5.

[239] Die Vereinheitlichung der deutschen Mundarten in Luthers Bibelsprache wurde durch die Reformation, mit der sie sich verknüpfte, zu einer entschiedenen geschichtlichen Thatsache. Ein einzelner Dialekt konnte niemals wieder zur literarischen Oberherrschaft gelangen, und die verschiedenen Entwickelungen, welche nun noch die deutsche Diction erlebte, mußten auf dem Grund und Boden des aus der Reformation hervorgegangenen Gesammtdialekts geschehen. Die neuhochdeutsche Prosa Luther's wurde die eigentlich literarische Sprache, die Mundart der deutschen Literatur. Der bloß schriftliche Charakter unserer Literatur mußte sie eher dazu geneigt machen, sie an ein einheitliches Organ des Ausdrucks hinzugeben, und der nationalen[240] Beweglichkeit der Stämme, die sich in der griechischen in bunter und bedeutsamer Mannichfaltigkeit erhalten konnte, keine Stätte mehr in ihrem Hauptlager zu gewähren. So lange es noch keine deutsche Literatur gab, sondern eine Poesie, die wesentlich im Volksleben wurzelte, konnte entweder ein einziger Dialekt, wie der oberdeutsche, zum allgemeingültigen Typus werden, oder auch bei Gelegenheit in dem Vielerlei der Stämme hier und da zugleich ein dichterisches Blühen sich regen. Die neue Epoche der deutschen Geschichte legte sich vorzugsweise in das norddeutsche Lebenselement hinein, und wie früher das Oberdeutsche das Grundbeet der poetischen Sprache, so wurde das Niederdeutsche, wenn auch nicht in derselben Weise die einzige Grundlage, doch die hauptsächlichste Anknüpfung und Bildungsstätte der literarischen Sprache in Deutschland. In diesem Uebergang ist es eine bemerkenswerthe Erscheinung, daß die neuhochdeutsche Verschmelzung des Ober- und Niederdeutschen zuerst eine Prosa hervorbrachte, die zugleich die dichterischen und prosaischen Elemente der Darstellung in einem verbundenen Guß aufzeigte. Die einzelnen[241] deutschen Stämme aber, wie sehr auch historische und intellectuelle Verschiedenheiten sie an diese Einzelung fesselten, gaben sich in ihrem Verhältniß zur Sprache der Literatur, die fortan als ein allgemeines Band alle umschlingen sollte, fast zu sehr mit ihrem ganzen Naturell auf, und traten sämmtlich, nur mit umgeschmolzenen Bestandtheilen, in diese allgemeine Schriftsprache über. Die charakterthümliche Trennung des deutschen Lebens bedurfte freilich immer dieser geistigen Vermittelung, um durch eine Sprache der Nationalliteratur die provinzielle Existenz in einem Heimathsgefühl zu erhalten, aber es war für gewisse Gattungen des Stils und der Darstellung nicht vortheilhaft, daß alle literarische Anwendbarkeit der Dialekte mehr oder weniger damit verschwand. Anderen Sprachen, obwohl sie eine Hauptmundart gebildet haben, stehen noch die landschaftlichen Dialekte mit außerordentlichem Erfolg für die Production zu Gebot. Der beredte Lautwechsel der Mundarten in der Tragödie der alten Griechen gewinnt auch eine innerliche Bedeutsamkeit, und charakterisirt verschiedene Momente des Gefühls und der tragischen[242] Erhebung. Eine ähnliche Vielgestaltigkeit des Ausdrucks läßt das indische Drama in seinen Nüancen des Sanscrit und Pracrit ertönen. Während die Helden und Hauptpersonen des Stückes das Sanscrit reden, ist für die Frauen der weichere und sanftere Dialekt des Pracrit bestimmt, der so sehr für milde Empfindungen geeignet, daß zuweilen sogar die Klage der Helden in diese Mundart verfällt. In dem Lustspiel der Italiener reden ebenfalls die landschaftlichen Mundarten nicht selten durcheinander. Auch Shakspeare benutzt Dialekte und sprachliche Verschiedenheiten zu originellen Wirkungen. Die deutschen Mundarten haben sich nur noch auf Volkstheatern oder in den Volksliedern, in bestimmter geographischer Vertheilung, lebendig erhalten, aber in der Mitte des neuhochdeutschen Gesammtdialekts selbst haben sie keine individuelle Geltung erlangen können, in der Weise, daß sie als wechselnde Charakterformen des Stils nach Sinn und Gelegenheit einzustreuen wären. Und doch haben einige derselben die bestimmteste Individualität, wie z.B. das Niederdeutsche, das für komische und witzige Darstellungen in einem[243] gewissen Genre äußerst eigenthümliche Farben herzugeben vermag, in welchem Sinne es noch der Satiriker Laurenberg im siebzehnten Jahrhundert schlagend und in ächt volksthümlicher Art benutzte. Solche künstliche Wiederbelebungen der Dialekte sind später noch mehrmals mit Glück aufgetreten, wie in Hebel's allemannischen Gedichten, aber wie sehr durch die Gewöhnung an eine literarische Gesammtsprache die Deutschen den Sinn verloren für die poetische Auffassung der Mundarten, für das Frische, Blühende und Launige der landschaftlichen Eigenthümlichkeit, geht daraus hervor, daß man neuerdings sogar den Schwabenstreich beging, diese allemannischen Gedichte wieder ins Neuhochdeutsche zu übersetzen. Ein durchgreifendes und gewaltsames Bemühen, die Einheit des neuhochdeutschen Dialekts durch landschaftliche Mannigfaltigkeit wieder zu unterbrechen, wie Einige den Plan gehabt, muß jedoch als widersinnig erscheinen, nachdem durch und seit Luther die neuhochdeutsche Combination der Mundarten die übrigbleibenden Bestandtheile der deutschen Dialekte gewissermaßen von dem mitlebenden Antheil[244] an der Nationalcultur ausschloß, und sie in das Einzelleben der Gaue nach Willkür zerstieben ließ. –

An der Gränzscheide dieser Epoche, die durch Lu ther's Sprachschöpfung bezeichnet wird, ist auch noch das Unternehmen des Johannes Agricola, die Sprüchwörter der Deutschen zu sammeln, für diese Betrachtung denkwürdig. Diese Sammlungen, deren erste im Jahre 1528, die zweite 1529 und die dritte 1548 erschienen, sind als ein aus der Mitte des Volkslebens herausgehobener Sprachschatz der deutschen Nation sehr wichtig. Man hat darin den in unmittelbarster Einheit mit der Sprache schaffenden Volksgeist vor sich. Agricola selbst handhabt in den Auslegungen dieser Sprüchwörter eine treffliche und körnige Prosa, und zeigt sich von Begeisterung für seine Absicht, ein Nationaldenkmal deutscher Sprache und Sitte hinzustellen, erfüllt. Seine Zueignung der ersten Sammlung, die er an den Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen gerichtet hat, enthält für den damaligen Zustand der deutschen Sprache einige interessante Aeußerungen. Es heißt unter Anderm: »Es bewegen mich (zur Bekanntmachung dieser Sprüchwörter)[245] fürnemlich zwo ursachen: die erste, das, wer diese spruche haben wurde, der wurde die ganze deutsche Sprache haben, welche sprach wir Deutschen so gar für nichts achten, das sie auch fast gefallen ist, vnd niemands, oder gar wenig leut sind, die deütsch reden konnen. Alle Nation haben yhre zungen und sprachen ynn regeln gefasset, auch ynn yhre Cronicken und Handelbücher verzeichnet, wo etwas ehrlichs und mandlichs handelt, oder etwas künstlichs und etwas höfflichs ist geredt worden von yhnen. Alleine wir Deütschen sind Deütsche, haben solchs vergessen, das unser geringe geachtet, wie ehrlich es auch gewesen, und auff anderer Leütt und fremder Nation wesen, sitte und gebehrde gegaffet, gleich als hätten unsere alten nie nichts gehandelt, geredt, gesezt und geordnet, das yhnen ehrlich und ruhmlich nachzusagen were, so doch, wie dise Sprichwortter aufweisen, unsere Forfaren gar erbare, tapfere vnd weise Leütte gewesen sind. – Die andere, syntemal gemeyniglich mit der Sprache auch die Sitten fallen, ist zu besorgen, der Dewtschen trewe vnd glauben, bestand, wahrheit werden auch fallen: denn wir Deütschen[246] tragen nun forthin Welsche, Hispanische vnd Franzosische Kleidung, haben Welsche Cardinal, Franzosische und Spanische krankheiten, auch Welsche praktiken, derhalben hab ich gedacht, die weise Rede vnser alten Deütsch an den tag zu geben, auff das doch etliche vnter vnsern Deutschen gereizt werden, yhrer voreltern Fußstapfen nachzuwandeln.«

Agricola's Vorzüge als Prosaist sind um so höher zu schätzen, da er zum Theil in einem Zeitpunkt schrieb, wo Luther noch nicht mit der höchsten Vollendung seiner Sprache vorleuchtete, sondern erst im Ringen danach begriffen war. Die Poesie der luther'schen Schreibart, die begeisterte Beherrschung der Sprache erreichte freilich der didaktische Agricola nicht, aber seine Hinweisung auf den volksthümlichen Kern der deutschen Sprache und seine Anregung des Nationalsinnes für die Ausbildung derselben waren verdienstlich genug. Das Jahrhundert der Reformation war jedoch zu sehr mit vielen gemischten Elementen versetzt, die aufstrebende Cultur war noch zu vorwaltend durch Philologie und gelehrten Schwerestoff bedingt, als[247] daß schon alle Ausstrahlungen des intellectuellen Lebens eine durchbildete nationale Ausdrucksform hätten finden können. Die gelehrten Sprachen behaupteten immer noch das größte Uebergewicht in allen Culturäußerungen der Deutschen. Agricola selbst, der Lobredner der deutschen Sprache, will sie am Ende keineswegs ausschließlich empfehlen, sondern sie soll Hand in Hand gehen mit dem Lateinischen, Griechischen, Hebräischen, damit die Erlernung der Muttersprachen und der fremden Sprachen sich gegenseitig erleichtern und fördern möchten. So sagt er in der zweiten Sammlung seiner Sprüchwörter: »Es ist ein großer erbermlicher Irrthum yetz und yn alle land kommen, also das man maint, man wölle andere Lewte kennen leren allain durch die Tewtschen sprach, vnd kompt layder darzu, das nyemand der Kunst achtet, dardurch man reden vnd leren lernt, Got hat zu dysen letzten Zeyten Tewtsch geredet und zuvor nie nicht. – Es ist die Bibel, das eddel Buch, auff dem plan vnd raine, Es sind darnebenn vil guter Bücher zu trösten vnd zu leren, von vilen Gotsfreünden geschryben, vnnd ist also vil guts Lichts hie durch zu der[248] Heyligen Schrift kummen, das, wo Augustinus, der doch unter allen Lerern an Mittel der beste ist, yetzund aufstunde, so würde er sagen, Lieben Herren, wie habt yhr ein Licht, Ich will gern weichen, vnd ewrem Licht folgen, Got geb, daß wir seyn wol brauchen! Solches Licht sollt vns nun eine Raytzung sein, die sprachen dester leichtlicher zu lernen, die die wissen müssen, welche andere Leüte leren sollen, denn das alte Testament ist Hebräisch geschryben, vnd das neü Griechisch, die Juden, die der sprachen verstand haben, beckennen selbs, wie die Verdolmetschung des alten Testaments auß dem Hebräischen, yhnen mehr helffe zu Moses vnnd anderer bücher verstand, denn alle yhre Commentarii vnd glosen, Warumch lernt man denn die sprach nicht? Hebrea Lingua est Lingua Theologorum. Wer die schryfft handeln soll vnnd leren, vnd kann sich hie nicht behelfen, der trette ab, vnd befelch es dem ders beßer kann. Das newe Testament ist also wol verdolmetscht, daß es ye nicht beßer sein künde, warumb lernet man denn griechisch nicht? darzu eine solche brayte ban durch tewtsche Verdolmetschung gemacht ist.« u.s.w.[249]

Während die Reformation das erbauliche, gemüthliche, wissenschaftliche und rednerische Element der deutschen Sprache in Bewegung setzte, blieb auch ihr speculativer Charakter nicht unberührt von dieser Zeit. Die merkwürdigen Schriften des Sebastian Franke, aus Donauwörth in Schwaben, über dessen persönlichem Leben ein Dunkel liegt, bildeten die philosophische Diction aus und bereicherten sie mit Manchem, was ihr noch heut für die subtile Gedankenbezeichnung geblieben. Durch seine metaphysische Behandlung des Christenthums, mit dem er neuplatonische Ideen, besonders die Lehre von der Weltseele, zu verschmelzen suchte, verhielt er sich eigentlich in einem feindlichen Gegensatz zu den Reformatoren. Dies Bestreben brachte auch in seine Sprache eigenthümliche Combinationen, obwohl der Geist Tauler's, der unverkennbar auf ihn wirkte, auch darin seinen Einfluß auf ihn geübt hat. Franke war ein gewandter und witziger Kopf, wie er in seinem sehr prägnant geschriebenen Commentar deutscher Sprüchwörter, die auch er gesammelt, bewiesen, und sein feinsinniger Takt bemeisterte sich der deutschen Sprache besonders in[250] der Auffindung neuer Wörter für abstracte Vorstellungen mit großem Glück. Wörter wie außdruck, gemainnützig, selbsständig, spizfindigkeit, aigenthumb, zeitlos, begirdlos, und viele ähnliche, wurden durch ihn zuerst in Umlauf gesetzt und seitdem durch keine treffenderen Bezeichnungen verdrängt. Auch durch geniale Wendungen des Stils zeichnet sich Sebastian Franke hin und wieder aus. Seine theologischen Abhandlungen, seine Uebersetzungen des Lobes der Narrheit von Erasmus von Rotterdam, der Eitelkeit menschlicher Künste von Corn. Agrippa, sind das Wichtigste, was für uns hieher gehört, doch hat auch seine Weltchronik oder Geschichtbibel, die von Anbeginn der Dinge bis zum Jahre 1591 fortgeführt ist und auch in diesem Jahre zuerst gedruckt erschien, manche Verdienste der Darstellung, und ist schon als die erste in deutscher Sprache geschriebene Universalgeschichte dieser Art merkwürdig. Lessing beschäftigte sich viel mit Frankens Schriften, auch ihres Inhalts wegen, und es wäre zu wünschen, daß neuerdings einige ausführlichere Auszüge in irgend einer Form von ihm gegeben würden. Hier können[251] nur einige Proben seiner Diction Platz finden. In seiner Abhandlung vom Baum deß Wissens Gutz und Böß, die als Anhang hinter seiner Uebersetzung des Erasmus steht, heißt es vom menschlichen Willen: »Hie erwig, was unser will kunst und wissen ist, damit wir so hoch daher fahren und brangen, ja für Gott zu kommen vermainen, so es doch nicht dann der laidig Todt ist, und ain frucht des verbotnen bawms. Wer ist itzt under allen Menschen, der diß wiß, der seinen willen, anmut1, und witz lerne verleugnen, außziehen, förchten, tödten, verkochen? Ja wol verkochen. Wir hayen und heben diß allein auff, wie fein[252] goldt und das ewig leben, welches doch der ewig Tod ist.«

Von der Verderbtheit der menschlichen Natur sagt Franke: »Nu aus diesem magstu leichtlich schliessen, was des natürlichen menschen witz, frumkait und kunst sei – freilich eittel todt, thorhait, sündt und gotsfeindschaft, weil alles flaisch im gegentail Gotes ligt und mit dem Teuffel laicht, ganz seiner art, wesens, willens und geburt, ja sein blut und flaisch, das sie nicht dann wie sein vatter Gotes feindt ist, nichts götlichs verstehen kan, alles sein wil on got, ja sein selbs got sein und alles sich annimpt, das gotes ist, wie Adam und Lucifer ir Vater. Diß sind eittel frücht des verbotnen baums. Der Christ aber ist aus Gott geboren, eittel gaist und leben, ganz götlicher art und nicht dann ein geschürr und außdruck gottes, ja nichts dann ein sichtbarer leiblicher gott, der mit gott veraint, aller ding seiner art ist, leibgirig, gemainnützig on alles annemen, wie got frei, stark, on aigenthumb« u.s.w.

An einem andern Orte entwickelt Franke den metaphysischen Begriff der Natur: »Die Natur ist[253] nichts dann die eingepflanzt kraft aines jeden dings von Gott, beide zu wirken und zu leiden. Als die Natur des Feurs ist warm machen oder hitzen. Nun sintemal dise kräft von Gott eingeben sindt, sindt sie gantz Göttliches Willens. Welchs vrsach von vns vnbewißt sindt, wie wol sie groß, weyß vnd gerecht sindt. Nun in ainem yeden ding ist sein Natur ins Werk gesezt. Es hat der Himmel sein Natur. Er ist ein außgoßen krafft über den ganzen Erdboden. Es hat alle ding sein Gesätz, also, daß auch im gemainem das aigen oder aigenthumb würt behalten, wie vnder denen, so in ainem schiff werden geführet. Dann dieß hat auch allen die Natur eingeben, das nichts aigens mag lang bestehen oder glücksälig bleiben. Wie ain Maister ain werk, Müll oder Vr zuricht, das sie selbs gehet vnd jren befelch außricht, also hat Gott die Natur zügericht, die alle ding treibt, lait, wie das Gewicht ain Stünd, allain ist dieß die Vnderschaidt, das der Werkmaister von seinem Werk ablaßt vnnd abweicht, aber Gott nimmer, so wenig als der Schein von der Sonnen.«

Diese Sprache des philosophischen Gedankens[254] war so bestimmt, ausdrucksvoll und fast elegant, daß die deutsche Speculation auf dieser Grundlage einer heimathlichen Terminologie mit Leichtigkeit hätte fortbauen können. Es schien, als strebe der Gedanke in diesem Jahrhundert, das deutsche Wort zu finden, das sich ihm später wieder hinter fremden und barbarischen Formen verhüllen sollte. So sind auch aus dieser Zeit die Bestrebungen Goswin Wasser leiter's merkwürdig, der sich bemühte, in seiner Logica oder Vernunftkunst, die im Jahr 1590 in Erfurt, erschien, die Bezeichnung logischer und abstracter Begriffe durchgängig mit deutschen Wörtern zu geben. Schon früher hatte Albrecht Dürer in seinen mathematisch kunsttheoretischen Schriften strenge wissenschaftliche Vorstellungen in einem gediegenen, reinen und klaren Deutsch behandelt, und eine eigenthümliche Diction deutscher Künstlersprache geschaffen, für die auch die erste Uebersetzung des Vitruv von Styff nicht unerheblich mitwirkte.

Eine sehr wichtige und originelle Sprachquelle des sechszehnten Jahrhunderts ist aber noch zu erwähnen übrig. Dies ist jener echt deutsche Schimpf[255] und Scherz, jene burleske Gemüthlichkeit und possenhafte Altklugheit, jener goldene Muthwillen einer sich Alles erlaubenden Laune, die in diesem Jahrhundert lebendig aus dem Herzen des deutschen Volkes sprudelten, und, bei sonstiger Sitte und Zucht eines strengeingefriedigten Familienlebens, arglos auch an die äußersten Einfälle in Rede und Schrift sich hingaben. Hier grub der Stachel des Humors erst das fruchtbarste und eigenste Erdreich der deutschen Sprache auf. Die ganze Stimmung der Reformationszeit, welche namentlich das Mönchswesen an die Satire auslieferte, mochte die geeignete Atmosphäre sein, um auch den buntscheckigsten Uebermuth der deutschen Diction entsprießen zu lassen. Einen patriarchalischen Cynismus könnte man die humoristische Richtung dieses Jahrhunderts am besten nennen, denn selbst die spielerischen Unflätigkeiten, welche die Sprache dabei ausgebrütet hat, bleiben immer noch durch ein gewisses anmuthiges Band an die altväterische Treuherzigkeit gefesselt. Der wahre Volkstribun und Repräsentant dieses altdeutschen Spaßes ist Johann [256] Fischart, der Mentzer genannt, der unter verschiedenen Namen die zahlreichen Geschöpfe seines zügellosen Genius in die Welt schickte.2 Die bunte Narrentracht, in welche er die deutsche Sprache steckte, war zugleich die sinnreichste Narrenweisheit, die jemals in ihren Tönen laut geworden. An Keckheit und productiver Laune, die selbst mit der Grammatik der Sprache groteske, aber bewundernswürdige Sprünge vornahm, giebt es keine ähnliche Erscheinung vor und nach Fischart in der deutschen Literatur. Bei aller gränzenlosen Ausgelassenheit seines Humors, der ihn mänadenhaft fortreißen konnte, scheint er doch ein feines und schöpferisches Bewußtsein gehabt zu haben über die Sprache, in der er seine burleske Laune ergoß. Seine Diction gleicht einer Redoute, auf der er seine Gedanken in zahllosen Wörtercostümen, in den verwegensten und frechsten Masken des Ausdrucks, in allen nur[257] erdenklichen Bizarrerieen der Sprache, zum Tanze führt. Mit tobendem Geschrei schlingen und wirren sich diese Gruppen durcheinander, sie erschöpfen sich in kühnen Wendungen und Ausgeburten der wilden Phantasie, alle Instrumente werden aufgeboten zu einem unerhörten Lärmen, gesichterschneidende Frazzen und Larven steigen gespensterhaft aus der Erde, Hexenflämmchen und Irrlichter leuchten höhnend auf. Aber der Meister dieses tollen Faschings scheint besonnen geblieben, oder er erlustigt sich selbst dabei wie ein Kind, das harmlos und unwissend mit den Nachtkobolden tändelt.

Fischart war ohne Zweifel ein großer Sprachkünstler, der bedeutendste und productivste neben und nach Luther, der die deutsche Prosa, welche dieser auf den reformirten Dialekten auferbaut hatte, in das tausendfarbig erschimmernde Gewand des Nationalhumors kleidete. Sein Reichthum an Wörtern und Wendungen, an geistreichen Zusammensetzungen und neugebildeten Bezeichnungen, an Ausdrücken, die er sich nach der Phantasie geschaffen und aus dem Urquell einer originellen Anschauung heraufgeschöpft hat, wäre noch bei weitem höher[258] und gewinnbringender anzuschlagen, als der luther'sche Sprachschatz, wenn nicht meistentheils das Gepräge Fischart's zu subjectiv oder mit zu vielem Unflat des Zeitgeschmackes behangen erschiene, um in den allgemeinen Umlauf der Diction überzugehen. Den höchsten Taumel seiner phantastischen, witzsprühenden, cynisch muthwilligen, gemüthlich frohherzigen, in Harlekinaden philosophirenden, mit feiner Menschenkenntniß spottenden, wie Trompetenjubel schmetternden Sprache, kann man in seiner Uebersetzung oder vielmehr freien Nachphantasirung des ihm wahlverwandten Rabelais belauschen. Wir lassen den Titel derselben, der fast auf allen Ausgaben verschieden lautet, nach der vom Jahre 1617, die hier vor uns liegt und mit mehreren wunderlichen Holzschnitten verziert ist, folgen: »Affentheurliche Naupengeheurliche Geschichtklitterung: von Thaten und Rahten der vor kurtzen, langen und jeweilen vollen, wol beschreyten Helden und Herrn: Grandgoschier, Gorgellantua und des Eyteldürstlichen, Durchdurstleuchtigen Fürsten Pantagruel von Durstwelten, Königen in Utopien, jeder Welt Nullatenenten und Nienen[259] Reich, Soldan der neuen Kannarien, Fäumlappen, Diopsoder, Durstling und Oudißen Insuln: auch Großfürsten im Finsterstall und Nubel Niebel Nebelland: Erbvogt auf Nichilburg, und Niederherren zu Nullibingen, Nullenstein und Nirgendheim. Etwan von M. Frantz Rabelais frantzösisch entworffen: Nun aber überschröcklich lustig in einen Teutschen Model vergoßen, und ungefehrlich obenhin, wie man den Grindigen laußt, in unser Mutterlallen über oder drunder gesetzt. Auch zu diesen Truck wieder auf den Amboß gebracht, und dermaßen mit Pantadurstigen Mythologien oder Geheimnußdeutungen verpoßelt, verschmidt und verdängelt, daß nichts ohn das Eisen Nisi dran mangelt. Durch Huldrich Elloposcleron.« Darunter: Si laxes, erepit: Si premas, erumpit. Zu Luck entkrichts: Eim Truck entziechts.« Unter der Holzschnitt-Vignette: »Im Fischen, gilt's Mischen. Gedruckt zu Grenflug im Gänsereich. 1617.«

Eine Stelle aus diesem Buche hier auszuwählen, ist eine eigenthümliche Verlegenheit, nicht für mich, sondern für die heutigen Leser. Ganz unverändert kann kaum eine Seite daraus an diesem[260] Ort wiederabgedruckt werden, weshalb nur eine möglichst decente Blumenlese aus dem fünften Capitel, das von Grandgoschier's Verheirathung handelt, und von Fischart selbständig herrührt, die Diction dieses deutschen Aristophanes charakterisiren mag: – »warum solt anders das holdselig weibliche Geschlecht also anmuthig, zuthätig, kützlich, armfähig, brustlindig, anbiegig, sanftliegig, mundsüßig, liebäuglich, einschwätzig, mild, nett, glat wie Marmelstein, schön und zart erschaffen sein, wo nit wären, die sich darinn erlustigten? Was solt der Rosengeruch, wo nit wären, die sie zur Quickung abbrechen? Was solt der gute Wein, wenn keine wären, die ihn zechten? Was wär der Thurnierring, wenn nit die Hofleut darnach stechen? – Derhalben führe mein Grandgauch hiher ein Haußschwalm heim, die ihm eine Gesellin sei in der Noth, seines Hertzens ein Seßel, seim Leib ein Küßen und Ellenbogensteuerin, seines Unmuths ein Geig, sein Ofenstütz, das ander Bein am Stul – die sein Sparhäflin sei, sein Feuer im Winter, das mit gesotens und gebratens umgeben ist, sein Schatten im Sommer, seine Mitzecherin[261] – – Ist er grimmig, ist sie külsinnig, ist er ungestümmig, ist sie stillstimmig, ist er stillgrimmig, ist sie troststimmig, ist er wütig, so ist sie gütig: Er ist die Sonn, sie ist der Mon; sie ist die Nacht, er hat Tags Macht – wenn der Unwillen im Hafen zu viel will sieden, brüteln und grollen, so hebt sie den Deckel ab, schaft ihm Luft, giebt ihm ein lindes Erbsen-Brülein ein – Er wird ihr Abgott sein, das Bett ihr Altar, dabei man die Schuh stellt, darauf alle Versühnung geschicht. – Als wenn der lieben Ehgespiel etwan einmal ihr nachtspeisiger Haußtrost, Haußsonn, Haußhahn, Ehegespan aus den Augen kommt, und über Feld ziehet, o wie sorgfeltig geleitet ihn die Andromache für die Thür, als sollt ihr Hector mit dem Achille einen Kampf antreten. Komt er alsdann wieder, da ist Freud in allen Gassen, da darf sie sich wohl verköstigen, und wie die Nörnbergischen Weiber ein Creutzer zum Botenbrodt verschenken, und für einen Plappert Zwibelfisch kaufen zu dreien Trachten, da ruffet sie den Nachbauern, freuet euch mit mir, dann mein Groschen ist gefunden, meine Sau ist wiederkommen,[262] da rüst man, da verdüst man, da streut man dem Palmesel Zweig under, da macht man die Thor weit, daß der Hauß König einreit, lauft ihm mit zugethanen Armen entgegen, die Töchterlin sitzen ihm auf dem Arm, wie die Meerkätzlin, die Söhnlin henken am Rock, wie die Aefflein, und ruffen alle Brodt, Brodt.« – –

Dies war ein ächt nationaler Humor, dem Fischarts Genie Sprache gegeben. An solcher Satire erlustigten sich unsere Altvordern, so tändelten, lachten, scherzten und wortspielten sie. In der Fülle und sinnreichen Gefügigkeit der Wortspiele, wie sie bei Fischart sich finden, möchte keine andre Sprache mit der deutschen einen Wettstreit unternehmen können, wie abenteuerlich und kindisch auch oft Fischarts Laune mit seinen tausendfach durcheinandergehetzten Wörtern davonläuft. Nur gewisse humoristische Figuren Shakespear's haben einen ähnlichen Fluß unerschöpflicher Stichwörter im Munde, zu deren deutscher Wiedergebung man schon frühe in Fischarts Diction eine Grundlage gehabt hätte. Wie absichtlich aber Fischart für den Ruhm und die Fortbildung der deutschen Sprache[263] bemüht war, geht auch aus seinem Versuch hervor, deutsche Hexameter und Pentameter einzuführen, wie er deren in seinem Rabelais, zu Ende des zweiten Capitels, eingestreut hat, und zwar in gereimten Distichen. Wie er selbst sagt, so hat er deshalb diese Sylbenmaaße versucht: »dieweil daraus die Künstlichkeit der teutschen Sprache in allerhand Carmina bescheint; und wie sie nun nach Anstellung des Hexametri, oder sechsmäßiger Sylbenstimmung, und siebenmäßigen Sechsschlag, weder den Griechen noch Latinen (die das Muoß allein essen wollten) forthin weiche.« »Wenn sie schon nicht, fährt er fort, die Prosodie oder Stimmmäßigung also abergläubig wie bey ihnen halten, so ist es erst billig, denn wie sie ihr Sprach nicht erst von andern haben, also wollen sie auch nit nach anderen traben: eine jede Sprach hat ihre sondere angeartete Tönung, und soll auch bleiben bey derselben Angewöhnung.« –

Die Sprache des Reformations-Zeitalters stellt die Entwickelung der deutschen Prosa in Luther, Sebastian Franke und Fischart nach drei verschiedenen wichtigen Richtungen dar. Durch die[264] Reformation hatte die Sprache eine neue Beziehung zum Nationalleben gewonnen. Die Skepsis, welche das ganze Dasein umspann, und alle Gegenstände des Meinens und Glaubens in Frage stellte, mußte auch in Ausdruck und Darstellung eine besondere Subtilität und Feinheit der Nüancirung erwecken. Die Glaubensstreitigkeiten, die theologische Polemik, die Gegenüberstellung der verschiedenen Lehrsätze schärften die Fähigkeit, den Gedanken zu entwickeln und in der Sprache hinundherzuwenden. Auf den Ausdruck kam mehr als jemals an, und die möglichst prägnante Feststellung der Meinung bedurfte aller feinsinnigen Motive der prosaischen Satzbildung. Die Sprache zeigte sich von zwei Seiten geschäftig, diese leichte, bestimmte und schlagende Bewegung der Prosa, eindringlich für das wirkliche Leben, hervorzubringen, einmal durch die Zusammensetzung und Wörterdoppelung, wodurch paraphrasirende Umschreibungen durch ein einziges schöngebildetes Wort erspart werden, z.B. großherzig, Halsherrscher (für Tyrann), anäugeln, anseufzen, erwuchern, erjagen, Springinsfeld, Streugütlein (für Verschwender) u. dgl.; und dann[265] durch Abschleifung und Verschmelzung aller rauhen und provinziellen Laute, um die gewonnene Einheit der Dialekte auch zur Schönheit werden zu lassen. Das Bewußtsein über die Sprache, das erst im Zeitalter der Prosa beginnt, zeigte sich auch in ihrer grammatischen und lexicalischen Behandlung, die ihr in diesem Jahrhundert durch Laurentius Albertus, Albrecht Oelinger, Fabian Frangk, Georg Henisch und einige Andere zu Theil wurde. Die prosaische Tonart des Zeitalters, in der die deutsche Sprache ihre Wiedergeburt ausdrückte, haftete auch den Gebilden der Metrik an. Rudolf Weckherlin zählte nur die Sylben in seinen Alexandrinern, er gab dem Verse den geistigen Accent der Prosa, und bekümmerte sich nicht um die Anforderungen der Quantität. –

Fußnoten

1 Dies Wort ist an dieser Stelle in seiner ursprünglichen Bedeutung gebraucht, die es heut völlig abgeworfen hat. Anmuth heißt hier so viel wie Neigung, Alles, was Einem anmuthet, wozu man Muth und Lust verspürt, in welchem Sinne besonders das Adjectivum anmuthig früher allgemein gebraucht wurde. Vgl. Petersen, die Veränderungen und Epochen der deutschen Hauptsprache, S. 159., welcher bei dieser Gelegenheit die Abstammung des Wortes Anmuth von Muth gegen die widersinnige Behauptung Adelung's, Anmuth sei ungeschickt nach dem Lateinischen amoenitas gebildet, vertheidigt hat.


2 Vgl. Flügel, Geschichte der komischen Literatur, Bd III. S. 330. fg. wo auch die ersten vollständigen Nachrichten über Fischart's Schriften und Zusammenstellungen über seine unsichern Lebensumstände gegeben werden.


Quelle:
Theodor Mundt: Die Kunst der Deutschen Prosa. Berlin 1837, S. 239-266.
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