich ist's beim frohen Mahl,

Das traute Freundschaft uns kredenzt,

Wenn klar im hohen Glaspokal

Der goldne Saft der Rebe glänzt.

DIE DREI ANDERN.

Stoßt an, das klingt so helle,

Wie Glöcklein der Kapelle,

ALLE VIER.

:|: Kling, klang, kling, klang,

Das, was wir lieben, lebe lang'! :|:


Sie stoßen bei dem »Kling, klang« wechselweise an.


GONTRAN zu Christine.

Darf diesem Trinkspruch ich vertrauen,

Kredenz' ich Ihnen den Pokal![63]

Es ist die Liebe holder Frauen

Des Lebens reinster Sonnenstrahl.

Durch dich ward ich nach langem Leiden

Zu diesem Glauben neu bekehrt!

Der Glücklichste ist zu beneiden,

Der, Mädchen, deiner Liebe wert!

COLAS für sich.

Wie ein Soldat, grad' aufs Ziel!

THERESE stößt ihn.

Hör', was sie sagt! Still, schweige still!

CHRISTINE.

Wenn Sie der Liebe neu vertrauen,

Erfüllt es auch mein Herz mit Glück!

Gewiß, die edelste der Frauen

Ist wert, zu teilen Ihr Geschick!

Die Freundschaft, die mich treu beseelet,

Ich will sie ihr – wie Ihnen weihn,

Und die zum Gatten Sie erwählet,

Sie soll mir eine Schwester sein.


Gontran steht auf, Colas ebenso.


COLAS.

Oho! Christine – wie mir scheint,

So hat's der Hauptmann nicht gemeint.

THERESE steht auf.

Sei still, du Schwätzer, sprich kein Wort –

Du siehst – er geht vom Tische fort!

CHRISTINE vom Platze aus zu Gontran.

Ihr zürnt!

GONTRAN.

O nein! Die Mahlzeit harrt!

Genießen wir die Gegenwart.

Wie lieblich ist's beim frohen Mahl,

Das traute Freundschaft uns kredenzt,

Wenn klar im hohen Glaspokal

Der goldne Saft der Rebe glänzt.

DIE DREI ANDERN.

Stoßt an, das klingt so helle,

Wie Glöcklein der Kapelle.[64]

ALLE VIER.

:|: Kling, klang, kling, klang,

Das, was wir lieben, lebe lang'! :|:


Sie stoßen bei dem »Kling, klang« wechselweise an.


GONTRAN das Glas emporhaltend.

Das letzte Glas – ich bring' es aus

Als Abschiedsgruß dem lieben Haus,

Das mich gepflegt mit treuem Sinn –

COLAS UND THERESE.

Als Abschiedsgruß – wo denkt Ihr hin!

GONTRAN.

Dank sei es euch – ich bin genesen,

Nichts hält mich länger hier zurück,

Wo ich so glücklich, ach, gewesen.

Den Abschiedstrunk – auf Euer Glück,

Therese!


Er stößt mit Therese an.


THERESE.

Muß es wirklich sein –

GONTRAN.

Colas!

COLAS.

Ich duld' es nicht – nein, nein –

GONTRAN steht auf und will mit Christine anstoßen.

Ich muß nun wohl von hinnen gehen!

Christine!


Er reicht ihr das Glas.


CHRISTINE.

Gott!

GONTRAN.

Auf Wiedersehen!

Christine will anstoßen, das Glas entfällt ihrer Hand; sie hält sich wankend am Sessel.


THERESE.

Sie wankt, sie bebt, ihr Schweigen spricht,

Gottlob, nun ist das Eis gebrochen.

Du siehst, Therese täuscht sich nicht,

:|: Sie hat's gemerkt seit vielen Wochen! :|:

Komm, komm, am besten wird es sein,

Wir lassen jetzt die zwei allein.

CHRISTINE.

:|: Sei stark, mein Herz – verrat dich nicht,

Halt es zurück, dein stürmisch Pochen,

Gedenk des Schwurs, gedenk der Pflicht,

Vergiß es nicht – du bist versprochen. :|:

:|: Schließ deine Wonnen in dich ein!

Gott stärke dich – ach, es darf nicht sein! :|:

[65] GONTRAN.

:|: Wie schlägt mein Herz! Wie Sonnenlicht,

Das nächtliches Gewölk durchbrochen,

Strahlt aus dem holden Angesicht

Bekenntnis mir, unausgesprochen! :|:

:|: Wie Engelstimmen klar und rein

Ruft es mir zu – ihr Herz ist dein! :|:

COLAS.

:|: Sie wankt, sie bebt, ihr Schweigen bricht

Das Abschiedswort, das er gesprochen,

Nein, länger widersteht sie nicht,

Gottlob, nun ist das Eis gebrochen. :|:

Mir scheint, am besten wird es sein,

Wir lassen jetzt die zwei allein.

Therese und Colas schieben den Tisch zur Seite und schleichen ab.


Quelle:
Ignaz Brüll: Das goldene Kreuz, nach dem Französischen von H.S. von Mosenthal, Leipzig [o. J.], S. 62-66.
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